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Heilige des Höchsten

(erstellt: April 2015)

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Der Ausdruck „Heilige des Höchsten“ ist im Alten Testament nur in Dan 7,18.22.25.27 belegt. Die mit ihm Bezeichneten tragen Züge einer himmlischen Größe (vgl. Dan 7,18), der aber in der irdischen Sphäre das Gottesvolk entspricht (Dan 7,22.27). Die „Heiligen des Höchsten“ kämpfen im eschatologischen Geschehen gegen die Herrschaft des Gottlosen. Am Ende des Kampfes steht die ewige Herrschaft der „Heiligen des Höchsten“, das göttliche Reich im Himmel und auf Erden. In der Zeit der → Makkabäer (vgl. Dan 7,21) ist das ganz irdisch und real gemeint: Das Volk der „Heiligen des Höchsten“ wird den gottlosen Frevler → Antiochos IV. (Dan 7,25) seinem Urteil zuführen. Mit dem Ausdruck verbindet sich also die Vorstellung, dass das Israel der Frommen in der Endzeit die Herrschaft Gottes auf Erden repräsentieren wird, eine Vorstellung, die in → Qumran auch unabhängig von dem Ausdruck belegt ist.

Heilig; → Eljon („Höchster“)

1. Die „Heiligen des Höchsten“

Die „Heiligen des Höchsten“ (aramäisch: קַדִּישֵׁי עֶלְיוֹנִין qaddîšê ‘æljônîn) werden im Alten Testament ausschließlich im aramäischen Teil des Buches → Daniel (Dan 7,18.22.25.27; vgl. u. 2) erwähnt. Darüber hinaus ist der Ausdruck nur einmal (dort hebräisch: קדושׁי עליון qədôšê ‘æljôn) in der Damaskusschrift (CD XX,8; s.u. 3.1.) erwähnt, von der auch Fragmente in Qumran gefunden wurden. Die Idee einer kollektiven eschatologischen Erwartung eines ewigen Reiches des Gottesvolks tritt hingegen auch in anderen Texten vom Toten Meer in Erscheinung, die sich z.T. genau auf Dan 7 beziehen (s.u. 3.2-3.). Die Deutung der Formulierung hat schließlich Auswirkungen bis hin zur Auslegung des Neuen Testaments (s.u. 4.).

Die traditionelle Übersetzung des Aramäischen mit „Heilige des Höchsten“ ist nicht ohne Probleme. Wörtlich müsste קַדִּישֵׁי עֶלְיוֹנִין qaddîšê ‘æljônîn „Heilige der Höchsten“ übersetzt werden. Partitiv aufgefasst, wären damit „die Heiligen unter den Höchsten“ gemeint, epexegetisch (d.h. näher erläuternd) „die höchsten Heiligen“. Die Bedeutung „Heilige des Höchsten“ hingegen kann man lediglich durch die Annahme einer Attraktion der Pluralendung oder eines Hebraismus (vgl. die hebräische Pluralform אֱלֹהִים ’älohîm für „Gott“) erklären.

2. Daniel 7

2.1. Überblick über das Kapitel Dan 7

Den Großteil des Kapitels macht eine → Vision in drei Szenen in Dan 7,2-14 aus, eingeleitet durch Dan 7,1, auf die Daniel in Dan 7,15-16a mit Erschrecken reagiert. Die Vision wird in den Versen Dan 7,17-18 und Dan 7,19-27 (eingeleitet durch Dan 7,16b, abgeschlossen durch Dan 7,28) in zwei Durchgängen ausgelegt.

Die wiederkehrende Formel von einer nächtlichen Schau ( Dan 7,2.7.9) gliedert die Vision in drei Szenen: Zunächst werden drei Tiere mit ihren Eigenschaften vorgestellt: ein Löwe mit Adlerflügeln, ein bärengleiches Wesen, ein vierköpfiger geflügelter Leopard (Dan 7,2-6). Die zweite Szene schildert ein viertes Tier mit zehn Hörnern, menschlichen Augen und Mund (Dan 7,7f.), verbunden mit einer himmlischen Gerichtsszene (Dan 7,9-12): Aufstellung von Thronen, ein weiß Gewandeter, offenbar der „Uralte“ (Dan 7,13), auf Feuerwagen, vor ihm Zehntausende, die ihm dienen. Das vierte und die drei ersten Tiere verlieren ihre Macht. Die Verse Dan 7,13f., die vom Herabkommen dessen, der „wie ein Mensch“ ist, berichten, bilden die dritte Szene (vgl. Kratz, anders etwa Noth). Er kommt mit „Wolken des Himmels“ und erhält die ewige Herrschaft über die Welt.

In Dan 7,16b.17f. folgt eine erste Deutung der Vision (offenbar durch einen Deuteengel) an Daniel (genauer: der ersten beiden Szenen: Dan 7,17: vier Tiere: Babylonier, Meder, Perser, Makedonier; vgl. Dan 7,2-6.7-12; Dan 7,18: ewige Herrschaft, vgl. Dan 7,13f.). Daniel bittet jenen daraufhin zusätzlich um eine Deutung des elften Horns des vierten Tieres (Dan 7,19-22; vgl. besonders Dan 7,7-12; → Horn).

Der Engel antwortet Daniel in Dan 7,23-27 mit einer zweiten Deutung der Vision, nun der vom vierten Tier sowie der Hörner und des Gerichts (Dan 7,23: viertes Tier, vgl. Dan 7,7; Dan 7,24f.: Hörner, vgl. Dan 7,8; Dan 7,27f.: Gericht und Herrschaft der „Heiligen des Höchsten“, vgl. Dan 7,9-12.13f.). Die Figur, die in der Vision der „wie ein Mensch“ ist, wird also auf die „Heiligen des Höchsten“ gedeutet.

Der Abschnitt weist einige Spannungen auf, die sich kaum anders als literarkritisch auflösen lassen. Dabei sind offenbar die „Hörner“ des vierten Tieres – darunter vor allem deren elftes – nachgetragen ( Dan 7,20-22.24f., dazu gehörten Dan 7,7bβ-8.11a; Hölscher; vgl. Kratz. Gemeint sind wohl die Makedonier / Seleukidenherrscher von Alexander bis Heliodor und Demetrios I.). Die Hörner fügen der Vier-Tiere-Vision einen konkurrierenden zweiten Höhepunkt hinzu.

Darüber hinaus mag man fragen, ob schon die zweite Deutung, Dan 7,19.23.26f., bereits einen Nachtrag zur ersten in den Versen Dan 7,17f. darstellt (Wiederaufnahme von Dan 7,18 in Dan 7,27!). Dann wäre nur die erste Deutung der Vision in Dan 7,17f. ursprünglich (dazu Dan 7,2-7bα.9f.11b-16) und um die zweite (Dan 7,19.23.26f.) ergänzt sowie schließlich um die Verse (Dan 7,7bβ-8.11a) Dan 7,20-22.24f. erweitert worden. Für die Frage nach den „Heiligen des Höchsten“ wäre damit freilich nicht allzu viel gewonnen. (Vgl. auch Kaiser, der Dan 7,8.11a.19-27 in toto für einen Nachtrag hält.)

2.2. Die Rolle der „Heiligen des Höchsten“ in Dan 7

2.2.1. Laut der ersten Deutung der Vision in Dan 7,17f. werden die „Heiligen des Höchsten“ das eschatologische Königreich (aramäisch: maləkhûtā’) empfangen und auf ewig besitzen; ähnlich lautet der Abschluss der zweiten Deutung: „Und das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird [nun auffälligerweise:] dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen.“ Das vierte Tier, d.h. das vierte Königreich, wird dagegen die ganze Erde vernichten und über sie herrschen, bis es im Gericht vernichtet wird und die Heiligen des Höchsten die Herrschaft übernehmen.

2.2.2. Die Ergänzungen zeichnen ein etwas abweichendes Bild. Dan 7,20-22 bringen (neben den Hörnern des vierten Tiers; vgl. auch Dan 7,24) vor allem den Gedanken an einen Kampf zwischen dem elften „Horn“ gegen die „Heiligen“ ins Spiel. Letztere werden sogar besiegt – bis der „Uralte“ (wörtlich: der „Alte an Tagen“) kommt und den Heiligen die Ausführung des Gerichts überlassen wird (mitunter textlich geändert; vgl. Kratz 24 Anm. 50 und die Schlüsse von Roose, doch vgl. schon → Septuaginta), bis sie auch das Reich empfangen. Vom elften „Horn“ wird zusätzlich berichtet, dass es den Höchsten lästert und „Festzeiten und Gesetz“ (aramäisch: zimnîn wədāt) ändert. Seine Herrschaft währt „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ (aramäisch: ‘iddanîn; Dan 7,25). Im anschließenden Gericht verliert es jedoch seine Macht und wird seinerseits vernichtet (Dan 7,26).

2.3. Die Identität der „Heiligen des Höchsten in Dan 7

Es ist unbestritten, dass vor allem die Ergänzungen der Verse Dan 7,20-22.24f. recht unverhohlen auf die Herrschaft des Seleukidenkönigs → Antiochos IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.; → Seleukiden) anspielen, von dessen religionspolitischen Maßnahmen auch der jüdische Schriftsteller Josephus weiß (Antiquitates Judaicae XII, 237-388; Bellum Judaicum I, 31-46. Über die Geschehnisse berichten außerdem die → Makkabäerbücher, vgl. bes. 1Makk 1; 2Makk 6): Die Einführung eines neuen Festkalenders sowie die Außerkraftsetzung einschlägiger Vorschriften des jüdischen „Gesetzes“ (hebräisch: tôrāh, aramäisch: dāt) machen einen regulären Kultbetrieb unmöglich und werden entsprechend als „Frevel“ gebrandmarkt.

Dieser Eingriff des Seleukiden in die religiöse Ordnung führte denn auch bald zum Aufstand der Makkabäer (167-164 v. Chr.), die für die Durchsetzung der biblischen Vorschriften kämpften – mit dem Ergebnis, dass der Tempel 164 v. Chr. unter legendarischen Umständen wieder geweiht werden konnte (Ursprung des jüdischen Lichterfestes, → Chanukkafest).

Lange Zeit (seit Hitzig) bestand folgerichtig ein Konsens der Forschung darüber, dass es sich bei den „Heiligen“ ( Dan 7,21) und, davon ausgehend, auch in den Versen Dan 7,18.[22.25.] 27 um das (irdische) Volk Israel oder doch wenigstens um eine Gruppe innerhalb Israels handele: die „jüdischen Frommen heißen 7,18.27 die Heiligen des Höchsten“ (Hölscher, Lebram u.v.a., dezidiert Brekelmans, Hanhart; für Dan 7,21 auch Noth; ähnlich Kaiser von Dan 11f. her; anders Roose). Dieser Konsens wurde für die letzteren Verse prominent von Martin Noth in Frage gestellt, der anhand der biblischen Parallelen nachzuweisen suchte, dass hier himmlische Wesen gemeint seien und nur in Dan 7,21 das (irdische) Gottesvolk. (Der Ausdruck „Volk der Heiligen des Höchsten“ in Dan 7,27 wird von Noth etwas fragwürdig mit „Schar …“ übersetzt).

Geht man jedoch, wie es der Text nahelegt, von der Vision aus, so deuten die Aussagen über die „Heiligen des Höchsten“ ( Dan 7,18.27), wie gesehen, zunächst die Verse Dan 7,13f. aus:

13Ich schaute in Nachtgesichten, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie ein Mensch [vgl. Segal, andere: Menschensohn]. Und er kam zu dem Uralten, und man brachte ihn vor ihn. 14Und ihm wurden Herrschaft, Ehre und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum, dass es nicht zerstört wird.

Es handelt sich offensichtlich um eine Szene mit himmlischen Beteiligten. Dabei entsprechen der Gestalt dessen, der „ wie ein Mensch“ ist (nicht: „ein Mensch“!), in der Deutung die „Heiligen des Höchsten“ (Dan 7,18.27). Diese Verse kombinieren wörtlich verschiedene Aussagen über Gott aus den Doxologien der Erzählungen in Dan 2-6 (Dan 3,31-33; Dan 4,31; Dan 6,26f.). Die einfache Alternative „himmlisch“ – „irdisch“ trifft die Aussage demnach nicht genau (Koch 1980), vielmehr handelt es sich um Entsprechungen von himmlischen und irdischen Heerscharen Gottes. Beide kämpfen gegen den gottlosen Herrscher, beide erhalten das ewige Gottesreich, das himmlisch ist und doch eine irdische Gestalt hat.

Bestimmt man, wie Otto Kaiser, Dan 7,19-28 insgesamt als Nachtrag, so kann der verbleibende Text auch dahingehend gedeutet werden, dass die Heiligen des Höchsten ausschließlich Engelwesen seien, an deren Spitze als Anführer in menschen (sohn) ähnlicher Gestalt der Erzengel → Michael (Dan 10,13.21; Dan 12,1) stehe (Kaiser; Koch 1995; Collins).

Das heißt aber auch, dass mit dem, der wie ein Mensch ist, kaum eine messianische Einzelgestalt gemeint sein dürfte; überhaupt ist dem Text ein im engeren Sinne individual-„messianischer“ (von hebräisch: māšîaḥ „gesalbt“) Gedanke fremd (vgl. auch Steudel). Das eschatologische Geschehen läuft nicht auf eine (priesterliche, königliche oder prophetische) gesalbte (irdische) Einzelgestalt zu, die dann die Heilswende bringen wird (etwa, indem sie die bösen Mächte besiegt o.ä.). Segal deutet den Text so, dass Gott selbst als „der, der wie ein Mensch ist“ den Mittelpunkt der (himmlischen) Vision bildet. Das „Volk der Heiligen des Höchsten“ wäre dann Gottes Repräsentant auf Erden.

3. Frühe jüdische Ausformungen des Themas: Die Handschriften von Qumran

Außer den biblisch-aramäischen Belegen von Dan 7 ist die Formulierung „Heilige des Höchsten“ nur noch einmal belegt, und zwar in hebräischer Sprache in den Handschriften aus → Qumran am Toten Meer, genauer in der sog. Damaskusschrift (abgekürzt CD). Ähnliche Vorstellungen von der endzeitlichen Repräsentation der Herrschaft Gottes auf Erden durch die Frommen finden sich noch in anderen Schriften der Qumrangemeinschaft.

3.1. Die Damaskusschrift (CD XX,8 u.a.)

Die berühmte Erwähnung findet sich auf Seite XX der „Damaskusschrift“, die allerdings nur in einer der mittelalterlichen Handschriften überliefert ist (sog. Handschrift B, ca. 12. Jh.). Zwar haben sich – anders als bei Handschrift A (ca. 10. Jh.) – in Qumran keine direkten Vorgänger dieser Fassung gefunden, doch ist davon auszugehen, dass es sich dabei (wie bei Handschrift A) um die getreue Überlieferung eines antiken Texts handelt. In der betreffenden Passage heißt es von allen, „die in die Gemeinde der Männer der vollkommenen Heiligkeit [d.h. der Qumrangemeinschaft] eintreten“:

2… Scheut er zurück, die Vorschriften der Aufrichtigen auszuführen, 3so ist er der Mann, der „mitten im Ofen“ geschmolzen wird (Ez 22,21). … 6Und wenn seine Taten offenbar werden entsprechend der Ausforschung der Tora, nach welcher 7die Männer vollkommener Heiligkeit wandeln, so darf niemand mit ihm Umgang pflegen im Besitz und in der Arbeit, 8denn alle Heiligen des Höchsten haben ihn verflucht. … (Übersetzung nach Lohse)

Das kann nur bedeuten, dass die Mitglieder der Gemeinschaft sich – darin ganz analog zu Dan 7 –, als irdische Repräsentanten Gottes verstehen. Die Abtrünnigen stehen unter Gottes Fluch (so in der in Höhle 4 von Qumran, aber nicht in der mittelalterlichen Handschrift erhaltenen Passage 4QD a = 4Q266 f11,13); dementsprechend tun das auch die „Bewohner der Lager“ Israels (4Q266 f11,17). Ganz analog handeln, ausführlich beschrieben, die Priester nach Kol. I-III der Gemeinschaftsregel (Lohse: Gemeinderegel) 1QS (vgl. II,5.7.11.17).

3.2. Die Kriegsregel (1QM)

Auch die „Kriegsregel“ (1QMilchāmāh) aus Qumran bezeugt eine kollektiv-eschatologische Erwartung, in diesem Fall einer Herrschaft des Gottesvolks (1QM I,5; 1QM X,8-12; 1QM XI,6f.; 1QM XII,15f.; vielleicht auch 4QM a = 4Q491 f11i). Dabei ist eine große Nähe von 1QM I zum Danielbuch (Dan 7; Dan 11) einerseits, zu 4Q246 andererseits zu beobachten (die Phrase „Volk Gottes“ [‘am ’el] kommt nur in 1QM I,5; 1QM III,13 und in 4Q246 ii,4 vor). Beispielhaft sei 1QM I,5 wiedergegeben:

5[… Das] ist die Zeit des Heils für das Volk Gottes und die Zeit der Herrschaft für alle Männer seines Loses, aber ewige Vernichtung für das ganze Los Belials.“

3.3. Der sogenannte „Gottessohn-Text“ (4Q246)

Die Vorstellung, dass in der Endzeit das Israel der Frommen die Herrschaft Gottes auf Erden repräsentieren wird, steht sehr wahrscheinlich auch hinter dem sogenannten „Gottessohn-Text“ oder der „aramäischen Apokalypse Daniels“, einem Text, der Daniel 7 voraussetzt und im Zusammenhang mit Dtn 32,8f. und Ps 82 (Segal) interpretiert. In dem nur fragmentarisch erhaltenen Text (insb. Kol. i) heißt es vom „Volk Gottes“ (‘am ’el; vgl. ii,4):

ii,5„Dessen Reich wird ein ewiges Reich sein“ (= Dan 3,33; vgl. Dan 7,14.18.27), und all seine Wege werden Wahrheit sein. Es (d.h. das Volk) wird ri[chten] 6die Erde in Wahrheit … 7Und alle Provinzen werden ihm huldigen. Der große Gott wird selbst seine Stärke sein, 8und er wird für es Krieg führen. Völker wird er in seine Hand geben und sie alle 9wird er vor ihm niederwerfen. „Seine (d.h. des Volkes) Herrschaft wird eine ewige Herrschaft sein.“ (= Dan 7,14) … (Übersetzung: Steudel 2001)

Annette Steudel (1996) hat überzeugend den Aufbau dieser Schrift aufgewiesen. Seine erste Hälfte (i,4-ii,3) bezieht sich nicht auf einen königlichen Messias, sondern auf Antiochos IV., den man nach ii,1 „Sohn Gottes“ ( bəreh dî ’el) bzw. „Sohn des Höchsten“ (bar ‘æljôn) nennen wird, vgl. Dan 11,36f. u.ö. Die Selbstbezeichnung der hellenistischen Herrscher als „Gottessohn“ ist gut bezeugt (vgl. dazu auch den in ähnliche Richtung weisenden Beinamen des Antiochos, nämlich Epiphanes, d.h. „der erschienene [Gott]“), für eine jüdisch-messianische Gestalt ist er hingegen vorchristlich nirgends belegt. Dieser negativen Figur steht in 4Q246 ii,4ff. positiv das Gottesvolk gegenüber (anders Zimmermann). Zwar wird man mit dem Begriff eines „collective messianism“ (Stegemann; Fabry: „geradezu messianische Qualitäten“) zurückhaltend sein, trotzdem spiegelt der Text in Auslegung von Dan 7 eine kollektive Heilserwartung wider (vgl. Steudel 1996).

4. Rezeption

Dan 7 wurde christlicherseits zumeist dahingehend ausgelegt, dass dem (natürlich messianisch aufgefassten) „Menschensohn“ (d.h. Christus) das erwählte Gottesvolk (d.h. die Kirche) zugeordnet wurde ( Röm 1,7 u.ö.; vgl. die „Gemeinschaft der Heiligen“, sanctorum communio, im apostolischen Glaubensbekenntnis). Vom alttestamentlichen Befund her legt sich diese Deutung höchstens indirekt nahe; zu bedenken ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch das Verhältnis zu anderen Aussagen über den „Menschensohn“, nicht zuletzt in den Bilderreden des 1. Henochbuchs (s. dazu VanderKam; → Henoch). Wenn schließlich Lk 1,32-35 sehr ähnliche Aussagen über Jesus macht wie 4Q246 über das Volk Israel (u.a. „Sohn des Höchsten“ und „Sohn Gottes“), so ist dabei nicht von literarischer Abhängigkeit, sondern von voneinander unabhängigen Bezügen auf Charakteristika des hellenistischen Herrscherkults auszugehen.

Literaturverzeichnis

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