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Andere Schreibweise: Javan (engl.); Yawân (franz.)

(erstellt: Juli 2017)

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Jawan wird in der Hebräischen Bibel einerseits in einem engeren Sinne auf den griechischen Stamm der Ionier bezogen, andererseits in einem weiteren Sinne auf die Griechen bzw. Griechenland insgesamt. Dabei bezeugen die Belege in der → Genesis sowie im → Jesajabuch und → Ezechielbuch das enge Verständnis, die Belege im → Danielbuch und im → Zwölfprophetenbuch das weite Verständnis.

1. Name und Herkunft

Jawan (hebr. יָוָן Jāwān; griech. Ιωουαν Iōuan; akkadisch Iāman / Iaman [vgl. Rollinger 1997]; ägyptisch jwn(n)’ und altpersisch yauna [Rollinger 1997, 170]) kann sich im Alten Testament sowohl auf den griechischen Stamm der Ionier in Kleinasien beziehen als auch die Griechen und Griechenland insgesamt bezeichnen. Das Nebeneinander von engem Verständnis (Ionier) und weitem Verständnis (Griechen; Griechenland) zeugt nicht von einer Unschärfe im Sprachgebrauch. Das weite Verständnis geht vielmehr auf die hellenistische Zeit zurück und erklärt sich aus massiv zunehmenden, direkten Kulturkontakten in der Levante (vgl. unten die Belege im Danielbuch; siehe auch die Bezeichnung „Hellenen“ für die Griechen in 1-4 Makk, vgl. Lang 1991, 952). So werden die Jawan-Belege in der → Septuaginta, mit zwei Ausnahmen in Genesis, dann auch vereinheitlicht: Während mit den Wiedergaben von Jawan als Ιωουαν Iōuan (LXX.deutsch: „Jovan“) in Gen 10,2.4 noch an einem engen Verständnis festgehalten wird, bezeugen die Wiedergaben an den übrigen Belegstellen allesamt ein weites Verständnis von Jawan als Griechen bzw. Griechenland.

Bezeichnet Jawan die Ionier, ergibt sich eine grobe zeitliche Einordnung und eine räumliche Orientierung: Der griechische Stamm der Ionier hat sich zwischen 1000 und 850 v. Chr. an den Küsten Lykiens und Kilikiens etabliert, und über die phönizischen Seefahrer kam es zu ersten Kulturkontakten zwischen Kleinasien und der Levante. Seit → Sargon II. (722-705 v. Chr.) ist Jawan dann auch in assyrischen Quellen belegt. Die biblischen Bezeugungen weisen hingegen in die exilisch-nachexilische Zeit (Lipiński 1990, 45).

Sowohl außerbiblisch als auch biblisch herrscht die Verwendungsweise als Ethnikon, d.h. als Volksname, vor; die biblischen Belege scheinen sich jedoch einer präzisen geographischen Verwendung weitgehend zu entziehen.

2. Biblische Überlieferung

Die alttestamentlichen Belege lassen sich wie folgt klassifizieren: Ein enges Verständnis – Jawan bezeichnet die Ionier – wird in Gen 10,2.4 (par. 1Chr 1,5.7), Jes 66,19, Ez 27,13 und Ez 27,19 (vielleicht ein Textfehler, so Görg 1995) vorausgesetzt, ein weites Verständnis – Jawan bezeichnet die Griechen bzw. Griechenland – bezeugen Joel 4,6, Sach 9,13, Dan 8,21, Dan 10,20 und Dan 11,2.

2.1. Enges Verständnis: Ionier

Der kanonisch erste Beleg für das die Ionier bezeichnende Ethnikon Jawan findet sich in Gen 10,2.4 (par. 1Chr 1,5.7) in der allgemein als → „Völkertafel“ bekannten Genealogie. Sie führt die in eine Vielzahl von Völkern verzweigte Menschheit auf die drei Söhne → Noahs zurück und verbindet die genealogische Ableitung (→ Genealogie) mit einer geographischen Orientierung aus der Israelperspektive: Die Völker des Nordens und des Westens sind Jafetiten (Jafet), die Völker des Südens sind Hamiten (Ham), und die Völker des Ostens sind Semiten (Sem) (Grimm 2006, 1428). Jawan ist einer der Söhne Jafets (neben Gomer, Magog, Madai, → Tubal, Meschech und Tiras) und Vater Elischas, Tarsis’, der Kittäer und der Rodaniter. Als Jafetsohn repräsentiert Jawan also eines der nordwestlich von Israel gelegenen Völker.

Für ein sachgemäßes Verständnis der beiden Jawanbelege in Gen 10,2.4 ist jedoch nicht so sehr die geographische Systematik als vielmehr die theologische Intention entscheidend, die sich einerseits am Gattungsformular der Genealogie ablesen lässt: Jawan teilt mit allen anderen in der Genealogie aufgeführten Völkern die noahitische Herkunft und ist ein Mitglied der einen auf Noah zurückgehenden Menschheitsfamilie. Andererseits ist der Kompositionszusammenhang bezeichnend: Am Ende der Urgeschichte wird Jawan gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern der Menschheitsfamilie Jhwh als deren Schöpfer zugeordnet (Grimm 2006, 1428). Mit der Bedeutung „Ionier“ im engeren Sinne partizipiert Jawan an einem universalen Gesichtskreis aus der Israelperspektive, der in Gen 10,2.4 im Kontext der Urgeschichte schöpfungstheologisch eingeholt wird. Auch wenn sich einige Namenszusammenstellungen bis in die assyrische Zeit zurückverfolgen lassen (Görg 2001, 1041), bildet die Genealogie keine eindeutig historisch verifizierbaren Verhältnisbestimmungen ab: „The Table is an artificial composition in a genealogical pattern reflecting no reality in any historical period.“ (Oded 1986, 16). Vielmehr gehen die hier anzutreffende Konstellation und Komposition wohl auf die → Priesterschrift zurück und wurden nachpriesterschriftlich bearbeitet (Witte, → Völkertafel 2.2.).

Ein universal geweiteter Blick zeichnet auch die Verwendungszusammenhänge der Jawanbelege im → Jesajabuch und im → Ezechielbuch aus. Die konzeptionelle Nähe zur Völkertafel zeigt sich u.a. jeweils in der Zusammenstellung der drei Brüdernamen Jawan, Tubal und Meschech (Meschech emend. in Jes 66,19). Innerhalb des durch die Völkertafel vorgegebenen Universalismus werden jedoch unterschiedliche Akzente gesetzt.

In Jes 66,19 repräsentiert das, von Israel aus gesehen, nördlich wahrgenommene Jawan eine der vier Weltgegenden. Die räumliche Entfernung impliziert hier auch eine Jhwh-Ferne: „Diese Gebiete liegen so fern, daß sie weder von Israels Gott etwas hörten (die Botschaft von ihm) noch seine Herrlichkeit sahen.“ (Höffken 1998, 252). Jawan gehört also in die Reihe der Völker, die von Jhwhs Herrlichkeit nicht direkt, also durch Sehen, sondern erst durch Vermittlung der Geretteten erfahren.

In Ez 27,13, einer Klage über den Untergang der Stadt → Tyrus, ist die Israelperspektive zwar aufgegeben, aber auch hier wird ein universaler Handlungsraum entworfen. Auch für die Erwähnung der Ionier in Ez 27,13 ist nicht so sehr ein geographisches Interesse leitend, als vielmehr der allgemeine Gedanke einer räumlichen Entfernung, nun jedoch von Tyrus aus gesehen. In der damals bekannten Welt, in die hinein sich die universalen Handelsbeziehungen der Stadt Tyrus erstreckten, repräsentiert Jawan einen weit entfernten Handelspartner, sofern sich eine „gewisse Ordnung in der Auflistung der Handelspartner“ (Sedlmeier 2013, 47) in einem Distanz-Nähe-Distanz-Verhältnis zu Tyrus erschließen lässt (ebd.). Überdies wird Jawan ein Handelsgut zugeschrieben: Sklaven.

2.2. Weites Verständnis: Griechen

Für alle übrigen Belege, die gemeinhin ein weites Verständnis von Jawan als Griechen bzw. Griechenland voraussetzen, gelten folgende Beobachtungen: Jawan wird nicht mit anderen, aus der Völkertafel bekannten Volksnamen zusammengestellt und ist ausnahmslos in Genitivverbindungen belegt, die entweder eine Zugehörigkeit zum Volk der Griechen ausdrücken (Joel 4,6; Sach 9,13) oder den König, den Fürsten bzw. das Königreich benennen (Dan 8,21; Dan 10,20; Dan 11,2).

Innerhalb der Beleggruppe hat Joel 4,6 eine gewisse Sonderstellung inne, da dieser Jawanbeleg ähnlich konnotiert ist wie die oben für das enge Verständnis – Jawan bezeichnet die Ionier – gelisteten Belege. Ähnlich wie in Ez 27,13 wird den Griechen Sklavenhandel zugesprochen, und ähnlich wie in Jes 66,19 wird aus der Israelperspektive die räumliche Distanz betont: Judäer und Jerusalemer werden weit weg außer Landes gebracht. Alle übrigen Belege fokussieren demgegenüber im Raum und in der Zeit. Sie bezeugen die Auseinandersetzung mit den griechischen Herrschaftsambitionen in der Levante (besonders im Danielbuch) nach Ablösung der Perser.

3. Bedeutung

So sehr das enge Verständnis im Sinne von Ionier geographisch klar determiniert ist, so auffällig ist, dass in den oben beschriebenen Verwendungsweisen exakte Lokalisierungen keine Rolle spielen. Vielmehr wird das Blickfeld jeweils universal geweitet und wird Jawan, zumal in der Zusammenstellung mit weiteren aus der Völkertafel bekannten Namen, zur Chiffre für einen universalen Handlungsraum. Demgegenüber ist das weite Verständnis im Sinne von Griechen bzw. Griechenland insofern eher begrenzt, als es eine Auseinandersetzung mit dem griechischen Streben nach Vorherrschaft in der Levante bezeugt.

Literaturverzeichnis

  • Baker, David W., Art. Javan, in: The Anchor Bible Dictionary, New York u.a. 1992, 650.
  • Bauer, Dieter, Das Buch Daniel (NSK.AT 22), Stuttgart 1996.
  • Eißler, Friedmann, Art. Griechen, in: Calwer Bibellexikon (Band 1), Stuttgart 2. Aufl. 2006, 482-483.
  • Görg, Manfred, Art. Jawan, in: NBL II, Zürich/Düsseldorf 1995, 279-280.
  • Görg, Manfred, Art. Völkertafel, in: NBL III, Düsseldorf/Zürich 2001, 1041.
  • Grimm, Werner, Art. Völkertafel, in: Calwer Bibellexikon (Band 2), Stuttgart 2. Aufl. 2006, 1427-1428.
  • Höffken, Peter, Das Buch Jesaja. Kapitel 40-66 (NSK.AT 18/2), Stuttgart 1998.
  • Hostetter, Edwin C., Art. Javan, in: Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids, Mi / Cambridge, U.K. 2000, 675.
  • Jacob, Benno, Das Buch Genesis. Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institut, Stuttgart 2000 [Nachdruck von: Benno Jacob, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934].
  • Lang, Bernhard, Art. Griechen, in: NBL I, Zürich 1991, 952-953.
  • Lipiński, Édouard, Les Japhétites selon Gen 10,2-4 et 1 Chr 1,5-7, ZAH 3 (1990), 40-53.
  • Oded, Bustenai, The Table of the Nations (Genesis 10) – A Socio-cutural Approach, ZAW 98 (1986), 14-31.
  • Rollinger, Robert, Zur Bezeichnung von „Griechen“ in Keilschrifttexten, RA 91 (1997), 167-172.
  • Sedlmeier, Franz, Das Buch Ezechiel. Kapitel 25-48 (NSK.AT 21/2), Stuttgart 2013.
  • Witte, Markus, Art. Völkertafel, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2011 (Zugriffsdatum: 14.07.2017).
  • Wolff, Hans Walter, Dodekapropheton 2. Joel und Amos (BK.AT 14/2), Neukirchen-Vluyn 1969.
  • Zapff, Burkard M., Jesaja 56-66 (NEB 37), Würzburg 2006.
  • Zimmerli, Walther, Ezechiel. 2. Teilband: 25-48 (BK.AT 13/2), Neukirchen-Vluyn 1969.
  • Zwickel, Wolfgang, Art. Jawan, in: Calwer Bibellexikon (Band 1), Stuttgart 2. Aufl. 2006, 636.

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