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Heiligkeitsgesetz

(erstellt: Januar 2009)

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1. Definition

Mit Heiligkeitsgesetz bezeichnet man seit A. Klostermann die legislative Textfolge Lev 17-26, die die Relation Heiligkeit Jahwes und Heiligung Israels als Hauptmotiv der Gesetzesobservanz rekurrent formuliert (Lev 19,2; Lev 20,7f.; Lev 20,26; Lev 22,32f.; aber auch in Lev 11,44f.; Dtn 7,6).

2. Forschungsgeschichte

Die ältere → Pentateuch-Forschung hat dem Heiligkeitsgesetz wegen struktureller Parallelität (Eröffnung durch „Altargesetz“, Abschluss durch Segen- und Fluchkatalog) und thematischer Kontinuität zu den älteren Rechtssammlungen des → Pentateuchs, dem → Bundesbuch und dem deuteronomischem Gesetz (→ Deuteronomium), den Status einer selbstständigen Rechtssammlung zugemessen (neuerdings nur noch Grünwaldt). Die jüngere Forschung seit Elliger (auch Cholewinski) bewertet das Heiligkeitsgesetz als Rechtsbuch der → Priesterschrift wegen der engen Einbindung in die priesterschriftliche Sinaiperikope (Ex 25Num 10*) und der kompositionellen Kohärenz von → Reinheit (Lev 11-15) und → Heiligkeit (Lev 17-26) im Buch → Leviticus; außerdem finden sich zentrale gesetzliche Regelungen, die priesterschriftliche Parallelen zu Bundesbuch und deuteronomischem Gesetz darstellen, wie → Sabbat (Gen 2,1ff.; Ex 16; Ex 31), → Passa (Ex 12), Mischehenverbot (Gen 27,46-28,9) außerhalb des Heiligkeitsgesetzes, so dass die ganze Priesterschrift inklusive Heiligkeitsgesetz als jüngste (exilisch-nachexilisch), die älteren Gesetzessammlungen (Bundesbuch und Deuteronomisches Gesetz) modifizierende bzw. ergänzende Gesetzeskodifizierung im Pentateuch angesehen wird. Die neueste Forschung sieht das Heiligkeitsgesetz als Teil einer die Priesterschrift ergänzenden Redaktionsschicht, die von Milgrom und Knohl „Holiness School“ genannt und noch vorexilisch, von anderen (Nihan, Stackert) nachexilisch datiert wird. Nach Otto ist das Heiligkeitsgesetz Bestandteil der nachexilischen Pentateuchredaktion; es dient „dem schriftgelehrten Ausgleich der divergierenden Gesetzeswerke des Pentateuch“ (Otto, 2000, 1570).

3. Aufbau

Aufbau und Anordnung der Einzelgesetze im Heiligkeitsgesetz mit z.T. weit zurückreichendem traditionsgeschichtlichem Horizont folgen einem an den verschiedenen Adressatengruppen orientierten Schema: Gesetze für das Volk, für die aaronitischen Priester, für beide Gruppen gemeinsam. Im Einzelnen enthalten Lev 17 Bestimmungen zu Kultort und Blutverständnis, Lev 18 und Lev 20 Sexualregeln für die Großfamilie (→ Sexualität; → Blutschande; → Familie), Lev 19 dekalogähnliche (v.a. Lev 19,11-28) Anweisungen zu sozialem Verhalten (nach Braulik evtl. Vorlage für Dtn 19-25*; → Dekalog), Lev 21 und Lev 22 kultische Vorschriften für → Priester, Lev 23 einen ausführlichen → Festkalender, Lev 24 Festsetzungen zur Ausstattung des → Heiligtums, eine narrative Interpolation zum Thema Gotteslästerung und todesrechtliche Bestimmungen; Lev 25 behandelt die Institutionen von Brach- (→ Brache) und → Jobeljahr sowie das Sklavenrecht (→ Sklaverei); die thematische und kompositionelle Klammer zu Lev 26, das die Sammlung mit Segen- und Fluchformulierungen abschließt (→ Segen; → Fluch), bildet das Thema Landverlust für den einzelnen und das Volk (vgl. → Leviticus 2.).

4. Bedeutung

Die thematische und rechtsgeschichtliche Eigenbedeutung des Heiligkeitsgesetzes beruht darauf, dass es Israels Gesetzesgehorsam an die grundlegende Qualität seiner → Heiligkeit bindet; sie besagt eine mit dem Exodusgeschehen (→ Meerwundererzählung) erfolgte Aussonderung aus den Völkern zur dauernden Gemeinschaft mit Jahwe (Lev 20,26; Lev 22,31ff.; Lev 25,33), ausgedrückt durch die das Heiligkeitsgesetz prägende Formel „Ich bin Jahwe“ (Lev 18,2.4f. u.ö.). Aus dieser engen Gottesbeziehung resultiert die Gültigkeit der Tora für alle Stände Israels sowie die Gleichberechtigung aller israelitischen Bürger inklusive der Grundbesitzlosen, Tagelöhner, → Sklaven, Halbbürger und → Fremden (Lev 25,35-54); dies unterscheidet das Heiligkeitsgesetz grundlegend von den nur an den freien, grundbesitzenden israelitischen Bürger gerichteten vorexilischen Gesetzessammlungen. Weiter machen die Aussagen zur Nächsten- und Fremdenliebe (Lev 19,13.33f.) und die Ansätze zur Überwindung der Sklaverei (Lev 25,39-43) das Heiligkeitsgesetz zu einem Markstein in der israelitischen Rechtsgeschichte.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2005
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006.

2. Weitere Literatur

  • Braulik, G., Die dekalogische Redaktion der deuteronomischen Gesetze. Ihre Abhängigkeit von Levitikus 19 am Beispiel von Deuteronomium 22,1-12; 24,10-22 und 25,13-16, in: ders. (Hg.), Bundesdokument und Gesetz (HBS 4), Freiburg 1995, 1-25
  • Cholewinski, A., Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium (AnBib 66), Rom 1976
  • Crüsemann, F., Die Tora, München 1992, 323-329, 350-360
  • Grünwaldt, K., Das Heiligkeitsgesetz (BZAW 271), Berlin / New York 1999
  • Kilian, R., Literarkritische und formgeschichtliche Untersuchungen des Heiligkeitsgesetzes (BBB 19), Bonn 1963
  • Klostermann, A., Ezechiel und das Heiligkeitsgesetz, Zeitschrift für die lutherische Theologie und Kirche 38 (1877) 401-445
  • Knohl, I., The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis 1995
  • Milgrom, J., Leviticus 1-16.17-22.23-27 (Anc-B 3.3A.3B), New York 1991 / 2000 / 2001
  • Nihan, C., From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus (FAT 2/25), Tübingen 2007
  • Otto, E., Innerbiblische Exegese im Heiligkeitsgesetz Levitikus 17-26, in: Fabry, H.-J. / Jüngling, H.-W. (Hgg.), Levitikus als Buch (BBB 119), Berlin 1999, 125-196
  • Otto, E., Art. „Heiligkeitsgesetz“, in: RGG, 4. Aufl., Tübingen 2000, Bd. 3, 1570f.
  • Otto, E., Das Heiligkeitsgesetz im Narrativ des Pentateuch und die Entstehung der Idee einer mosaisch-mündlichen Tradition neben der schriftlichen Tora des Mose, in: ders., Altorientalische und biblische Rechtsgeschichte. Gesammelte Studien, Wiesbaden 2008, 539-546 (= ZAR 13 [2007], 79-86)
  • Ruwe, A., „Heiligkeitsgesetz“ und „Priesterschrift“. Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Levitikus 17-26 (FAT 26), Tübingen 1999
  • Stackert, J., Rewriting the Torah. Literary Revision in Deuteronomy and the Holiness Legislation (FAT 52), Tübingen 2007
  • Zimmerli, W., „Heiligkeit“ nach dem sog. Heiligkeitsgesetz, VT 30 (1980), 493-512

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