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Jochanan ben Zakkai, Rabban

Andere Schreibweise: Johanan; Yohanan

(erstellt: Januar 2009)

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Rabban (Rbn.) Jochanan ben Zakkai (רבן יוחנן בן זכאי; gest. ca. 80 n. Chr.) gilt als geistiges Oberhaupt der Juden nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. und Begründer des Lehrhauses in → Jabne. Die rabbinischen Quellen betonen seine moderate Gesinnung gegenüber den Römern, zeichnen das Bild eines klugen Pragmatikers und heben seine religiöse Führung in den Krisenjahren des Judentums nach der Tempelzerstörung hervor.

1. Traditionen

Die rabbinische Literatur verweist auf das umfassende Wissen von Rbn. Jochanan ben Zakkai über → Tora, → Targum, → Midrasch, Halacha und → Aggada. Seine Person wird in den Quellen verehrt und mit der zentralen Gestalt des Judentums um die Zeitenwende, Hillel, verglichen. Rbn. Jochanan ben Zakkai werden viele Taqqanot (Sg. Taqqana; rabbinische Verordnung) zugeschrieben, in denen die Tradition den veränderten Zeitumständen (Leben ohne Tempel) angepasst wird. Eine Verbindung zu pharisäischen Kreisen vor 70 n. Chr. kann nicht bewiesen werden, gilt aber als wahrscheinlich.

Nach der rabbinischen Tradition ist Rbn. Jochanan ben Zakkai Schüler von Hillel (Jerusalemer Talmud, Traktat Nedarim 5,7 39b). Dem Schülerkreis von Rbn. Jochanan ben Zakkai gehörten Rabbi (R.) Eliezer ben Hyrkanos, R. Jehoschu‘a b. Chananja, Jose der Priester, R. Sime‘on ben Natanel und R. Eleazar ben Arach an (Mischna, Traktat Avot 2,8). Die priesterliche Abstammung von Rbn. Jochanan ben Zakkai ist umstritten; Sifre Numeri §123 und Tosefta, Traktat Para 4,6-7 legen sie zwar nahe, sind aber keine historisch zuverlässigen Berichte.

Die amoräische Literatur berichtet über (bibelkundige) Nichtjuden, die sich mit polemischen Fragen zur Schriftauslegungen an Rbn. Jochanan ben Zakkai wenden. Bekannt sind seine Dialoge mit dem römischen Befehlshaber Antigonos (u.a. Jerusalemer Talmud, Traktat Sanhedrin 1 19b-d; Babylonischer Talmud, Traktat Bekhorot 5a; Sifre zu Deuteronomium §351). In einer anderen Erzählung wird Rbn. Jochanan ben Zakkai durch einen Nichtjuden unter Verweis auf die Bestimmungen der → roten Kuh mit dem Vorwurf der Zauberei konfrontiert (nach Num 19,10.21 verunreinigen die Asche und das Reinigungswasser der Kuh leicht, obwohl sie von Totenunreinheit reinigen). Durch Vergleich mit einem dem Nichtjuden bekannten volkstümlichen Brauch der Heilung von Besessenheit kann er dem Nichtjuden die Wirkung des Reinigungswassers erklären. Diese Antwort befriedigt jedoch nicht die Schüler des Meisters („Diesen hast du mit einem Rohrstock abgewiesen, aber was wirst du uns antworten?“), worauf dieser erklärt: „Bei eurem Leben! Weder der Tote verunreinigt, noch macht das Wasser rein, sondern es ist eine Satzung des Heiligen“ (Pesiqta de-Rav Kahana 4,7; Pesiqta Rabbati 14; Bemidbar Rabba 19,8 und Parallelen). In dieser wie auch in anderen Erzählungen steht die Figur von Rbn. Johanan ben Zakkai für eine rationale Auslegungstradition der Schrift und schirmt das Judentum gegen Anfeindungen von außen ab.

Rbn. Jochanan ben Zakkai wird auch mit mythischen und kosmischen Traditionen in Verbindung gebracht und als Tradent der Geheimlehre genannt (Tosefta, Traktat Chagiga 2,1-2 und Parallelen).

2. Rabban Jochanan ben Zakkai und Jabne

Die rabbinische Tradition beschreibt seine Flucht in einem Sarg aus dem von römischen Truppen belagerten Jerusalem im Jahr 70 n. Chr., also kurz vor der Eroberung der Stadt, um von Vespasian den Aufbau eines neuen rabbinischen Zentrums in Jabne zu erbitten, was ihm schließlich gewährt wird (Babylonischer Talmud, Traktat Gittin 56a-b; Avot de-Rabbi Natan A 4; Avot de-Rabbi Natan B 6; Klagelieder Rabba 1,31). Die Erzählung wird gemeinhin als „Gründungslegende“ des rabbinischen Judentums bezeichnet. Die „Erfolgsgeschichte“ wird aber nur durch die (tendenziösen) rabbinischen Quellen bestätigt und ist historisch vorsichtig zu bewerten (→ Jabne). Rbn. Jochanan ben Zakkai leitete das Lehrhaus in Jabne bis zur Übernahme durch → Rbn. Gamliel II. (um ca. 85 n. Chr.).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet)

2. Weitere Literatur

  • Alon, G., 1938, How Yabneh became R’ Johanan ben Zakkai’s Residence (hebr.), Zion 3/3, 183-214
  • Alon, G., 1977, Jews, Judaism and the Classical World (aus dem Hebr. v. I. Abrahams), Jerusalem
  • Alon, G., 1980, The Jews in Their Land in the Talmudic Age (70 - 640 C. E.), (aus dem Hebr. v. G. Levi), 2 Bde., Jerusalem
  • Bacher, W., 1903, Die Agada der Tannaiten, Bd. 1, Straßburg
  • Jacobs., M., 1995, Die Institution des jüdischen Patriarchen (TSAJ 52), Tübingen
  • Kister, M., 1998, Legends of the Destruction of the Second Temple in Avot de-Rabbi Natan (hebr.), Tarbiz 67/4, 483–529
  • Mantel, H., 1961, Studies in the History of the Sanhedrin, Cambridge
  • Neusner, J., 1970, Development of a Legend (SPB 16), Leiden
  • Neusner, J., 1970, Life of Rabban Yohanan ben Zakkai: ca. 1-80 C.E., 2. Aufl., Leiden
  • Neusner, J., 1970, Studies on the Taqqanot of Yavneh, HTR 63/2, 183-198
  • Saldarini, A., 1975, Johanan ben Zakkai’s escape from Jerusalem: Origin and development of a Rabbinic story, JSJ 6/2, 189-204
  • Schäfer, P., 1979, Die Flucht Johanan b. Zakkais aus Jerusalem und die Gründung des Lehrhauses in Jabne, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (ANRW), Teil 2, Bd. 19/2, 43-101

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