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Hethiter im AT

Andere Schreibweise: Hetiter (Lutherbibel, 1984; Zürcher Bibel; Einheitsübersetzung); Hettiter

(erstellt: Oktober 2015)

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Im Alten Testament werden „Hethiter“ (חִתִּים ḥittîm; auch בְּנֵי חֵת bənê ḥet) als vorisraelitische Bewohner Palästinas, als Kämpfer im Umfeld → Davids sowie als Bewohner von Gegenden im nördlichen Syrien erwähnt. Der Artikel bespricht die biblischen Hethiter-Belege und versucht eine historische Auswertung. Der dritte Teil geht der Frage des Verhältnisses zwischen den biblischen Hethitern und den Gründern des von Anatolien aus in den Vorderen Orient hineinreichenden Hethiterreiches nach.

1. Biblische Hethiter-Belege

Die alttestamentlichen Aussagen über Hethiter sind in drei Kategorien einzuteilen: Hethiter werden als Teil der vorisraelitischen Bevölkerung → Palästinas erwähnt, davon abzuheben sind Aussagen über Hethiter im Umfeld → Davids, schließlich werden Hethiter als Bewohner des nördlichen Syrien genannt. Die drei Kategorien sind im Folgenden nacheinander zu besprechen (vgl. dazu als ausführlichere Darstellung Gerhards 2009).

1.1. Hethiter als Teil der vorisraelitischen Bevölkerung Palästinas

Die meisten alttestamentlichen Belege für Hethiter finden sich in den Katalogen der Vorbewohner des Landes Gen 15,19-21; Ex 3,8.17; Ex 13,5; Ex 23,23.28; Ex 33,2; Ex 34,11; Dtn 7,1; Dtn 20,17; Jos 3,10; Jos 9,1; Jos 12,8; Jos 24,11; Ri 3,5; 1Kön 9,20; 2Chr 8,7; Esr 9,1; Neh 9,8.

In Num 13,29; Jos 11,3 werden Hethiter in katalogähnlichen Aufzählungen von Vorbewohnern erwähnt, die um präzisere Angaben zu den Wohnorten erweitert sind. Sie erscheinen dort als Bewohner des westjordanischen Gebirgslandes.

Im Rahmen der → Völkertafel werden in Gen 10,15-19 (vgl. 1Chr 1,13-16) die vorisraelitischen Bewohner des Landes als Nachkommen → Kanaans aufgezählt. Dabei ist Het (חֵת ḥet), der Stammvater der Hethiter (חִתִּים ḥittîm), als zweiter Sohn Kanaans nach dem Erstgeborenen → Sidon erwähnt. Da die Gentilicia in Gen 10,16-18a sekundär eingeschoben sind, bezeichnete der ursprüngliche Text alle Bewohner des in Gen 10,19 umrissenen Gebietes südlich von Sidon als Nachkommen der Kanaan-Söhne Sidon und Het. Dabei galten offenbar die Bewohner des nördlichen Kanaan als Nachkommen Sidons, die des südlichen als Nachkommen Hets (vgl. Gerhards 2009, 149f.).

Wenn es in Ez 16,3 heißt, → Jerusalem stamme aus dem Land der Kanaanäer, wobei der Vater ein → Amoriter, die Mutter eine Hethiterin war, wird darin die Trias von Kanaanitern, Amoritern und Hethitern aufgegriffen, die sich in unterschiedlicher Reihenfolge zu Beginn einiger Völkerkataloge findet (u.a. Ex 3,8.17; Ex 33,2; Dtn 20,17).

In der → priesterschriftlichenErzvätergeschichte werden die Hethiter als einzige Vorbevölkerung Kanaans erwähnt. Abraham, der nach Kanaan eingewandert ist und sich dort niedergelassen hat (Gen 11,31; Gen 12,5; Gen 13,12), lebt nach Gen 23, dessen Zugehörigkeit zur Priesterschrift allerdings nicht mehr ganz unbestritten ist (vgl. Wöhrle 2012, 58-63), als → Fremdling unter „Söhnen Hets“ (בְּנֵי חֵת bənê ḥet), also Hethitern (Gen 23,3-5). Er kauft von „Ephron, dem Hethiter,“ (Gen 23,10) ein Erbbegräbnis (Gen 23,1ff; vgl. auch Gen 25,9f.; Gen 49,29-32). Die Priesterschrift nennt die Väter von Esaus Frauen „Hethiter“ (חִתִּי ḥittî; Gen 26,34). Damit sind auch sie „Töchter Hets“ (בְּנוֹת חֵת bənôt ḥet), also Hethiterinnen (Gen 27,46).

Dass Jakob nach den priesterschriftlichen Aussagen Gen 28,1.6.8 keine der „Töchter Kanaans“ heiraten soll, soll wohl keine sachliche Unterscheidung zu den „Hethiterinnen“ als den Frauen Esaus markieren. Hier wie dort sind Frauen gemeint, die von der Erzväterfamilie dadurch unterschieden sind, dass sie zur Vorbevölkerung des Landes gehören. Diese werden im Falle Esaus durch ihre ethnische Zugehörigkeit charakterisiert, im Falle Jakobs durch ihre geographische Herkunft.

1.2. Hethiter im Umfeld Davids

David werden zwei „hethitische“ Gefolgsleute zugeschrieben: → Ahimelech (1Sam 26,6) und → Uria (2Sam 11,3 u.ö.). Bei beiden scheint es sich um besonders tüchtige Kämpfer zu handeln: Ahimelech wird gefragt, ob er David beim nächtlichen Einbruch in → Sauls Lager begleitet, wozu zweifellos nur ein guter und erfahrener Kämpfer geeignet war; Uria wird auf Davids Befehl hin nach vorn gestellt, wo der Kampf am härtesten ist (2Sam 11,15f.). Unter denen, die nicht in Davids hinterlistige Absichten eingeweiht sind, erregt diese Positionierung Urias offenbar keinen Argwohn, was dafür spricht, dass auch Uria als Elitekrieger gilt. Da er betont „der Hethiter“ genannt wird, dürfte er nicht zu Davids alten judäischen Gefolgsleuten gehört haben; stattdessen ist von seiner Zugehörigkeit zur eingesessenen Oberschicht des vordavidischen Jerusalem auszugehen. Daraus erklärt sich, dass Uria nach 2Sam 11,2 offenbar in der Nähe des Königs wohnte, und auch dass der mutmaßlich aus dem vordavidischen Jerusalem stammende Priester → Zadok bei den Auseinandersetzungen um die Thronfolge Davids → Salomounterstützte, den Sohn von Urias Witwe → Batseba (1Kön 1,8.26.32-40). Die Parteinahme Zadoks dürfte als Ausdruck von Jerusalemer Solidarität gegenüber den Landjudäern zu verstehen sein.

1.3. Hethiter außerhalb Palästinas

Einige Stellen erwähnen Hethiter, die außerhalb Palästinas leben. Nach 1Kön 10,28f. verkauft Salomo → Pferde aus Ägypten und Koa, das wohl in der Nähe Ägyptens zu suchen ist (vgl. Gerhards 2009, 152 Anm. 42 gegen eine vielfach vertretene Lokalisierung in Kilikien) an die Könige der Hethiter und die Könige von Aram. Nach 1Kön 11,1 liebte Salomo viele ausländische Frauen, und zwar neben → Moabiterinnen, → Ammoniterinnen, → Edomiterinnen und → Sidonierinnen auch Hethiterinnen. In 2Kön 7,6 befürchten die → Aramäer, Israel kämpfe gemeinsam mit den Königen der Hethiter und den Königen der Ägypter gegen sie.

Die genannten Aussagen lassen sich von der Vorstellung her verstehen, dass die Hethiter nördlich von Aramäern und Phöniziern leben: Unter dieser Voraussetzung sehen sich die Aramäer in 2Kön 7,6 von Norden (Hethiter) und Süden (Israeliten und Ägypter) in die Zange genommen; in 1Kön 11,1 ergibt sich eine von Süden nach Norden geordnete Aufzählung (ostjordanische Völker, Sidonier = Phönizier, Hethiter); in 1Kön 10,28 sind die Hethiter dann als nördliche Nachbarn der Aramäer gedacht: Ihr Gebiet begrenzt den Raum von Salomos Pferdehandel nach Norden.

Nach Ri 1,22-26 wurde ein Vorbewohner der Stadt → Bethel vom einwandernden Haus → Josef verschont, nachdem er ihnen verraten hatte, wie sie in die Stadt gelangen konnten. Danach sei der Mann ins Land der Hethiter gezogen und habe dort eine Stadt gegründet, die er mit dem vorisraelitischen Namen Bethels „Lus“ genannt habe. Da dieses „Lus“ nicht identifizierbar ist, lässt sich das Hethiterland auf Grund von Ri 1,22-26 nicht lokalisieren. Die Passage ist aber mit der Vorstellung einer nördlichen Lage vereinbar.

2. Zur historischen Auswertung

Die unter 1.1. besprochenen Belege sind relativ spät zu datieren und damit als unmittelbare Zeugnisse für in Palästina ansässige „Hethiter“ kaum auszuwerten. Sie bezeugen vielmehr die spätere Vorstellung, dass sog. „Hethiter“ zur vorisraelitischen Bevölkerung Palästinas gehörten. Insbesondere die priesterschriftlichen Erzvätertexte zeigen, dass man sich unter den „Hethitern“ keine unbedeutende, sondern eher die wichtigste Bevölkerungsgruppe des vorisraelitischen Palästina vorstellte. Dasselbe gilt wohl auch für die Charakterisierung des Gelobten Landes als „das ganze Land der Hethiter“ in Jos 1,4 (gegen Gerhards 2009, 151.153).

Die unter 1.2. besprochenen Belege könnten auf ältere Traditionen aus der frühen Königszeit zurückgreifen. Dann ließe sich ihnen entnehmen, dass zur Zeit Davids „Hethiter“ in Palästina lebten, die als Elitekrieger galten. Die Figur des Uria dürfte darüber hinaus belegen, dass solche „Hethiter“ zu den vordavidischen Bewohnern Jerusalems, sicher zur dortigen Elite, zählten. Die Vorstellung der unter 1.1. besprochenen Belege, dass „Hethiter“ einen wichtigen Teil der vorisraelitischen Bevölkerung Palästinas bildeten, lässt sich wohl als Reminiszenz an diese hethitische Elite erklären.

Die unter 1.3. besprochenen Belege zeigen, dass man sich in Israel zugleich bewusst war, dass es sich bei den „Hethitern“ um eine Bevölkerung außerhalb Palästinas handelte. Die besprochenen Stellen scheinen vorauszusetzen, dass das Hethiterland im mittleren und nördlichen Syrien sowie angrenzenden Gebieten liegt, also dort, wo sich die sog. „späthethitischen Staaten“ (bzw. „hethitischen Nachfolgestaaten“) befanden, die die Traditionen des um 1200 v. Chr. untergegangenen Hethitischen Reiches fortsetzten (vgl. dazu Hawkins 1982; Collins 2007, 80-90). Möglicherweise sind in den Mitteilungen über den Pferdehandel Salomos mit diesen nordsyrisch-hethitischen Gebieten Erinnerungen an einen Pferdehandel erhalten geblieben, den das Nordreich während seiner letzten Blütezeit unter → Jerobeam II. betrieb (vgl. Gerhards 2009, 156 unter Berufung auf Finkelstein / Silberman 2006, 149).

3. Die Hethiter in Palästina und das Hethiterreich

3.1. Zum Problem der Verhältnisbestimmung

In griechischen wie in biblischen Quellen des 1. Jt.s v. Chr. sind keine aussagekräftigen Erinnerungen an das Hethitische Reich erhalten geblieben. Abgesehen von den soeben besprochenen biblischen Zeugnissen für „Hethiter“ beschränken sich mögliche Reminiszenzen in klassischen und biblischen Quellen auf vereinzelte Namen, die mit den Hethitern oder hethitischen Königsnamen in Verbindung gebracht werden.

Was griechische Quellen angeht, so sind die bei Homer nur ein Mal (Odyssee 11,521) erwähnten Keteier (Κήτειοι) als Reminiszenz an die Hethiter interpretiert worden, was möglich, aber keineswegs sicher ist (Rutherford 2011); darüber hinaus könnte sich im Namen des bei Stephanus von Byzanz (6. Jh. n. Chr.) erwähnten karischen Provinzfürsten Motylos (Ϻότυλος) eine Erinnerung an den hethitischen Königsnamen Muwatallis erhalten haben, ohne dass daraus historische Erkenntnisse zu gewinnen wären (Röllig 1992, 194). Im Bereich des Alten Testaments wird im Namen des in Gen 14,1 als „König der Völker“ bezeichneten → Tidal (תִּדְעָל tid‘āl) eine Erinnerung an den hethitischen Königsnamen Tudhaliya vermutet (Böhl 1916, 68f.). Donner (2007, 97) hält diese Ableitung für möglich, bemerkt aber zugleich, dass damit historisch „nichts anzufangen“ sei.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der biblischen „Hethiter“-Bezeichnung des ersten Jahrtausends v. Chr. und dem Hethiterreich des zweiten Jahrtausends v. Chr. Die Frage ist nicht damit abzuweisen, dass zwei beziehungslos nebeneinander stehende Größen unterstellt werden. Da die biblischen Autoren die Bezeichnung „Hethiter“ sowohl auf Teile einer vorisraelitischen Bevölkerung Palästinas beziehen als auch auf die Bewohner der späthethitischen Staaten, in denen tatsächlich Traditionen des Hethiterreichs fortlebten, ist bis zum Erweis des Gegenteils von einer noch näher zu bestimmenden Beziehung zwischen der biblischen Bezeichnung und dem Hethiterreich auszugehen. Die biblische „Hethiter“-Bezeichnung muss danach als die einzige sichere Reminiszenz an das Hethiterreich in Quellen des 1. Jt.s gelten. Als solche war sie vor der Entzifferung der Keilschrift überhaupt der einzige Hinweis auf die Existenz von Hethitern. Welche Sicht der Hethiter sich für die frühe historische Kritik ergab, die sich allein auf die biblische Grundlage beziehen konnte und von der Existenz des Hethiterreichs und späthethitischer Staaten in Syrien noch nichts ahnte, zeigen die Ausführungen zum Stichwort חֵת ḥet im „Thesaurus“ der hebräischen Sprache von W. → Gesenius.

Grundlegend bestimmt Gesenius 1835, 541 die Hethiter unter Berufung auf Gen 23,7; Gen 25,9; Gen 49,29.30; Num 13,29; Jos 11,3 als kanaanäische Bevölkerungsgruppe, die auf dem westjordanischen Bergland in der Nähe Hebrons und der Amoriter lebte (gens Cananaea, quae in vicinia Hebronis et Amoraeorum in montanis degebat). Unter Verweis auf Ri 1,24-26 fügt er hinzu, dass sie überall auch weiter nach Norden hin (passim etiam magis ad septentrionem) lebten. Während der Königszeit und bis in die nachexilische Zeit hinein seien die Hethiter als Bevölkerungsgruppe nachweisbar (1Sam 26,6; 2Sam 11,3; Esr 9,1). An den beiden Stellen, die eigene Könige der Hethiter erwähnen (1Kön 10,9; 2Kön 7,6), sei die Bezeichnung möglicherweise in einem weiteren Sinne für alle Könige Kanaans verwendet. Der erweiterte Sprachgebrauch finde sich auch in Jos 1,4, wo „Land der Hethiter“ für ganz Palästina (de universa Palaestina) gebraucht sei.

Die in der Genesis erwähnte Existenz von Hethitern auf dem westjordanischen Bergland ist Gesenius’ Ausgangspunkt; die Beziehungen der Hethiter zu Gebieten im Norden findet er zwar in biblischen Texten angedeutet, kann sie aber nicht recht einordnen und zu den Aussagen über die Hethiter des Westjordanlandes in Beziehung setzen.

Hethiter 01

Erst mit der Erschließung von Quellen aus Mesopotamien und Ägypten wurde die Existenz eines im 2. Jt. bestehenden Reiches namens Hatti ( ḫattu) bekannt, dessen Kernland in Anatolien lag und das dann aufgrund der Namensähnlichkeit mit dem aus dem Alten Testament bekannten Volk der Hethiter identifiziert wurde. Seinen Namen hat das Hethiterreich also aus der Bibel (zur Forschungsgeschichte Klengel 1999, 5-10; Collins 2007, 1-20). Nach dieser Identifizierung war es nicht mehr möglich, Gesenius zu folgen und die Hethiter in erster Linie als kanaanäische Volksgruppe des westjordanischen Berglandes zu bestimmen. Stattdessen waren sie nun zunächst mit Kleinasien zu verbinden sowie mit dem nördlichen Syrien, wohin sich das Hethiterreich seit Beginn der Großreichszeit (ab dem 14. Jh. v. Chr.) erstreckte. Damit kehrt sich die Problemlage um: Gesenius konnte vom biblischen Befund ausgehend die nördlichen Verbindungen der Hethiter nicht recht deuten. Nachdem das Hethiterreich wiederentdeckt und klar geworden war, dass sich sein Machtbereich im Süden niemals bis nach Palästina erstreckte, ist die biblische Erwähnung von in Palästina ansässigen „Hethitern“ zum Problem geworden.

Für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen den Reichs-Hethitern und den palästinischen Hethitern der Bibel bieten sich grundsätzlich drei Alternativen an. Erstens könnte eine direkte Beziehung zu den Hethitern des Reiches darin bestehen, dass sich Migranten aus dessen Gebiet in Palästina ansiedelten. Indirekte Beziehungen könnten darin bestehen, dass zweitens die Rede von „Hethitern“ in Palästina durch eine Ausweitung der Landesbezeichnung „Hatti“ / „Hethiterland“ auf ganz Syrien-Palästina angeregt wurde oder dass drittens eine in Palästina ansässige Gruppe, die kulturelle Affinitäten in das Gebiet des Hethiterreiches besaß, als „Hethiter“ bezeichnet wurde. Diese drei Alternativen sind im Folgenden zu besprechen.

3.2. Mögliche Migrationen aus dem Hethiterreich nach Palästina

Vorstellbar sind Migrationsbewegungen, die durch den Untergang des Hethiterreiches um 1200 v. Chr. angeregt waren (vgl. Maisler 1930, 77.81f.; Na’aman 1994, 239-243; auch Collins 2007, 214f.). Demgegenüber suchte E.O. Forrer (1926, 13.21f.; 1937, 104ff.) zu begründen, dass sich hethitische Untertanen noch während der Großreichszeit in Palästina ansiedelten. Er bezieht sich dazu auf die Pestgebete Murschilis II., nach denen Leute aus dem anatolischen Kuruštama in den ägyptischen Machtbereich übergesiedelt waren (Übersetzung der betreffenden Stelle in: Klinger 2013, 118). Da während der Spätbronzezeit auch Palästina zum ägyptischen Machtbereich gehörte, sieht Forrer in dieser Migration aus dem Machtbereich des Hethiterreiches den historischen Hintergrund für die biblisch bezeugte Existenz von „Hethitern“ in Palästina. Forrers Konstruktion muss aber als Spekulation gelten, die aus der Euphorie der Pionierzeit der Hethitologie zu erklären ist (zur Kritik schon Ünal 1980-1983, 373; auch Collins 2007, 213-216). Umfangreichere Migrationen aus dem anatolischen Kerngebiet des Hethiterreiches nach Palästina sind für keine Zeit aus schriftlichen oder archäologischen Quellen zu belegen (zum archäologischen Befund Singer 2006, 754; Collins 2007, 215-218). Damit scheidet die erste Alternative zur Verhältnisbestimmung zwischen biblischen Hethitern und Reichs-Hethitern aus.

3.3. Die Ausweitung des Landesnamens „Hatti“ auf ganz Syrien-Palästina

Indem sich der hethitische Machtbereich seit Suppiluliuma I. (ca. 1350-1324) auf das nördliche Syrien ausweitete (vgl. Klengel 1999, 155-167), wurde auch der Landesname „Hatti“ auf dieses Gebiet ausgedehnt (vgl. zum Folgenden ausführlicher Hawkins 1972-1975). In neuassyrischen Inschriften der Zeit → Tiglat-pilesers III. (745-727) werden die „Könige von Hatti“ (šárrāniMEŠ šá māt Hat-ti) von den Königen des Aramäerlandes (KURA-ri-me) und anderer syrischer Gruppen unterschieden (vgl. Tadmor 1994, 106). Mit den „Königen von Hatti“ sind hier offensichtlich die Könige der späthethitischen Staaten gemeint. Nachdem diese ihre Selbstständigkeit verloren hatten, erscheint in neuassyrischen Inschriften ab der Zeit → Sargons II. (722-705) die Bezeichnung „Hatti“ auf ganz Syrien-Palästina ausgedehnt; auch die Bewohner von → Aschdod konnten als „verlogene Hethiter (Ḫat-ti-i)“ bezeichnet werden (vgl. Fuchs 1993, 133.326). Diese in neuassyrischen und neubabylonischen Texten belegte Ausdehnung der Bezeichnung „Hatti“ gilt (etwa bei Collins 2007, 212f.) als Realienhintergrund für die Vorstellung von „Hethitern“ als vorisraelitischen Bewohnern Palästinas. Der Umstand, dass ganz Syrien-Palästina „Hatti“ genannt werden konnte, wäre dann zur Grundlage dafür geworden, dass eine wichtige Gruppe der Einheimischen des Gelobten Landes „Hethiter“ genannt werden konnte.

Gegen diese Erklärung der Vorstellung von in Palästina ansässigen Hethitern aus der Ausdehnung des Landesnamens „Hatti“ auf ganz Syrien-Palästina ist jedoch auf die in 1.3. besprochenen Belege zu verweisen. Diese Belege zeigen, dass in Israel nicht vergessen worden war, dass das Hethiterland nur einen begrenzten Bereich Syriens umfasste, der nördlich der Wohngebiete von Aramäern und Phöniziern lag. Die genannten Belege teilen die Vorstellung eines nordsyrischen Hethiterlandes, wie sie auch in den Inschriften Tiglat-pilesers III. zu finden ist.

Unter den alttestamentlichen Belegen könnte allein die Erwähnung des Hethiterlandes in Jos 1,4 einen Hinweis darauf enthalten, dass die Bezeichnung ganz Syriens als „Land der Hethiter“ in Israel bekannt war. Hierbei dürfte es sich allerdings um eine sehr späte Glosse handeln (vgl. Gerhards 2009, 151.157f.), die als solche weniger von der in den mesopotamischen Quellen belegten Ausdehnung des Landesnamens her zu verstehen ist als von der innerhalb Israels entstandenen, in den priesterschriftlichen Erzvätererzählungen greifbaren Vorstellung, dass die „Hethiter“ die wichtigste Vorbevölkerung des Gelobten Landes waren.

3.4. Die biblischen Hethiter als hurritisch-indoarisch geprägte Kreise

Wenn die ersten beiden Alternativen der Verhältnisbestimmung zwischen biblischen und Reichs-Hethitern entfallen, bleibt die dritte, nach welcher der Realienhintergrund der biblischen Vorstellung von palästinischen „Hethitern“ mit Kreisen zu verbinden ist, die in Palästina ansässig waren und zugleich kulturelle Affinitäten in den Bereich des Hethiterreiches besaßen. Hierzu bieten sich → hurritisch-indoarisch geprägte Kreise an, die seit der Spätbronzezeit in Palästina belegt sind, die aber kulturell mit den führenden Kreisen des → Mitanni-Reiches und einiger syrischer Stadtstaaten verbunden waren. Nachdem das Hethiterreich das Mitanni-Reich in seinen Machtbereich einbezogen hatte, konnten diese Kreise als „Hethiter“ bezeichnet werden (vgl. Lebrun 1998, 162; Gerhards 2009, 172f.). Die Bezeichnung war noch mindestens bis in die frühe Königszeit hinein gebräuchlich, und sie liegt der Vorstellung von „Hethitern“ als vorisraelitischen Bewohnern Palästinas zugrunde, die sich in den Vorbewohnerkatalogen und den priesterschriftlichen Erzvätergeschichten findet.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001

2. Weitere Literatur

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  • Collins, B.J., 2007, The Hittites and their World (SBL Archaeology and Biblical Studies 7), Atlanta
  • Donner, H., 4. unveränderte Aufl. 2007, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildungszeit (GAT 4 / 1), Göttingen
  • Finkelstein, I. / Silberman, N., 2006, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München
  • Forrer, E.O., 1926, Forschungen II / 1, Berlin
  • Forrer, E.O., The Hittites in Palestine II, PEQ 69, 100-115
  • Fuchs, A., 1993, Die Inschriften Sargons II. aus Khorsabad, Göttingen
  • Gerhards, M., 2009, Die biblischen „Hethiter“, WO 39, 145-179
  • Gesenius, W., 1835, Thesaurus philologus-criticus linguae Hebraeae et Chaldaeae Veteris Testamenti I / 2 (Tomi primi fasciculus posterior), Editio altera, Leipzig
  • Hawkins, J.D., 1972-1975, Art. Ḫatti: the 1st. Millenium B.C., in: RLA 4, Berlin, 152-159
  • Hawkins, J.D., 2. Aufl. 1982, The Neo-Hittite States in Syria and Anatolia, in: J. Boardman u.a. (Hgg.), The Cambridge Ancient History, Bd. III/1, Cambridge, 372-441
  • Klengel, H., 1999, Geschichte des hethitischen Reiches (HO I / 34), Leiden (u.a.)
  • Klinger, J., 2013, Die Pestgebete Muršilis II. (CTH 378), in: B. Janowski / D. Schwemer (Hgg.), Hymnen, Klagelieder und Gebete (TUAT.NF 7), Gütersloh, 114-120
  • Lebrun, R., 1998, Hittites et Hourrites en Palestine-Canaan, Transeuphratène 15, 153-163
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  • Na’aman, N., 1994, The „Conquest of Canaan“ in the Book of Joshua and in History, in: I. Finkelstein / N. Na’aman (Hgg.), From Nomadism to Monarchy, Jerusalem, 218-281
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  • Singer, I., 2006, The Hittites and the Bible Revisited, in: A.M. Maeir / P. de Miroschedji (Hgg.), „I Will Speak the Riddles of Ancient Times“ (FS A. Mazar), Bd. II, Winona Lake, 723-756
  • Ünal, A., 1980-1983, Art. Kuruštama, in: RLA 6, Berlin, 373-374
  • Tadmor, H., 1994, The Inscriptions of Tiglath-Pileser III. King of Assyria, Jerusalem
  • Wöhrle, J., 2012, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Integration der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen

Abbildungsverzeichnis

  • Das Hethiterreich (Hatti) im 13. Jh. v. Chr. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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