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Hüten / beachten

(erstellt: August 2014)

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1. Wortfeld

Das Wortfeld „hüten / beachten“ beschreibt zunächst ein Verhalten gegenüber Gütern oder Personen, die handelnd bewahrt oder berücksichtigt werden sollen. Im übertragenen Sinne wird zudem von der Beachtung des Willens oder der Weisung JHWHs gesprochen. Zugleich wird andernorts von der Selbstbewahrung des Menschen gesprochen, der „sich hütet“, sich selbst in Gefahr zu bringen (Gen 31,24), unter anderem dadurch, dass er sich zur Sünde (Ps 18,24) oder zum Bösen wendet (Hi 36,21).

Die Bewahrung des Menschen durch Gott und die Wahrung des göttlichen Willens durch den Menschen werden mit den gleichen Begriffen umschrieben. Die Reziprozität der Achtung des göttlichen Willens und der göttlichen Bewahrung des Menschen wird so auch durch die Wahl der Formulierung unterstrichen (vgl. u.a. Dtn 7,8-12). Am häufigsten begegnen für die Rede vom Hüten und Bewahren die gemeinsemitischen Wurzeln שׁמר šmr und נצר nṣr. Die Septuaginta übersetzt die Verben zumeist mit φυλάσσειν phylassein seltener mit τηρεῖν tērein.

2. Menschen bewahren

Eine Unterscheidung von religiösem und profanem „Bewahren“ ist biblisch nicht angelegt, ist doch die Bewahrung von Eden nach Gen 2,15 göttlich verfügte erste Aufgabe des Menschen (שׁמר šmr), und die Übertretung Kains kulminiert in der Rückfrage „Bin ich der Hüter (הֲשֹׁמֵר hǎšomer) meines Bruders?“ (Gen 4,9). Die achtende Sorgfalt des Menschen – und ihre Gefährdung – werden entsprechend als von Beginn an im Menschen angelegt beschrieben. Dennoch kann gegenüber dieser religiös rückgebundenen Rede von der Bewahrung als Aufgabe des Menschen die theologisch differenzierte Rede von der Einhaltung des Willens Gottes abgehoben werden.

Die vom Menschen geforderte Achtung bezieht sich auf Festtage (Ex 12,17), Gebote und Satzungen (Lev 18,4f.; Dtn 4,2). Zumal im → Deuteronomium und im → Deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG; → Deuteronomismus) ist das Halten bzw. die Beachtung (zumeist mit שׁמר šmr formuliert) ein wichtiges und oft verwendetes Motiv. Zentrale Beispiele finden sich etwa in Dtn 10,12f., wo Gottesliebe (→ Liebe) und Gottesfurcht (→ Furcht) mit dem Halten der Gebote und Satzungen identifiziert werden (vgl. ähnlich Jos 22,3-5). Für die konzeptionelle Bedeutung des „Bewahrens“ innerhalb des DtrG vergleiche etwa Jos 1,7f. und Jos 23,6, wo jeweils die Aufforderung ergeht, sehr mutig zu sein und die Gebote zu halten, zunächst, Jos 1,7f., an → Josua selbst und am Sterbebett Josuas, Jos 23,6, an das ganze Volk. Auch die Entgegensetzung von → Saul und → David wird u.a. anhand des Motivs der „Bewahrung“ oder „Missachtung“ der Gebote konturiert: Vgl. 1Sam 13,13f. mit 2Sam 22,22-24. In den vorderen Propheten und im → Chronistischen Geschichtswerk wird die Aufforderung zur Bewahrung ausdrücklich in Rückbezug auf die Tora des → Mose formuliert (vgl. Jos 1,7). An etlichen Stellen wird das Halten des → Bundes mit dem Halten der Gebote identifiziert (vgl. Ex 19,5; Ex 31,16; Dtn 4,23; Dtn 29,8; Dtn 33,9; 1Kön 11,11; 2Kön 23,3; Ps 78,10; Ps 103,18; Ps 132,12; 2Chr 34,31) oder es wird allgemeiner vom Einhalten der „Wege JHWHs“ (2 Sam 22,22) gesprochen. Ausdrücklich wird, wie bereits in Dtn 28, immer wieder darauf hingewiesen, dass die Beachtung der Gebote → Segen impliziert und die Nichtbeachtung des Gotteswortes → Tod und → Fluch nach sich zieht (1Chr 10,13). Zugleich wird die Bewahrung des Bundes durch JHWH ursächlich mit Israels Verhalten verbunden (1Kön 8,23; 2Chr 6,14; Neh 1,5; Neh 9,32; Dan 9,4).

Beispielhaft ist dieses Ineinander von Bewahrung der Gebote und Bewahrung des Bundes in Dtn 7,9-12 zu beobachten. Rahmend, in V. 9 sowie in V. 12, wird verheißen, dass JHWH den Bund halten werde (jeweils שׁמר šmr), allerdings nur denen, die ihn lieben und die Gebote (V. 9), das Gesetz (V. 11) und seine Rechte (V. 12) halten (wiederum שׁמר šmr). Zur möglichen späteren Verbindung von Bund und Geboten gerade in diesem Kapitel vgl. Perlitt, 1969, 61 bzw. den Artikel → „Bund“.Innerhalb der „Schriften“ ist ein prägnantes Beispiel für die Rede vom Halten der Weisungen, Gebote, Wege oder Worte JHWHs Ps 119, der das Verb שׁמר šmr in 21 Versen verwendet und so insgesamt vom Motiv der Bewahrung durchsäuert ist. Der allgemein verbindlichen Feststellung, die Befehle JHWHs seien erlassen, um beachtet zu werden (Ps 119,4), folgt am Beginn des Psalms der Wunsch, mit den eigenen Wegen die Gebote JHWHs zu bewahren (Ps 119,5). Im weiteren Verlauf wechseln sich nun allgemeine Überlegungen zur Einhaltung der Gesetze, Klagen über die Nichtachtung der Gebote, Darstellungen der eigenen Einhaltung der Satzungen und Bitten um Bewahrung als Basis eigenen Wohlhandelns ab.

3. JHWH bewahrt

Die Bewahrung des Menschen durch JHWH ist Inbegriff gesegneten Lebens (vgl. Gen 28,15; Num 6,24). Die Bewahrung wird erbeten (Ps 16,1) und ist in der Regel zugleich vom Verhalten des Menschen, der diese Bewahrung erbittet, abhängig (siehe oben). Bewahrung durch Gott wird in der Regel nur dem Gehorsamen zugesagt. Auch die Bewahrung des Bundes durch JHWH wird abhängig gemacht vom Verhalten Israels, oft konturiert als Bewahrung der Gebote und Satzungen (s.o.). Die Zusage einer Bewahrung ohne explizite Bedingung erfährt → Jakob in seiner Traumvision (Gen 28,15). Ebenso wird verheißen, dass der Gott, der Israel zerstreut, einst auch der sein wird, der es sammelt und behütet (Jer 31,10).

Dass das beschriebene Gleichgewicht von Einhaltung der Gebote und Bewahrung des Menschen nicht ausnahmslos zu erleben ist, wird im Buch → Hiob thematisiert. Hiob kann von sich selbst sagen, er habe die Wege JHWHs eingehalten (Hi 23,11), dennoch ist die Rede von der Bewahrung durch Gott, die entsprechend erwartbar wäre, in dieser Schrift empfindlich verändert: Der von Hiob beschriebene Gott bewahrt ihn nicht positiv vor Elend, sondern bewacht den Weg Hiobs und achtet auf sein Versagen (Hi 13,27; Hi 14,16; Hi 33,11). Positive Bewahrung durch Gott ist für ihn nunmehr nur noch Teil der Erinnerung (Hi 29,2). In der Rahmenhandlung überträgt JHWH dem → Satan die Verfügungsgewalt über Hiob, fordert ihn jedoch auf, dessen Leben zu bewahren (Hi 2,6 שׁמר šmr). Damit wird zwar indirekt von der Sorge JHWHs für Hiob berichtet, ihre Einhaltung wird jedoch ironischerweise ausgerechnet vom Satan gewährleistet.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995

2. Weitere Literatur

  • Perlitt, L., 1969, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36), Neukirchen-Vluyn
  • García López, F., 1995, Art. שָׁמַר šāmar, in: ThWAT VIII, Stuttgart, 280-306

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