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Karnajim

Andere Schreibweise: Karnaim, Carnaim

(erstellt: Januar 2020)

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1. Name

Der Name Karnajim (קַרְנַיִם qarnajim) setzt sich zusammen aus קֶרֶן qæræn „Horn“ und der häufig belegten Endung -ajim. Wenn man diese als Dualendung versteht, bedeutet der Ortsname „Hörnerpaar“. Eher handelt es sich jedoch um eine Lokalendung, da sie nicht nur bei Begriffen begegnet, die paarweise sinnvoll sind (vgl. z.B. Aditajim [< עֲדִי „Schmuck“], aber auch → Mahanajim; Schaarajim; Zemarajim; Borée, 54f).

Die → Septuaginta übersetzt קַרְנַיִם Qarnajim in Am 6,13 mit κέρατα kerata „Hörner“ (so auch Vulgata: cornua). Demgegenüber bietet Καρναιν Karnain in 1Makk 5,26.43.44 eine Transliteration von קַרְנַיִם Qarnajim (vgl. Gen 14,5; zur Wiedergabe der hebräischen Endung -ajim mit griechisch -ain vgl. z.B. Μααναιν Maanain für Mahanajim in Jos 13,26). 2Makk 12,21.26 nennen den Ort dagegen Καρνιον Karnion. Bei → Josephus ist der Ortsname mit ἐν en „in / nach“ zu ἐγκρανάς Enkranas kontrahiert (Antiquitates 12,344; Text gr. und lat. Autoren). → Euseb bezeugt Ἀσταρὼϑ Καρναείν Astarōth Karnaein (Onomastikon 6,4-7; Eusebs Onomastikon [= ed. Timm, Nr. 4]) und Ἀσταρὼϑ Καρναείμ Astarōth Karnaeim sowie Καρναία Karnaia (112,3-4 [= ed. Timm, Nr. 579; nach Timm ist Karnaia im griechischen Text des Euseb nicht mit Astarōth Karnaeim identisch, die Gleichsetzung beruht auf der lateinischen Übersetzung des Hieronymus]).

2. Identifikation

Karnajim 01
Karnajim liegt in der Landschaft → Baschan im heutigen Syrien und ist vermutlich mit Šēch Sa‘d, 36 km östlich des Sees Genezareth, zu identifizieren (Koordinaten: 2473.2495; N 32° 50' 11'', E 36° 02' 09''). Für diese Identifizierung spricht, dass sowohl Karnajim als auch Šēch Sa‘d mit der Hiobtradition (→ Hiob) verbunden sind. 1) Karnajim gilt in byzantinischer Zeit als Heimat Hiobs. Nach einer bei Euseb bzw. Hieronymus (Onomastikon 112,3-6 [ed. Timm, Nr. 579]) überlieferten Tradition soll sich in Karnajim (Καρναία Karnaia; so die Lesart des Hieronymus [s.o.]) das Haus Hiobs befunden haben. Hieronymus bezeichnet in seinem Kommentar zu Gen 10,23 (Liber Hebraicarum Quaestionum in Genesim X,14) Arams Sohn Uz als Gründer der östlich des Sees Genezareth gelegenen Trachonitis und bringt ihn mit Hiobs Heimatort Uz in Verbindung. Der Reisebericht der Egeria (4. Jh.; s. Donner) bezeichnet Karnajim (Carneas) als Stadt Hiobs (13,1-2), in der es damals eine Kirche gegeben haben soll, unter deren Altarstein Hiob bestattet gewesen sein soll (16,5-6).

Karnajim 2
2) In Šēch Sa‘d und seiner Umgebung ist die Hiobtradition im Mittelalter (Jākūt ar-Rūmī; al-Qazwīnī) und, wie Wetzstein in seinem Reisebericht (mit Karte) zeigt, noch im 19. Jh. fest verankert. Eine Stele, die → Ramses II. beim Opfer zeigt, befand sich im 19. Jh. am höchsten Punkt des Ortes und wurde von der Bevölkerung als „Hiobstein“ bezeichnet, weil sich Hiob einst an ihn angelehnt haben soll (Schumacher). 0,8 km südwestlich des Ortskerns galt eine Stätte als Grab Hiobs. 1,5 km südwestlich des Ortskerns befand sich ein nach Hiob benanntes Kloster an dem Ort, an dem er gewohnt haben soll. Eine nahe Quelle soll Hiob mit einem Fußstoß gemacht haben (vgl. im Koran Sure 38,41-43; Text Koran).

3. Belege

In der Hebräischen Bibel ist Karnajim nur an zwei Stellen belegt.

1. Am 6,13. Wenn Karnajim mit Šēch Sa‘d zu identifizieren ist, liegt der Ort in einem Gebiet, das zwischen → Aram und Israel umkämpft war (→ Gilead 3.4.2.). Zur Zeit → Jerobeams II. konnte Israel den Aramäern Gebiete abnehmen und in dem Zusammenhang dürfte Karnajim von Israel erobert worden sein. Darauf deutet jedenfalls Am 6,13. → Amos zitiert hier Gegner, die sich (angeblich) einbilden, sie hätten Karnajim nicht mit Gottes Hilfe, sondern aus eigener Kraft erobert. Dabei soll in dem Ortsnamen wohl die Bedeutung „Hörner“ anklingen, da Hörner ein Symbol von Macht sind (→ Horn), so dass die Einnahme von Karnajim als Beleg von vermeintlicher Übermacht dienen konnte. Doch genau diese Selbstüberschätzung prangert Amos an. Nach Kallai (265.491) steht Karnajim hier exemplarisch für den ganzen Baschan, den Jerobeam II. einnehmen konnte.

2. Gen 14,5 erwähnt die nach der Göttin Astarte benannte Stadt Aschtarot (→ Astarte; → Baschan). Sie wird mit Tell ‘Aštara identifiziert (Koordinaten: 2455.2460; N 32° 48' 18'', E 36° 00' 57''), der nur 4 km südwestlich von Šēch Sa‘d liegt. Im Alten Testament wird diese Stadt fast nur als Sitz des sagenhaften vorisraelitischen Königs → Og von Baschan erwähnt, der den Refaitern zugerechnet wird (Dtn 1,4; Jos 9,10; Jos 12,4; Jos 13,12.31). Gen 14,5 spielt in noch älterer Vorzeit, und hier erscheint Aschtarot als Ort einer nicht minder sagenhaften Schlacht zwischen den Refaitern und König → Kedor-Laomer. Dabei wird der Ort hier Aschterot-Karnajim genannt. Dieser Name wird vielfach im Sinne von „Astarte mit zwei Hörnern“ verstanden (z.B. Westermann, 231). Eher wird Aschtarot hier jedoch dadurch spezifiziert, dass der Name des Nachbarortes (Kellermann, 51f) oder der Name der Provinz Qarnīni / Karnajim (Bagg, 193f; Weippert, 39) angefügt wird.

Jenseits der Hebräischen Bibel wird Karnajim in den → Makkabäerbüchern erwähnt.

1. 1Makk 5 verherrlicht Siege der → Makkabäer im Ostjordanland, die dem Kontext nach 164/163 v. Chr. anzusetzen sind. Nach 1Makk 5,26 haben freundlich gesonnene Nabatäer den Makkabäern berichtet, in welchen Städten, unter anderem Karnajim (Καρναιν Karnain), ihre Brüder gefangen gehalten würden. Daraufhin erobern die Makkabäer diese Städte, um ihre Brüder zu befreien. In Karnajim töten sie nach 1Makk 5,43-44 auch alle Menschen, die in den dortigen Tempelbezirk geflohen waren (aufgenommen von Josephus, Antiquitates 12, 344).

2. 2Makk 12,21-26 bezieht sich ausweislich signifikanter Übereinstimmungen auf die gleichen Ereignisse wie 1Makk 5 (vgl. Parker, 460-462). So schildert der Text auch die makkabäische Eroberung von Karnajim (Καρνιον Karnion) erneut, jedoch detailreicher, gibt z.B. an, dass im Tempel der Atargatis 25.000 Menschen getötet worden seien.

4. Geschichte

Nach Albright (15), dessen Untersuchung aber nur auf einem kurzen Besuch basiert, war Šēch Sa‘d in der Frühen und Mittleren Bronzezeit, der Frühen Eisenzeit sowie der hellenistisch-römischen, insbesondere der makkabäischen, aber auch der arabischen Zeit besiedelt. Spätbronzezeitliche Keramik konnte Albright nicht finden, doch zeigt die Stele, die Ramses II. beim Opfer darstellt, auch wenn der Text kaum lesbar ist (Erman; Text: Kitchen, 223; Giveon, 197-200), dass Šēch Sa‘d im 13. Jh. v. Chr. ein wichtiger Ort gewesen sein muss. Für das 8. Jh. v. Chr. setzt Am 6,13 voraus, dass der Ort eine gewisse Bedeutung hatte. Nachdem → Tiglat-Pileser III. das Aramäerreich von Damaskus 732 v. Chr. erobert hatte, teilte er es in Provinzen auf, von denen eine Qarnīnu (= Karnajim) hieß, wohl weil sie nach ihrer wichtigsten Stadt benannt worden war (vgl. Forrer, 62f; Weippert, 310). Der Keramikbefund und die Erzählungen der Makkabäerbücher belegen, dass Karnajim im 2. Jh. v. Chr. ein regionales Zentrum war. Für eine zentrale Funktion in römischer Zeit gibt es hingegen keine Belege. Erst in byzantinischer Zeit gewinnt der Ort ab dem 4. Jh. wieder an Bedeutung. Euseb bezeichnet ihn als „großes Dorf“ (Onomastikon 112,3-4 [ed. Timm, Nr. 579]), und nach dem Zeugnis der Egeria (16,5-7) war er sogar Bischofssitz (vgl. Schmitt 1985, 62f). Von da an scheint er bis ins 19. Jh. ein mit der Hiobtradition verbundenes Pilgerzentrum gewesen zu sein.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York / Boston 2009ff

2. Weitere Literatur

  • Albright, W.F., Bronze Age Mounds of Northern Palestine and the Hauran: The Spring Trip of the School in Jerusalem, BASOR 19 (1925), 5-19
  • Bagg, A.M., Die Orts- und Gewässernamen der neuassyrischen Zeit. Teil 1: Die Levante (RGTC 7,1), Wiesbaden 2007
  • Borée, W., Die alten Ortsnamen Palästinas, Leipzig 2. Aufl. 1930 (Nachdruck: Hildesheim 1968)
  • Dijkstra, M., The Stele of Ramses II from Sheikh Sa‘ad, Syria (The Stone of Job) Rediscovered and Reconsidered, UF 49 (2018), 71-93
  • Donner, H., Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.-7. Jh.), Stuttgart 2. Aufl. 2002
  • Erman, A., Der Hiobstein, ZDPV 15 (1892), 205-211
  • Forrer, E., Die Provinzeinteilung des assyrischen Reiches, Leipzig 1920
  • Giveon, R., Two Egyptian Documents concerning Bashan from the Time of Ramses II, RSO 40 (1965), 197-202
  • Jericke, D., Die Ortsangaben im Buch Genesis. Ein historisch-topographischer und literarisch-topographischer Kommentar (FRLANT 248), Göttingen 2013
  • Jericke, D., Art. Aschtarot, in: Ortsangaben der Bibel (odb), 2016 http://www.odb.bibelwissenschaft.de/ortsnamen/ortsname.php?n=10
  • Kallai, Z., Historical Geography of the Bible. The Tribal Territories of Israel, Jerusalem / Leiden 1986
  • Kellermann, D., Aštarot – Ašterot Qarnayim – Qarnayim. Historisch-geographische Erwägungen zu Orten im nördlichen Ostjordanland, ZDPV 97 (1981), 45-61
  • Kitchen, K.A., Ramesside Inscriptions, Translated and Annoted: Notes and Comments, Vol 2, Oxford 1979
  • Möller, C. / Schmitt, G., Siedlungen Palästinas nach Flavius Josephus (BTAVO.B 14), Wiesbaden 1976
  • Parker, V.L., Judas Maccabaeus’ Campaigns against Timothy, Bib. 87 (2006), 457-476
  • Schmitt, G., Die Heimat Hiobs, ZDPV 101 (1985), 56-63
  • Schmitt, G., Siedlungen Palästinas in griechisch-römischer Zeit. Ostjordanland, Negeb und (in Auswahl) Westjordanland (BTAVO.B 93), Wiesbaden 1995
  • Schumacher, G., Der Hiobstein, Sachrat Eijub, im Hauran, ZDPV 14 (1891), 142-147
  • Timm, St. (Hg.), Das Onomastikon der biblischen Ortsnamen. Kritische Neuausgabe des griechischen Textes mit der lateinischen Fassung des Hieronymus (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte N.F. 24), Berlin u.a. 2017
  • van Kasteren, J.P., Zur Geschichte von Schēch Sa‘d, ZDPV 15 (1892), 196-204
  • Weippert, M. (Hg.), Historisches Textbuch zum Alten Testament (GAT 10), Göttingen 2010
  • Wetzstein, I.G., Das Iobs-Kloster in Hauran und die Iobs-Sage (mit einer Karte der Umgebung des Iobs-Klosters), in: Franz Delitzsch, Das Buch Hiob (BC IV,2), Leipzig 2. Aufl. 1876, 551-604
  • Westermann, C., Genesis. 2. Teilband: Genesis 12-36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Karnajim. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der sog. Hiobstein ist eine Stele aus Šēch Sa‘d, die Ramses II. beim Opfer zeigt. Aus: H. Greßmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 103

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