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(erstellt: Januar 2010)

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1. Name

Der Name Hamor (חֲמוׄר chǎmôr) ist das hebräische Wort für „Esel“. Der Gebrauch von Pflanzen- und Tiernamen als Personennamen findet sich nicht nur in biblischen Texten, sondern ist auch im Alten Orient und Ägypten verbreitet. Hinsichtlich der Bedeutung des Namens Hamor bzw. des Ausdrucks „Söhne Hamors“ (Gen 33,19 u.ö.) wird diskutiert, ob diese Benennung spezifische Konnotationen trug: So ist aus den Texten von → Mari bekannt, dass das Töten eines Esels ritueller Bestandteil des Abschlusses eines Bundes war. Ob nun im Fall Hamors mit dem Namen zugleich auf einen solchen hingedeutet wird (Albright, 1946, 113; Willesen, 1954, 216-217; Otto, 1979, 159), bleibt fragwürdig, insbesondere weil die Mari-Texte sowohl zeitlich als auch örtlich in großem Abstand zu den alttestamentlichen Texten stehen.

2. Biblische Überlieferung

Nach Gen 34 ist Hamor der Stammvater der Bewohner → Sichems. Seine Erwähnung ist eingebunden in die Jakobserzählung. So kauft → Jakob bei seiner Rückkehr aus Paddan-Aram von den Bewohnern der Stadt Sichem („den Söhnen Hamors“, Gen 33,19) ein Grundstück im Wert von 100 Kesita (Lutherbibel: „Goldstücke“), um dort sein Zelt aufzustellen sowie einen Altar zu errichten (Gen 33,18-20; vgl. auch Jos 24,32; Ri 9,28; Apg 7,16 nennt irrtümlich → Abraham). An diese Notiz über den Grundstückserwerb schließt sich in Gen 34 eine ausführlichere Erzählung um Hamor und Sichem an. Berichtet wird, wie die Söhne Jakobs Vergeltung üben, nachdem Sichem, der Sohn Hamors, sich an → Dina, der Tochter Jakobs, vergangen hatte.

Hamor selbst wird in Gen 34,2 als → Hiwiter (nach der → Septuaginta: Horiter) und Landesfürst (נְשִׂיא הָאָרֶץ; Bezeichnung für nicht-israelitische Stammeshäupter, vgl. Gen 17,20; Gen 23,6; Gen 25,16) sowie als Vater eines Sohnes namens Sichem bezeichnet. Dieser Sohn findet an Dina Gefallen und vergeht sich an ihr (Gen 34,2-3). Danach ersucht er seinen Vater Hamor, bei Jakob um Dina zu werben, um sie so rechtmäßig zur Frau zu erhalten (Gen 34,4). Auf das von Hamor in diesem Zusammenhang geäußerte Angebot einer wechselseitigen Eheschließung von Bewohnern der Stadt Sichem und Angehörigen der Jakobssippe sowie die von Sichem selbst vorgebrachte Bereitschaftserklärung, jeden beliebigen Brautpreis zu zahlen, gehen die Söhne Jakobs nur scheinbar ein, nämlich unter der Bedingung, dass sich alle männlichen Einwohner Sichems beschneiden lassen (Gen 34,5-17). Hamor, Sichem und alle Männer der Stadt kommen – ohne Wissen um die dahinterstehende List der Söhne Jakobs – der Forderung nach (Gen 34,18-24), während die Söhne Jakobs, insbesondere Simeon und Levi, ihrerseits Rache für die Entehrung ihrer Schwester üben, indem sie die durch Wundkrankheit geschwächten Neubeschnittenen töten sowie die Stadt plündern (Gen 34,25-29). Ihre Tat bleibt indes nicht ohne Vorwürfe von Jakob (Gen 34,30-31).

Die Entstehung dieser offensichtlich nicht ursprünglich in der Jakobsgeschichte verankerten und von Spannungen und Doppelungen durchzogenen Erzählung wird entweder mit der These einer um Zusätze erweiterten Grunderzählung (Boecker, 1992, 114; Seebass, 1999, 429.433) oder mit der Annahme der Verknüpfung zweier selbstständiger Einzelerzählungen erklärt, und zwar einer Familien- (auch Sichemtradition) und einer Stammeserzählung (auch Hamortradition) (von Rad, 1987, 269; Westermann, 1981, 652). Ob dabei anhand der erzählten Stellung und Funktion Hamors im jetzigen Textkontext – insbesondere vor dem Hintergrund des von Hamor der Jakobssippe angebotenen Konnubiums (Otto, 1979, 170) – ein Einblick in die Frühgeschichte Israels sowie Folgerungen für die religiöse und politische Situation im Moment des Übergangs von der nomadischen Lebensweise zur Sesshaftigkeit gewonnen werden können (von Rad, 1981, 272), ist fraglich. Die starke Betonung der Beschneidung als Abgrenzungskriterium zwischen der Jakobssippe und den Bewohnern des Landes („den Kanaanitern und Perisitern“, Gen 34,30), die textliche Beziehung zu Dtn 7 und die anachronistische Erwähnung Israels in Gen 34,7 sprechen gegen eine solche Frühdatierung.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Das große Bibellexikon, Wuppertal 1987-1990
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • The New Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville 2006-2009

2. Weitere Literatur

  • Albright, William Foxwell, 2. Aufl. 1946, Archaeology and the Religion of Israel, Baltimore
  • Boecker, Hans Jochen, 1992, 1. Mose 25,12-37,1: Isaak und Jakob (ZBK.AT 1,3), Zürich
  • Lehming, Sigó, 1958, Zur Überlieferungsgeschichte von Gen 34, ZAW 70, 228-250
  • Noth, Martin, 1980, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namensgebung, Hildesheim (2. Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1928)
  • Otto, Eckart, 1979, Jakob in Sichem. Überlieferungsgeschichtliche, archäologische und territorialgeschichtliche Studien zur Entstehungsgeschichte Israels (BWANT 110), Stuttgart
  • Rad, Gerhard von, 12. Aufl. 1987, Das erste Buch Mose (ATD 2/4), Göttingen
  • Scharbert, Josef, 1986, Genesis 12-50 (NEB 16), Würzburg
  • Seebass, Horst, 1999, Genesis II/2: Vätergeschichte II (23,1-36,43), Neukirchen-Vluyn
  • Shemesh, Yael, 2007, Rape is Rape is Rape: The Story of Dinah and Sechem (Genesis 34), ZAW 119, 2-21
  • Westermann, Claus, 1981, Genesis 12-36 (BK.AT I/2), Neukirchen-Vluyn
  • Willesen, Folker, 1954, Die Eselssöhne von Sichem als Bundesgenossen, VT 4, 216-217
  • Wolde, Ellen J. van, 2003, Love and Hatred in a Multiracial Society: The Dinah and Shechem Story in Genesis 34 in the Context of Genesis 28-35, in: Exum, J.C. / Williamson, H. (Hgg.), Reading from Right to Left (FS David J.A. Clines), London/Sheffield, 435-449

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