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Hausgemeinde

(erstellt: September 2013)

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1. Ausgangspunkt

Wichtigster Versammlungsort für die → Gemeinde im frühen → Christentum ist das → Haus. Es stellt die soziale, wirtschaftliche und religiöse Basis in den Gesellschaften der → Antike dar. Im → Judentum genoss ein Privathaus hohes Ansehen, wenn es als Versammlungshaus, Haussynagoge (→ Synagoge) oder Lehrhaus diente (Mischna Avot 1,4). Bisweilen wurde „Haus von N.N.“ im übertragenen Sinn für eine Schule oder Lehrtradition gebraucht (z.B. Haus des Hillel, Haus des Schammai).

2. Jesus von Nazareth

Jesus von Nazareth lehrt nach dem Zeugnis der → Evangelien ebenfalls im Haus (Mk 1,29-31; Mk 2,1-13a; Mk 3,20-35; Mk 5,38-6,1a; Mk 7,17-24a; u.a.). Damit ist eine heilvolle Gegenwart Gottes verbunden (z.B. Mk 2,5.11; Mk 5,41f.; Lk 5,31f; Lk 7,49f.; Lk 10,39-42; Lk 19,9f.; Joh 4,53). Um Jesu willen kann eine Trennung vom angestammten Haus notwendig sein, die allerdings reichlich vergolten wird (Mk 10,29f).

In der Aussendungsrede werden Häuser als Ziel frühchristlicher → Mission genannt (Mk 6,10f; Lk 10,5-7 par. Mt 10,10b.12f.). Die paarweise ausgesandten → Jünger werden dort versorgt (Lk 10,7 par. Mt 10,10b; ferner Mt 5,29; Mt 7,36-50; Mt 10,38; Mt 19,5-10; Mt 22,10-13; Mk 1,31; Mk 3,20; Mk 14,3). Häuser sind zugleich Ziel und Stützpunkt frühchristlicher Mission und Lehre.

3. Paulusbriefe

Auch in den Briefen des → ApostelsPaulus spielen Privathäuser eine wichtige Rolle. Eine explizite „Hausgemeinde“ (ἠ κατ´ οἷκον ἐκκλησία, ē kat´ oíkon ekklēsia) kommt mehrfach vor. So erhält die Gemeinde von → Korinth Grüße vom Ehepaar Aquila und → Priska mitsamt ihrer Hausgemeinde (1Kor 16,19); diese ihrerseits empfangen mit ihrer Hausgemeinde Grüße vom Apostel (Röm 16,3-5). Der → Brief an Philemon, Archippus und (wahrscheinlich) Philemons Frau Apphia ist zugleich an deren Hausgemeinde gerichtet (Phlm 2). Schließlich empfangen Nympha und ihre Hausgemeinde Grüße (Kol 4,15). Auf weitere Hausgemeinden in → Rom lässt Röm 16,14f (→ Römerbrief) schließen. In die einzelnen Hausgemeinden kommen Gemeindeglieder aus allen sozialen Schichten auch von außerhalb der jeweiligen Häuser (Röm 16,10b.11b). Ein Wohnhaus kann dadurch Katalysator und Zentrum örtlicher Gemeindebildung werden. Die Hausgemeinde des von Paulus getauften Stephanas (1Kor 1,16; 1Kor 16,15) bildet den Grundstein der korinthischen Ortsgemeinde. Als weiterer Kristallisationskern etabliert sich später das Haus des Gaius (Röm 16,23). Nicht immer bestanden verschiedene Treffpunkte (Hausgemeinden, Ortsgemeinde) konfliktfrei nebeneinander (1Kor 1,10-13; 1Kor 11,17-22.33f).

4. Apostelgeschichte

Nach Lukas geht mit der → Taufe eines Hausvorstands der Übertritt des ganzen Hauses einher, so explizit bei der Purpurhändlerin → Lydia (Apg 16,15), dem Kerkermeister von → Philippi (Apg 16,31-34) oder dem Synagogenvorsteher Krispus von Korinth (Apg 18,8). Diese illustren Beispiele für Konversionen sind zugleich erzählte Vergegenwärtigungen des Gründungsaktes (Gründungserzählung, -mythos) von zur Zeit des Lukas noch bekannten Hausgemeinden. Auch sonst orientiert sich die religiöse Orientierung eines Hauses an derjenigen des Hausherrn, wie die Fälle des römischen Hauptmanns Kornelius (Apg 10,2), der ungenannten Heiden aus → Caesarea (Apg 11,13-18) oder auch des königlichen Beamten in Joh 4,53 belegen. Da die frühen Christen nicht über eigene Räume verfügen, werden private Häuser zur Anlaufstelle in Zeiten von Bedrängnis und Verfolgung (Apg 8,3; Apg 12,12; Apg 17,5), aber auch für Lehre, Mission und Missionare (Apg 5,42; Apg 16,14f.40; Apg 18,7; Apg 19,9: angemietet?; Apg 20,20; Apg 21,8.16; ferner Röm 16,1f.23). Christlich geführte Privathäuser (→ Haustafel) sind Orte des → Gebets und der Zusammenkunft (Apg 1,13f; Apg 9,11), des sozialen Engagements (Apg 5,34f.; Apg 6,1f.) sowie des gemeinsamen Brotbrechens im Herrenmahl und des → Gottesdienstes (Apg 2,46; Apg 20,7f.; s. auch bereits 1Kor 11,17-34).

5. Weitere Entwicklung

Hausgemeinden bilden die Keimzellen von allmählich heranwachsenden örtlichen Gemeindestrukturen. Fragen der Rechtgläubigkeit spielen zunehmend eine wichtige Rolle für die Aufnahme in einem Haus (2Joh 10, 3Joh; dazu Gehring 2000, 468-477). Allmählich wird das „Haus Gottes“ eine metaphorische Bezeichnung für die Gemeinde (1Tim 3,15, vgl. Hebr 3,6). Umgekehrt wird das Wort Gemeinde/Kirche (ἐκκλησία, ekklēsía) auch zum Begriff für ein Gebäude, einen Raum oder ein Heiligtum (Hippolyt, In Dan. 1,17,6-8; Klemens von Alexandrien, Strom. 7,29,3f). Mit der rapide wachsenden Zahl der Gläubigen wird im 4. Jahrhundert der Bau von eigenen Kirchengebäuden als Versammlungs- und Gottesdiensträume unumgänglich. Die 1932 ausgegrabene Hauskirche von Dura Europos am Euphrat mit Platz für 60 bis 70 Personen, eingerichtet um 240 n. Chr., markiert dieses Übergangsstadium.

6. Die wichtigsten Merkmale

Eine nach ihrem Besitzer oder ihrer Besitzerin benannte Hausgemeinde bildet eine überschaubare und dennoch schichtenübergreifende Gruppe mit charakteristischen Merkmalen: „große Interaktionshäufigkeit, persönliche Kontakte, affektive Beziehungen, gemeinsame Zielvorstellungen und Normen, differenzierte Rollen und Solidarität gegenüber der Umwelt“ (Klauck 1981, 101). Hausgemeinden boten Raum für gelebte Geschwisterlichkeit, Zuflucht in Verfolgung und eine verlässliche Basis für Mission und Katechese. Gottesdienst und sakramentale Feier (Taufe, Herrenmahl), Alltagszeugnis und Mission (Verkündigung) gehörten im Lebenszusammenhang eines Hauses zusammen und wirkten von hier aus in die Umgebung.

Auch heute noch sind Gemeinschaft und Gastfreundschaft in Privathäusern ein unersetzbarer Baustein des Gemeindeaufbaus. Sie leisten weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Beheimatung von aufgrund ihres Glaubens heimatlos gewordenen Christen.

Literaturverzeichnis

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