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(erstellt: Mai 2012)

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Amme; → Geburt; → Schwangerschaft

1. Terminologie

Hergeleitet vom Verb ילד jld „gebären“ gilt das feminine Partizip im Piel מְיַלֶּדֶת məjallædæt (nur Gen 35,17; Gen 38,28; Ex 1,15.17-21) als Bezeichnung für die Hebamme (vgl. muwallittu aus den Texten von Ebla; akkadisch šabsūtu wird vom sumerischen Wort für „das Innere [des Körper] kennen“ hergeleitet [Stol, 171]).

Das Hapaxlegomenon לְמִשְׁעִי ləmiš‘î in Ez 16,4 deutet Görg (13-16) als ägyptisches Fremdwort für Hebamme (s.a. Gies, 336). In Ez 16,4 bezeichnete es dann mit präfigiertem ל l das Subjekt der Tätigkeiten im Kontext einer Geburt.

Hebammen sind Frauen, „die in Sachen Geburtshilfe besonders bewandert waren bzw. als besonders bewandert galten“ (Finsterbusch). Ob es für diese Tätigkeit eine Ausbildung gab bzw. die hebräische Bezeichnung auf einen eigenständigen Beruf schließen lässt, kann anhand der biblischen Schriften nicht eindeutig festgestellt werden. Immerhin lässt der Erzählduktus von Ex 1 erkennen, dass die Geburtshilfe nicht allein situativ in den Händen etwa von nahestehenden Frauen lag, sondern als Aufgabenfeld bestimmter, oft auch religiös besonders qualifizierter Frauen galt und diese auch von ihrem Umfeld als Hebammen wahrgenommen wurden. Dieser Befund steht in Übereinstimmung mit den Belegen aus der altorientalischen Umwelt, in der eigene Begriffe für die Hebammentätigkeit und das zugeschriebene Handlungsfeld auf eine Berufsgruppe hinweisen.

Aus frühhellenistischer Zeit ist ein Hebammenlehrbuch des bedeutenden Anatomen Herophilos von Chalkedon bekannt (Buess, Herophilos, 237). Ob es solche aus dem ptolemäischen Alexandrien bekannten Professionalisierungstendenzen auch in der jüdischen Gemeinschaft dieser Zeit gab, ist nicht zu belegen. Vergleichbar fragmentarisch ist die Quellenlage zur Geburt insgesamt (s. Schroer / Zimmermann, 187).

2. Tätigkeitsfelder der Hebamme

Der Beistand bei der Geburt und im Wochenbett umfasst eine Reihe von Tätigkeiten, die in antiken Kulturen nicht unbedingt ausschließlich von einer Hebamme vollzogen wurden, aber dennoch in deren Aufgabenbereich fallen können. Frauen waren bei der Geburt und rund um die Geburt im Regelfall nicht alleine (vgl. 1Sam 4,20; Rut 4,16f), die anfallenden Tätigkeiten werden wohl nur teilweise von professionellen Hebammen durchgeführt worden sein. Allerdings lassen die biblischen Texte nur vage Einblicke in die sozialen Praktiken rund um die Geburt zu. „Zur konkreten Hebammentätigkeit ist auch an den anderen Stellen in der Hebräischen Bibel, wo nicht von Gott, sondern von Frauen als Hebammen die Rede ist, nicht allzu viel zu erfahren“ (Grohmann 2006, 80).

Hebamme 1

Auf bildlichen Darstellungen lässt sich eine Geburtshaltung erkennen, in der die Gebärende von einer Frau im Rücken gestützt wird und eine andere Frau vor ihr hockt oder kniet, wohl um das Kind in Empfang zu nehmen. Diese Tätigkeit, die im Deutschen für den Berufsstand namensgebend ist (heben, ahd. hevan) und die im römischen Recht auf den Befehl des Vaters hin geschieht (iubere tolli), der damit das Kind anerkennt (Köves-Zulauf, Geburtsriten, 1-92), ist auch aus ägyptischen Quellen belegt. Dort ist auch von der Unterstützung der Geburt sowohl durch äußeren Druck als auch durch magische Praktiken die Rede (Brunner-Traut, Art. Hebamme, 1075).

Aus Ez 16,4 lässt sich ex negativo schließen, was unmittelbar nach einer Geburt zu tun ist, was also zur Aufgabe der Hebamme gehören kann: das Abschneiden der Nabelschnur, das Abwaschen mit Wasser, das Einreiben mit Salz und das Wickeln in Windeln.

Die Standardisierung dieser Handlungen kann als Hinweis auf ihre Ritualisierung gesehen werden (Gies, 253). Alle diese Handlungen sind auch aus anderen altorientalischen Quellen bekannt, wo sie teilweise von Geburtsgöttinnen oder göttlichen Hebammen vollzogen werden (Gies, 324-328; Greenberg, 331). Diese Handlungen sichern nicht nur physisch, sondern auch sozial und rechtlich das Überleben des Säuglings, ihre Unterlassung steht für das Nichtanerkennen der Neugeborenen durch ihre Eltern (Tuor-Kurth, 107). Im nachbiblischen Judentum werden sie als so notwendig angesehen, dass sie im Babylonischen Talmud auch am Schabbat ausgeübt werden dürfen (Traktat Schabbat 129b unter wörtlicher Zitation von Ez 16,4; Text Talmud). Dasselbe gilt für das Herbeiholen einer Hebamme aus einem anderen Ort (Traktat Schabbat 128b).

Nimmt man babylonische Quellen hinzu, die vor allem Gottheiten als Hebammen darstellen, dann kommen folgende Handlungen hinzu: die Gebärende auf den Geburtsziegeln positionieren, die Fruchtblase anstechen und die Placenta versorgen. Sowohl in ägyptischen als auch in mesopotamischen Quellen werden Hebammen neben den versorgenden und medizinischen Tätigkeiten auch magisch-religiöse Handlungen zugeschrieben (Gies, Geburt, 336).

3. Hebammen agieren in individuellen Geburtssituationen

Dass Hebammen auch bei schwierigen Geburten Beistand leisten, wird an jenen Erzählungen deutlich, in denen der bedrohliche Aspekt von Geburt zum Thema gemacht wird. Gen 35,17 erzählt davon, dass die Hebamme der → Rahel während der schweren Geburt Benjamins, an der diese auch sterben wird, zuspricht: „Fürchte dich nicht, denn auch dieser ist ein Sohn für dich.“ Eine vergleichbare Formulierung wählen die Frauen, die bei der ebenfalls für die Mutter tödlichen Geburt des → Ikabod der Schwiegertochter des → Eli beistehen: „Fürchte dich nicht, denn du hast einen Sohn geboren“ (1Sam 4,20). Die Formel „Fürchte dich nicht“ + begründendes כִּי rückt die sprechenden Frauen in die Nähe der Prophetie, wo diese Formel besonders in Jes 40-55 häufig gebraucht wird. Diese Trostformel weist auf bevollmächtigtes Sprechen hin (eine Verbindung zum priesterlichen Heilsorakel zieht Strack, 46-48).

In Gen 38,28 kommt es der Hebamme zu, den (vermeintlich) erstgeborenen Zwilling zu markieren. Sie tut dies, indem sie einen roten Faden um sein Handgelenk bindet. Aus der einmaligen Erzählung eines solch ungewöhnlichen Vorgangs (Hand führt bei der Geburt, Rückzug in den Geburtskanal und Wechsel der Zwillingsposition in diesem Stadium der Geburt) eine gängige soziale Praxis abzuleiten (Schroer / Zimmermann, Art 187), halte ich aber für zu weitgehend.

4. Hebammen als Lebensretterinnen in Ex 1

Ex 1 nennt zwei Hebammen mit Namen: Schifra und Pua. Die Bedeutung des Namens Schifra bringt Stamm (327) mit „Schönheit“ zusammen, Pua leitet er vom Ugaritischen pgt her, was „Mädchen“ bedeutet (andere Möglichkeit: „Glanz“. Siebert-Hommes, 280). Pharao, der im Gegensatz zu den Hebammen namenlos bleibt, geht auf die beiden Hebammen zu, um sie dazu zu bringen, die männlichen Säuglinge ohne Wissen ihrer Mütter zu töten. Er erwartet sich von dieser Maßnahme eine Reduktion des Volks Israel, das ihm zahlenmäßig überhand zu nehmen scheint. Die Hebammen verweigern sich diesem Befehl. Als Pharao sie abermals zu sich ruft und wegen der männlichen Säuglinge zur Rede stellt, leugnen die beiden ihre Beteiligung, indem sie die hebräischen Frauen so darstellen, als ob diese die Unterstützung der Hebamme nicht bräuchten. Als Begründung für den Widerstand der Hebammen nennt die Erzählung ihre Gottesfurcht (Ex 1,17).

Ob es sich um hebräische Hebammen oder um Hebammen der Hebräer(innen) handelt, ist in den textlichen Traditionen uneindeutig. Der masoretische Text spricht von „hebräischen Hebammen“ הַמְיַלְּדֹת הָעִבְרִיֹּת hamməjallədot hā‘ivrijjot und ordnet sie also eher auch ihrer Herkunft nach den Hebräerinnen zu, was durch die Namen gestützt wird. Das wirft einerseits die Frage nach deren potentieller Loyalität zum Pharao auf und macht andererseits ihre eigene Aussage – nämlich dass die hebräischen Frauen solcher Unterstützung nicht bedürften – fragwürdig. Die Septuaginta liest ταῖς μαίαις τῶν Εβραίων tais maiais tōn Hebraiōn „die Hebammen der Hebräer“ und lässt darin offen, ob es sich um israelitische oder ägyptische Frauen handelt. In der zweiten Lesart könnten diese Frauen mit den beiden Göttinnen Isis und Nephtys, die ebenfalls als Hebammen fungierten, in Verbindung gebracht werden (Siebert-Hommes, 281).

Klar wird aus dieser Erzählung, dass von der Anwesenheit der Hebammen bei der Geburt auszugehen ist, dass diese professionell agieren und auch von außen so wahrgenommen werden und dass den Hebammen zugetraut wird, die Situation unmittelbar nach der Geburt des Kindes unbemerkt zu manipulieren.

5. Gott als Hebamme in Ps 22 und Ps 71

Gottes Mitwirken an Schwangerschaft und Geburt wird in den biblischen Texten auf vielfältige Weise thematisiert. Gott ist es, der letztlich über Schwangerschaft und Geburt verfügt (Gen 30,2). Die Beziehung Gottes zu den einzelnen Menschen ist schon vorgeburtlich fundiert (Ps 139,13ff). Gott ist es, der den Geburtsvorgang leitet, der den Schoß der Frauen öffnet und schließt (Jes 66,9). Gottes Handeln kann im Bild der Hebamme gezeichnet werden, die das betende Ich aus dem Bauch der Mutter gezogen und es an der Brust der Mutter geborgen hat (Ps 22,10f) und die die Nabelschnur durchtrennt (Ps 71,6). Die hier dargestellte Beziehung zwischen Mutter, Säugling und Hebamme stellt ein Dreieck dar, in dem sich der betende Mensch rückblickend und nachhaltig (Ps 22,11) geborgen weiß und das so zum Bild für die vertrauensvolle Gottesbeziehung wird. Die Bildhaftigkeit löst aber das Wissen um JHWHs Mitwirkung an Schwangerschaft und Geburt, wie sie etwa in Jes 66,9 dargestellt wird, nicht auf.

Das Motiv der Gottheit als Hebamme ist in der altorientalischen Welt weit verbreitet. Sowohl weibliche als auch männliche Gottheiten werden mit dem Beistand bei der Geburt verbunden. Anders als in den biblischen Psalmen werden sie auch mit dem Begriff für Hebammentätigkeiten zusammen gebracht (Grohmann 2006, 82-84).

Literaturverzeichnis

  • Bodendorfer, G., 1997, Das Drama des Bundes. Ezechiel 16 in rabbinischer Perspektive (Herders biblische Studien 11), Freiburg (Breisgau)
  • Brunner-Traut, E., 1977, Art. Hebamme, in: Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden, 1074-1075
  • Buess, H., 1968, Hierophilos und die Geburtshilfe in alexandrinischer Zeit, Gynäkologisch Rundschau 5, 236-240
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  • Gies, K., 2009, Geburt – ein Übergang. Rituelle Vollzüge, Rollenträger und Geschlechterverhältnisse; eine alttestamentliche Textstudie (ATSAT 88), St. Ottilien
  • Görg, M., 1991, Ein verkanntes Wort für die „Hebamme“ in Ez 16,4, BN 58, 13-16
  • Greenberg, M., 2001, Ezechiel 1-20 (HThKAT), Freiburg (Breisgau)
  • Grohmann, M., 2006, „Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen“. Geburt in Psalm 22, in: D. Dieckmann / D. Erbele-Küster (Hgg.), Du hast mich aus meiner Mutter Leib gezogen. Beiträge zur Geburt im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn, 73-97
  • Grohmann, M., 2007, Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen (FAT 53), Tübingen
  • Köves-Zulauf, Th., 1990, Römische Geburtsriten (Zetemata 87), München
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  • Siebert-Hommes, J., 2010, Die Retterinnen des Retters Israels. Zwölf „Töchter“ in Ex 1 und 2, in: I. Fischer / M. Navarro Puerto / A. Taschl-Erber (Hgg.), Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie, Bd. 1 Hebräische Bibel – Altes Testament. Tora, Stuttgart, 276-291
  • Stamm, J.J.,1967, Hebräische Frauennamen, in: B. Hartmann (Hg.), Hebräische Wortforschung (FS W. Baumgartner; VT.S 16), Leiden, 301-339
  • Strack, H., 2006, Die Frau ist Mit-Schöpferin. Eine Theologie der Geburt, Rüsselsheim
  • Stol, M. / Wiggermann, F.A.M., 2000, Birth in Babylonia and the Bible. Its Mediterranean Setting (Cuneiform Monographs 14), Groningen
  • Tuor-Kurth, Ch., 2010, Kindesaussetzung und Moral in der Antike. Jüdische und christliche Kritik am Nichtaufziehen und Töten neugeborener Kinder (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 101), Göttingen

Abbildungsverzeichnis

  • Gebärende, die von einer Frau im Rücken gestützt wird (Terrakotte aus Zypern; 6.-5. Jh. v. Chr.). Aus: S. Schroer / R. Zimmermann, Art. Geburt, in: F. Crüsemann u.a. (Hgg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 187; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz

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