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Jerusalemkollekte

(erstellt: September 2013)

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1. Bedeutung

Die Kollektensammlung der paulinischen Gemeinden für ihre bedürftigen Schwestern und Brüder in Jerusalem stellt eine der faszinierendsten finanziellen Transaktionen dar, die aus der Zeit der Antike überliefert sind. Sie steht auch nicht etwa isoliert am Rande der paulinischen Verkündigungstätigkeit, sondern führt mitten in das Zentrum seiner Rechtfertigungstheologie hinein (Georgi 21994). Nicht allein ihre Logistik, sondern vor allem ihre theologische Relevanz macht sie zu einem festen Bestandteil des paulinischen Erbes.

Als eine singuläre, einmalige Aktion ist diese Sammlung von verschiedenen anderen finanziellen Projekten sorgfältig zu unterscheiden. Immerhin gibt es partielle Überschneidungen etwa zur Frage des apostolischen Unterhaltsrechtes oder zur Armenfürsorge im Allgemeinen. Den weitesten Kontext stellt das frühchristliche Ethos des Teilens dar, das bereits in der Botschaft Jesu verankert ist und das von der Gemeinde in Jerusalem exemplarisch gelebt wird. Darauf nehmen auch die Gemeinden des paulinischen Kreises Bezug.

Paulus wird von dem Kollektenprojekt gerade in der Zeit seiner großen Missionsreisen bedrängt und umgetrieben. Dabei gerät die Sammlung in verschiedene Konflikte. Ihre Übergabe an die Jerusalemer Gemeinde überschattet schließlich die letzte Lebensphase des Apostels, führt zu seiner Verhaftung und verhindert dadurch das große Ziel seiner Spanienmission. Die Kollekte wird zum Schicksal des Paulus!

Mit seinen verstreuten Reflexionen zum Thema hat Paulus jedoch der werdenden Kirche wichtige Impulse für ihren Umgang mit Geld vermittelt. Der Anspruch dieses Projektes erweist sich auch unter veränderten Strukturen als relevant.

2. Texte

Einzelne Nachrichten über die Kollektensammlung sind über verschiedene Schriften verstreut. Ein größerer Textzusammenhang liegt lediglich in 2Kor 8 und 2Kor 9 vor. Dennoch beschäftigt das Projekt Paulus ganz offensichtlich mehr, als diese sparsamen Erwähnungen zunächst vermuten lassen. Lukas wiederum schweigt weitgehend über die Sammlung, obwohl er zweifellos Kenntnis davon hat.

  • Gal 2,10 (Vereinbarung): Im Kontext des paulinischen Berichts über den Apostelkonvent findet sich eine kurze, eher nachgeholte Notiz über den Beschluss zur Sammlung. Je nach Anordnung der Paulusbriefe könnte dies die älteste Nachricht zur Kollekte überhaupt sein.
  • 1Kor 16,1-4 (Anfänge der Sammlung): Der kurze Abschnitt am Schluss des Briefes nimmt mit der einleitenden Wendung “ περί δἑ. … / perí dé / über xy aber …” stilistisch die Abhandlung konkreter Gemeindeprobleme auf, denen sich die Kollektensammlung also auch gleichrangig zuordnet. Mit Verweis auf eine parallele Anordnung an die Gemeinden in Galatien fordert Paulus von den Korinthern ein strukturiertes Verfahren. Zugleich kündigt er die Zusammenstellung einer Delegation sowie seine eigene Beteiligung an.
  • 2Kor 8 / 2Kor 9 (Kollektenbriefe / Brieffragmente): Beide Kapitel spielen in der Diskussion, ob der ganze Brief eine Einheit oder eine Briefkomposition sei, eine wichtige Rolle. Ihr Inhalt betrifft ausschließlich die Kollekte. Als “konkurrierende Dubletten” stehen sie dabei in einer unverkennbaren Spannung zueinander: In 2Kor 8 werden die Makedonier den Korinthern als Vorbild präsentiert; in 2Kor 9 wiederum fungieren die Korinther als Vorbild für die Makedonier. Literarkritisch lässt sich dieses Problem durch die Annahme lösen, dass beide Kapitel unterschiedlichen Briefsituationen angehören. Die meisten Teilungshypothesen rechnen 2Kor 8 noch dem “Versöhnungsbrief” (2Kor 1,1-2,13 / 2Kor 7,5-16) zu und betrachten 2Kor 9 als selbständiges Brieffragment. Am konsequentesten erscheint indessen die These, dass beide Kapitel Fragmente unabhängiger Verwaltungsschreiben des Paulus seien (Betz). Sachlich verfolgen sie ein doppeltes Anliegen: Einerseits geht es ganz pragmatisch um die Koordinierung und Durchführung der Sammlung, andererseits findet sich hier das Herzstück der paulinischen “Kollektentheologie”.
  • Röm 15,25-32 (Plan der Ablieferung): Im Kontext seiner Reisepläne in Richtung Spanien, für die er die römische Gemeinde gewinnen will, bringt Paulus noch einmal die Kollekte zur Sprache. Er fühlt sich verpflichtet, die Sammlung persönlich zum Abschluss zu bringen. Erst dann ist er frei für die geplante Spanienmission.
  • Apg 20,4 (Kollektendelegation): Lukas berichtet von Repräsentanten verschiedener Gemeinden, die Paulus nach Jerusalem begleiten, ohne jedoch deren Funktion zu nennen. Dabei kann es sich nur um die in 1Kor 16,3 bereits anvisierte Kollektendelegation handeln.
  • Apg 21,15-40 (Ankunft in Jerusalem): Der ganze große Erzählabschnitt bildet den Rahmen für die Übergabe der Geldsammlung in Jerusalem. Dennoch erwähnt Lukas dabei die Kollekte selbst mit keinem Wort. Dieses Schweigen ist indessen so beredt, dass man daran die ganze komplizierte Situation, die letztlich zum Scheitern des Projektes führt, relativ deutlich erkennen kann. Der Abschnitt erweckt den Eindruck einer Partitur, “in der gerade die melodieführende Stimme ausgespart worden ist” (Roloff, 312).
  • Apg 24,17 (“Almosen” für Israel): In einer längeren Verteidigungsrede gegenüber dem römischen Prokurator Felix entschlüpft dem lukanischen Paulus dann doch noch die überraschende Bemerkung, er habe “Almosen für sein Volk” nach Jerusalem bringen wollen.

3. Terminologie

Auffälligerweise gebraucht Paulus für die Bezeichnung der Kollektensammlung keine einheitliche Terminologie. Vielmehr verwendet er eine Vielzahl von Begriffen, die bereits durch die Vielfalt ihrer Konnotationen den komplexen Charakter der Sammlung sichtbar machen.

  • λογεία / logeía / Sammlung (1Kor 16,1.2): Der Begriff betont vor allem die Pragmatik des Sammelvorgangs. Auch wenn er auf Papyrustexten gelegentlich im sakralen Bereich vorkommt, geht es dabei nie um eine Erhebung fester Steuern, sondern stets um das Einsammeln freiwilliger Spenden.
  • εύλογία / eúlogía / Segensgabe (2Kor 9,5): Damit bringt Paulus die theologische Dimension der Sammlung kurz und stringent auf den Punkt. Aller Segen, d.h. die Zuwendung von Heil und Lebensfülle, geht von Gott aus; Menschen geben diesen Segen aneinander weiter. Zugleich kehrt der Segen als Lobpreis des Menschen wieder zu Gott zurück. Beide Aspekte sind in der Kollektensammlung enthalten. Weil aber der Segen Gottes unerschöpflich und überfließend ist, darf auch seine Weitergabe nicht knausrig erfolgen: Aus diesem Grunde ist in 2Kor 9,5 der Gegensatz zur “Segensgabe” auch die “Geizesgabe” (πλεονεξία / pleonexia). Die Wirkung der “Segensgabe” erscheint wiederum als Danksagung vieler an Gott (2Kor 9,12). Ob auch ein Wortspiel mit dem Klang der Begriffe λογεία / εύλογία beabsichtigt ist, bleibt ungewiss.
  • χάρις / cháris / Liebesgabe (1Kor 16,3; 2Kor 8,4.6.7.19): Dieser facettenreiche Terminus deckt ein breites Bedeutungsspektrum ab und steht etwa für Gnade, Gunst, Wohlwollen, Fürsorge, Gnadenwerk oder Dank. Die Kollekte verdankt sich nicht primär nobler Gesinnung, sondern erwächst aus der Wirksamkeit von Gottes Gnade. Die paulinischen Gemeinden sind letztlich nur Werkzeuge der göttlichen Fürsorge und geben weiter, was auch sie empfangen haben.
  • κοινωνία / koinōnía / Gemeinschaftsaktion (2Kor 8,4; Röm 15,26): Der Begriff erinnert an Gal 2,10; die in Jerusalem per Handschlag vereinbarte “Gemeinschaft” findet ihren Ausdruck in einer konkreten “Gemeinschaftsaktion”. Nach Gal 6,6 soll der Katechumene mit dem Katecheten “Gemeinschaft haben in allen Gütern”, d.h. ihn materiell unterstützen. Paulus gebraucht den Begriff auch mit Blick auf die finanzielle Unterstützung aus Philippi (Phil 4,14.14). Hinsichtlich der Kollekte geht es ihm primär um die Gemeinschaft im Geben und Nehmen (Röm 15,27); die Sammlung reagiert auf die geistlichen Gaben der Jerusalemer und mündet in gemeinsames Gotteslob (2Kor 9,12-14).
  • διακονία / diakonía / Dienst (2Kor 8,4; 9,12; Röm 15,25): Immer wieder bezeichnet Paulus gerade seine apostolische Verkündigung als “Dienst” (1Kor 12,5; 16,15; 2Kor 4,1; 5,18; 11,8; Röm 11,13; 12,7); der Begriff meint also mehr als nur organisatorische oder flankierende Aufgaben. Die Sammlung selbst ist ein integraler Bestandteil der Evangeliumsverkündigung und dient in gleicher Weise dem Gemeindeaufbau.
  • καρπός / karpós / Frucht (Röm 15,28): Diese Bezeichnung steht im Kontext der paulinischen “Agrartheologie” (Betz) in 2Kor 9. Wer reichlich gibt, investiert in Zukunft und Wachstum. Die Sammlung ist einerseits Frucht, indem sie aus den von Jerusalem ausgehenden geistlichen Gütern erwächst; sie ist andererseits Frucht im Blick auf das, was sie an gefestigter Gemeinschaft bewirkt.
  • ἁδρότης / hadrótēs / Ertrag (2Kor 8,20): Dieser Begriff korrespondiert am ehesten mit dem der Frucht - er bezeichnet die volle Reife oder die Fülle. Im Blick auf die Kollekte betont er den reichen Ertrag, die beachtliche Summe. Die Gemeinden haben sich in ihrer Spendenfreudigkeit selbst übertroffen (vgl. 2Kor 8,2-4).
  • ἐλεημοσύναι / heleēmosýnai Almosen (Apg 24,17): Wörtlich meint dies “Barmherzigkeiten”; der Ausdruck fungiert als terminus technicus für Almosen. Nach Apg 10,2.4.31 zeichnet sich der römische Hauptmann Kornelius durch solche Almosen gegenüber der jüdischen Gemeinde aus; es kann sich damit also auch um größere Summen im Sinne antiker Wohltätigkeit handeln. Dieser Zungenschlag des lukanischen Paulus rückt die Kollekte (auf die sich die Aussage in Apg 24,17 nur beziehen kann) jedoch in ein ganz neues Licht. Almosen oder Wohltaten bleiben deutlich hinter der Intention einer Gemeinschaftsaktion, Gnaden- oder Segensgabe zurück.

4. Geschichte

Die Geschichte der Sammlung wird weder von → Paulus noch von Lukas erzählt. Dafür bedarf es einer Rekonstruktion, die wiederum auf einer Reihe exegetischer Vorentscheidungen beruht. Immerhin bieten die einzelnen Textbausteine ausreichend zuverlässige Informationen, um ein Gesamtbild gewinnen zu können.

4.1.Vereinbarung

Der Plan zu einer Geldsammlung, die im paulinischen Gemeindekreis für die Jerusalemer Gemeinde veranstaltet werden soll, entsteht am Rande des sogen. Apostelkonventes (Gal 2,1-10 / Apg 15,1-33). Im Jahre 49 n. Chr. treffen in Jerusalem Vertreter der beiden führenden christlichen Gemeinden zusammen, um eine bilaterale Vereinbarung hinsichtlich der Beschneidungsfrage zu treffen. Während die Jerusalemer die Beschneidung von Nichtjuden als Vorbedingung für die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde fordern, lehnen die Antiochener eine solche Forderung ab. Diese unterschiedlichen Positionen lassen bereits eine zunehmende theologische Differenzierung in der frühen Christenheit erkennen. Die Entscheidung fällt zugunsten der Antiochener aus: Man kommt überein, auf die Beschneidungsforderung zu verzichten. Nach Gal 2,9 bekräftigen die Verhandlungsführer diesen Beschluss, indem sie einander die rechte Hand zur “Gemeinschaft / κοινωνία / koinōnía ” reichen. Das ist der Kern der Sache, die von einer pragmatischen Aufteilung der missionarischen Zuständigkeit (“wir zu den Völkern, sie zu den Juden”) lediglich flankiert wird. Die Vereinbarung der Kollekte (Gal 2,10) klappt im Text nach, so als ob sie Paulus im Rückblick gerade noch eingefallen sei - “allein, dass wir der Armen gedenken sollten, weshalb ich auch eifrig bemüht bin, eben das zu tun.” Im Hintergrund steht jedoch deutlich die spannungsvolle, mit der Vereinbarung “keine Auflagen” gerade noch einmal gerettete Beziehung zwischen der judenchristlichen Gemeinde von Jerusalem und den rasant wachsenden heidenchristlichen Gemeinden im Einflussbereich von Antiochia. Offensichtlich verbindet sich mit der Sammlung von Anfang an die Absicht, diese fragile Beziehung zu festigen.

In Gal 2,10 nennt Paulus ganz allgemein “die Armen (οἱ πτωχοί / oi ptōchoí)” als die Empfänger der Sammlung. Diese Bezeichnung ist offen für verschiedene Deutungen. Einerseits könnte der Begriff für die Gemeinde im Ganzen stehen, der mit dem Ehrennamen “die Armen” eine besondere Form von Spiritualität - etwa nach dem Vorbild der annawim oder ebjonim in der Psalmenfrömmigkeit - zugeschrieben würde. Andererseits könnte der Begriff aber auch auf eine ganz reale Notsituation der Jesusanhänger in Jerusalem anspielen, die mehrheitlich Galiläer sind und die in der Nachfolge einst alles verlassen hatten. In 1Kor 16,1 spricht Paulus von der Sammlung für “die Heiligen” (vgl. auch 2Kor 8,4 / 2Kor 9,1), was eine verbreitete, auch den Korinthern zugestandene (1Kor 1,2; 2Kor 1,1) Bezeichnung der ersten Christen ist. In Röm 15,26 setzt er diese Begriffe zueinander in Beziehung: Die Sammlung ist bestimmt für “die Armen unter den Heiligen”. Mit den “Heiligen” ist nun die Gesamtgemeinde bezeichnet, von der die Empfänger der Kollekte als eine Gruppe besonders Bedürftiger noch einmal unterschieden wird. Beide Aspekte lassen sich jedoch nicht gegeneinander ausspielen. Die besondere Autorität der Jerusalemer Gemeinde leitet sich davon ab, dass ihr vor allem die Nachfolgerinnen und Nachfolger der ersten Stunde angehören und dass sich ihre Entstehung wesentlich den prägenden Erfahrungen von Karfreitag und Ostern verdankt. Dazu gehört aber auch die ganz reale Not von galiläischen Fischern und Bauern, die in einer fremden Stadt auf Unterstützung angewiesen sind. Da sie auf das baldige Kommen des Herrn hoffen, erübrigen sich langfristige wirtschaftliche Strategien. Eine einmalige Hilfsaktion scheint angemessen und ausreichend zu sein.

Lukas verschweigt in seiner Darstellung des Apostelkonventes (Apg 15,1-33) die Vereinbarung einer solchen Kollekte. Lediglich in Apg 11,27-30 weiß er von einer Antiochenischen Sammlung für Jerusalem im Zusammenhang einer Hungersnot zu berichten. Doch das ist ein anderes Projekt. In der weiteren Schilderung der paulinischen Missionstätigkeit spielt die Kollekte für Lukas keine Rolle. Erst seine Schilderung der letzten Jerusalemreise des Paulus (Apg 21) lässt die Kenntnis der Kollektensammlung dann - wenngleich verhalten - doch noch durchblicken.

4.2. Durchführung

Paulus hat sich von Anfang in der Tat “eifrig bemüht” (Gal 2,10), die Sammlung voranzubringen. Darüber gibt erstmals 1Kor 16,1-4 Auskunft: Unmittelbar vor Reiseplänen und Schlussgrüßen greift Paulus hier die Kollektensammlung als letztes einer längeren Liste von Gemeindeproblemen auf. Möglicherweise reagiert er damit auch auf konkrete Anfragen aus Korinth. Seine Anordnung betrifft zunächst eine Strategie des Sparens: Um bei seinem Kommen auch etwas vorweisen zu können, sollen die Gemeindeglieder jeweils am ersten Tag der Woche einen kleinen Betrag beiseitelegen. Entweder ist dabei an eine regelmäßige private Rücklage (Schapdieck) oder an eine gemeinsame Sammlung in der wöchentlichen Gemeindeversammlung gedacht. Im letzten Falle wäre die korinthische Praxis dann eines der Modelle für die Entstehung der gottesdienstlichen Kollekte. Paulus weist die Korinther darauf hin, dass er dieselbe Praxis auch in den Gemeinden Galatiens angeordnet habe. 1Kor 16,1-2 erscheint damit als Indiz einer einheitlichen Durchführung. Aus kleinen, aber stetigen Beiträgen wächst in jeder Gemeinde allmählich eine größere Summe an, die dann zu einem bestimmten Zeitpunkt mit den Beiträgen anderer Gemeinden zusammengeführt und nach Jerusalem überbracht wird. In 2Kor 8,10 blickt Paulus auf diese Anfänge zurück, wenn er an die Korinther schreibt: “ihr habt ja nicht allein das Tun, sondern auch das Wollen begonnen seit vorigem Jahr!” Nun geht es vor allem darum, dieses Langzeitprojekt auch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. In 2Kor 9,3-5 schärft er den Korinthern noch einmal ein, sich gut vorzubereiten; zum Zeitpunkt der Übergabe sollten sie eine “Segensgabe” und keine “Geizesgabe” bereithalten (2Kor 9,5).

Das Hauptproblem liegt dabei in der Koordinierung der Sammlung, da der paulinische Gemeindekreis noch keine feste Struktur aufweist. Den losen Zusammenhang sichern allein reisende Gemeindegesandte sowie die briefliche Kommunikation. In diesem Zusammenhang ist die Rolle des → Titus zu verstehen, der als eine Art Kollektenbeauftragter erscheint. In 2Kor 8,23 nennt ihn Paulus seinen “Partner und Mitarbeiter für euch”. Die persönliche Motivation des Titus könnte unmittelbar von der Ausgangssituation in Jerusalem herrühren: Als Nichtjude (Gal 2,1.3) ist er Mitglied der Antiochenischen Delegation; der Verzicht auf die Beschneidungsforderung entbindet auch ihn von diesem ansonsten notwendigen Schritt. Insofern fühlt er sich der Kollektensammlung wohl in besonderer Weise verpflichtet. Auf jeden Fall ist er es, der die Durchführung fortan maßgeblich vorantreibt. Anders als → Timotheus taucht er nie als Mitabsender der Paulusbriefe auf - vermutlich deshalb, weil er unabhängig in Sachen Kollekte zwischen den Gemeinden unterwegs ist. Darauf nimmt 2Kor 8,6 Bezug: “Deshalb baten wir Titus, dass er - wie er früher (schon) begonnen hatte - so nun auch bei euch diese Gabe zu Ende bringen solle.” Titus erscheint als Impulsgeber und Vollender, und dies nach 2Kor 8,16-17 mit besonderem Engagement: “Dank aber sei Gott, der einen solchen Eifer für euch in das Herz des Titus gibt, denn er nahm (einerseits zwar) meine Bitte auf, aber - da er noch eifriger ist - kam er (vielmehr auch) freiwillig zu euch.” In dieser Rolle vermag Titus dann auch jenseits brieflicher Schlichtungsversuche in dem Konflikt zwischen Paulus und den Korinthern zu vermitteln (2Kor 2,12-13; 2Kor 7,5-7.14-16).

Eine wichtige Rolle spielen vermutlich verschiedene Schreiben, die Paulus an die betreffenden Gemeinden verschickt. Erhalten geblieben sind sie nur im Rahmen der Korintherkorrespondenz. Immerhin hat das Thema für Paulus genug Gewicht, um nach dem theologisch bedeutsamen Abschnitt über die Auferstehungshoffnung in 1Kor 15,1-58 die Sachthemen des Briefes nun mit dem kurzen Kollektenabschnitt 1Kor 16,1-4 zum Abschluss zu bringen. Die Ausführungen in 2Kor 8 und 2Kor 9 unterstreichen diese Bedeutung - ganz unabhängig davon, ob man sie als ursprünglich eigenständige Schreiben oder als konstitutiven Teil eines einheitlichen Briefes betrachtet. Auf vielschichtige Weise versucht Paulus in beiden Texten, die Sammlung zu koordinieren. Dabei ist er vor allem daran interessiert, den Gemeinden das Bewusstsein eines überregionalen Zusammenhanges zu vermitteln. Die Gemeinden in Makedonien und Achaja präsentiert er einander als Vorbild (2Kor 8,1-5; 2Kor 9,1-2). Mit der Jerusalemer Gemeinde soll die Sammlung in ein gemeinsames Gotteslob einmünden (2Kor 9,12-14). Zusätzlich zu Titus sendet Paulus Brüder an die Gemeinden (2Kor 8,16-23), in denen man vermutlich schon die künftigen Delegaten sehen kann. Schließlich liefert er für die Sammlung eine grundsätzlich christologische Begründung (2Kor 8,9).

Die beiden Schreiben 2Kor 8 und 2Kor 9 lassen erkennen, dass der Abschluss der Sammlung ins Stocken zu geraten droht. Zwischen Vereinbarung (ca. 49) und Übergabe (ca. 56) liegen am Ende wenigstens sieben Jahre. In dieser Zeit finden verschiedene dramatische Veränderungen statt. Paulus gerät in seinen kleinasiatischen und griechischen Gemeinden durch konkurrierende Missionare in eine schwere Krise, die sein ganzes Werk gefährdet. Die Jerusalemer Gemeinde sieht sich im Vorfeld des Jüdischen Krieges (66-70) zunehmend mit einer griechen- und römerfeindlichen Haltung und der Forderung strengster Gesetzestreue konfrontiert. Es ist wohl letztlich dem Geschick des Titus zu verdanken, dass die Sammlung dennoch zum Abschluss kommt.

4.3. Absicherung

Wer mit größeren Geldsummen umgeht, setzt sich zwangsläufig auch Verdächtigungen aus. Dieser Situation ist sich Paulus bewusst. Er reagiert darauf in unterschiedlicher Weise.

Bereits mit Blick auf das Unterhaltsrecht für wandernde Apostel vertritt Paulus eine klare Position: Ein solches Recht besteht ohne wenn und aber (1Kor 9,1-27); er selbst macht davon jedoch keinen Gebrauch (1Kor 9,12.15-18) und ernährt sich vorwiegend von seiner eigenen Hände Arbeit (1Thess 2,9-10; 1Kor 4,12; 2Kor 11,7-10; Apg 20,34). Wenn er sich dennoch immer wieder betont gegen den Vorwurf der Habgier oder Vorteilnahme verteidigt, könnte deshalb auch in anderen Zusammenhängen die Kollekte im Blick sein (1Thess 2,5; 2Kor 7,2; 2Kor 12,17-18). Paulus trägt dafür die Hauptverantwortung. Bei seinen Gegnern steht er zugleich unter verschärfter Beobachtung. Aus diesem Grunde ist Transparenz unabdingbar.

Dass die ganze Sammlung korrekt verläuft, wird durch Verantwortungsträger aus den Gemeinden sichergestellt. Titus, der die Sammlung koordiniert, gehört zu ihnen; nach Gal 2,3 ist er ein Grieche und reist mit der Antiochenischen Delegation gleichsam als protokollarischer Präzedenzfall nach Jerusalem. Seine Reputation scheint im paulinischen Gemeindekreis unhinterfragt zu sein. Mit Titus reist ein weiterer Bruder, “dessen Lob im Evangelium bei allen Gemeinden bekannt ist, aber nicht allein das, sondern er ist auch ausgewählt worden von den Gemeinden als unser Reisebegleiter bei dieser Gabe, die von uns betreut wird zur Ehre des Herrn selbst und wegen unseres Vorsatzes …” (2Kor 8,18-19). Dazu gesellt sich noch ein dritter, ebenfalls anonym bleibender Bruder (2Kor 8,22). Dieses kleine Gremium ist von den Gemeinden ausgewählt und genießt ihr Vertrauen. Paulus betreut die Sammlung und ist ihr aufgrund des “Vorsatzes”, d.h. der Vereinbarung in Jerusalem, maßgeblich verpflichtet. Aber die Durchführung delegiert er weiter, und die Kontrolle liegt bei Vertrauensleuten der Geberseite. Das geschieht nach 2Kor 8,20-21 ganz bewusst, “da wir vermeiden wollen, dass uns irgendjemand verdächtigt im Blick auf diesen von uns betreuten Ertrag. Denn wir sind bedacht auf Gutes - nicht allein vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen.”

In der Anfangsphase hält es Paulus noch für möglich, die Repräsentanten der Gemeinden allein - legitimiert durch Empfehlungsbriefe - mit der Kollekte nach Jerusalem zu schicken (1Kor 16,3). Nur im Bedarfsfall und wenn es “angemessen” erscheint, will er selbst sich beteiligen (1Kor 16,4). Einige Jahre später ist dieser Fall dann eingetreten, und Paulus macht die Übergabe des Geldes zur “Chefsache” (Röm 15,25-33). In Jerusalem hat er viele Gegner. Er ist sich unsicher, ob dieser “Dienst” den Heiligen überhaupt noch “angenehm” sei (Röm 15,31). Deshalb bedarf er der Fürbitte der römischen Gemeinde. Vor allem aber muss er sich als derjenige, der die Verpflichtung einst übernommen hatte, nun auch persönlich seiner Verantwortung stellen.

4.4. Übergabe

Die Pläne, vor allem aber die Sorgen und Befürchtungen des Paulus in Röm 15,25-33 sind die letzten Nachrichten zur Sache von eigener Hand. Zum weiteren Fortgang bleibt man auf die Apostelgeschichte als die einzig verfügbare Quelle angewiesen. Die aber schweigt sich zur Sache bekanntlich aus, auch wenn Lukas wohl ohne Frage Bescheid weiß. Dass er die Einzelheiten übergeht, muss konzeptionelle Gründe haben.

Für Paulus, den es nach Spanien drängt und der sich in Korinth schon auf halbem Wege nach Rom befindet, gibt es nur einen einzigen Grund, noch einmal nach Jerusalem zu fahren - nämlich den Abschluss des Kollektenprojektes. Er weiß, dass er damit seine Spanienmission gefährdet. Aber er braucht die Rückenfreiheit einer geklärten Beziehung. In der Erzählung des Lukas hingegen fehlt jeder einsichtige Grund, warum Paulus nach seiner sogen. dritten Missionsreise Jerusalem überhaupt noch einmal aufsuchen müsste. Der Wunsch, das Pfingstfest in Jerusalem zu feiern (Apg 20,16), reicht dafür jedenfalls nicht aus, und von dem Ziel einer Reise des Paulus nach Rom weiß auch Lukas schon während des vorausliegenden Aufenthaltes in Ephesus zu berichten (Apg 19,21). Vollends unverständlich bleibt, wieso Paulus auf dieser Reise dann auch noch von einer siebenköpfigen Delegation, bestehend aus Vertretern verschiedener kleinasiatischer und griechischer Gemeinden, begleitet wird (Apg 20,4). Diese Gruppe findet ihre Erklärung allein dann, wenn man in ihr die in den Paulusbriefen schon mehrfach anvisierte (1Kor 16,3; 2Kor 8,16-22; 2Kor 9,3-5) Kollektendelegation sieht. Sie begleitet Paulus mit dem Ziel, die Übergabe des Geldes in Jerusalem angemessen als ein “Gemeinschaftsprojekt“ darzustellen und seine angefochtene Position zu stärken. Nur so lässt sich auch begreifen, warum er dann alle Warnungen in den Wind schlägt und mit dem festen Entschluss, notfalls in Jerusalem sogar “für den Namen des Herrn Jesus zu sterben”, seinen Weg von → Cäsarea aus fortsetzt (Apg 21,10-14).

Von den Spannungen gegenüber Jerusalem, die Paulus in Röm 15,30-32 reflektiert, weiß auch Lukas in Apg 21 zu berichten. Für Paulus sind es “die Ungläubigen in Judäa”, durch deren Aktivitäten die “Heiligen” nun der Sammlung mit Vorbehalten begegnen könnten. Man wird in ihnen wohl die nichtchristlichen jüdischen Zeitgenossen sehen müssen, die sich im Vorfeld des jüdischen Krieges zunehmend radikalisieren und jede Verbindung zu Griechen und Römern als Ausdruck der Kollaboration verstehen. Die christusgläubigen “Heiligen” in Jerusalem geraten dadurch in den Verdacht, durch ihre guten Kontakte zu heidenchristlichen Gemeinden in der Diaspora gemeinsame Sache mit den Feinden zu machen - zumal, wenn sie sich von ihnen auch noch finanziell unterstützen lassen. Vor diesem Hintergrund gerät die Kollekte in ein politisch brisantes Zwielicht und droht, die Empfänger eher zu kompromittieren, also durchaus nicht nur “angenehm” (Röm 15,31) zu sein. Lukas berichtet vor allem von der Stimmung, die man in Jerusalem gegen die Person des Paulus schürt. Bei einer ersten Begegnung mit Jakobus und den Ältesten wird Paulus über die angespannte Lage informiert: In der rasant gewachsenen Jerusalemer Gemeinde sind alle - ihrer Herkunft und ihrem Umfeld entsprechend - “Eiferer für das Gesetz”; ihnen aber hat man berichtet, dass Paulus in der Diaspora “Abfall von Mose lehre” (Apg 21,20-21). Dieser Vorwurf wiegt in Jerusalem schwer und bringt Paulus von vornherein in die Defensive.

Auf den Vorschlag der Gemeindeleitung hin versucht er deshalb, seine Gesetzestreue öffentlich unter Beweis zu stellen: In der Gemeinde gibt es gerade vier → Nasiräer (Num 6,1-21), die von ihrem Gelübde ausgelöst werden sollen; ihnen gesellt sich Paulus hinzu und übernimmt die Kosten für ihre Auslösung im Tempel, die durch die Finanzierung verschiedener Opferhandlungen verursacht werden (Apg 21,23-26). Erneut fragt man sich voller Verwunderung, wieso Paulus dazu überhaupt in der Lage ist? War er bislang nicht selbst immer auf Unterstützung angewiesen, und reichte seine Handarbeit nicht gerade für den nötigsten Lebensunterhalt aus? Stillschweigend wird hier von Lukas also vorausgesetzt, dass Paulus über größere Geldmittel verfügt. Dabei kann es sich nur um die verschwiegene Kollekte handeln. Paulus setzt einen Teil davon durchaus sachgemäß ein, um mittellose Fromme unter den “Heiligen” bei der Lösung von ihren Gelübden zu unterstützen - vor allem aber, um alle Vorwürfe gegen seine angebliche Apostasie zu zerstreuen. Er selbst weiht sich mit ihnen (Apg 21,24), um nicht nur als Mäzen, sondern vielmehr als gesetzestreuer → Pharisäer sichtbar in Erscheinung zu treten.

Dieser Plan schlägt fehl. Noch vor Ablauf der Reinigungsfrist kommt es im Tempelvorhof zu einem Tumult, als Paulus von Juden aus der Asia gemeinsam mit dem Heidenchristen → Trophimus aus → Ephesus gesehen und erkannt wird (Apg 21,27-36). Der Vorwurf, er habe Trophimus mit in den heiligen Bezirk jenseits des Vorhofes der Heiden geführt, entbehrt mit Sicherheit jeder Grundlage. Hier war Paulus gewiss klug genug, die ohnehin angespannte Situation nicht noch zusätzlich zu verschärfen. Aber der Vorwurf allein reicht schon aus. Nur dank der Schutzhaft durch die römische Kohorte entgeht er der Lynchjustiz. Nach dieser dramatischen Szene wird Paulus nun auch formell angeklagt. Man verlegt ihn nach Cäsarea, er verteidigt sich mehrfach und appelliert schließlich an das kaiserliche Gericht in Rom. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf den Abschluss des Kollektenprojektes?

Für die christliche Gemeinde ist die Annahme einer großen Geldsumme unter den gegebenen Umständen kaum noch möglich. Sie würde sich dadurch nur selbst jene Vorwürfe zuziehen, die gegen Paulus und die Kollektendelegation erhoben werden. Eine demonstrative Solidarisierung mit “Apostaten”, die zudem in einem laufenden Gerichtsverfahren stehen, müsste ihre ohnehin schwierige Lage erst recht unhaltbar machen. Sie, die schon zwischen allen Stühlen sitzen, können sich ihre materielle Notlage jedenfalls nicht mehr mit Geld aus den paulinischen Gemeinden ausgleichen lassen.

Damit ist das Kollektenprojekt gescheitert. Entweder weisen die “Heiligen” zu ihrem eigenen Schutz das Geld nun öffentlichkeitswirksam zurück, oder sie nehmen es in aller Stille und ohne großes Aufsehen in Empfang, um davon nur im äußersten Notfall und möglichst unauffällig Gebrauch zu machen. Das erste müsste die große Opferfreudigkeit der paulinischen Gemeinden (vgl. 2Kor 8,2-4) brüskieren. Das zweite liefe der ursprünglichen Intention dieser Sammlung, nämlich in das gemeinsame Gotteslob einzumünden (2Kor 9,12-14) und die brüchige Gemeinschaft durch tätige Liebe zu festigen, frontal zuwider. In jedem Falle bleibt ein Missklang zurück. Genau deshalb hat Lukas die ganze Geschichte wohl auch verschwiegen. Denn ihm geht es vor allem darum, die Einheit der frühen Christenheit vorbildhaft darzustellen.

Weitere Nachrichten gibt es nicht. Mit den Ereignissen des jüdischen Krieges hat sich der Konflikt dann ohnehin überholt. Die judenchristliche Gemeinde Jerusalems geht darin unter oder flieht nach Pella im Ostjordanland (wenn man Euseb, HistEccles III 5,2-3, vertrauen kann), wo sich ihre Spuren rasch verlieren. Was bleibt, sind die Reflexionen des Paulus zur theologischen Relevanz finanzieller Hilfsaktionen. Was bleibt, ist seine “Kollektentheologie”.

5. Analogien

Die Kollektensammlung erscheint als ein singuläres Projekt, das hinsichtlich seiner Größenordnung, seiner Durchführung und seiner theologischen Sinngebung weder Vorläufer hat noch Nachahmer findet. Dennoch führt das hohe Ethos einer Ethik des Teilens je nach Bedarf, das vor allem von Lukas als ein Ideal der Anfangszeit dargestellt wird (Apg 2,45; 4,35; 4,36-37), immer wieder zu gezielten und zeitlich wie regional begrenzten Aktionen finanzieller Unterstützung.

Antiochenische Kollekte - Apg 11,27-30: Der kurze Abschnitt berichtet von einer einmaligen Sammlung der Antiochener für die Jerusalemer Gemeinde. Auslöser ist eine Hungersnot zur Zeit des Kaisers Claudius (51-54). Vieles bleibt unklar. Vermutlich hat Lukas hier eine Reihe ursprünglich eigenständiger Überlieferungen miteinander verbunden. Kern könnte eine Initiative des → Barnabas sein, der bereits in Apg 4,36-37 als Beispiel für das Teilen im Bedarfsfall in Erscheinung tritt. Mit der paulinischen Kollekte gemeinsam hat sie die Beseitigung realer Not; sie unterscheidet sich davon durch ihre zeitliche und räumliche Begrenzung so wie eine Reduktion auf die rein pragmatische Seite des Vorgangs.

Unterstützung aus Philippi - Phil 4,10-20: Im Rahmen dieses möglicherweise eigenständigen Briefteiles bedankt sich Paulus bei der Gemeinde in Philippi für fortgesetzte finanzielle Unterstützung. Er betont, dass er von keiner anderen Gemeinde eine solche Unterstützung erhalten oder angenommen hätte, was auf eine ganz besondere, einzigartige Beziehung schließen lässt. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine Art missionarisches “Startkapital”, das Paulus durch seine Handarbeit vor Ort ansonsten zeitaufwendig erwerben müsste. Zuerst schicken ihm die Philipper Unterstützung nach Thessaloniki (Phil 4,16), dann nach Korinth (2Kor 11,8-9; Apg 18,5?), und schließlich auch noch nach Ephesus (Phil 4,10.18). Der Dank richtet sich an die Gemeinde, die demnach als Ganze die Mittel aufgebracht hat. Die Verwendung der Mittel aber liegt ausschließlich in der Hand des Paulus, der sie gleichsam projektbezogen einsetzt. Mit der paulinischen Kollekte teilt diese Unterstützung die gemeinschaftliche Bemühung (wenngleich nur einer Gemeinde); sie unterscheidet sich davon durch die missionarische Zweckbestimmung, die Bindung an eine exklusive persönliche Beziehung und die Wiederholung in vergleichbaren Situationen.

6. Logistik

Zu den interessantesten Aspekten der paulinischen Kollekte gehört ihre Logistik. Nicht allein die zeitgleich an verschiedenen Orten begonnene Sammlung, sondern auch der Transport nach Jerusalem musste für die Gemeinden eine enorme Herausforderung darstellen. Geld wird in der Antike weder überwiesen noch durch Scheck oder Papiergeld übertragen, sondern zunächst ganz unmittelbar in Form von klingender Münze weitergegeben.

Um die Sammlung zu organisieren, bedient sich Paulus der brieflichen Kommunikation sowie verschiedener Verantwortungsträger aus den Gemeinden, namentlich des Titus. Wo aber werden die Beträge während der ca. sieben Jahre dauernden Aktion aufbewahrt? Die wöchentlichen Beträge, zu denen Paulus rät, enthalten sicher auch viel Kupfergeld in kleiner Münze. Wo wird dieser Fundus in Silber- und Goldmünzen eingewechselt? Wie sichern sich die Verantwortlichen gegen Diebstahl? Und gibt es dafür spezielle, schließlich auch transportable Behältnisse? Silbergeld hat immerhin ein hohes Gewicht! Über solche Fragen lassen sich nur Mutmaßungen anstellen.

Auch die Zusammenstellung eines regelrechten Geldtransportes aus räumlich weit auseinander liegenden Gemeinden stellt eine große Herausforderung dar. Sie lässt sich an einer Analogie studieren - der Überbringung der Tempelsteuer aus den jüdischen Gemeinden der Diaspora nach Jerusalem (Ben-David). In rechtlicher Hinsicht bedurfte es dazu staatlicher Privilegien. Sicherheitstechnisch war militärischer Geleitschutz erforderlich, da die Straßen vor allem in den Provinzen von Räuberunwesen und das Mittelmeer bis zur Zeit des Augustus immer wieder von Piraterie bedroht waren. Auch wenn die Kollekte deutlich kleiner ausfiel als die Tempelsteuer, bleibt sie ein aufwändiges Unternehmen. Die Delegaten aus den Gemeinden könnten dabei durchaus auch die Funktion eines Geleitschutzes übernommen haben. In Jerusalem wird es nur schwer zu verbergen gewesen sein, mit welchem Gepäck Paulus und die Repräsentanten seines Gemeindekreises anreisten.

7. Bewertungen

In der exegetischen Forschung hat die paulinische Kollektensammlung sehr unterschiedliche Bewertungen erfahren.

Lange Zeit betrachtete man die Kollekte in Analogie zur jüdischen Tempelsteuer - und das nicht nur in logistischer, sondern vor allem in theologischer Hinsicht (Holl). Eine solche Analogie ist jedoch ganz unwahrscheinlich: Die Kollekte hat gerade nicht den Charakter einer regelmäßigen Steuer, sondern den einer einmaligen Hilfsaktion, die zudem auf völlig freiwilliger Basis erfolgt. Der Gedanke einer Steuer stünde zudem in frontalem Gegensatz zur Intention des Paulus, insofern sie eine Überordnung der Jerusalemer signalisieren würde. Paulus hingegen verficht vehement die Gleichrangigkeit der Gemeinden und betrachtet die Sammlung als Instrument wie Ausdruck von “Gemeinschaft”. Eine andere Deutung versteht die Sammlung als den Versuch, die “eschatologische Existenz” der Jerusalemer Gemeinde zu unterstützen (Georgi). Dafür muss man jedoch den Ehrentitel “die Armen” (Gal 2,10) zum Schlüssel machen, was nur zu Lasten der realen Notsituation möglich ist. Die Sammlung könnte weiterhin als ein pädagogisches Mittel fungieren, die heidenchristlichen Gemeinden in die Ethik des Teilens einzuüben (Georgi). Doch dazu hätte es bereits vor Ort ausreichend Gelegenheit gegeben. Schließlich hat man die Kollekte nach jenem Verhaltensmuster zu bewerten versucht, nach dem “Gottesfürchtige” den Synagogengemeinden Almosen geben oder allgemein materielle Wohltaten erweisen (Berger). Immerhin behauptet der lukanische Paulus gegenüber Felix, er sei nach mehreren Jahren gekommen, um “Almosen für sein Volk” zu überbringen (Apg 24,17). Den gleichen Ausdruck gebraucht Lukas für die finanzielle Unterstützung, die der römische Hauptmann Kornelius der jüdischen Gemeinde zukommen lässt (Apg 10,2.4.31), was wiederum an das Verhalten des Hauptmanns von Kafarnaum erinnert (Lk 7,5). Doch die Heidenchristen wollen gerade nicht im Status von Gottesfürchtigen verbleiben; vielmehr betrachten sie sich durch die Taufe nun als vollgültige Mitglieder des Gottesvolkes.

Paulus selbst liefert in seiner “Kollektentheologie” eine stringente Deutung: Für ihn ist die Sammlung in erster Linie ein Zeichen der Einheit. Diese Einheit hat wenigstens drei Aspekte.

Einheit im materiellen Ausgleich: Die Sammlung fügt sich in die urchristliche Strategie eines Güterausgleichs im Bedarfsfall ein. Wer gerade hat, gibt davon ab. In 2Kor 8,13-14 schreibt Paulus: “Denn es geht nicht darum, dass ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich. Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft. So soll ein Ausgleich entstehen …” Der “Ausgleich / ἰσότης / isótēs” kann demnach auch zeitlich versetzt erfolgen. Entscheidend ist die Beseitigung der akuten Notsituation.

Einheit im Geben und Nehmen: Die Sammlung ist keine Einbahnstraße. Vielmehr profitieren beide Seiten, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Paulus attestiert den Gebern in Röm 15,27: “Denn sie haben es beschlossen und sind auch deren Schuldner. Denn wenn die Völker an ihren geistlichen Gütern Gemeinschaft gewonnen haben , sind sie auch schuldig, ihnen mit den materiellen Gütern zu dienen.” Ganz analog kann Paulus gegenüber den Philippern von einer “Gemeinschaft im Blick auf die Abrechnung des Gebens und Nehmens” sprechen (Phil 4,15). In 1Kor 9,11 wendet er diese Relation auf das apostolische Unterhaltsrecht an. Geistliche und materielle Gaben dienen dem Aufbau der Gemeinde!

Einheit im Dank gegenüber Gott: Die Differenzen zwischen Jerusalem und dem paulinischen Gemeindekreis können am besten dadurch überwunden werden, dass beide Seiten gemeinsam in das Lob Gottes einstimmen. Beide erfahren sich darin als von Gott Beschenkte, deren unterschiedliche Gaben den überfließenden Reichtum der Güte Gottes sichtbar machen. Das glatte Parkett einer schwierigen Beziehung wird dadurch trittsicherer, denn “der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken” (2Kor 9,12).

Die paulinische Kollekte ist der Versuch, die gefährdete Einheit der frühchristlichen Gemeinden durch eine finanzielle Gemeinschaftsaktion zu festigen. Dieser Versuch wird theologisch fundamental begründet und am Vorbild Christi orientiert. Die “Gnadengabe” der Kollekte (2Kor 8,1.4.7) spiegelt etwas von der “Gnadengabe” Jesu Christi (2Kor 8,9) selbst wider: “Denn ihr kennt die Gnadengabe (χάρις / cháris) unseres Herrn Jesus Christus: Um euretwillen wurde er arm, obwohl er reich war, damit ihr durch seine Armut reich würdet.” In dieser Aussage überträgt Paulus das christologische Schema aus Phil 2,6-11 in die Kategorien eines Finanzausgleichs.

Auch wenn das Kollektenprojekt letzten Endes in Jerusalem gescheitert ist, behalten die grundsätzlichen Überlegungen des Paulus zur theologischen Relevanz materieller Hilfe ihren bleibenden Wert.

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