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Andere Schreibweise: Hauron

(erstellt: Dezember 2021)

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1. Die Gottheit

1.1. Etymologie

Die Herkunft des Namens ist nicht gesichert; vorgeschlagen wurde die Bedeutung „Grund“ oder „Tiefe“, was als Hinweis auf eine chthonische Gottheit interpretiert werden kann. Sein Wohnort, der nach KTU (= Keilschrifttexte aus Ugarit; → Ugarit) mit mṣd angegeben wird, bleibt unidentifiziert, wobei auch hier Verbindungen zur Unterwelt angenommen wurden; allerdings lässt sich der Ortsname auch neutraler als „Festung“ (Del Olmo Lete / Sanmartín 2003, 578) oder „Wildnis“ bzw. „Steppe“ (Dietrich / Loretz 2000, 339-341) verstehen. Aufgrund der wenig eindeutigen Hinweise im Blick auf den Namen ist die These einer chthonischen Charakterisierung auch abgelehnt worden (Quack), so dass sich nicht mit letzter Sicherheit sagen lässt, ob Horon als Gottheit mit Unterweltsbezug anzusehen ist.

Da im Umfeld des Gottes immer wieder → Schlangen vorkommen, ist anzunehmen, dass diese Tiere in den Machtbereich Horons gehören.

1.2. Ugarit

Der Gott wird in KTU 1.100 und 1.107 erwähnt, wobei sich die Texte in verschiedener Hinsicht ähneln: Beide gehören, auch wenn ihre genaue Einordnung (magisch-rituell, mythisch oder eine Mischform) umstritten ist, in den Kontext von Beschwörungen; ferner spielen Horon und die Sonnengöttin Šapšu (→ Sonne § 2.3.2.) eine wichtige Rolle in Verbindung mit Schlangenbissen. Leider ist die Interpretation der Texte schwierig, da KTU 1.107 schlecht erhalten und KTU 1.100 schwer verständlich ist.

KTU 1.100 lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Die Mutter von männlichem und weiblichem Zuchttier (um . pḥl . pḥlt) fordert ihre Mutter (Šapšu) auf, den Gottheiten des Pantheons die Bitte um Schutz vor Schlangenbissen durch die Ermächtigung zur Beschwörung zu übermitteln (Zeile 1-60). Elf Mal geschieht dies erfolglos, einzig Horon, Adressat der zwölften Bitte, vermag zu helfen (Zeile 61-69): Er begibt sich zum Wohnsitz von Šapšus Tochter nach aršḫ, um auf rituellem Weg die Gefahr abzuwenden. Der letzte Abschnitt umfasst eine „Türszene“ (Dietrich / Loretz, 2002, 345), in welcher die Tochter Šapšus Schlangen und Schlangenjunge (nḥšm, bn bṯn) als Gabe verlangt, was Horon ihr zugesteht (Zeile 70-76). Schlangen gehören damit in seinen Verfügungsbereich, so dass er sie als eine Art Brautpreis verschenkt und damit seiner Braut Anteil an der Macht über Schlangen gibt. Zugleich werden so sowohl die Tiere als auch der Gott selbst mit Aspekten von Ehe und → Fruchtbarkeit assoziiert. Es ist vermutet worden, dass die Hochzeit zwischen beiden Figuren eine Verbindung der chthonischen (Horon) und der astralen (Šapšus Tochter) Dimension anzeige (del Olmo Lete, 2013a, 48-51).

Ausgangspunkt in KTU 1.107 scheint ein Schlangenbiss zu sein, dessen Gift Šapšu mit Hilfe anderer Gottheiten, die wie in einer Litanei paarweise genannt werden, einsammeln soll. In Zeile 38 bilden Ilu und Horon ein Paar, was die besondere Bedeutung des Gottes unterstreicht.

Im Jahr 2014 haben M.C.A. Korpel und J.C. de Moor eine Neuinterpretation von KTU 1.107 vorgelegt, in der sie den Text als eine Art Paradieserzählung (→ Paradies / Paradieserzählung) verstehen: Der böse Gott Horon, der von den anderen Gottheiten verbannt worden war, habe sich im göttlichen Garten in eine Schlange und den Baum des Lebens in einen Baum des Todes verwandelt. Er habe dann den ursprünglich göttlichen Adam gebissen, der dadurch sterblich wurde (vgl. Korpel / de Moor 2014, 5-80.247-264). Diese Lesart ist von zahlreichen und mitunter sehr problematischen Vorannahmen und Spekulationen geprägt, so dass sie zurückzuweisen ist.

KTU 1.100 und KTU 1.107 werfen die Frage auf, ob Horon ursprünglich zum ugaritischen Pantheon gehörte oder erst später in dieses eingefügt wurde; womöglich sollten die beiden Texte seine Bedeutung für die Götterwelt herausstellen.

Auch andere Beschwörungstexte kennen Horon, wobei er bzw. seine Geschöpfe (bnt) und sein/e Diener (ʻbd) mit der Totenwelt sowie mit Aufruhr, Krankheit und Gefahr assoziiert werden (KTU 1.82). Ob mit den Geschöpfen Schlangen gemeint sind, ist nicht zwingend, aber durchaus möglich. KTU 1.124 beschreibt eine nekromantische Handlung, in deren Verlauf der Kultexperte aufgefordert wird, für die Heilung eines Jungen im Tempel von Horon und → Baal Rituale unter Verwendung von Myrrhe, das u.a. gegen Schlangenbisse eingesetzt wurde, zu vollziehen. In KTU 1.169 wird Horon um Hilfe angerufen, er möge seine Gefolgschaft – und damit verbunden verschiedene Übel – vertreiben, was voraussetzt, dass er Macht über sie hat. KTU 1.179 erinnert schließlich an KTU 1.100, da hier Horon innerhalb des mythischen Abschnittes einer Beschwörung genannt wird, wobei er eine Unterredung mit einer weiblichen Figur führt, die sich in einem Haus aufhält. Es ist zu vermuten, dass diese Szene im Kontext von Fruchtbarkeit zu verstehen ist.

Neben Beschwörungen findet Horon auch im Baal-Zyklus und im Epos über König Keret Erwähnung. In beiden Fällen ist die Gottheit im Rahmen eines Fluches erwähnt: So will → Jammu, dass Horon den Schädel Baals zerbreche (KTU 1.2 I 7), wohingegen König Keret wünscht, dass Horon selbiges mit dem Kopf seines Sohnes tue (KTU 1.16 VI 54-56).

1.3. Ägypten

Wie andere syrische Gottheiten (z.B. Baal oder → Reschef) erfuhr auch Horon in Ägypten Verehrung – sowohl im königlichen als auch im häuslichen Kontext. Der Gott erscheint unter dem Namen Hauron (ḥwr) als Wächter- und Schutzgottheit (18.-20. Dynastie; Theben, Delta, Gizeh-Region) und wurde mit verschiedenen Gottheiten in Verbindung gebracht, wie u.a. Ra (→ Re / Re-Harachte) und Šed („Retter“) sowie als Gegner von Baal-Seth (→ Seth). Ikonographisch wurde Hauron oft als Sphinx dargestellt, aber auch als Falke (evtl. wegen der Namensähnlichkeit mit Horus) oder sehr selten anthropomorph (→ Osiris). Eine besondere Beziehung zum Königtum lässt seine Darstellung mit der Doppelkrone vermuten (→ König / Königtum [Ägypten]).

2. Ortsname

Der Gott selbst ist biblisch nicht belegt, allerdings der vermutlich nach ihm benannte Ort Bet-Horon (Koordinaten: N 31° 52' 48'', E 35° 07' 27'') im Grenzgebiet von Ephraim und Benjamin. Jos 10,10f; Jos 16,3.5; Jos 18,13f; Jos 21,22; 1Sam 13,18; 1Kön 9,17; 1Chr 6,53; 1Chr 7,14; 2Chr 8,5 und 2Chr 25,13 erwähnen das obere und das untere Bet-Horon (siehe auch 1Makk 3,16.24; 1Makk 7,39; 1Makk 9,50; Jdt 4,4 sowie die Horoniten in Neh 2,10.19; Neh 13,28). Nach 1Chr 7,24 wurden u.a. das obere und das untere Bet-Horon von Scheera, Tochter von Beria, erbaut, womit sie die einzige Frau im Alten Testament ist, die für einen Städtebau verantwortlich zeichnet. Salomo habe entsprechend 1Kön 9,17 die untere Stadt gebaut, nach 2Chr 8,5 allerdings das obere wie das untere Bet-Horon. Die strategisch wichtigen Ortschaften werden in den biblischen Texten häufig als Stätten von Kampfhandlungen genannt, so bspw. in Jos 10,10f im Kampf gegen die Amoriter, wobei hier auch eine Steige bzw. ein Abhang bei Bet-Horon erwähnt wird. Jos 21,22 und 1Chr 6,53 identifizieren Bet-Horon als eine der Levitenstädte. Archäologische Funde können beim unteren Bet-Horon in die Spätbronzezeit datiert werden, im oberen Bet-Horon verweisen sie auf einen Zeitraum ab der Eisenzeit.

Der Ort findet sich auch außerbiblisch in den → Amarnabriefen (EA 290; hier in Nähe zu Jerusalem), sofern man unter É NIN.URTA Bet-Horon versteht, ferner in der Liste Scheschonqs in Karnak (→ Scheschonq / Schischak) und auf einem hebräischen Ostrakon aus Tell Qasīle (Koordinaten: 1307.1676; N 32° 06' 05'', E 34° 47' 37''). Womöglich weist auch das moabitische Hornaim auf eine Verbindung zum Gott (vgl. Jes 15,5; Jer 48,3); ebenso könnte 3Q15 IX,7 auf die Stadt Bezug nehmen. Auf der Madaba-Karte ist Bet-Horon (ΒΕΘΩΡΩΝ Bethōrōn) südlich von Jerusalem dargestellt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden u.a. 1999
  • Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen, Leuven 2002-2003
  • Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York / Boston 2009ff

2. Weitere Literatur

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  • del Olmo Lete, G. / Sanmartín, J., 2003, A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition, Leiden / Boston
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  • Hillmann, R., 2016, Brautpreis und Mitgift. Gedanken zum Eherecht in Ugarit und seiner Umwelt mit einer Rekonstruktion des im Ritual verankerten „Schlangentext“-Mythos, ORA 18, Tübingen
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  • Quack, J.F., Anat und die Diener des Hauron, in: R. Müller / H. Neumann / R.S. Salo (Hgg.), Rituale und Magie in Ugarit, ORA, Tübingen 2022 (im Druck)
  • Tazawa, K., 2009, Syro-Palestinian Deities in New Kingdom Egypt. The Hermeneutics of Their Existence, BAR IntSer. 1965, Oxford

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