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Initiationsritus

(erstellt: März 2013)

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Ritual

1. Einleitung

Mit der Sesshaftwerdung und dem Beginn des Königtums differenzierte sich das gesellschaftliche Leben in Israel rasch und dauerhaft. Soziale Identitäten wurden nun zunehmend nicht mehr nur durch Geschlecht, Verwandtschaft und lebenszyklische Entwicklungsstufen, sondern auch durch Mitgliedschaften in „geschlossenen“ Gesellschaften, Gruppen bzw. Berufsgruppen, Ständen usw. und durch Ämter erworben, die mit Berufungs- und Weiheriten o.ä. verbunden waren. Initiationen erweiterten den Zugang des Initianden zu kultisch-sakralen Bereichen und waren in religiöser Hinsicht ein wichtiges Mittel, die → Reinheit des gesellschaftlichen Lebens sicherzustellen. Sie betrafen nicht nur Einzelne, sondern auch Gruppen, wie die → Beschneidung der israelitischen Männer nach der Überquerung des Jordans am Ende der → Wüstenwanderung und vor der → Landnahme (Jos 5,3-8) deutlich macht.

1.1. Definition

Initiationsriten (lat. initium „Eintritt / Einführung“) sind Übergangsriten (rites de passage). Darunter werden ritualisierte Formen individueller oder kollektiver Übergänge von einer Lebensphase oder sozialen Position in eine andere verstanden. Der neue Status gilt erst dann als erreicht, wenn der Initiand die vorgesehenen Riten ordnungsgemäß vollzogen hat. Solche Übergangsriten umfassen eine Reihe unterschiedlicher zeremonieller Handlungen, die a) Lebenszyklen wie Geburt, Pubertät, Hochzeit und Tod begleiten; b) die Aufnahme in einen Stammes- oder Heeresverband, in eine Religionsgemeinschaft, Altersklasse oder Bruderschaft, in einen Geheimbund, Mysterienkult usw. ermöglichen; c) Übergange in neue soziale oder kultische Positionen (z.B. Krieger, Heerführer, König, Priester, Prophet, Magier, Heiler) strukturieren.

1.2. Theoriegeschichte

Schon der französische Jesuitenmissionar Joseph François Lafitau (1681-1746) verglich in seinem grundlegenden Werk Moeurs des Sauvages Ameriquains, comparées aux premiers temps (1724) die Reifefeiern der Irokesen und anderer amerikanischer Völker systematisch mit den Weihezeremonien der antiken europäischen Mysterien und verwies auf deren Parallelen. Den zeremoniellen Übergang von der Nichtzugehörigkeit zur Mitgliedschaft bezeichnete Lafitau als Initiation. Er prägte damit einen zentralen Begriff der Ethnologie und Religionswissenschaft.

Zweihundert Jahre später lag dem schottischen Gelehrten James Frazer (1854-1941) ausreichendes ethnographisches Material aus allen Erdteilen vor, um vergleichbare Abläufe von Initiationsriten in unterschiedlichen Gesellschaften und historischen Epochen nachweisen zu können. Etwa zur gleichen Zeit entfaltete der deutsche Ethnologe Heinrich Schurtz (1863-1903) in seinem Buch Altersklassen und Männerbünde (1902) eine weitgreifende Theorie der Abläufe und Bedeutung von Initiationsriten. Für Schurtz gingen alle gesellschaftlichen Organisationsformen und innovativen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse auf Männerbünde (Altersklassen, Geheimbünde o.ä.) zurück, in die die Knaben durch elaborierte Initiationsriten eingeführt wurden.

Der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873-1957) legte in seiner Studie Les rites de passage (deutscher Titel: Übergangsriten) aus dem Jahr 1909 besonderen Wert auf die Struktur des zeremoniellen Ablaufs von Riten. Er erkannte in seinen kulturvergleichenden Untersuchungen ein globales Strukturschema solcher Rituale. Jeder Mensch erreicht in seinem Leben neue Lebensabschnitte oder wird in eine neue soziale Gruppierung aufgenommen und damit genötigt, eine „Schwelle“ zu überschreiten. Die Abläufe dieser Übergänge gliedern sich nach van Gennep in eine Abfolge von Trennung, Überwindung der Schwelle und Wiedereingliederung in eine neue Ordnung, wobei die einzelnen Abschnitte je nach rituellem Anlass unterschiedlich gewichtet werden.

In Anlehnung an das Phasenmodell van Genneps hob der schottische Anthropologe Victor Turner (1920-1983) die Schwellenphase besonders hervor. Für Turner gipfelten die wesentlichen Aussagen des Ritus in der dichten Symbolik der Schwellenphase. Er sah den Ritus als Ausdruck eines sozialen Dramas, das im Alltag verdeckte Konflikte schlaglichtartig erkennbar werden ließe und auf die Wiederherstellung der sozialen Ordnung dränge. In der Schwellenphase sei der Novize frei von bisherigen Bindungen und darum in besonderem Maße aufnahmebereit für Neues. In den Initiationsriten erlebten die Betroffenen den Rückzug aus einer Welt sozialer Ordnung, das Gefühl sinnhafter und sozialer Leere (Phase des betwixt and between) und schließlich die Rückkehr in ein neues, stabiles Lebensgefüge.

Der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade (1907-1986) machte darüber hinaus auf die religiöse Bedeutung von Initiationen in traditionalen Gesellschaften aufmerksam. Die Übergangsriten würden von den Initianden als ein schöpferischer Prozess erfahren, der mit dem Ursprung des Seins verbinde und zuvor unbekannte Bereiche des Heiligen erschließe. In den Initiationsriten würden die Initianden stufenweise vom Profanen zum Heiligen geführt und es ereigne sich eine ontologische Veränderung ihres Daseins. Durch Initiationen offenbare sich jeder neuen Generation eine zum Heiligen offene Welt.

2. Lebenszyklische Initiationen

2.1. Schwangerschaft und Geburt

2.1.1. Riten, die Mutter betreffend

Der Reifungsprozess einer jungen Frau zur Mutter lässt die aufeinanderfolgenden Phasen einer Initiation deutlich werden. Mit dem Beginn einer → Schwangerschaft werden den Frauen bei den meisten Völkern bestimmte Tabus auferlegt, die sie aus ihrer gewohnten Umgebung ausgrenzen oder sie zumindest mit Restriktionen belegen. Solche Trennungsvorschriften sollen eine reibungslose Schwangerschaft und Entbindung sicherstellen und die Gesundheit des Kindes fördern.

2.1.1.1. Trennungsriten. Obwohl sich im Alten Testament keine Regeln für das Verhalten in der Schwangerschaft finden, darf aus etwas jüngeren jüdischen Überlieferungen die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch in alttestamentlicher Zeit entsprechende Tabus bekannt waren. So werden im Babylonischen Talmud „die Umstände aufgeführt, die zur → Geburt eines ungesunden Kindes führen. Tritt die Schwangere auf Eselsblut, so werde sie ein Kind zur Welt bringen, das an schorfiger Haut leidet. Ungebührlicher Sexualverkehr könne für ein Kind Epilepsie nach sich ziehen: ‚Eine Frau, die den Beischlaf in einer Mühle vollzieht, wird epileptische Kinder (בני נכפי) haben.’ (Babylonischer Talmud, Traktat Ketubot 60b; Text Talmud) .… Ein auf dem Erdboden vollzogener Geschlechtsverkehr [führe] zur Geburt lang gezogener (oder langhalsiger) Kinder, der Verzehr von Eiern während der Schwangerschaft lasse Kinder mit großen Augen auf die Welt kommen“ (A. Kunz-Lübcke, → Schwangerschaft, 7. Vorkehrungen zum Schutz des Kindes).

2.1.1.2. Schwellenriten. Nach der Geburt eines Kindes musste eine Mutter ihre sozialen Kontakte auf das Notwendigste reduzieren. War das Neugeborene ein Junge, galt eine Frau sieben Tage lang als unrein, war es ein Mädchen, vierzehn Tage. Die Art der Unreinheit entsprach der während der → Menstruation (Lev 15,19) bzw. bei außerzyklischem Blutfluss (Lev 15,25). Wer die Frau anrührte, galt selber als unrein; auch Gegenstände, die mit ihr in Kontakt kamen, galten als unrein und konnten diese Unreinheit durch Berührung an andere Menschen weitergeben (Lev 15,19-31).

Nach Ablauf dieser Frist musste die Mutter eine Übergangsphase einhalten, die bei einem Jungen 33 Tage und bei einem Mädchen 66 Tage dauerte. In dieser Zeit hatte sie sich zu Hause aufzuhalten und durfte vor allem kein Heiligtum besuchen oder etwas Heiliges berühren (Lev 12,2-8).

2.1.1.3. Wiedereingliederungsriten. Nach Ablauf der Karenzzeit brachte die Frau – wie nach einer unregelmäßigen Monatsblutung (Lev 15,29f.; → Menstruation) – ein Reinigungsopfer als „Entsühnung“ für die Unreinheit zum Tempel. Da → Blut als Lebenskraft verstanden wurde, gehörte sein Verlust (ebenso wie der unbeabsichtigte Samenerguss des Mannes, Lev 15,16) in die Sphäre des Todes und machte deshalb unrein (→ Tabu 3.2. unrein und tabu). Die Wöchnerin ließ deshalb zum Abschluss ihrer Reinigungsperiode einen einjährigen Widder und eine Taube vom Priester als Brand- und Sündopfer darbringen (Lev 12,6-8; → Opfer). Damit wurde ihre kultische Reinheit wiederhergestellt und sie kehrte mit allen Rechten und Pflichten in die Sphäre des Lebens und der Heiligkeit zurück.

2.1.2. Riten, den Säugling betreffend

Die alttestamentlichen Texte geben nicht zu verstehen, dass die Unreinheit der Mutter auf das Neugeborene übertragen würde. Zwar partizipiert der Säugling zwangsläufig an dem rituell erforderten Meidungsverhalten seiner Mutter, doch muss beachtet werden, dass die Zeremonien für das Kind eine eigene Abfolgeordnung von Trennungs-, Schwellen- und Wiedereingliederungsriten erkennen lassen.

2.1.2.1. Trennungsriten. Die Trennung des Neugeborenen von der Mutter vollzieht sich am augenfälligsten durch das Durchtrennen der Nabelschnur. „Alle Riten, bei denen etwas abgeschnitten wird, … sind im allgemeinen Trennungsriten“ (van Gennep, Übergangsriten, 60). Diese Lösung des Säuglings von seiner früheren Umgebung (dem Mutterleib) wird auch in Israel von tiefgreifender symbolischer Bedeutung gewesen sein (vgl. Ez 16,4).

Der Abnabelung folgte das Waschen des → Säuglings mit Wasser und das Einreiben mit → Salz (Ez 16,4). Hierbei handelte es sich um im Orient weitverbreitete Reinigungsriten, die das Ende des embryonalen Zustandes und den Beginn des eigenständigen Lebens markierten.

Wiederholt berichten alttestamentliche Überlieferungen, dass Neugeborene in Israel (wie ebenfalls aus Nachbarländern bekannt ist) einer → Amme übergeben wurden (Gen 24,59; Gen 35,8; Ex 2,7ff.; Num 11,12; 2Sam 4,4; 2Kön 11,2). Auch hier könnte ein Trennungsritus vorliegen.

2.1.2.2. Schwellenriten. Neugeborene wurden in Israel gewickelt (Ez 16,4; Lk 2,7.12), d.h. nach damaliger vorderorientalischer Sitte wahrscheinlich bandagiert (vgl. Hi 38,9). Kaum eine Sitte verdeutlicht Turners These von der Passivität und Todesähnlichkeit des Initianden in der Schwellenphase so deutlich wie das Bandagieren des Säuglings. Schon äußerlich erinnerte dieses Einwickeln an die Leinenbinden eines Leichnams. Der Säugling gehörte nicht mehr zur Gruppe der Ungeborenen und noch nicht zur Welt der Lebenden. Er befand sich in einem Zustand der Liminalität, in dem die Umwandlung des Initianden erfolgte. Symbolisch drückte das Bandagieren der einzelnen Körperteile den Wunsch aus, dem Kind eine (menschliche) Form zu geben und ermöglichte bereits dem Neugeborenen aufrecht zu „stehen“ und aus der animalischen in die menschliche Gestalt überzuwechseln (Köves-Zulauf 1990, 13).

2.1.2.3. Wiedereingliederungsriten.

2.1.2.3.1. Namensgebung. Die Namensgebung eines Kindes war in der Antike bei seiner Aufnahme in die Familiengemeinschaft eine besonders feierliche Angelegenheit. In alttestamentlicher Zeit erhielt das Kind unmittelbar nach der Geburt einen Namen – gewöhnlich von der Mutter (Gen 16,11; Gen 29,31-30,24; Gen 35,18; 1Sam 1,20; 1Sam 4,21), mitunter vom Vater (Gen 17,19; Gen 21,3; Ex 2,22; Hos 1,4; Hos 6,9) (→ Familie 3.2. Namensgebung durch Mutter oder Vater). In neutestamentlicher Zeit fand die Namensgebung erst bei der Beschneidung am achten Tag nach der Geburt statt (Lk 1,59; Lk 2,21). Der eigene Name offenbarte nach antikem Verständnis das Wesen dieses neuen Menschen und dokumentierte das Ende der Symbiose des Neugeborenen mit der Mutter.

2.1.2.3.2. Beschneidung. Die → Beschneidung wurde ursprünglich vom Vater vorgenommen (Gen 21,4), und zwar mit einem Steinmesser (Ex 4,25; Jos 5,2f.; → Vorhaut). Diese Sitte verweist auf das hohe Alter der Beschneidung. Der familiäre Brauch entwickelte sich seit der Exilszeit zu einem Zeichen der Volkszugehörigkeit und des Bekenntnisses, vollzogen am achten Tag nach der Geburt. „Die Autoren des DtrG räumten ihr – neben dem Passa – eine wesentliche Funktion in der Volkwerdung Israels ein (Jos 5,2-9), und die P-Theologen erhoben sie etwas später sogar in den Rang eines Bundeszeichens (Gen 17,10f.), das den Bund Jahwes mit Abraham im Fleisch einer jeden israelitischen Familie verankern sollte.“ (Albertz 1992, Bd. 2, 422).

2.1.2.3.3. Entwöhnung. Den Abschluss des Säuglingsalters markierte die Entwöhnung (Gen 21,3; 1Sam 1,20-23). Nach 2Mak 7,28 dauerte die Stillzeit – wie es auch für Ägypten und Mesopotamien belegt ist – drei Jahre. Am Tag der Entwöhnung gab der Vater ein großes Festmahl (Gen 21,8). Die besonders gefährdete Phase des Säuglingsalters war nun überstanden und die Eltern durften die berechtigte Hoffnung hegen, dass ihr Kind weiter heranwuchs und gedieh. Mit der Entwöhnung und dem Fest wurde es in seine soziale Umgebung und Kultgemeinschaft endgültig integriert (1Sam 1,22).

2.2. Eheschließung

2.2.1. Trennungsriten.Ehen wurden von den Familien der Brautleute bzw. vom Bräutigam und dem Vater der Braut angebahnt und die Bedingungen ausgehandelt. Die Vereinbarungen wurden in einem Ehevertrag festgehalten (Tob 7,14 [Lutherbibel: Tob 7,16]). Dieser bestimmte die Höhe des Brautgeldes und der Mitgift. Das Brautgeld מֹהַר mohar bestand aus Geld-, Sach- oder Dienstleistungen (z.B. Gen 29,15-30) und war eine Gabe des Bräutigams bzw. seiner Familie an die Familie der Braut (Gen 34,12; 1Sam 18,25). Die Mitgift war eine Gabe der Familie der Braut an das junge Paar. Ihre Höhe hing von den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Brautvaters ab (z.B. Jos 15,19; Ri 1,15; 1Kön 9,16; Gen 29,24.29). Ihre Funktion bestand wahrscheinlich in der sozialen Absicherung der Frau. Denn im Falle einer Trennung musste die Mitgift der Frau zurückerstattet werden. Vererbt werden durfte die Mitgift nur den leiblichen Kindern einer Frau. Der Ehevertrag schuf damit die Voraussetzung für die Lösung der Braut aus der Rechtsgewalt ihres Vaters und den Übergang in die Rechtsgewalt ihres Ehemannes. Er dokumentierte die eingeleitete Trennung der Braut von ihrer Ursprungsfamilie, das Recht der Brautleute auf Heirat und die damit übertragenen Rechte und Verpflichtungen.

2.2.2. Schwellenriten. Nach Abschluss eines Ehevertrages und der Übergabe des Brautgeldes galt das Paar als „verlobt“ (מְאֹרָשָׂה mə’orāśāh; Dtn 22,23.25.27), wobei die Braut weiterhin im Haus ihres Vaters wohnte. Dabei gibt der Begriff „Verlobung“ den Sachverhalt nur ungefähr wieder, da die Brautleute in rechtlicher Hinsicht bereits ein eheähnliches Verhältnis eingegangen waren (Hos 2,21f.; Lk 2,5) und ein eventueller Geschlechtsverkehr mit einem anderen Partner z.B. als Ehebruch bewertet wurde (Dtn 22,23ff.). Man hat deswegen für diese Übergangsphase den Begriff Inchoativ-Ehe vorgeschlagen (→ Ehe 1.3.5.). Die Braut unterstand in dieser Schwellenzeit sowohl der Rechtsgewalt ihres Vaters wie ihres Mannes.

2.2.3. Wiedereingliederungsriten.

2.2.3.1. „ins Haus holen“. In die Familie des Bräutigams wurde die Braut erst durch die Heimführung am Tag der eigentlichen Hochzeit geholt. Spätere Texte lassen erkennen, dass die Feier im Haus der Braut ihren Anfang nahm. Der Brautführer und Freunde des Bräutigams erschienen, um die Braut vom Haus ihres Vaters in das des Bräutigams zu geleiten. Die Braut wurde mit Segenswünschen, die sich auf die Beständigkeit und Fruchtbarkeit der Ehe bezogen, verabschiedet (Gen 24,60; Rut 4,11f.; Tob 11,18 [Lutherbibel: Tob 11,19]). In einer Sänfte, die der Bräutigam mit seinen Freunden umringte, wurde die Braut getragen. Mit Flöten-, Trompeten- und Trommelklängen und Tänzen zog die Festgesellschaft unter reger Anteilnahme der Bevölkerung zum Haus des Bräutigams (Zimmermann 2001, 237f).

2.2.3.2. Hochzeitsfest. Das Hochzeitsmahl im Haus des Bräutigams bildete den Höhepunkt der Hochzeitsfeierlichkeiten. Das Hochzeitsfest wurde feierlich und – je nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten – mit großem Aufwand begangen und dauerte bei einer jungfräulichen Braut sieben Tage (Gen 29,27; Ri 14,12), mitunter sogar zwei Wochen (Tob 8,19f.; Tob 10,7). Damit war die Braut aus der Rechtsgewalt ihres Vaters in die ihres Ehemannes hinübergewechselt und die Ehe vollgültig geworden. Der Bräutigam war jetzt zum בַּעַל ba‘al „Herrn“ (= „Besitzer“) seiner Gattin geworden. Die junge Frau gehörte nun zur Familie ihres Ehemannes und war damit in dessen Verwandtschaftssystem integriert.

2.3. Tod

Der moderne Leser mag erwarten, dass in einem Todesfall der zeremonielle Schwerpunkt auf den Trennungsriten liegt. Dem Religionsethnologen ist allerdings bewusst, dass sich die Intention der Riten primär darauf richtet, einerseits die Seele des Toten in das Totenreich hinüberzugeleiten und den Verstorbenen in die Gemeinschaft der Ahnen zu integrieren und andererseits die Trauernden nach einer Übergangsphase der Separation mit einem neuen Status in das alltägliche Leben zurückzuführen (→ Tod). Zwar lassen sich für die alttestamentliche Zeit die Todesriten und Trauerriten in Israel nur fragmentarisch rekonstruieren, doch machen die überlieferten Hinweise deutlich, dass auch sie primär Wiedereingliederungsriten sein wollen.

2.3.1. Bestattung

2.3.1.1. Trennungsriten. Die Trennungsriten begannen mit dem Eintritt des Todes. Dem Verstorbenen wurden – nach Möglichkeit von einem engen Verwandten – die Augen zugedrückt (Gen 46,4). Er wurde vermutlich entkleidet, gewaschen und mit seiner persönlichen Kleidung (Ez 32,27; 1Sam 28,14) oder mit einem speziellen Totengewand neu eingekleidet (Sir 38,16; Mk 15,46 parr.). Reste von Kleidungsstücken und Wickeln konnten in Gräbern archäologisch nachgewiesen werden (→ Leiche 2.3.2). Diese Kleidung war nicht mehr für das Diesseits, sondern bereits für das Jenseits bestimmt. Die Angehörigen berührten und küssten den Toten und weinten (Gen 50,1), um ihre → Trauer auszudrücken und sich von ihm zu verabschieden.

2.3.1.3. Wiedereingliederungsriten. Eine → Bestattung wurde in der Regel noch am Todestag vor Einbruch der Dunkelheit vorgenommen (Dtn 21,22f.; Jos 8,29; Jos 10,26f.) und fand nach Möglichkeit im Familiengrab statt (2Sam 2,32; Ri 8,32 u.ö.). Ein Israelit wünschte nach seinem Tod „zu seinen Vätern versammelt zu werden“ (Gen 25,8.17; Gen 35,29; Gen 49,29.33) bzw. „bei seinen Vätern zu ruhen“ (1Kön 11,43; 1Kön 14,20.31 u.ö.; → Leiche). Eine Nichtbestattung im Familiengrab konnte als Strafe Gottes verstanden werden (1Kön 13,21f.). Bei einer Begräbnisfeier wurden den Trauergästen Brot und Wein gereicht (Tob 4,18) und auch dem Verstorbenen wurden Speisen geopfert (Dtn 26,14; Sir 30,18). Sie sollten gewährleisten, dass der Totengeist die Reise ins Jenseits bewältigen konnte und die „Vitalität“ des Verstorbenen erhalten blieb. Die Opfer an die Ahnen eines Familienverbandes wurden in der Frühzeit Israels monatlich zur Zeit des Neumonds wiederholt (1Sam 20,5; → Totenklage). Bei diesen Versammlungen wurde Wert auf die Anwesenheit aller Angehörigen gelegt (1Sam 20,6.18f.), da man sie sich wahrscheinlich als Zusammenkunft der lebenden mit den verstorbenen Mitgliedern eines Familienverbandes vorstellte. Mit diesen sich wiederholenden Ritualen nahm ein Verstorbener den Status eines Ahnen an. Er bekam seinen Platz in der Reihe der Vorfahren und behielt eine ehrenvolle Stellung in der Erinnerung der lebenden Verwandten. (→ Totenkult)

2.3.2. Trauer

2.3.2.1. Trennungsriten. Trauerbräuche (→ Trauer) helfen den Trauernden sich für eine Übergangszeit von ihrem sozialen Umfeld zu trennen und sich aus ihren bisherigen sozialen Rollen zu lösen. Ernst Kutsch hat die Vielzahl israelitischer Trauerbräuche ausführlich aufgelistet: „Man zerriss seine Kleidung, legte Kopfbund und Sandalen ab, kleidete sich mit dem Saq, einem Gewand oder Schurz aus im Allgemeinen dunklem Haartuch. Man raufte das Haupthaar und ließ es wild hängen, man schor es ganz ab oder schnitt eine Randglatze oder eine Stirnglatze; den Kinnbart stutzte man, den Lippenbart verhüllte man, ebenso auch das Haupt. Man fastete, salbte sich nicht, schlug sich auf die Brust oder die Lenden, man brachte sich blutige Einschnitte in die Haut bei, streute Staub und Erde aufs Haupt. Man setzte oder legte sich auf die Erde nieder, saß oder wälzte sich im Staub. Auch Weinen oder Klagen konnten rituellen Charakter haben. Diese Bräuche konnten einzeln oder in verschiedenen Kombinationen vollzogen werden.“ (Kutsch 1965, 79).

Die Trauernden glichen sich damit in ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten dem Verstorbenen an. Da es den Angehörigen während der Trauerzeit nicht erlaubt war sich zu waschen, ihre Kleidung zu reinigen und ihre Haare zu pflegen (2Sam 12,20; 2Sam 14,2; Jdt 10,3 [Lutherbibel: Jdt 10,2f.]; vgl. 2Sam 19,25), befanden sich die Trauernden in einem Zustand physischer wie kultischer Unreinheit. Sie waren körperlich unrein wegen fehlender Körperpflege und sie waren kultisch unrein wegen ihres Kontaktes mit einem Toten. Damit befanden sie sich rituell in dem gleichen Tabu-Zustand wie die Leiche (→ Tabu). Ethnopsychologisch darf davon ausgegangen werden, dass dieser Zustand, der die Trauernden von ihrer sozialen Umgebung trennte, gleichzeitig ihre Verbundenheit mit dem Verstorbenen aufrecht erhielt und die Hinterbliebenen vor eventueller Missgunst und Eifersucht des Totengeistes schützen sollte.

2.3.2.2. Schwellenriten. Die Trauernden hielten eine festgelegte Trauerzeit ein, die im Normalfall sieben Tage dauerte (Gen 50,10; 1Sam 31,13; Jdt 16,24 [Lutherbibel: Jdt 16,29]; Sir 22,12 [Lutherbibel: Sir 22,13]). Es finden sich jedoch auch kürzere Trauerzeiten (2Sam 1,12; 2Sam 3;35; Sir 38,17). Judit dehnte ihre Trauer auf ihre ganze Witwenzeit aus mit Ausnahme der Sabbat- und Festtage (Jdt 8,5f).

Während der Trauerzeit waren die Hinterbliebenen vom gewöhnlichen sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen. Sie lebten in einer Übergangsphase, die weder zur Welt der Lebenden noch der Toten gehörte, sondern eine Zwischensphäre darstellte. Nachbarn und Freunde brachten ihnen das „Trauerbrot“ und den „Trostbecher“ ins Haus (Jer 16,7; Ez 24,17.22; Hos 9,4; → Becher), weil das Trauerhaus als unrein galt und dort keine Nahrung zubereitet werden konnte.

2.3.2.3. Wiedereingliederungsriten. Die Riten, die die Restriktionen der Trauerzeit aufheben, sind Wiedereingliederungsriten und führen die Trauernden in das soziale Leben ihrer Gesellschaft zurück. Wie Sir 38,16-23 (Lutherbibel: Sir 38,16-24) nahe legt, endete die Übergangsphase mit dem Einstellen der Trauerriten und des Fastens. Die Hinterbliebenen nahmen dann wieder am normalen gesellschaftlichen Leben teil.

Schwieriger gestaltete sich das Ende dieser Übergangsphase für eine → Witwe. Ihre veränderte soziale Position wurde durch das Tragen von Witwenkleidern kenntlich gemacht (Gen 38,14.19; Jdt 8,6; Jdt 10,3 [Lutherbibel: Jdt 10,2f.]). Um sie in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu schützen und sie in das gesellschaftliche Leben wieder einzugliedern, musste sie möglichst bald wieder Anschluss an eine Familie finden. War eine Witwe kinderlos, wurde sie einem Bruder ihres verstorbenen Mannes anvertraut (Gen 38; Dtn 25,5-10; Rut 1-4) in der Hoffnung auf die Geburt eines Sohnes, der den Namen des Verstorbenen weiterführen sollte, als dessen Rechtsnachfolger er galt (Dtn 25,6; → Levirat / Leviratsehe). In allen anderen Fällen kehrte sie in die Familie ihres Vaters zurück (Gen 38,11; Lev 22,13).

3. Standesspezifische Initiationen

3.1. Kriegerische Initiationen

3.1.1. Trennungsriten. Nachdem ein → Heer aufgeboten worden war und sich im Lager versammelt hatte, unterstanden die Soldaten – zumindest der Ideologie nach – einem sakralen Reinheitsgebot (Deut 23,10-14), das sie von ihrer alltäglichen Umwelt trennte und sie in einen kultischen Zustand versetzte. Die Krieger unterzogen sich Reinigungsriten und galten danach als קָדוֹשׁ qādôš „geweiht“ bzw. „geheiligt“ (Jos 3,5; 1Sam 21,6; Jes 13,3). Wie diese Reinigungsriten im Heerlager im Einzelnen aussahen, wird in den alttestamentlichen Überlieferungen nicht geschildert. Wir dürfen jedoch davon ausgehen, dass sie mit Tieropfern verbunden waren (vgl. 1Sam 7,9; 1Sam 13,9-12). Auch die → Waffen wurden geweiht (1Sam 21,6; 2Sam 1,21). Im Fall einer zuvor erlittenen Niederlage nahm das Heer an einer Buß- und Trauerzeremonie teil, ehe es erneut in den Kampf zog (Ri 20,23-26; 1Sam 30,4; 1Sam 11,4). Schließlich wurden im Lager → Gelübde abgelegt für den Fall des glücklichen Ausgangs einer Schlacht (Num 21,2; Ri 11,30; vgl. 1Sam 14,24).

3.1.2. Schwellenriten. Die kultische Herausforderung im Heerlager bestand darin, den Zustand der Heiligkeit nach den Weihehandlungen aufrecht zu erhalten. Da die kriegerische Herausforderung das uneingeschränkte Engagement der ganzen Person erforderte, durfte die sakrale Heiligkeit unter keinen Umständen in Frage gestellt werden, wie die Erzählung 2Sam 11,11f. deutlich macht. → Uria lehnte es kategorisch ab, die Lagerordnung mit ihren asketischen Geboten auch nur vorübergehend nicht einzuhalten. Die Überzeugung von der kultisch verunreinigenden Wirkung des Geschlechtsverkehrs verlangte von den Soldaten strikte sexuelle Enthaltsamkeit (1Sam 21,6). Die Einhaltung asketischer Gebote war damit ein Schwellenritus, der die Krieger in einem Zustand kultischer Reinheit halten sollte, der nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder aufgehoben wurde.

3.1.3. Wiedereingliederungsriten. Die Auflösung des Heerlagers endete in der Frühzeit Israels mit dem Ruf „Zu deinen Zelten Israel!“ (2Sam 20,1; 1Kön 12,16; 1Kön 22,36). Die Auflösung des Heerbannes konnte deshalb mit den knappen Worten konstatiert werden, dass jeder in sein Zelt gegangen bzw. geflohen war (1Sam 4,10; 2Sam 18,17; 2Sam 19,9; 2Sam 20,22; 2Kön 8,21; 2Kön 14,12). Im Falle eines Sieges dürften die Kämpfer in ihren Siedlungen von den Frauen mit Tänzen und Liedern empfangen worden sein (vgl. Ex 15,20f.). Mit einem Fest wird eine erfolgreiche kriegerische Aktion ausgeklungen und die Soldaten in das Gefüge ihrer Gesellschaft reintegriert worden sein. Im Fall einer Niederlage wandten sich die Hinterbliebenen den üblichen Trauerriten und Bestattungsriten zu (vgl. 1Sam 31,11-13).

3.2. Königsweihe

Das davidische → Königtum schuf sich eine eigene theologische Legitimation, die literarisch erstmalig in der sogenannten Nathanverheißung (2Sam 7; Ps 89,20-38; → Nathan) greifbar wird und aus der göttlichen Zusage eines ewigen Bestandes und gesicherten Herrschaftsanspruches besteht. In Entsprechung zur theologischen Rechtfertigung der Monarchie schufen die Hoftheologen ein Zeremoniell der Thronbesteigung, das einen Akt der Initiation darstellte.

3.2.1. Trennungsriten. Die Ernennung zum König verwandelte einen Menschen nach altorientalischer Vorstellung bis in seine physischen Konstituenten hinein. Die biotische Verwandtschaft wurde überlagert von einem besonderen Gottesverhältnis. Bei der Inthronisation sprach Jahwe zum König: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7). Analog ägyptischer Vorstellungen erlebte der König bei seiner Thronbesteigung eine göttliche Wiedergeburt (Albertz 1992, Bd. 1, 176) und hatte von nun an als sakrosankt zu gelten (1Sam 24,7.11; 1Sam 26,9.11.16.23; 2Sam 1,14.16; vgl. 2Sam 21,17). Ein Priester überreichte ihm Kopf- und Armschmuck (2Kön 11,12 mit 2Sam 1,10) und die hohen Beamten huldigten ihm (1Kön 1,47) als Zeichen seiner sozialen Sonderstellung.

3.2.2. Schwellenriten. Als Zeichen des Übergangs von einer sozialen bzw. kultischen Position in eine andere lässt sich weltweit der Brauch der Namensänderung nachweisen. Namensänderungen machen deutlich, dass der Initiand als „wiedergeborener“ Mensch ein neues Leben führen wird. So finden sich auch im Alten Testament Hinweise darauf, dass die Könige von Juda (für das Nordreich fehlen allerdings entsprechende Belege) ihren ursprünglichen Eigennamen ablegten und bei der Thronbesteigung einen neuen Namen verliehen bekamen. Eljakim erhielt bei der Thronbesteigung den Königsnamen Jojakim (2Kön 23,34) und → Mattanja wurde → Zedekia genannt (2Kön 24,17). Für den Sohn und Thronnachfolger des Josias wird sowohl der Name → Joahas (2Kön 23,30-34) wie der Name → Schallum überliefert (1Chr 3,15; Jer 22,11), wobei Letzterer der Geburtsname, Ersterer der Regierungsname gewesen sein könnte (weitere Beispiele finden sich bei R. de Vaux 1964, Bd. 1, 174-177).

3.2.3. Eingliederungsriten. Rituelle → Salbungen verleihen Personen oder Gegenständen einen neuen Status. Auch in Israel wurden Kultgeräte dadurch „geheiligt“, dass sie gesalbt wurden (Ex 30,29). Das Ausgießen von Öl über einem Steinmal (→ Mazzebe) markierte einen neu entdeckten heiligen Ort (Gen 28,18; Gen 31,13). Auch die Einsetzung eines Königs erfolgte in Israel – anders als in seiner Umwelt – durch Salbung, die in der Regel vermutlich durch einen Priester vorgenommen wurde (1Kön 1,39), wodurch der König als „Gesalbter Jahwes“ (→ Messias) galt. Mit diesem Titel verband sich die Vorstellung der Gottessohnschaft des Königs (Ps 2,7; Ps 89,27). Nach der Salbung wurden Hörner oder Trompeten geblasen und das Volk rief: „Es lebe der König!“ (1Kön 1,39; 2Kön 11,12.14). Durch diese Akklamation wurde der neue Status des Königs öffentlich anerkannt. Er galt nun als geweiht und hatte teil an der Heiligkeit Gottes. Er war aus der Sphäre der Profanität in die Sphäre des Heiligen getreten und durfte auch Kulthandlungen durchführen (1Sam 13,9f.; 2Sam 6,13.17f.; 2Sam 24,25 u.ö.) und dem Volk den göttlichen Segen austeilen (2Sam 6,18; 1Kön 8,14.55; vgl. Ps 21,7).

3.3. Priesterweihe

Die Mehrzahl der Forscher geht davon aus, dass Priester in Israel erst in nachexilischer Zeit geweiht wurden (→ Kultpersonal). Da in der Umwelt Israels Priesterweihen jedoch schon seit dem ausgehenden 2. Jahrtausend v. Chr. nachweisbar sind, werden sie auch in Israel nicht unbekannt gewesen sein (Fleming 1998, 402-408). Zudem weisen die entsprechenden Riten am Jerusalemer Tempel in nachexilischer Zeit einige recht altertümliche Züge auf, die auf die Frühzeit Israels verweisen. Das Amt des Hohepriesters und die auf ihn übertragenen Weiheriten dürften allerdings erst nach dem Exil entstanden sein.

3.3.1. Trennungsriten. Nach der → Priesterschrift soll schon → Mose aufgetragen worden sein (Ex 29,4f.), Aaron und seine Söhne als Priesterkandidaten durch ein Wasserbad zu reinigen (Lev 8,6-9). Ein solches Reinigungsritual war Vorbedingung für die aktive Teilnahme am Kultleben (Lev 15,5ff.; Lev 16,4.24-28; Lev 17,15f. u.ö.). Die Beachtung von Reinheitsvorschriften schafft soziale Abgrenzungen und hebt den Status einer Person hervor. Sie garantieren den Status dessen, der ihnen nicht zuwiderhandelt. Wer die Reinheitsgebote befolgt, akzeptiert die implizierte soziale und religiöse Ordnung und gewinnt an moralischer Autorität.

Ein Reinigungsritual war, wie der Vergleich mit der Reinigung Aussätziger in Lev 14,10-32 zeigt, auch der altertümlich wirkende Blutritus, bei dem auf der (im Kult agierenden) rechten Körperseite der Initianden einer Priesterweihe Ohrläppchen, Daumen und großer Zeh mit → Blut bestrichen wurden (Lev 8,23f.). Die Extremitäten dürften hier stellvertretend für die ganze Person stehen, deren kultische Reinheit auf diesem Wege gewährleistet wurde.

Aufgrund seiner besonderen Reinheit konnte der Hohepriester am Versöhnungstag das Sühneritual durchführen (Lev 16,7-10) und sogar das Allerheiligste des Tempels betreten (Lev 16,2).

3.3.2. Schwellenriten. Der Übergang in eine hervorgehobene soziale Position wird häufig durch das Ablegen der alltäglichen Kleidung und das Anlegen einer Amtstracht symbolisiert. So wurden den Priestern in Israel nach einer rituellen Waschung kostbare „heilige Gewänder“ angelegt (Ex 28,2). Für die gewöhnlichen Priester bestanden diese aus einem Kleid aus Leinen mit einem Gürtel und einem hochgewickelten Turban (Lev 8,13; vgl. Ex 29,8f.). Für den Hohepriester erstreckte sich die → Investitur von der Unterwäsche über die Orakeltasche bis zur Kopfbedeckung (Lev 8,6-9; vgl. Ex 29,5f.). Ex 28 und Ex 39 berichten ausführlich, wie diese Priesterkleidung in Auftrag gegeben und aus hochwertigem Leinen angefertigt wurde und mit kostspieligem Purpur und Scharlach gefärbt wurde. Die Kostbarkeit und Vielzahl der Kleidungsstücke drückte den Rang ihres Trägers aus. Die Zeremonie des Ankleidens gipfelte in dem Aufsetzen eines juwelengeschmückten Diadems, in das die Worte eingraviert waren „Heilig dem Herrn“ (Ex 39,30). Die Priester wurden durch diesen Akt der Investitur aus der Alltagswelt des Profanen hinüber geleitet in die Sphäre ihres heiligen Amtes.

3.3.3. Eingliederungsriten. Der Einkleidung folgte die Salbung des Hohepriesters, wodurch er „geheiligt“ wurde (Lev 8,12), d.h., „von der profanen Wirklichkeit abgehoben und in die Lage versetzt (wurde), mit Gott durch den Opferdienst zu kommunizieren“ (Gerstenberger 1993, 100). Zudem wurde der Hohepriester ebenso wie die gewöhnlichen Priester bei ihrer Weihe mit einem Blut-Öl-Gemisch besprengt (Ex 29,21; Lev 8,30), wobei die Verwendung des Blutes durch seine Schutzfunktion zu erklären sein wird (vgl. Ex 4,25; Ex 12,22). Bei den gewöhnlichen Priestern beschränkte sich die Weihe auf diesen Ritus, doch auch sie empfingen durch die Besprengung das heilige Öl. Dem → Öl wurde eine verwandelnde Kraft zugeschrieben. Es bereitete Heiligtum, Kultgeräte und den obersten Priester zum Dienst an Jahwe zu und gab ihnen Anteil an der göttlichen Sakralität (Lev 8,10-12).

4. Initiation als ein Begriff des Medialen

Innerhalb individueller oder kollektiver Erneuerungs- und Übergangsprozesse stellen die Phasen einer Initiation Stufen einer zunehmenden sozialen Verantwortung und sich steigernden individuellen Bewusstwerdung dar. Die Entwicklung führt über Trennungsriten, Schwellenriten und Wiedereingliederungsriten aus einem begrenzten Lebensrahmen in ein differenzierteres Handlungsumfeld, das eine höhere soziale und kulturelle Reife erfordert und besonders in traditionalen Gesellschaften den Initianden oftmals einen erweiterten Zugang zur Sphäre des Sakralen verschafft. Initiationen sind Übergangsriten auch in dem Sinn, dass den Teilnehmenden der Zugang zu einem Mehr an Heiligkeit, Reinheit, Wissen, Autorität usw. eröffnet wird. Sie sind Vermittlungsprozesse zwischen dem Profanen und dem Heiligen und gehören damit in die Sphäre des Medialen. Aus einer lebenszyklisch überholten oder sozial inadäquat gewordenen Lebenswelt geleitet die Initiation hinüber zu einer neuen Integrationsstufe sozialen, kulturellen und religiösen Lebens und führt den Initianden zu einer veränderten Stufe des Daseins.

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Abbildungsverzeichnis

  • Klagefrauen (Sarkophag des Königs Ahiram von Byblos; um 1000 v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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