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(erstellt: März 2011)

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1. „Hofstil“ als allgemeiner und spezieller Begriff

In Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache sucht man den Begriff „Hofstil“ vergebens. Gleichwohl wird er in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet, die ihre abstrakteste Gemeinsamkeit in ästhetischen Kategorien haben. So können in ganz unspezifischem Gebrauch Luxushotels in ihrer Werbung den Begriff einsetzen, um damit ihr Haus als elegant und dekorativ auszuweisen. Eine nur formale Kommunikationsstandards betreffende Aufteilung liegt vor, wenn schriftliche Ausdruckformen im Blick sind und dabei von einem einfachen Geschäftsstil ein höherer Kanzleistil unterschieden wird, der weiter in Gerichtsstil und Hofstil aufgeteilt und nicht selten wegen seines floskelhaften und manirierten Stils getadelt wird.

Spezifischer wird der Terminus „Hofstil“ benutzt, wenn er im Rahmen eines Königs- oder Fürstenhofes mit herrschaftlich vermittelter kultureller, politischer und administrativer Bedeutung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sowohl hochstilisierte epigraphische Dokumente von Hof und hohem Klerus als auch Kunststile wie den Rokoko als französischen Hofstil oder den Neo-Rokoko als preußischen Hofstil vor Augen hat. Im englischsprachigen Raum ist dann in der Regel von court art oder palace style die Rede.

In eigentlichem Sinne reserviert war der Begriff zunächst für antike Verhältnisse, und zwar für reale und symbolische Widerspiegelungen herrschaftlich-normativer Regulative politischer, sozialer und kosmischer Ordnung (→ Herrschaft): „Der Ausdruck Hofstil ist geeignet, alle Anschauungen, Redewendungen und Sitten zusammenzufassen, die am königlichen Hofe üblich sind, die nur in seiner Atmosphäre gedeihen und die daher ebenso notwendig zu ihm gehören wie Paläste, Frauenhaus, Prunkwagen, Leibwache und Steuern“ (Greßmann, 1929, 7).

2. Der „Hofstil“ in der alttestamentlichen Forschung

Begriff und Sache wurden nachdrücklich zum ersten Mal von Rudolf Kittel zur Diskussion gestellt (Kittel, 1898). Er fragte angesichts von inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen Jes 44,28-45,3 und dem → Kyros-Zylinder (TUAT I, 407-410; HTAT Nr. 273; Texte aus Mesopotamien) nach Priorität und Abhängigkeit beider Dokumente untereinander, favorisierte aber eine mittelbare Beziehung, nach der der während der → Exilszeit in Babylonien lebende Verfasser von Jes 44f. den babylonischen Hofstil kannte und seinen Worten zugrunde legte.

Hugo Greßmann hat dieses Erklärungsmuster zu einem System ausgebaut, das bis heute, zumindest teilweise, zur Deutung von Sachverhalten herangezogen wird, die nur mit Einschränkungen als israelitische Traditionen verstanden werden können. In einer grundlegenden Arbeit (Greßmann, 1905, 250-301) will er nachweisen, „daß ein israelitischer Hofstil mit einem bestimmten Typus, mit feststehenden Ideen, Titulaturen und Redensarten existiert hat“ (Greßmann, 1905, 259). Dieses Phänomen, zu dem er vor allem auf der Grundlage von Ps 2; Ps 72; Ps 110 göttliche Erwählung und Weltherrschaft des Königs rechnete, leitete er schon für die Zeit der Entstehung des Königtums durch Vermittlung der → Phönizier aus → Babylonien her, nahm aber auch israelitische Anpassungen an. Dazu rechnete er vor allem die Zurückhaltung gegenüber Versuchen, den König zu vergöttlichen. Die Salbung des Königs mit Öl, die ihn „sakrosankt“ mache, sei zwar eine Annäherung an die Vorstellung einer Divinisierung, aber nur noch Ps 45,7, wo der König als Gott bezeichnet wird, haben wir „Kunde von einem verschollenen Hofstil“ (Greßmann, 1905, 257), den Redaktoren „israelitisierten“. Greßmann wollte die überdimensionale Vorstellung vom israelitischen Königtum weder als Größenwahn noch als Karikatur gelten lassen, aber auch nicht psychologisch oder zweckrational erklären: „Der Hofstil spielte eine Rolle allein deshalb, weil er nun einmal vorhanden war und zu dem notwendigen Zeremoniell jedes orientalischen Königtums gehörte.“ (Greßmann, 1905, 256).

Greßmann reklamiert über die fundamentalen Elemente des Hofstils im engeren Sinne hinaus einen Komplex von Vorstellungen, die zunächst den realen König im Blick hatten, dann aber eine ebenfalls importierte → Messias-Gestalt. Er zählte dazu eine Segenszeit mit Erwartungen eines Weltreichs (→ Weltreiche) und einer Weltreligion und mit Hoffnungen auf eine Segensfülle in Natur und Geschichte, eine göttliche Geburt, ein endzeitliches Paradies, das mit der Urzeit korrespondiert, und – in hohem Maße spekulativ – eine an eine einzige Person gebundene eschatologische Königsvorstellung, die sich in Israel auf Gott und den Messias aufspalte.

In einem von H. Schmidt postum herausgegebenem Werk, das ganz der Messiasvorstellung gewidmet ist (Greßmann, 1929), hat Greßmann noch einmal ausführlich zum israelitischen Hofstil Stellung genommen (Greßmann, 1929, 1-64), ohne im Wesentlichen seine Position zu verändern. Allerdings zieht er jetzt stärker Ägypten in seine Überlegungen ein. Der Hofstil ist wieder das Thema, weil er die Vorstellung vom Messias als künftigem Idealherrscher auf der des realen Königtums beruhen lässt. Aus der Salbungssitte, die zunächst mit dem König und später mit dem Hohenpriester verbunden war, schließt er für die vorexilische Zeit auf die Funktion eines Priesterkönigtums. So stehen erneut die Königspsalmen Ps 2; Ps 72 und Ps 110 als höfische Dichtung, für die Übertreibung, Religiosität und extraterritoriale Anschauungen konstitutiv sind, im Blickpunkt und nochmals die jetzt stärker durch altorientalische Texte gestützten Fragen um die Göttlichkeit des Herrschers. Dass die zugestandenen Annäherungen an eine Vergöttlichung des Königs in der bildenden Kunst Israels keinen Reflex erkennen lassen, erklärt Greßmann schlicht aus der „Abneigung gegen Mythen“ (Greßmann, 1929, 29).

In dem Werk von 1929 neu ist der Versuch, anhand von Beispielen (Audienzfenster, geflügelte Sonnenscheibe u.a.) Motivbewegungen im altorientalischen Raum zu rekonstruieren und für das antike Israel geschichtlich zu verankern (Greßmann, 1929, 44-59). Bemerkenswert ist dabei Greßmanns Warnung, nicht durchweg Motiventlehnungen anzunehmen, weil „die Gleichförmigkeit der kulturellen Verhältnisse, der seelischen Erlebnisse und der gedanklichen Voraussetzungen […] sicher einen großen Teil dieser Anschauungen bei verschiedenen Völkern spontan entstehen lassen“ (Greßmann, 1929, 44). Sofern jedoch Entlehnung vorliegt, macht er in seiner Arbeit von 1929 neben den Phöniziern die nicht näher definierten → „Amoriter“ zu den Vermittlern eines aus ägyptischen, babylonischen, hethitischen und autochthonen Bestandteilen zusammengesetzten internationalen Mischstils, den er schon für den ersten König, als den er → Gideon sieht, in nuce erkennt. Zu einer möglichen Linie von einem orientalischen über einen persischen zu einem hellenistischen Hofstil hat sich Greßmann nicht geäußert (dazu G. Sauer, 1964, 735f.).

Mit einer Hofstil-Hypothese wurde seit dem Ende des 19. Jh.s v. Chr. eine religionsgeschichtliche und formkritische Untersuchungsmethode angewandt, die zunehmend Befunde aus den Nachbardisziplinen der alttestamentlichen Forschung wahrnahm und damit interdisziplinären und interkulturellen Fragen nachging. Man erkannte, dass Antworten auf viele Fragen nur zu haben sind, „wenn man auch außerisraelitische Phänomene einbezieht, und zwar in der Weise, daß der Blick nicht nur auf einzelne Texte gerichtet wird, sondern daß die Einzelphänomene als Bestandteil großflächiger Entwicklungen, als Bestandteil inter- und transnationaler Kulturkontakt- und Kulturaustauschprozesse begriffen werden“ (A. Wagner, 2006, 220). „Annäherungen an den israelitischen Hofstil“ (A. Wagner, 217-230) lassen in neuester Zeit für A. Wagner, der für Herrscherhöfe typische Redewendungen und Gewohnheiten, verbale und nonverbale Stilformen annimmt, vor allem sprachliche Äußerungen zu, die er in der → ThronfolgegeschichteDavids im Blick auf einen schichten- und rollenspezifischen Sprachgebrauch untersucht. Dabei ergeben sich asymmetrische Kommunikationsebenen und indirekte Sprechakte als Kommunikationsformen des Hofstils (z.B. 2Sam 14; dazu Wagner, 224-229), die jedoch – ohne Vergleich – nur an hebräischen Texten erwiesen werden. Ob und inwieweit reale Vollzüge und / oder literarische Traditionen vorliegen, steht am Schluss als Frage, die bis heute nicht beantwortet ist.

3. Die Bedeutung der Hofstil-Hypothese

Die Stärke der Hypothese ist der Versuch, unter Berücksichtigung altorientalischer Verhältnisse typische Formen eines Herrscherbildes zu erkennen, das am „Hof“ als Handlungs- und Legitimationszentrum eine Welt und Menschen umfassende Ordnung ermöglicht und garantiert. Die Stärke ist zugleich auch eine Schwäche, weil „Anschauungen, Redewendungen und Sitte“ (Greßmann, 1929, 7) für eine Komparatistik Abstraktionen unterschiedlichen Grades implizieren. Unter dieser Voraussetzung ist der „Hofstil“ nur schwer von anderen Begriffen wie „Königsdogma“ oder „Königsideologie“ abgrenzbar.

Sofern etwa für Texte wie 1Kön 3,4-15; 2Sam 7, die Königspsalmen und die sog. messianischen Weissagungen Jes 9 und Jes 11 gattungsgeschichtliche Parallelen in Ägypten vorliegen, kann durch einen Vergleich das Verständnis des Königs und seiner Aufgaben in Israel profiliert werden (Herrmann, 1986). Siegfried Herrmann nimmt keinen Bezug auf Hugo Greßmann und spricht auch nicht von „Hofstil“. Der Begriff wird bis heute in der alttestamentlichen Literatur vor allem auf die Königspsalmen (Ps 2; Ps 45; Ps 72; Ps 110) und die Erwartung eines Zukunftsherrschers (Jes 9; Jes 11) angewandt (Preuß, 1992, 33-36). Danach ist die Vorstellung konstitutiv, dass der König Sohn Gottes ist (Ps 2,7), von Gott zur Herrschaft beauftragt (Ps 2,7f.), zum Retter bestimmt, der Recht und Gerechtigkeit sichert und für Fruchtbarkeit sorgt (Ps 72; Jes 9; Jes 11). Es fällt natürlich auf, dass die Erwartung, nach der die Herrscher der Erde sich gegen den unbedeutenden König in Israel auflehnen (Ps 2,2), der sie aber wie Tontöpfe zerschlägt (Ps 2,9), und darüber hinaus der Gedanke, dass der König von Israel „von Meer zu Meer“ herrscht, d.h. vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer und „vom Eufrat bis zum Ende der Erde“ (Ps 72,8), die Empirie maßlos übersteigen. Ein Vergleich etwa mit mesopotamischen Königstexten zeigt hier deutlich strukturelle Gemeinsamkeiten (Maul, 1998, 65-77).

Die Beurteilungen des kontrafaktischen Phänomens treffen sich alle in der Kategorie „Übertreibung“. Unterschiedlich sind nur die Begründungen, die in der Realität eines inzwischen historisch zu bezweifelnden Großreichs Davids und Salomos oder in der altorientalisch vermittelten Ausdrucksmöglichkeit für die Bedeutung eines Königtums von Gottes Gnaden gesucht werden (von Rad, 1966, 331-336). Einmal davon abgesehen, dass die Großreichsgrenzen historisch auf die Widerspiegelung der Ausdehnung von babylonischen und persischen Provinzen zurückgehen, lässt sich bei allen Überfrachtungen des Begriffs „Hofstil“ durch H. Greßmann die Existenz für einen gemeinorientalischen Traditionskomplex nachweisen, der in Israel die Voraussetzung für eine „Theologisierung als Umbuchung politischer Bindungen“ (Assmann, 1992, 77) war und damit, besonders in den Königspsalmen und den sog. messianischen Weissagungen, Gott als eigentliches Subjekt ins Spiel brachte (Macholz, 1990, 247-253), also die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit auf einer höheren Ebene aufhob.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007

2. Weitere Literatur

  • Assmann, J., 1992, Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel, München
  • Greßmann, H., 1905, Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie, Göttingen
  • Greßmann, H., 1929, Der Messias (FRLANT 43), Göttingen
  • Grzegorzewski, K., 1937, Elemente vorderorientalischen Hofstils auf kanaanäischem Boden, Diss. theol. Königsberg
  • Herrmann, S., 1986, Die Königsnovelle in Ägypten und in Israel. Ein Beitrag zur Gattungsgeschichte in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments (1953/54), in: ders., Gesammelte Studien zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments (ThB 75), München, 120-144
  • Kittel, R., 1898, Cyrus und Deuterojesaja, ZAW 18, 149-162
  • Macholz, C., 1990, Das „Passivum divinum“, seine Anfänge im Alten Testament und der „Hofstil“, ZNW 18, 149-162
  • Maul, S., 1998, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, in: J. Assmann / B. Janowski / M. Welker (Hgg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen, München, 65-77
  • Preuß, H.D., 1992, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2: Israels Weg mit JHWH, Stuttgart / Berlin / Köln
  • Sauer, G., 1964, Art. Hofstil, Biblisch-historisches Handwörterbuch, Bd. 2, 735-736
  • Von Rad, G., 10. Aufl. 1992, Theologie des Alten Testaments, Bd. 1: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München
  • Wagner, A., 2006, Annäherungen an den israelitischen Hofstil, in: R. Gundlach / A. Klug (Hgg.), Der ägyptische Hof des Neuen Reiches: seine Gesellschaft und Kultur im Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenpolitik. Akten des Internationalen Kolloquiums vom 27.-29. Mai 2002 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Königtum, Staat und Gesellschaft früher Hochkulturen 2), Wiesbaden, 217-230

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