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Johannesbriefe

(erstellt: Dezember 2010)

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1. Verfasser

Im Neuen Testament sind 3 Briefe überliefert, die seit dem Ende des 2. Jh.s (→ Irenäus von Lyon, Canon Muratori) dem Zebedaiden Johannes zugeschrieben werden.

Der Text der Briefe bietet keinen Anhaltspunkt für diese traditionelle Zuschreibung. Dem 1Joh fehlt neben dem Präskript jedwede Verfasserangabe. Die beiden kleinen Briefe nennen als Absender „den Presbyter“, eine Angabe, die sie für uns ebenfalls zu quasi anonymen Schreiben macht.

In der exegetischen Forschung wird diskutiert, den Presbyter der kleinen Briefe mit dem von Papias von Hierapolis erwähnten → Presbyter Johannes (von Ephesos) zu identifizieren (so jüngst etwa Schnelle, 6). Dafür könnte sprechen, dass beide offenbar Traditionsträger mit großer Autorität waren und die Wirkungsgeschichte der johanneischen Tradition zuerst in → Ephesos zu greifen ist. Historische Sicherheit wird sich hier aber nicht gewinnen lassen.

Ob der Presbyter auch der Verfasser des 1Joh war, ist umstritten. Dafür hat sich insbesondere M. Hengel (Die Johanneische Frage) ausgesprochen. Dagegen sprechen sprachliche Unterschiede zwischen 1Joh und 2 / 3Joh (vgl. Schnelle, 7) und der bei Annahme gleicher Verfasserschaft schwer zu erklärende Umstand, dass der gewichtige Titel „der Presbyter“ im 1Joh fehlt.

Auch mit dem Verfasser des → Johannesevangeliums ist der Schreiber des 1Joh trotz der sprachlichen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten sicher nicht identisch. Dazu sind die theologischen Unterschiede zu groß. So dominiert z.B. im Evangelium die präsentische → Eschatologie (vgl. Joh 3,16–18; Joh 5,24 u.ö.), während der 1Joh weitgehend von futurisch-eschatologischen Vorstellungen geprägt scheint (1Joh 2,18; 1Joh 3,2f u.ö.). Die im Brief wichtige Sühnetodvorstellung (1Joh 1,7; 1Joh 2,2; 1Joh 4,10 u.ö.) kommt im Evangelium nur am Rande vor. Schließlich ist der 1Joh (wie auch die kleinen Briefe) von einem akuten innerjohanneischen Konflikt geprägt, während im Evangelium auf die Auseinandersetzung mit „den Juden“ zurück geschaut wird.

2. Gliederung, Inhalt und literarische Form

2.1. 1. Johannesbrief

Eine klare Strukturierung des 1Joh ist nicht erkennbar. Entsprechend zahlreich sind die Gliederungsvorschläge in der Literatur. Der Verfasser des Schreibens wechselt mehrfach zwischen lehrhaften und paränetischen Ausführungen. Inhaltlich dominieren dabei zwei Themen:

1.) Die Warnung vor einer irrigen Interpretation der johanneischen Tradition, deren Protagonisten als „Antichristen“ (1Joh 2,18) und „Pseudopropheten“ (1Joh 4,1) bezeichnet werden, und

2.) Das mehrfach gesteigerte Plädoyer für die Bruderliebe (1Joh 2,9–11; 1Joh 3,11–18; 1Joh 4,7–21).

Beide Themen gehören für den Autor unmittelbar zusammen, denn wahre Gotteserkenntnis zeigt sich im Halten der Gebote (1Joh 3,3) und „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8). Das „Bleiben in der (Bruder)Liebe“ geht demzufolge in eins mit dem „Bleiben in Gott“ (1Joh 4,16).

Formal leitet der Verfasser sein Schreiben mit einem Prolog (1Joh 1,1–4) ein und schließt es mit einem Epilog (1Joh 5,14–21) ab. Da dieser Epilog auf die Schlussformel 1Joh5,13 folgt und mit der Unterscheidung zwischen „Sünde nicht zum Tode“ und „Sünde zum Tode“ (1Joh 5,16f) einen vollkommen neuen theologischen Akzent setzt (vgl. 1Joh 1,8–2,2; 1Joh 3,9), handelt es sich vermutlich um einen Nachtrag (anders Strecker, Schnelle). Überraschend, aber rhetorisch sehr wirkungsvoll ist der letzte Satz des Schreibens mit seiner unvermittelten Warnung vor den Götzen (1Joh 5,21). Vermutlich wird die „Sünde zum Tode“ damit als Apostasie (Abfall von dem einen Gott) bestimmt.

johannesbriefe1

Im Prolog (1Joh 1,1–4) betont der Verfasser dreifach seine sinnliche Erfahrung der Offenbarung und die der durch ihn repräsentierten Gruppe. Offenbar soll ihn das als Zeugen der Offenbarung des Wortes legitimieren. Ziel des Schreibens ist die κοινωνία (koinōnia, Gemeinschaft) der Adressaten mit den Zeugen der Offenbarung und (ganz konventionell für einen Briefanfang) die vollendete Freude von Absender und Adressaten.

Der 1. Hauptteil (1Joh 1,5–2,17) beginnt mit einer grundsätzlichen theologischen Ausführung (1Joh 1,5–2,2). Ausgehend von der These „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm.“ (1Joh 1,5), legt der Autor dar, was das Wesen christlicher Existenz ausmacht: die Gemeinschaft miteinander auf der Basis des reinigenden Blutes Jesu.

Konkret wird die Gotteserkenntnis im Halten der Gebote, speziell des „alten“ Gebotes der Bruderliebe (1Joh 2,3–11). Wer dieses Gebot hält, „bleibt im Licht“ (1Joh 2,9).

Nach einem Zuspruch von Glaubensgewissheiten an alle Altersgruppen in der Gemeinde mündet die Argumentation in der Aufforderung, sich von der Welt und ihrem Wesen fernzuhalten (1Joh 2,12–17).

Der 2. Hauptteil (1Joh 2,18–3,24) steht unter der Überschrift „es ist (die) letzte Stunde“ (1Joh 2,18). Diese Zeit ist durch das Auftreten der „vielen Antichristusse“ (ebd.) charakterisiert, die leugnen, dass Jesus der Christus ist (1Joh 2,22). Die Adressaten hingegen kennen die Wahrheit durch die Salbung (den Geist), die sie empfangen haben. In ihr gilt es zu bleiben (1Joh 2,18–27).

Die Christen haben als „Kinder Gottes“ die Hoffnung, in der → Parusie mit ihm gleich gestaltet zu werden (1Joh 3,2). Das irdische Erscheinen Jesu Christi sollte die Sünde vernichten (1Joh 3,5). Deshalb sündigt nicht, wer „in ihm bleibt“ (1Joh 3,6), ja, wer „aus Gott geboren worden ist“ „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9)! Dieser theologische Spitzensatz wird dann vom Verfasser sofort paränetisch gewendet: Im Tun von Gerechtigkeit werden die Kinder Gottes offenbar; wer aber den Bruder nicht liebt, ist nicht aus Gott bzw. ein Kind des Teufels (1Joh 2,28–3,10).

Die Mahnung wird also wiederum im Gebot der Bruderliebe konkret, dem sich der Autor nun zum zweiten Mal widmet (1Joh 3,11–24). Im Zentrum der Argumentation steht der Satz in 1Joh 3,16, der das Gebot der bis zur Selbsthingabe reichenden Bruderliebe unmittelbar aus der Selbsthingabe Jesu Christi ableitet. Die Christen können voller Zuversicht dem Gericht Gottes entgegengehen, denn der ihnen gegebene Geist führt zu der Erkenntnis, dass Gott in ihnen ist und sie in ihm (1Joh 3,24).

Der 3. Hauptteil (1Joh 4,1–5,12) widmet sich zunächst der Auseinandersetzung mit den bekämpften „Pseudopropheten“, indem zur Prüfung der Geister aufgerufen wird. Kriterium ist das Bekenntnis zur Inkarnation Jesu Christi (1Joh 4,1–6).

Daran schließen sich wiederum grundsätzliche theologische Ausführungen an, die von dem berühmten Diktum „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8) ausgehen. Die Liebe Gottes hat sich in der Sendung seines Sohnes als „Sühnemittel für unsere Sünden“ (1Joh 4,10, vgl. 1Joh 4,9) und „Retter der Welt“ (1Joh 4,14) gezeigt. „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1Joh 4,16) Das bedeutet, wie der Verfasser erneut betont, dass aus der Liebe Gottes das Liebesgebot erwächst, dessen Einhaltung im Umkehrschluss zum Kriterium dafür wird, ob man Gott liebt.

Am Ende (1Joh 5,1–12) unterstreicht der Verfasser nach einer kurzen Überleitung, dass der Glaubende die Welt besiegt (1Joh 5,5). Indem der Inhalt des Glaubens ausdrücklich genannt wird (Jesus als Sohn Gottes), dient die Passage noch einmal der impliziten Auseinandersetzung mit den Gegnern. Gott hat in den drei Zeugen (vgl. Dtn 19,15) Geist, Wasser und Blut für seinen Sohn Zeugnis abgelegt und den Christen in ihm ewiges Leben gegeben.

Der Briefschluss (1Joh 5,13) nennt als Ziel des Schreibens, die Erkenntnis der Adressaten, ewiges Leben zu haben.

Der Epilog (1Joh 5,14–21) schließlich setzt noch einige abschließende Akzente. Die Christen können gewiss sein, dass ihre Gebete erhört werden (1Joh 5,14f) und die Adressaten werden aufgefordert, für den Bruder, der „nicht zum Tode“ sündigt, Fürbitte zu halten. Nach einigen den Brief zusammenfassenden Sätzen („wir wissen…“) bildet die Warnung vor den Götzen den markanten Abschluss des Schreibens.

Die literarische Form des 1Joh ist nicht einfach zu bestimmen, da dem Schreiben wesentliche Elemente eines Briefes (Präskript, Proömium, stilgerechtes Postskript) fehlen. Andererseits können das Freudenmotiv in 1Joh 1,4 als typisches Stilmittel des Briefproömiums, die mehrfach begegnende Formel „ich schreibe euch“ bzw. „ich habe euch geschrieben“ (1Joh 2,1.7.12–14 u.ö.) und die damit verbundene direkte Anrede der Adressaten (vgl. auch 1Joh 2,18.28 u.ö.) „als Indizien für einen brieflichen Kommunikationsakt bewertet werden“ (Klauck, 1998, 259).

Darüber hinaus fallen die engen formalen Parallelen zum Johannesevangelium (1Joh 1,1–4 // Joh 1,1–18; 1Joh 1,5 // Joh 1,19; 1Joh 5,13 // Joh 20,31) auf. Diese sind immer noch am besten zu erklären, wenn man den 1Joh als eine Art Leseanweisung zum Johannesevangelium interpretiert und formal als „briefartige Homilie“ (Strecker) betrachtet.

2.2. 2. Johannesbrief

Im Unterschied zum 1Joh bietet der 2Joh alle Bestandteile des antiken Briefformulars. Genauer kann man ihn als Bitt- und Mahnbrief bezeichnen. Vom Umfang her dürfte er ein Papyrusblatt umfasst haben.

johannesbriefe2

Der Absender des Briefes ist laut Präskript ein „Presbyter“, dessen Name nicht genannt wird. Offenbar kennen ihn die Adressaten unter diesem Ehren- und Autoritätstitel. Für die Adressatenangabe nutzt der Verfasser eine gängige antike Redefigur, die Personengemeinschaften personalisiert. Der Brief ist offenbar an eine christliche Gemeinde gerichtet.

Im Proömium dankt der Presbyter für den Wandel der angeschriebenen Gemeindeglieder „in der Wahrheit“.

Das Briefkorpus beginnt mit der autoritativ vorgetragenen Bitte, das Liebesgebot zu halten. Damit stellt der Presbyter ein zentrales Element johanneischer Theologie an den Anfang seiner inhaltlichen Ausführungen.

Es folgt die Mitteilung, dass „viele Verführer“ aufgetreten sind, die die Fleischwerdung Jesu Christi nicht bekennen. Der Presbyter deutet ihre Wirksamkeit mittels der Metapher → „Antichrist“ als endzeitliches Phänomen.

Deshalb mahnt er zunächst auch ganz allgemein, auf sich zu achten (vgl. Mk 13,9), ehe er konkretere Verhaltensmaßregeln nennt. Diese bestehen in der Aufforderung, an der Tradition festzuhalten (2Joh 9), die Irrlehrer nicht aufzunehmen (2Joh 10a) und sie nicht zu grüßen (2Joh 10b), um sich nicht mit ihnen gemein zu machen (2Joh 11).

Im Postskript äußert der Presbyter seinen Besuchswunsch und richtet Grüße der Gemeinde aus, bei der er sich aufhält.

2.3. 3. Johannesbrief

Auch der 3Joh ist ein echter Brief, der sich an eine einzelne Person, „den geliebten Gaius“, richtet. Dieser wird allerdings nicht als Privatperson angesprochen, sondern als Mitglied der christlichen Gemeinde, zu der er gehört. Offenbar ist er einer der (wenigen?) Vertrauten, die der Presbyter in ihr noch hat.

Da der wesentliche Zweck des Briefes offenbar die Empfehlung des Demetrius ist (3Joh 12), handelt es sich näher hin beim 3Joh um einen Empfehlungsbrief.

johannesbriefe3

Präskript und Proömium des 3Joh sind weitgehend traditionell geprägt. Auffällig ist die häufige Verwendung der johanneischen Vorzugsvokabel αλήθεῖα (alētheia, Wahrheit). Der Presbyter will allem Anschein nach die gemeinsame theologische Basis mit Gaius unterstreichen.

Das Briefkorpus beginnt wie im 2Joh mit einer Bitte, allerdings spricht sie der Autor nur indirekt aus („du tust gut daran…“). Er will sich der weiteren Unterstützung des Gaius für die Missionare vergewissern.

Der Grund für diese Bitte wird im Folgenden deutlich. Die Gemeinde, zu der Gaius gehört, wird von einem gewissen Diotrephes dominiert, der verhindert, dass die Missionare aufgenommen werden. Das geschieht vor dem Hintergrund eines Konfliktes mit dem Presbyter.

Der Hauptteil des Briefes endet mit einer sehr allgemein gehaltenen Mahnung an Gaius und der nachdrücklichen Empfehlung des Demetrius.

Das Postskript ist traditionell geprägt und bietet neben dem Ausdruck der Hoffnung auf ein baldiges persönliches Wiedersehen die üblichen Grüße.

3. Entstehungssituation

3.1. 1. Johannesbrief

1Joh 2,19 lässt erkennen, dass es innerhalb des Gemeindeverbandes, in dem das Schreiben entstanden ist, zu einem Konflikt gekommen ist. Der Verfasser wendet sich gegen eine Gruppe, die er theologisch als „Antichristen“ (1Joh 2,18; vgl. 1Joh 4,1 - „Pseudopropheten“) charakterisiert. Er wirft ihnen vor, zu leugnen, dass „Jesus der Christus ist“ (1Joh 2,22) und „Jesus nicht (zu) bekennen“ (1Joh 4,3). Es ist in den johanneischen Gemeinden also offenbar zu einem Streit um die Christologie gekommen.

Die Versuche, die theologische Position der bekämpften Gruppe theologie- bzw. religionsgeschichtlich einzuordnen, sind Legion. Häufig kranken sie daran, dass von außen Deutekategorien an den Text herangetragen werden (z.B. „Doketisten“, „Frühgnosis“).

Deshalb ist es unter der immer noch wahrscheinlichsten Annahme, dass der 1Joh nach Joh 1–20 entstanden ist (anders Strecker, Schnelle, die aber m.E. den literarischen Charakter der kleinen Briefe zu sehr vernachlässigen und theologische und sprachliche Nuancen zwischen den Briefen überbewerten), am sinnvollsten, die theologische Position der im 1Joh bekämpften Gruppe als Radikalisierung johanneischer Theologie zu verstehen. Im Evangelium ist die Inkarnation des Erlösers durch die literarische Klammer Joh 1,14 und Joh 19,5 spannungsvoll in die erzählte Deutung der Jesus-Christus-Geschichte eingebunden, wird aber sonst kaum akzentuiert. Vielmehr steht die Herrlichkeit bzw. Verherrlichung des Offenbarers im Vordergrund. Auch die Deutung des Kreuzes als Sühnetod begegnet nur am Rande (s.o.). Nach der Darstellung des 1Joh scheinen die vom Autor bekämpften „Gegner“ die Konsequenz gezogen zu haben, dass diese theologischen Aspekte ganz verzichtbar seien. 1Joh 3,17 unterstellt ihnen zudem die Verweigerung der innergemeindlichen sozialen Solidarität und damit die Nichtbeachtung des Gebotes der Bruderliebe. Setzt man voraus, dass es sich dabei nicht nur um Polemik handelt, könnten die bekämpften „Ultrajohanneer“ (Vielhauer) das Heil rein individuell gefasst haben. Das könnte mit einem starken pneumatischen Selbstbewusstsein und der Behauptung wesenhafter Sündlosigkeit (vgl. 1Joh 1,8–10) verbunden gewesen sein.

Der Verfasser setzt sich mit der bekämpften Position theologisch auseinander, indem er für sich und die durch ihn repräsentierte Gruppe den hohen Anspruch erhebt, zu den ersten Zeugen zu gehören (1Joh 1,1–4) und die seiner Ansicht nach verbindliche Interpretation der Tradition vorträgt. Dabei gibt sich der 1Joh „als ein mit besonderer Autorität ausgestatteter Akt des Erinnerns an die altbekannte Lehre“ (Bull, 208f).

3.2. 2. Johannesbrief

Die Entstehungssituation des 2Joh entspricht der des 1Joh insofern, als sich auch der Presbyter mit der dort bekämpften Gruppe auseinandersetzt (vgl. 2Joh 7 mit 1Joh 4,2f). Neu scheint hingegen zu sein, dass Vertreter der Gruppe als Wanderprediger unterwegs sind (2Joh 10). Der Presbyter fordert dazu auf, ihnen jeglichen Sozialkontakt zu verweigern (ebd.)

3.3. 3. Johannesbrief

Der 3Joh setzt eine konkrete Situation in einer Einzelgemeinde voraus, zu der Gaius, der Empfänger des Briefes, gehört. Ein gewisser Diotrephes erkennt die Autorität des Presbyters nicht an (3Joh 9) und bekämpft ihn „mit schlechten Reden“ (3Joh 10). Außerdem verweigert er Wanderpredigern, die offenbar in enger Beziehung zum Presbyter stehen, die Aufnahme und bedroht Aufnahmewillige mit Gemeindeausschluss. Er verfügt also offenbar über eine gewisse Machtposition unter den örtlichen Christen, vielleicht war er Leiter einer Hausgemeinde.

Der Presbyter hat die Erwartung, den Konflikt durch einen baldigen persönlichen Besuch (3Joh 10; vgl. 3Joh 14) zu seinen Gunsten entscheiden zu können, nachdem er mit einem Brief nichts erreicht hat (3Joh 9; ist der 2Joh gemeint?). Einstweilen muss er es dabei belassen, Gaius in seiner Unterstützung der Wanderprediger zu bestärken (3Joh 5–8) und speziell Demetrius zu empfehlen (3Joh 12).

Über die Hintergründe des Konfliktes sagt der Brief nichts Konkretes, was zu einer Flut kontroverser Deutungen geführt hat. Sicher scheint nur, dass sich die Mehrheit der betreffenden Gemeinde unter der Führung des Diotrephes dem autoritativen Anspruch des Presbyters verweigert hat. Ob dabei auch theologische Differenzen eine Rolle gespielt haben, muss offen bleiben, scheint aber angesichts der Schärfe der von Diotrephes ergriffenen Maßnahmen wahrscheinlich.

4. Theologie der Johannesbriefe

Die kleinen Briefe setzen aufgrund ihrer literarischen Eigenart kaum theologische Akzente. Deshalb konzentriere ich mich im Folgenden auf die Darstellung der theologischen Kernaussagen des 1Joh.

4.1. Konzentration auf die Theo-logie

Im Zentrum der Argumentation im 1Joh stehen zwei theo-logische Spitzenaussagen: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm.“ (1Joh 1,5) und „Gott ist Liebe.“ (1Joh 4,8). Beide Aussagen gelten dem Verfasser als unstrittig und somit als theologische Basis jenseits der Auseinandersetzungen um die Christologie.

4.2. Zuspitzung der Christologie auf die Soteriologie

Die Liebe Gottes ist in der Sendung seines Sohnes in die Welt offenbar geworden (1Joh 4,9; vgl. 1Joh 4,14). Der Verfasser des 1Joh versteht den Akt der Rettung als Reinigung von jeder → Sünde durch das → Blut, d.h. den Kreuzestod, Jesu (1Joh 1,7). Deshalb ist Jesus Christus ἱλασμός (Hilasmos, Sühneopfer) für unsere Sünden und die des ganzen Kosmos (1Joh 2,2; vgl. 1Joh 4,10).

4.3. Gemeinschaft der Kinder Gottes

An anderer Stelle kann der Verfasser des 1Joh die Liebe Gottes geradezu als zeugende Kraft verstehen, die die Glaubenden zu Kindern Gottes macht (1Joh 3,1.9). Diese heilvolle (Neu)Schöpfung ist so wirkmächtig, dass die Glaubenden vollständig von der Sünde befreit sind. Sie können gar nicht mehr sündigen (1Joh 3,9).

Allerdings versteht der Autor die Sündlosigkeit nicht als unverlierbare Wesenseigenschaft (1Joh 1,8–10), sondern warnt vor dem Tun der Sünde und mahnt zum Tun der Gerechtigkeit (1Joh 3,7f u.ö.).

Der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes entspricht das Gebot der Bruderliebe. Das Plädoyer für seine Einhaltung kann als cantus firmus des 1Joh bezeichnet werden. Hier entscheidet sich, wer dem Wesen der Offenbarung entsprechend lebt und wer zum gottfernen Kosmos gehört.

4.4. Hoffnung auf die Parusie

Bei aller Heilsgewissheit macht der 1Joh doch deutlich, dass die endgültige Offenbarung des Wesens der Kinder Gottes noch aussteht (1Joh 3,2). Sie hoffen auf die Parusie und verstehen die Gegenwart als „letzte Stunde“ (1Joh 2,18) und Zeit der Bewährung.

Literaturverzeichnis

1. Kommentare

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  • Wengst, K., 1976, Häresie und Orthodoxie im Spiegel des ersten Johannesbriefes, Gütersloh

Abbildungsverzeichnis

  • Bibelkundliche Übersicht zum 1Joh Gliederung: Klaus-Michael Bull
  • Bibelkundliche Übersicht zum 2Joh Gliederung: Klaus-Michael Bull
  • Bibelkundliche Übersicht zum 1Joh Gliederung: Klaus-Michael Bull

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