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Heilige Mahlzeit (AT)

(erstellt: September 2016)

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1. Definition

Als Heilige Mahlzeit oder Kultmahl bezeichnet man ein in der Regel gemeinschaftliches Essen und Trinken, das nicht zuerst dem Lebenserhalt oder der Sättigung dient, sondern eine Verbindung zum Heiligen schafft (Konvivium) oder Anteil am Heiligen gibt (Kommunio). Im Konvivium wird eine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen geschaffen, indem man einen Teil der Mahlzeit Gott übergibt, das Übrige aber von den Mahlteilnehmern selbst verzehrt wird. Von Kommunio spricht man, wenn die Mahlteilnehmer auf irgendeine Weise an Gott teilhaben und sich Gott einverleiben. Beide Arten von Kultmählern geschehen nicht zufällig und arbiträr, sondern folgen bestimmten Regeln und finden an bestimmten Orten sowie zu bestimmten Zeiten statt. Sie können auch die Anwesenheit von bestimmten Personen, z.B. Priestern, voraussetzen (→ Ritual). Zudem stiften bzw. festigen sie die Gemeinschaft unter den Teilnehmern und können zugleich durch deren Positionierung im Raum, etwa der Anordnung um einen Tisch, durch → Kleidung und Insignien sowie die Zuteilung bestimmter Essensstücke einer Hierarchie in der Gemeinschaft Ausdruck geben. Oft besteht bei den Mählern ein Zusammenhang zu Opfern bzw. Speiseopfern.

Die Grenzen zwischen einem Alltagsmahl und einem Kultmahl sind oft fließend, beinhalten doch alle Mähler – besonders gemeinschaftlich eingenommene Mähler – rituelle Elemente, die in irgendeiner Weise auf den Kult Bezug nehmen oder einen direkten Bezug zum Kult haben können. Auch ist die Frage, ob ein Mahl ein Kultmahl ist, oft von der Einstellung und der Erinnerungsfähigkeit der Speisenden abhängig. So können ein im Kult entstandenes Mahl oder Elemente davon auch im säkularen Bereich Bestand haben, ohne dass sich die Teilnehmer am Mahl der Verflechtung mit dem Kult bewusst sind und manchmal nicht einmal bemerken, dass sie → Rituale ausführen, die mit dem Kult zu tun haben oder hatten.

2. Mahl bzw. Kultmahl und Ritual

Essen und Trinken sind selbstverständliche und natürliche Handlungen aller Tiere und Menschen. Sie dienen dem Lebenserhalt, dem Genuss, der Belohnung, aber auch der Zerstörung; Letzteres zum Beispiel, wenn ein Lebewesen getötet wird, um es zu essen und so etwas von dessen Lebenskraft in den eigenen Körper zu übertragen. Sie setzen Leiblichkeit voraus, vermitteln und schaffen Identität und können Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachrufen.

Ereignen sich Mahlzeiten außerhalb des individuellen Alltagslebens und in einer menschlichen Gemeinschaft, dienen sie oft nicht nur dem biologischen Lebenserhalt, sondern nehmen einen gesellschaftlich, kulturell oder religiös bedeutungsschweren Charakter an. Mähler in Gemeinschaft charakterisieren die Gemeinschaft, in der sie stattfinden, und werden durch sie charakterisiert. So können gemeinsame Mähler Gruppengrenzen definieren und Identitäten darstellen, politische und kulturelle Gegebenheiten ins Recht setzen sowie Veränderungen im Leben der Gemeinschaft und im Leben des Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft markieren. Die Nahrungsauswahl bei gemeinschaftlichen Mählern geschieht ebenfalls nicht alleine aufgrund des biologischen Nährwertes, sondern aufgrund von kulturellen, sozialen und religiösen Wertvorstellungen und Bedeutungszuschreibungen (Counihan / Van Esterik, Dietler / Hayden, Friedman, Goody, Nielsen / Nielsen, Wiessner / Schiefenhövel).

Das Interesse an der Erforschung des Mahles als Ritual reicht bis in die Renaissance zurück, als man versuchte, die Mahlgewohnheiten in der Antike zu rekonstruieren. Im 20. Jahrhundert begannen Anthropologen, Ethnologen, Soziologen und Religionswissenschaftler, das rituelle Mahl als aussagekräftiges und gleichzeitig strukturierendes Merkmal von Gemeinschaften und Gesellschaften zu entdecken. Anstoß gaben hier wohl die Lectures on the Religion of the Semites von William Robertson Smith, später waren die Arbeiten von Claude Lévi‑Strauss und Mary Douglas richtungsweisend.

Weil das individuelle und gemeinsame Speisen etwas zutiefst Menschliches und Alltägliches ist und meist eine tiefere Bedeutung hat, werden Mähler in der Geschichte der Menschen zu symbolisch aufgeladenen Ereignissen, denen immer mehr inne liegt als der Wille nach dem körperlichen Weiterleben. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie im Zusammenhang mit dem Kult stattfinden und nicht nur die horizontalen Beziehungen zwischen den Mahlteilnehmern, sondern auch die vertikale Beziehung zwischen den Menschen und Gott schaffen oder darstellen. In allen Arten von Mählern sind Rituale omnipräsent (Grimes).

Kultische Mahlzeiten hat es wohl zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben. Kultspeise und Kulttrank konnten dabei gemeinsam vorkommen oder auch individuell. Neben den im Kultmahl genutzten Speisen und Getränken sind auch noch Narkotika zu nennen, die sich die Menschen bei einer Heiligen Mahlzeit oder einem Kultmahl einverleiben.

Während es keine universal gültigen Regeln für das Verzehren oder Nicht-Verzehren von Nahrungsmitteln (im Kultmahl) gibt, weisen doch alle Kulturen und Gemeinschaften Vorschriften dafür auf, was gegessen werden darf und was nicht. Manchmal kann ein bestimmtes Nahrungsmittel symbolisch für die gesamte Gemeinschaft stehen. An diesen Speisegesetzen kann man die Charakteristika and die Werte der Gesellschaft oder der Religion festmachen. Warum es in vielen, wenn nicht allen Kulturen bevorzugte und symbolisch aufgeladene Nahrungsmittel und Nahrungsmittel-Tabus gibt, war schon immer Teil der Diskussionen religiösen Spezialisten, zu denen sich in neuerer Zeit Ritualtheoretiker gesellten. So hatte schon im 13. Jahrhundert Moses Maimonides darauf hingewiesen, dass das jüdische Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch (→ Schwein) mit hygienischen Vorstellungen zu tun habe. In den 1960er Jahren entwickelte Mary Douglas den Gedanken, dass Nahrungsmittel – und vor allem das Verbot bestimmter Nahrungsmittel – eine religiöse Gruppe mit Identitätszuschreibungen ausstatten kann, indem bestimmtes soziales Verhalten wie die Zubereitung und das Verzehren von Nahrungsmitteln in Abgrenzung von Anderen streng geregelt werden. Im Judentum sah sie die Bestrebung, rein und heilig zu bleiben und alles „Gemischte“ zu vermeiden. So seien dort interkulturelle Ehen aber auch der Verzehr von „gemischten“ und daher unreinen Nahrungsmitteln verboten.

3. Im Alten Orient und im Mittelmeerraum

Heilige Mahlzeit 1
Mahl und Kult (→ Ritual) waren in vielen Kulturen und so auch im Alten Orient oft eng verbunden. Dieses geschah oft im Zusammenhang mit der Versorgung der Götter, die man sich anthropomorph vorstellte (→ Anthropomorphismus) und die deshalb auch der Nahrung bzw. Versorgung durch die Menschen bedurften.

Aus den altorientalischen Mythen sind zahlreiche Opferbeschreibungen bekannt, an die sich Kultmähler anschließen. In Babylonien kannte man ein Kultmahl des Kommunio-Typus, bei dem Opferkuchen (kamānu) verzehrt wurden, die die Göttin → Ischtar repräsentierten. Von ihnen ist noch beim Propheten → Jeremia die Rede (Jer 7,18; Jer 44,19; → Himmelskönigin). Ein altorientalisches ikonographisches Motiv ist das Mahl bei einer Siegesfeier, wie es in einer Darstellung Assurbanipals und seiner Frau bei einem Festmahl in Anwesenheit des abgeschlagenen Kopfes eines Feindes zu sehen ist (Calmeyer, 271). Auch Tempelbau und Thronbesteigung waren Anlässe für ein kultisches Mahl. So wird im → Enuma Elisch ein Festmahl zur Errichtung des Tempels und zur Thronbesteigung Marduks zelebriert, in ugaritischen Texten ist von einem Siegesmahl Baals (→ Ba‘lu) in Zusammenhang mit dem Tempelbau die Rede. Die hethitischen Schriften sind jedoch die reichhaltigsten Quellen für kultische Mähler im Alten Orient. Erwähnt werden die Präsenz besonderer Gäste wie z.B. des Königspaares, das Waschen der Hände und der Götterstatue, die Konsekration des Opfertieres, die rituelle Reinheit der Opfernden, die Bier-Libationen und das Brotbrechen, das die Opferrationen einteilt. Die dahinter stehende Vorstellung ist, dass die Götter auf die von den Menschen geopferten Mahlzeiten angewiesen sind und den Menschen als Dank dafür gewisse Wünsche erfüllen. In ugaritischen, moabitischen, nabatäischen und palmyrenischen Texten ist hin und wieder von einem Kultmahl im Zusammenhang mit der marziḥu-Institution die Rede. Hier handelt es sich wohl um einen religiösen Mahlverein, der vielleicht auch mit dem Toten- und Ahnenkult verbunden war. Der Begriff מַרְזֵחַ marzeaḥ erscheint auch in Am 6,7 und Jer 16,5, sodass vermutet wird, dass diese Art von Kultverein auch in Israel bekannt war.

In der griechisch-römischen Antike wird die Verbindung von Mahl und Opfer eng gezogen. So musste jeder Koch im antiken Griechenland auch opfern können: Dem Opfer im privaten Kontext folgt ein Mahl der am → Opfer Beteiligten. Jedoch wurden in der griechisch-römischen Antike nicht nur Tiere geopfert, was zum Fleischverzehr bei einem Kultmahl führen konnte, aber nicht zwangsläufig musste, sondern auch vegetarische Opfergaben vor die Götter gebracht, wie zum Beispiel die oft erwähnten Kuchen. Bei öffentlichen Opferfesten kann man wohl noch am ehesten von einem Kultmahl sprechen, da hier Opfer und Bankett zwangsläufig aufeinander folgen und das Mahl für die Validität des Opfers eine grundlegende Rolle spielt (Dion Chrysostomos, Orationes 3,97-98; Plato, De legibus 7,809d). Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch noch die Institution des Symposions, das von rituellen Handlungen durchzogen ist, jedoch nicht als Kultmahl im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann. Die Verbindung zu Opferhandlungen ist hier weniger stark, allerdings werden im Verlauf des Symposions auch drei Kelche Wein für verschiedene Götter geopfert. Auch die Initiation in einen Kultverein wurde oft mit einem Mahl begangen. Des Weiteren wurden Beerdigungen und regelmäßige Gedenkfeiern an die Toten mit kultisch geprägten Mählern verbunden.

Ferner ist aus dem griechisch-römischen Kontext die Institution der Theoxenie bekannt, einem inszenierten Gastmahl für die Götter. Anlässe für ein solches Mahl konnten private Erfolge (Pindaros, Olympische Oden 3) oder öffentliche Kulthandlungen sein, in Rom wurde es auch zur Abwehr von Gefahren durchgeführt (Livius 5,13). Obwohl hier die Präsenz der Götter erhofft und inszeniert wird, findet das Mahl für die Götter und das damit verbundene Mahl für die Opferspender an unterschiedlichen Orten statt.

Bei den Mysterienmählern wird gemeinhin zwischen den wiederholbaren Opfer- oder Gemeinschaftsmählern der bereits Eingeweihten und den Mählern der Initiation unterschieden. Im Attiskult speisten die angehenden Mysten laut Firmicus Maternus (De errore profanarum religionum 18) aus Musikinstrumenten, im Mithraskult labte man sich gemeinsam an Brot, Wasser und Honig, die Mandäer beenden die Taufhandlung mit einem gemeinsamen Mahl aus Brot und Wasser. Inwieweit und auf welche Weise Speisen und Getränke bei den Mysterienmählern den Speisenden Anteil am Heilsgeschehen oder gar an Gott gaben, ist in der Forschung umstritten. Oft ist davon die Rede, dass die Mahlhandlungen ein „Denkmal des Leidens“ (Ps-Lukian, De Dea Syria 6; Plutarch, Moralia 357F) sind oder zum „Gedächtnis der Trauer“ (Arnobius, Adversus nationes 5. 16) dienen (vgl. Rüpke).

4. Im Alten Testament / In der Hebräischen Bibel

Das Thema „Essen und Trinken“ nimmt in der Hebräischen Bibel einen großen Raum ein. So ist die hebräische Wurzel אכל ’kl „essen“ in ihr mehr als 900 Mal belegt. Die Hebräische Bibel unterscheidet verschiedene Mahlformen; zu erwähnen sind die folgenden Begriffe:

● אֲרֻחָה ’ǎruḥāh bezeichnet Reiseproviant (Jer 40,5), das tägliche zum Lebenserhalt notwendige Mahl (2Kön 25,30; Jer 52,34) oder auch ein einfaches Mahl (Spr 15,17),

● זבח zbḥ weist auf ein Kultmahl oder ein Festmahl im Zusammenhang mit einem → Opfer hin (1Sam 20,29), bei dem auch Fleisch verzehrt werden konnte (1Kön 19,21; Dtn 12,7; Dtn 27,7),

● כֵּרָה kerāh beschreibt ein Mahl mit vielen Teilnehmern (2Kön 6,23),

● מִשְׁתֶּה mištæh beschreibt ein Bankett oder ein Gastmahl (Gen 21,8; Gen 26,30; 2Sam 3,20), bei dem auch → Wein getrunken werden kann (1Sam 25,36; Est 5,4-8.12.14; Est 6,14; Est 7,1; Jes 25,6; Jer 51,39).

Zudem begegnen Umschreibungen wie „einen Tisch bereiten“ (Ps 23,5; Ps 78,19; Spr 9,2; zu Tisch → Möbel). Diese Begriffe und Umschreibungen weisen jedoch nicht zwingend auf ein Kultmahl hin.

4.1. Kultmahl und Gottesgegenwart

Bei allen Mahlzeiten in der Hebräischen Bibel steht die Überzeugung im Hintergrund, dass Gott der Geber der Speisen ist (so u.a. in Dtn 32,13; Ps 104,10-15.27-28; Ps 145,15-16), der diese aber als Strafe den Lebewesen auch entziehen kann (Dtn 28,17-18; Hos 2,14; Hag 1,10-11). Alle Mahlzeiten und die bei ihnen verzehrten Speisen sind durch die alttestamentlichen Speisegesetze determiniert. Traditionell überliefert ist die Vorstellung, dass man durch das Kultmahl die Gottesgegenwart am Jerusalemer Tempel erleben kann, was in solchen Wendungen wie „Mahl halten vor dem Angesicht Gottes“ (Dtn 12,7) oder auch „Gott schauen, essen und trinken“ (Ex 24,11) zum Ausdruck kommt.

Inwieweit die Texte der Hebräischen Bibel die Realitäten des Opferkultes am Zweiten Tempel überliefern, ist nicht gesichert. Berichtet wird vom Ablauf des Opfers: Zuerst sollen bestimmte Fettteile von Opfertieren auf dem Altar dargebracht werden, dann erst verzehren die Menschen ihren gekochten Anteil im Kultmahl (vgl. 1Sam 2,13); das gilt jedoch nicht für das Passamahl (2Chr 35,13). Den Priestern stehen die Schaubrote (Lev 24,9), Brote und Opfertiere (Ex 29) zu, die sie in einem bestimmten Zeitraum verzehren und deren Reste sie vernichten müssen (Lev 6; Ex 29,34). Dabei wird betont, dass Gott den Priestern einen Anteil am Opfer schenkt, um den Kult aufrecht zu erhalten, nicht um Tischgemeinschaft mit ihnen zu haben (Num 18,8-19). Das → Passa soll von ganz Israel und nicht nur den Priestern und vor dem Anbruch des neuen Tages im Heiligtum verspeist werden (Dtn 16,5-7). Das sogenannte Tamid-Opfer (Ex 29,38-42; Num 28,3-8; Ez 46,13; → Opfer) setzt eine quasi-Bewirtung Gottes, aber kein wahres Konvivium-Kultmahl voraus, bei dem Mensch und Gott gemeinsam am Tisch sitzen.

In den Prophetenbüchern der Hebräischen Bibel findet sich sowohl Opfer- und damit Kultmahlkritik (Jer 7,21-23; Am 2,8), als auch die Nutzung des Bildes des Kultmahls als Metapher (Ez 39,17).

Sicher wurden auch in der lokalen Ausprägung des Kultes an Familien- und Lokalheiligtümern Kultmähler veranstaltet, aber in welcher Weise das geschah, ist in der Forschung umstritten. Die späte deuteronomistisch (→ Deuteronomismus) geprägte Notiz in 1Kön 14,23-24 ist als Polemik gegen die Kulte anderer Völker zu verstehen. Ob man daraus aber auf überschweifenden Alkoholgenuss beim Kultmahl, zur Ekstase führende Praktiken oder sogar Kultprostitution (→ Hure § 3) an den Heiligtümern im frühen Israel schließen kann, wie das in der Forschungsgeschichte oft versucht wurde, ist unsicher.

4.2. Die identitätsstiftende Bedeutung bestimmter Nahrungsmittel

Bestimmten Nahrungsmitteln werden in der Hebräischen Bibel mythische bzw. quasi-mythische Bedeutungen zugeschrieben, die für die Identitätszuschreibungen der biblischen Autoren von größter Bedeutung waren. Das → Manna symbolisiert die Rettung Israels während der Zeit der Wüstenwanderung (Ex 16; Ps 105,40-41; Neh 9,15). Im → Deuteronomium wird das gelobte Land auch als der Ort bezeichnet, an dem → Milch und Honig fließen, das Sattsein jedoch auch als Gefahr dargestellt, weil es den Abfall von Gott befördert (Dtn 32,15). Früchte vom → Baum des Lebens, Manna und die Urzeitwesen → Behemot und → Leviatan werden in frühjüdischen apokalyptischen Texten und in der rabbinischen Vorstellungskraft zu symbolgeladenen Speisen auf dem Tisch der Gerechten in der kommenden Welt.

Hin und wieder entsteht auch der Eindruck, dass (kultische) Mähler von den Autoren bewusst im Text verankert wurden, um einige der für die Identität Israels signifikanten Ereignisse hervorzuheben. So wird im Deuteronomium mit Festmählern am zentralen Altar an Gottes Rettungshandeln in der Geschichte erinnert (Dtn 12,7; Dtn 14,26).

4.3. Speisetabus

Die Hebräische Bibel kennt zahlreiche Nahrungsmittelverbote (Lev 11, Dtn 14Speisegebote), deren Alter und tatsächliche Einhaltung im Alltag jedoch umstritten sind (Hübner). Das älteste solche Tabu ist vielleicht das Verbot des Verzehrs von Blut (Gen 9,4), aus dem sich die Regeln für das koschere Schlachten ergeben und das später um das Verbot des Mischens von Fleisch und Milch erweitert wurde (Ex 23,19; Ex 34,26; Dtn 13,21). Religionsgeschichtlich gesehen ist Blut in vielen Kulturen das Symbol für das Leben, Blutverlust bedeutet Verlust an Lebenskraft. Gleichzeitig ist fremdes Blut eine gefährliche Substanz, die leicht einen anderen Menschen „verunreinigen“ kann, weshalb der Umgang mit menschlichem und tierischem Blut in vielen Kulturen mit Tabus, Verboten und Vorsichtsmaßnahmen belegt ist. Das Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch und einer Anzahl von weiteren Tieren wird in Lev 11 und Dtn 14 dargelegt und später von den Rabbinen detaillierter diskutiert. Dass Schweinefleisch bei illegitimen kultischen Mahlzeiten verzehrt wurde, deuten Jes 65,4 und Jes 66,3.17 an. Auch archäologisch lässt sich belegen, dass auf dem Gebiet des alten Israel sehr wohl Schweinefleisch verzehrt wurde, wurden doch Schweineknochen mit den für die Zubereitung typischen Schnittspuren nachgewiesen (Hübner).

4.4. Anlässe für Mähler

Die Anlässe für Mähler des Konvivium-Typus sind vor allem bei Feiern zu Lebenswenden von Individuen oder Familien zu finden. So wird in der Hebräischen Bibel von einem Mahl zur Entwöhnung eines Neugeborenen (Gen 21,8), bei einem Geburtstag (Gen 40,20), bei einer Hochzeit (Gen 29,22; Ri 14,10-17) oder bei Tod (Jer 16,7; Ez 24,17.22) erzählt. Auch politische Vorgänge wie Vertragsabschluss (Gen 31,54), friedliche Konfliktlösung (2Sam 3,20; 2Kön 6,23), Eid (Gen 26,30), Siegesfeier (2Kön 9,34) oder die Krönung eines Königs (1Kön 1,25) werden narrativ mit Mählern verbunden. Gemeinschaft schaffende und stärkende Mähler werden zum Beispiel in Gen 14,18-20 beschrieben: Die Trennung bei Tisch zeigt soziale und kulturelle Unterschiede an (Gen 43,32). In Jes 25,6-9 ist die Völkerwanderung zum Zion (in der kommenden Welt) der Anlass für ein Mahl, dass jedoch den Reichtum der Speisen in den Vorstellungen der frühjüdisch-apokalyptischen Texte (noch) vermissen lässt.

Vorgeschlagen wurde, dass in Texten wie Dtn 26,14; 1Sam 10,2-4; Jes 65,4-5; Jer 16,5-8 und anderen von einem Totenmahl der Hinterbliebenen die Rede ist, das nach dem Begräbnis und unabhängig davon stattfand (Kühn; Schmitt). Ob die religiöse Bedeutung der Ahnen allein auf ein Kultmahl des Konvivum-Typus hinweist oder auch Kommunio-Aspekte in sich trägt, ob also im Mahl auch eine Verbindung mit dem Heiligen gesucht werden sollte, ist nicht abschließend geklärt.

Auch bei Opferhandlungen spielten Lebensmittel eine große Rolle, die deponiert, verbrannt oder ausgegossen werden können (vgl. Lev 1-7). Die Hebräische Bibel berichtet von vielgestaltigen Opfern für Gott oder im Angesicht Gottes. Am Jerusalemer Tempel wurden Tiere (z.B. → Stiere, → Böcke, → Lämmer, → Tauben) wie auch gekochter und roher Teig und Wein geopfert. Folgende Opferarten sollen hier erwähnt werden, die einen Zusammenhang mit einer kultischen Mahlfeier der opfernden Gemeinschaft aufweisen:

● Das Schlachtopfer (זֶבַח zævaḥ) kann am Heiligtum als gemeinschaftliches Familienkultmahl stattfinden oder aber auch in einer Dorfgemeinschaft und auf einem lokalen Heiligtum und nicht am Tempel (1Sam 9,12-13).

● Das Heils-Opfer (שְׁלָמִים), das oft mit Brandopfern (עֹלוֹת) verbunden ist (so z.B. in Ri 20,26; Ri 21,4) wird bei öffentlichen Anlässen durchgeführt.

● Laut Lev 7,11-36 bezeichnet זֶבַח הַשְּׁלָמִים zævaḥ haššəlāmîm ein Opfer, bei dem die Fettstücke für JHWH verbrannt werden, andere Teile des Opfers aber von den Opferspendern und den Priestern in einem Kultmahl verzehrt werden.

5. Kultmähler zur Zeit des Zweiten Tempels

5.1. Passa

In der Forschung wird diskutiert, inwieweit das → Passafest und das damit verbundene Kultmahl auf ein agrarisches Jahresfest zurückgeht und durch Dtn 16 und Ex 12 zu einer Gedächtnisfeier des Exodus umgeformt wurde bzw. sich als Teil einer Kultätiologie des Passamahles am Zweiten Tempel oder in Jerusalem deuten lässt. Hinweise auf Passafeiern außerhalb Jerusalems und ohne den Tempel gibt es nicht, selbst die jüngeren rabbinischen Texte verstehen das Fest noch nicht als Familienfeier (Babylonischer Talmud, Traktat Pesachim 115b.116a). Als Mahlgemeinschaft kommen die Pilger in Jerusalem in Frage (Josephus, Antiquitates 2,248), nicht jedoch Familien. Die Regelungen zum Kultmahl an Passa in Jerusalem werden in der Hebräischen Bibel und in außerkanonischen Schriften nicht detailliert beschrieben.

5.2. Hellenistisches Judentum

Das Modell des Symposions beeinflusste die Mahlvorstellungen des hellenistischen Judentums grundlegend. So wird die → Weisheit selbst zur Gastgeberin, die mit Brot und Wein zu sich an den Tisch einlädt (Spr 9,5). → Ben Sira übernimmt die Etikette der Symposienkultur in seine Lehre (Sir 31,12-32,13 [Lutherbibel: Sir 31,12-32,17) und der → Aristeasbrief erzählt von einer Symposion-ähnlichen Mahlfeier, die der ägyptische König den 72 Übersetzern der → Septuaginta bietet und bei der er die Weisen zu ihren Ansichten befragt.

In den zeitgenössischen Texten ist im jüdisch-hellenistischen Kontext gelegentlich von der Einsetzung neuer Feste die Rede, die mit festlichen rituellen Gemeinschaftsmählern, aber nicht unbedingt Kultmählern, verbunden sind (3Makk 6,30-36; Est 9,20). Weit häufiger aber werden die Kultmähler der Anderen erwähnt, an denen die Juden nicht teilnehmen oder nicht teilnehmen sollen, weil sie nicht den jüdischen Speisegesetzen entsprechen (Dan 1,3-17; Jdt 12,1-10; Tob 1,10-12). Die frommen Juden in 2Makk 6,18-7,42 und 4Makk 5,1-6,35 ziehen den qualvollen Tod dem erzwungenen Verzehr von (geopfertem) Schweinefleisch vor. Polemik gegen die Mähler der Anderen findet sich auch in Weish 12,5 (nicht in Lutherbibel), wo vom Verzehr von Menschenfleisch und Menschenblut unter den Kanaanäern erzählt wird. In diesem Zusammenhang klingt die Verspottung der fresswütigen Belpriester in der Erzählung → Bel und der Drache, einem Zusatz zum Danielbuch, der nur in der Septuaginta erscheint, fast schon märchenhaft. Dort ist aber das literarische Motiv des Nahrungsverzehrs so wichtig, dass es sowohl in der Theodotion-Übersetzung als auch in der Septuaginta-Fassung bei allen Hauptfiguren durchgehend angewandt und zum Schlüssel ihres Schicksals wird. Ob jemand isst und ob jemand essen kann, entscheidet, ob jemand lebt, stirbt oder zerstört wird (vgl. Bergmann, 2004).

5.3. Qumran

In den → Qumrantexten wird, wie in der Hebräischen Bibel, vorausgesetzt, dass Gott der Schöpfer der Nahrungsmittel für die Menschen ist (11Q 5 26.13; 4Q 381 frg.1; 4Q 370). Auch die → Speisegesetze werden in den Texten vom Toten Meer diskutiert, vor allem dann, wenn es um ihre Verbindung zum Tempel geht (Beispiele in CD; 1QM; 1QS; 1QSa; 4QMMT; 11QT). Immer wieder werden Fragen der Reinheit von Speisen und denen, die sie zubereiten und verzehren, betont. In Chirbet Qumrān (Koordinaten: N 31° 44' 28.5'', E 35° 27' 32.5'') selbst stießen die Archäologen auf Anzeichen von Mählern, die vielen Menschen serviert wurden, sowie auf Hinweise darauf, dass man die rituelle Reinheit beim Zubereiten von Speisen als äußerst wichtig erachtete, z.B. eine große Anzahl von rituellen Bädern (Magness; Pfann). Ob diese archäologischen Funde in direktem Zusammenhang mit den in der Nähe gefundenen Texten stehen, ist umstritten.

Einige wenige Texte erwähnen Gemeinschaftsmähler, die von Ritualen geprägt sind und – wie oft behauptet wird – einen kultischen Charakter haben. Einer der rätselhaftesten und am meisten diskutierten Texte in diesem Kontext ist 1QSa 2,1-11:

11[Bei einer Sitz]ung der Männer des Namens, [der Berufenen] zur Versammlung für den Rat des Jahad, wenn [ ] 12[ ] der Gesalbte mit ihnen (ist). [Der Priester] (soll) eintreten [an] der Spitze der ganzen Gemeinde Israel und alle 13[seine Brüder, die Söhne] Aarons, die Priester, [die Berufenen] zur Versammlung der Männer des Namens. Und sie sollen sitzen 14v[or ihm, ein jeder] entsprechend seiner Würde. Und danach [soll kommen der Ge]salbte Israels. Und es sollen sich vor ihn setzen die Häupter 15[der Tausendschaften Israels, ein jed]er entsprechend seiner Würde, nach [seiner Stellung] in ihren Lagern und nach ihren Kriegszügen. Und alle 16Si[ppen]häupter [der Gemein]de mit [ihren] Weisen sollen vor ihnen sitzen, ein jeder 17seiner Würde entsprechend. Und [wenn sie bei Ti]sch zusammen sind [… jungen W]ein, und es ist bereitet der Tisch 18des Jahad, [j]ungen Wein zu trink[en, so soll nicht austrecken] jemand seine Hand nach dem Erstling 19des Brotes und des [jungen Wein]es vor dem Priester, den[n er soll s]egnen den Erstling des Brotes 20und des Neuwei[ns. Und er soll ausstrecken] seine Hand nach dem Brot zuerst. Und da[nach soll ausstre]cken der Gesalbte Israels seine Hände 21nach dem Brot. [Und danach sollen] sie [seg]nen, der ganze Rat des Jahad, ei[n jeder entsprechend] seiner Würde. Und diese Satzung sollen [sie] tun 22bei jeder [Mahlzeit, wenn sie sich zusam]menfinden (mit mindestens) zehn Männe[rn]. (Übersetzung Bergmann)

Dieser Text wurde aufgrund der Erwähnung des Messias als ein Hinweis auf die möglicherweise in Qumran existierende Idee vom Mahl in der kommenden Welt und sogar einer Antizipation desselben durch die Qumrangemeinschaft interpretiert. Es muss jedoch festgestellt werden, dass keine der Charakteristika, die das Mahl in der kommenden Welt in den frühjüdischen Texten ausmachen, hier vorhanden ist. Eigentlich hätte das Mahl in 1QSa 2,1-11 an vielen Orten und zu verschiedenen Zeiten stattfinden können, ist doch weder ein spezieller signifikanter Ort, noch eine bestimmte symbolträchtige Speise, noch ein bestimmter Zeitraum als Voraussetzung für das Stattfinden des Mahles genannt. Da dieser Text in einem Buch mit Anweisungen für die imaginierte Zukunft enthalten ist und, wie Hempel gezeigt hat, wahrscheinlich eschatologisch überarbeitet wurde, kann man aus ihm lediglich herauslesen, wie das Mahl der Zukunft imaginiert wurde, aber nicht, wie ein solches Gemeinschaftsmahl tatsächlich durchgeführt wurde, sollte es als Antizipation der Zukunft gedacht gewesen sein.

Ein ähnlich klingender Text über ein von Ritualen geprägtes Mahl findet sich in 1QS 6, der jedoch den Messias nicht erwähnt:

2 Und zusammen sollen sie essen, 3 und zusammen sollen sie segnen, und zusammen sollen sie beraten. Und an jedem Ort, wo zehn Männer der Gemeinschaft sind, soll unter ihnen nicht fehlen 4 ein Priester. Und jeder soll nach seiner Würde vor ihm sitzen. Und so sollen sie in jeder Sache nach ihrem Rat fragen. Und wenn sie den Tisch vorbereiten, um zu essen oder um den jungen Wein 5 zu trinken, soll der Priester seine Hand ausstrecken, um zuerst die Erstlinge des Brotes zu segnen (oder um jungen Wein zu trinken, soll der Priester seine Hand ausstrecken, um als erster 6 die Erstlinge des Brotes zu segnen) und den jungen Wein. (Übersetzung Bergmann)

1QS erwähnt noch weitere rituell geprägte Gemeinschaftsmähler. So wird in 1QS 5-6 beschrieben, wie sich die nach Graden der rituellen Reinheit strukturierte dreigeteilte Gesellschaft aufbaut: Die rituell Unreinen befinden sich an der Peripherie und dürfen nicht mit den Mählern und Speisen der Reinen in Berührung kommen, die Reinen speisen gemeinsam, die Initianten können rituell reiner werden und am Mahl der Reinen nach einem bzw. zwei Jahren teilnehmen. Die Erlaubnis, im inneren Kreis der rituell Reinen zu leben und mit ihnen Mahl zu halten, kann aber auch wieder entzogen werden (1QS 6,24-25. 7,15-20).

In den Texten aus Qumran gibt es einige (über 1QSa 2 und 1QS 6 hinausgehende) Hinweise auf die sich entwickelnde Vorstellung von einem Mahl in der kommenden Welt. Zu nennen sind hier das Fragment 4Q 502 2 iv (Gott bereitet ein sättigendes Mahl in Jerusalem), das Psalmfragment 4Q 88 9,8-14 (in der Zukunft werden die Armen und Gottesfürchtigen reiche Speise genießen), 4Q 521 2 ii (die Hungrigen werden gespeist werden) und 1QHa 16,5-8 (der Baum des Lebens produziert verzehrbare Früchte). Die Vorstellung von einem solchen Mahl wird aber (noch) nicht systematisch und vor allem nicht häufig angewandt.

5.4. Essener und Therapeuten

Josephus berichtet in Bellum Iudaicum 2,128-131 und Antiquitates 18.22 von den kargen Mählern der Essener, die nur aus Brot und einem weiteren Gericht bestehen. Das Mahl werde schweigend eingenommen und durch Gebete der Priester eingeläutet und beendet. → Philon beschreibt die Therapeuten als Philosophengruppe, die in der Nähe von Alexandria heilige Symposien abhält. Diese bestehen aus Wasser, Brot, Salz und Hyssop, aber nicht aus Fleisch und Wein. Auch essen Frauen getrennt von Männern. Der Gesang von Hymnen beende das Mahl. Dieses nüchterne Leben ähnele dem nüchternen Opfer der Priester, weiß Philon zu berichten (De vita contemplativa 34-35, 69-80). In beiden Fällen, bei Josephus und Philon, wird vermutet, dass populäre pythagoräische Philosophengruppen als Modell für die Beschreibungen der Essener und Therapeuten zugrunde gelegt wurden. Die Charakteristika der Essener und der Therapeuten in Josephus und Philon wurden oft dazu genutzt, um das lückenhafte Bild der Gemeinschaft, das aus den Qumrantexten entsteht, zu ergänzen. Dieses fehlerbehaftete Denken kam vor allem dann zum Tragen, wenn es darum ging, die Mahlpraxis der „Qumrangemeinde“ zu rekonstruieren (so z.B. in Bilde). Eckhardt und andere zeigen aber, dass man keine Verbindung von den Essener- und Therapeutenbeschreibungen in Josephus und Philon zu der angenommenen Qumrangemeinschaft ziehen kann, deren Existenz und Charakteristika aus den Schriftrollen vom Toten Meer konstruiert wird.

5.5. Die Vorstellung vom Mahl in der kommenden Welt

In früh-apokalyptisch geprägter Literatur (→ Apokalyptik; → Pseudepigraphen [s. dort Tabelle 1 zu den hier verwendeten Abkürzungen]) entwickelte sich die Vorstellung von einem Gemeinschaftsmahl in der kommenden Welt, die möglicherweise auch schon in Jes 25,6 anklingt. Dieses imaginierte Mahl ist stark rituell geprägt und hat in der Vorstellungskraft vieler Autoren einen Bezug zum Kult. So kann es an einem für den Kult bedeutsamen Ort wie dem Berg Gottes (äthHen 24,1-2; 25,3-5 [→ Henoch]; 4Q 504 Frg. 2 iv,2-14) stattfinden, aber auch im Paradies / in Eden (TestLev 18,10-11; hebrHen 8,1-9,1; 42,3-5; 4Esr 8,50-53; 9,17b-22; syr. HistRech 7,10-11; ApkAbraham 21,4-9; ApkMose) oder aber in einem als universal verstandenen Weltgarten (syrBar 29,1-8; äthHen 10,16-11,2; 60,7-8.20-23; 4QPsf 9,8-14). Verzehrt werden die Urzeitwesen Behemot und Leviatan (syrBar 29,3-4; äthHen 60,7-9.24; 4Esr 6,49-52), Früchte vom Baum des Lebens (äthHen 24-25; TestLev 18,10-14; TestJak 7,23-28; ApkElia 38,14-39; ApkMose; slawHen 8-9; 4Esr 8,52; 1QH 16,4-7, PsSal 14,3-4) oder auch das wieder erscheinende urzeitliche Manna (syrBar 29,8; Visio Beati Esdrae 59 Manuskripte L und H; ApkZosimus 13,2). Es sind besonders diese Speisen, die eine gedankliche Brücke von der idealisierten Vergangenheit in die als bedrückend empfundene Gegenwart der Autoren und in die Zukunft hinein schlagen.

Vorstellungen vom → Messias sind in diesen Texten nur selten vorhanden, und wenn es der Fall ist, hat der Messias eine eher vorbereitende (ApkElia 39; Sefer Elijahu, TestLevi 18,1-14; 4Q 521 Frg. 2 ii; 1QSa 2,11-22) oder passive / beobachtende Rolle (2Bar 29,3-4; 4Q 504 Frg. 2 iv,5-14). Nie ist er Gastgeber, selten mitspeisender Mahl-Teilnehmer (äthHen 62,1-16; hebrHen 70). Viel wichtiger ist es, die Charaktereigenschaften deren zu betonen, die am Mahl teilnehmen: die Gerechten und Glaubenstreuen, die sich von den politischen und religiösen Umständen nicht haben verleiten lassen, vom Gott Israels abzufallen (4Esr 7-9; äthHen 62; ApkAbr 21; 4QPsf 9), und ethisch handeln (slawHen 9,42; TestJak 7; Visio Beati Esdrae). Außerdem können am Mahl in der kommenden Welt auch Gäste aus der Vergangenheit teilnehmen, so zum Beispiel Adam und die Vorfahren (slawHen 42; äthHen 6), die Väter des Exodus (ApkZosimus 13) oder Abraham, Isaak und Jakob (TestLevi 18; TestJak 7).

Interessant ist, dass das Motiv des Mahles in der kommenden Welt, so wie es von frühjüdischen apokalyptischen Autoren dargestellt wird, von einer gewissen nach-endzeitlichen Körperlichkeit und Sinnlichkeit ausgeht. So spricht äthHen 25,6 davon, dass die Gerechten den Wohlgeruch des heiligen Ortes in ihren Gebeinen spüren werden, syrBar 29,7-8 betont das Riechen der Düfte, das Fühlen des Taus und das genussvolle Verzehren des Manna in der kommenden Welt. Die Gerechten, die diesen Zustand erreichen werden, freuen sich außerdem an der Fülle der vorhandenen Speisen, ein Motiv, das sicherlich bewusst oder unbewusst auf erlebten und gefürchteten Mangel der Zeitgenossen eingeht (syrBar 29,5-8; 4Esr 6,50; siehe auch schon Jes 25,6 und Am 9,13-15). Das Ziel dieser Idee vom genussfähigen Körper in der kommenden Welt ist es wohl auch, die Glaubensidentität derer zu stärken, die diese Texte rezipierten. Wenn davon gesprochen wird, dass das süße Manna der Vergangenheit in der Zukunft wieder erscheint, wird damit eine Brücke geschlagen, die die Zeitgenossen der betreffenden Texte miteinschließt, erinnern sie sich doch körperlich an die von Gott gelenkte Vergangenheit und Zukunft und schöpfen sie daraus Hoffnung für ihre eigene Gegenwart, in der diese Glaubensidentität angefragt war.

Die rabbinische Literatur greift die Vorstellung vom Mahl in der kommenden Welt auf und baut sie farbenprächtig aus. Ein Beispiel hierfür sind die Otiot des → Rabbi Akiba, wo der rituelle Ort des Mahles in der kommenden Welt mit viel Liebe zum Detail beschrieben wird (weitere Beispiele in Akdamut Millin und Baba Bathra 75a). Auch hier geht man von einer Körperlichkeit und Sinnlichkeit der Gerechten, die am Mahl teilnehmen, aus. So ergötzen und erquicken sich die Frommen in der Hymne Akdamut Millin an den vollen Bechern des Traubenmostes (Heidenheim, 82), in der Mekhilta de Rabbi Jischmael wird davon berichtet, dass das Manna der kommenden Welt der Geschmacksvorliebe jedes einzelnen Gerechten in dieser Welt entspricht (Lauterbach, 243-244).

6. Besondere Mahlzeiten im rabbinischen Judentum bis in die Moderne

Die Speisegesetze der Hebräischen Bibel bilden auch hier die Grundlage für die Art und Weise des gemeinschaftlichen Speisens. Jede Mahlzeit, von ihrer Vorbereitung und Herstellung bis zur letzten Segenshandlung nach dem Verzehr, ist durch biblische Gesetze und die spätere rabbinische Interpretation geregelt (vgl. Eckardt).

Viele Traditionen des Mahlhaltens im Judentum sind mit dem rituellen Speisen an Feiertagen verbunden, wie sie in der Hebräischen Bibel dargestellt werden, jedoch von (neuen) lokalen Besonderheiten wie der Verfügbarkeit bestimmter Speisen geprägt. Oft werden Speisen verzehrt, die etwas dem Feiertag Charakteristisches symbolisieren sollen. Zum → Neujahrstag (rosch ha-schanah) werden zum Beispiel Honig, Honigkuchen, in Honig getauchte Küchlein (tejglakh), Möhren-tsimmes und eine süße Frucht verzehrt, um der Hoffnung auf ein süßes Jahr Ausdruck zu geben. Zu → Sukkot trifft man sich zum Mahl in einer speziell dafür errichteten Laubhütte und verzehrt gefüllte Gemüse wie zum Beispiel gefüllte Weinblätter (japrak) oder gefüllten Kohl (holischkes, praches), die den Überfluss der Erntezeit symbolisieren sollen. Im Jemen dagegen verdeutlicht man diese Fülle durch das Schlachten und gemeinsame Verzehren eines Schafes oder eines Stieres. Zu → Chanukka verzehren amerikanische Juden Kartoffelpuffer (latkes), sephardische Juden in Öl gebratene und in Honig getauchte Süßigkeiten, israelische Juden aber gefüllte Pfannkuchen (sufganijjot). Zum → Sabbat, an dem selbst nicht gekocht werden darf, bevorzugen aschkenasische Juden traditionell eine Fischsuppe (gefillte fisch), osteuropäische Juden servieren cholent, marokkanische adafina, irakische chamim, alles Eintöpfe aus Fleisch, Bohnen und Gemüsen. Diese vielfältigen kulinarischen Traditionen allein in die sephardische und aschkenasische Küche zu unterteilen, ist zu kurz gegriffen.

Die verzehrten Speisen können auch an einem bestimmten Festtag an ein historisches Ereignis erinnern, das mit diesem Termin im Festkalender der Hebräischen Bibel verbunden ist. So werden zu → Purim, das auf das → Esterbuch zurückgeht, dreieckige gefüllte Kuchen (hamantaschen) verzehrt, die nach der Tradition die Form von Hamans Hut haben sollen. Während des → Passafestes serviert man Speisen, die mit matsah-Mehl hergestellt sind und den Auszug aus Ägypten symbolisieren, als man sich nicht die Zeit nehmen konnte, das Brot aufgehen zu lassen. Zwischen dem 1. und 9. Av (→ Klagelieder Jeremias) fastet man, mit Ausnahme der Mahlzeiten am Sabbat, traditionell Wein und Fleisch, um an die Trauer über die Zerstörung des Tempels zu erinnern. Am 9. Av selbst wird nur eine milchige Mahlzeit serviert, die aus einem Bagel oder einem in Asche getunktem Ei besteht.

Aufgrund der lokalen Ausprägungen dieser symbolgeladenen Speisen und der Identifikation der Menschen mit ihnen, hat sich in der Moderne der Begriff des „kulinarischen Judentums“ entwickelt. Er bezeichnet die Juden, die sich allein durch das Verzehren der für die jeweiligen Feiertage typischen Speisen als „jüdisch“ identifizieren und sich ihrer religiösen Wurzeln erinnern. Statistisch gesehen leben nur noch 10% der Juden streng koscher. Im liberalen Judentum setzte sich in den letzten Jahrzehnten der sogenannte „koscher-style“ durch, eine modifizierte Version der koscheren Lebensweise.

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Abbildungsverzeichnis

  • Assurbanipal mit Gattin bei einem Bankett, bei dem der abgeschlagene Kopf eines Feindes links in einem Baum hängt (Relief aus dem Palast Assurbanipals in Ninive; 7. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 124920

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