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Jabne / Jabneel

Andere Schreibweise: Jabneh; Javne; Javneh; Jamnia; Jamneia; Jawne; Yavne; Yavneh

(erstellt: Januar 2009)

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1. Lage

Jabne (יַבְנֶה javnæh; rabbinisch auch יבנא; griech. iámnia) ist eine Stadt in → Judäa und liegt in unmittelbarer Nähe zur Küste südlich von → Jaffa bzw. 22 km südlich von Tel Aviv. Spuren menschlicher Besiedlung lassen sich zuerst an der Küste nachweisen, das antike Jabne lag ca. 8 km von der Küste entfernt (Koordinaten: 1260.1415; N 31° 53', E 34° 44').

2. Biblische Überlieferung

Jabne wird erstmals als Jabneel in Jos 15,11 als Ort an der Nordgrenze des Stammes Juda erwähnt. In 2Chr 26,6 gilt er als Philisterstadt, deren Mauern König → Usija von Juda wie die Mauern von → Gat und → Aschdod zerstört haben soll. Ein zweiter Ort namens Jabneel wird in Jos 19,33 bei der Beschreibung der Grenze des Stammes Naftali genannt und 7 km westlich des Südendes des See Genezareths lokalisiert (Koordinaten: 198.235)

3. Geschichte

Die Küste wurde seit der Bronzezeit besiedelt (Jabne-Jam-Projekt), in der Ebene kann eine menschliche Besiedlung durch archäologische Funde seit der Eisenzeit nachgewiesen werden. In hellenistischer Zeit (Jabne hieß jetzt iámnia) war die Stadt Teil von Idumäa. Nach 1Makk 5,58 diente Jabne als Basis ausländischer Armeen. Während der makkabäischen Revolte hat → Judas Makkabäus aufgrund der antijüdischen Haltung der Bewohner Jabnes den Hafen angegriffen und die Schiffe niedergebrannt (2Makk 12,8-9). Die Angabe von Flavius Josephus, wonach → Simeon die Stadt eingenommen hat (Antiquitates Judaicae, 13,215), ist ungewiss. Zurzeit von Alexander Jannai (103-76 v. Chr.; → Hasmonäer) war Jabne schließlich mehrheitlich jüdisch besiedelt (Antiquitates Judaicae, 13,324). Die Unabhängigkeit Jabnes dauerte nur kurz, wahrscheinlich übernahm Herodes die Stadt bei seinem Machtantritt und vermachte sie später seiner Schwester Salome (76-67 v. Chr.; Antiquitates Judaicae, 17,321; De bello Judaico, 2,98).

Im ersten jüdischen Krieg (66-70 n. Chr.) wurde Jabne durch Vespasian eingenommen, jedoch nicht zerstört. Zwischen 70 und 132 n. Chr. war die Stadt Zentrum der pharisäischen Bewegung und Sitz des Gerichtshofs. Bereits vor dem Bar-Kochba-Krieg (132-135 n. Chr.) verlagerte sich ein Teil der jüdischen Selbstverwaltung nach → Galiläa. Die Folgen des Krieges zwangen dann zum vollständigen Umzug, die Rabbinen gründeten neue Zentren in Uscha, Beth-Schearim, Sepphoris und Tiberias. Ein abermaliger Rückzugsversuch nach Jabne nach 135 n. Chr. scheiterte (Mischna, Traktat Rosch HaSchana 31a-b). Nach dem Bar-Kochba-Krieg war Jabne mehrheitlich von → Samaritanern besiedelt (Tosefta, Traktat Demai 1,13), ab dem 5. Jh. dominierten Christen (ab dem 4. Jh. war Jabne Bischofssitz), 634 n. Chr. eroberten die Araber die Stadt. Während der Kreuzzüge diente Jabne als Festung. Die moderne Stadt wurde 1949 gegründet und hat heute ca. 38 000 Einwohner.

4. Jabne in der rabbinischen Literatur

In der rabbinischen Literatur wird Jabne als Zentrum des rabbinischen Judentums nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. beschrieben. Demnach erbat sich → Rabban (Rbn.) Jochanan ben Zakkai von Vespasian die Stadt, um dort den Kreis des sich neu formierenden rabbinisch-pharisäischen Judentums zu sammeln (Babylonischer Talmud, Traktat Gittin 56a-b und Parallelen; dazu Schäfer, 1979). Als Nachfolger von Rbn. Jochanan ben Zakkai hat → Rbn. Gamaliel II. wie zahlreiche andere Rabbinen und einige Priester in Jabne gewirkt. Die in Jabne versammelten Weisen sollen den Gerichtshof (Sanhedrin) eingesetzt haben (Tosefta, Traktat Berakhot 2,6). Dadurch konnten wichtige Entscheidungen für das nun tempellose Judentum gefasst werden (so z.B. zur Interkalation des Jahres [Tosefta, Traktat Chullin 3,10] oder zum Blasen des Schofarhorns [Mischna, Traktat Rosch HaSchana 4,1 und Babylonischer Talmud, Traktat Traktat Rosch HaSchana 29b] etc.). Als Nachfolger von Rbn. Jochanan ben Zakkai hat Rbn. Gamaliel II. wie zahlreiche andere Rabbinen und einige Priester in Jabne gewirkt. Das Lehrhaus in Jabne (in der älteren Forschung gern ungenau als „Synode“ bezeichnet) wird in der rabbinischen Literatur mit der Wendung „der Weingarten von Jabne“ stilisiert (Tosefta, Traktat Edujot 1,1; Mischna, Traktat Jevamot 6,6; Mischna, Traktat Ketubbot 4,6; Babylonischer Talmud, Traktat Berakhot 63b u.a.).

Die Ausformung des Traditionsmaterials in Jabne diente als Vorlage der → Mischna, die in Galiläa um ca. 230 n. Chr. redigiert wurde. Der Mischnatraktat Edujot wurde wahrscheinlich bereits in Jabne beschlossen. Auch die Entscheidung, die Tradition nach Hillel und seiner nach ihm benannten Schule auszurichten, ist in Jabne zu verorten. Damit wurde sich auf die Ausrichtung einer normativen Halacha (→ Mischna) festgelegt. Die Bedeutung der Akademie lässt sich auch an den halachischen Fragen ablesen, welche von außerhalb herangetragen wurden (Mischna, Traktat Para 7,6; Mischna, Traktat Chullin 3,10; Mischna, Traktat Miqwa’ot 4,6; Mischna, Traktat Nidda 4,3; Mischna, Traktat Kil’ajim 1,3-4 u.a.).

5. Jabne in der Forschung

Aufgrund der Bedeutung von Jabne als Zentrum zur Etablierung des pharisäischen Judentums zwischen 70 und 132 n. Chr. spricht die Forschung von der ‚Epoche von Jabne’. Der Stellenwert der Stadt für die Etablierung des pharisäisch-jüdischen Gemeinwesens nach 70 n. Chr. erschließt sich jedoch hauptsächlich aus den zum Teil tendenziösen rabbinischen Aussagen. In der rabbinischen Literatur wird sich an Jabne zumeist als „Gründungszentrum“ der rabbinischen Bewegung erinnert (Hüttenmeister listet 143 Textstellen auf, in denen auf Jabne Bezug genommen wird). Andere Hinweise lassen ein differenzierteres Bild erahnen. So kann beispielsweise aus der Bemerkung bei Josephus, Jabne diente bereits vor dem ersten jüdischen Krieg als Fluchtstadt für römerfreundliche Juden (De bello Judaico, 4,130; 4,663; Text gr. und lat. Autoren), unter Umständen auf eine (unfreiwillige) Ansiedlung römerfreundlicher Juden nach Ende des zweiten jüdischen Krieges geschlossen werden. Zudem sammelten sich nicht alle Rabbinen und nur wenige Priester nach 70 n. Chr. in Jabne. Die Quellenlage führte deshalb in der Forschung nicht zuletzt immer wieder zu einer Überschätzung der Funktion der Akademie in Jabne. Die rabbinischen Texte zur sogenannten Synode von Jabne sind jedoch historisch kaum verwertbar (Schäfer, 1979) und spiegeln vielmehr die Zeitumstände der Redaktionszeit der frühen rabbinischen Texte aus dem 3. Jh. wider (Klaiber).

Eine umfassende Forschungsdebatte entzündete sich an der Hypothese, nach der die biblischen Bücher in Jabne kanonisiert wurden und damit die Spaltung zwischen Christen und Juden besiegelt wurde (ein Überblick zur Forschung gibt Veltri). Seit den 1970er Jahren ist es comminus opinio, dass in Jabne keine Synode (bzw. kein „Konzil“, wie es im Anklang an die christliche Kirchengeschichte häufig formuliert wurde) zur Frage der Kanonizität (→ Kanon) der hebräischen Bibel stattgefunden hat. Der innerjüdische Prozess der Kanonisierung ist zu diesem Zeitpunkt entweder bereits abgeschlossen oder geht ohne offizielle Formierung zu Ende (Schäfer, 1975; Newman; Stemberger). Der rabbinische Diskurs über die Verunreinigungsfähigkeit der Hände durch die biblischen Bücher → Prediger / Predigerbuch und → Hohelied in der → Mischna (Traktat Jadajim 3,5) wird insbesondere von theologischen und liturgischen Interesse getragen und ist nicht einseitig als Kanonisierung zu verstehen (Veltri; Schäfer 1975). Auch die in Jabne festgelegte Verwünschung der Häretiker in der Liturgie (Birkat haMinim) erweist sich keinesfalls – wie in der alten Forschung behauptet – als einseitige Abgrenzung gegen das sich entwickelnde Christentum (Schäfer, 1975; Teppler).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land, Jerusalem 1993
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Dictionary of Judaism in the Biblical Period. 450 B.C.E. to 600 C.E., New York 1996
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Archaeological Encyclopedia of the Holy Land, New York / London 2001

2. Weitere Literatur

  • Alon, G., 1938, How Yabneh Became R’ Johanan ben Zakkai’s Residence (hebr.), Zion 3/3, 183-214
  • Alon, G., 1977, Jews, Judaism and the Classical World (aus dem Hebr. v. I. Abrahams), Jerusalem
  • Alon, G., 1980, The Jews in Their Land in the Talmudic Age (70 - 640 C. E.), (aus dem Hebr. v. G. Levi), Bd. 1, Jerusalem
  • Boyarin, D., 2000, A Tale of Two Synods: Niceae, Yavneh, and Rabbinic Ecclesiology, Exemplaria 12/1, 21-62
  • Boyarin, D., 2006, Anecdotal evidence: The Yavneh conundrum, Birkat Hamminim, and the problem of Talmudic Historiography, in: A. J. Avery-Peck / J. Neusner (Hgg.), The Mishna in Contemporary Perspective (Handbuch der Orientalistik), Bd. 2, Leiden / Boston, 1-35
  • Cohen, S.J.D., 1984, The Significance of Yavneh: Pharisees, Rabbis, and the End of Jewish Sectarianism, HUCA 55, 27-53
  • Fisch, M., 1997, Rational Rabbis. Science and Talmudic Culture, Bloomington / Indianapolis
  • Hezser, C., 1997, The Social Structure of the Rabbinic Movement in Roman Palestine (TSAJ 66), Tübingen
  • Hüttenmeister, F., 1977, Die jüdischen Synagogen, Lehrhäuser und Gerichtshöfe (Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients Reihe B), Wiesbaden
  • Jacobs., M., 1995, Die Institution des jüdischen Patriarchen (TSAJ 52), Tübingen
  • Keel, O. / Küchler, M., 1982, Orte und Landschaften der Bibel, Bd. 2: Der Süden, Zürich / Einsiedeln / Köln
  • Klaiber, P., 2007, Immer wieder Yavne: Die Legende von der Flucht Rabban Yohanan ben Zakkais, FJB 34, 29-51
  • Mantel, H., 1961, Studies in the History of the Sanhedrin, Cambridge, 227-230
  • Neusner, J., 1970, Development of a Legend (SPB 16), Leiden
  • Neusner, J., 1970, Life of Rabban Yohanan ben Zakkai: ca. 1 – 80 C.E., 2. Aufl. Leiden
  • Neusner, J., 1970, Studies on the Taqqanot of Yavneh, HTR 63/2, 183-198
  • Newman, R.C., 1976, The Council of Yamnia and the Old Testament Canon, WThJ 37, 319-325
  • Saldarini, A., 1975, Johanan ben Zakkai’s escape from Jerusalem: Origin and development of a Rabbinic story, JSJ 6/2, 189-204
  • Schäfer, P., 1975, Die sogenannte Synode von Jabne (1. Zur Trennung zwischen Juden und Christen im 1.-2. Jh. n. Chr.; 2: Der Abschluss des Kanons), Judaica 31/2, 54-64, 116-124 (Ndr. in ders., 1978, Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums [Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums 15], Leiden)
  • Schäfer, P., 1979, Die Flucht Johanan b. Zakkais aus Jerusalem und die Gründung des Lehrhauses in Jabne, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (ANRW), Teil 2, Bd. 19/2, 43-101
  • Schürer, E. / Vermes, G, 1973-1987, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (157 B.C.-A.D. 135), überarbeitet v. E. Vermes / F. Millar / M. Black, 4 Bde., Edingburgh
  • Stemberger, G., 1977, Die sogenannte „Synode von Jabne“ und das frühe Christentum, Kairos 19/1, 14-21
  • Teppler, Y.Y., 2007, Birkat haMinim (TSAJ 120), Tübingen
  • Veltri, G., 1990, Zur traditionsgeschichtlichen Entwicklung des Bewusstseins von einem Kanon: Die Jabne-Frage, JSJ 21, 210-226

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Jabne. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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