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Gut / Güter (NT)

(erstellt: Juli 2012)

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1. Philosophischer Kontext

1.1. Allgemeine Vorbemerkung

Was gut ist, was Güter sind, ist aufgrund des hohen Abstraktionsgrads schwer fassbar. Generell dürfte aber als gut angesehen werden, was subjektiv oder in einem bestimmten sozialen Umfeld konventionalisiert als tauglich, zweckmäßig und hilfreich, beglückend und befriedigend, erstrebens- und achtenswert erscheint – das Nützliche, Erfreuliche und in sich Sinnvolle, das mit Lob oder Empfehlung bedacht wird. Insbesondere unter theologischer Perspektive ist dieses Verständnis aber dahingehend zu konkretisieren, dass zwischen dem bloß Angenehmen oder Nützlichen einerseits und dem um seiner selbst willen Guten unterschieden wird.

Die zwei wesentlichen griechischen Begriffe, die diese Vorstellungen bezeichnen, sind ἀγαθός (agathos) und καλός (kalos) mit ihren jeweiligen morphologischen Varianten.

Im allgemeinen Sinn bezeichnet agathos das Treffliche und Tüchtige, das Herausragende an sich. Dabei kann es sich einerseits um den Menschen handeln, der die ihm zugeschriebenen Aufgaben gut erfüllt (ein guter Handwerker, ein guter Beamter etc.) oder aufgrund seiner inneren Haltung tugendhaft handelt und damit ein guter Bürger ist, der einen hohen Wert für das Staatswesen darstellt. Andererseits bezieht sich agathos auf ein dem Menschen übergeordnetes (göttliches) Gut.

Die allgemeine Wortbedeutung von kalos weist dort erhebliche semantische Schnittmengen mit agathos auf, wo es um die innere Disposition, das sittlich Gute, geht. Allerdings bezeichnet kalos auch Menschen oder Dinge, die als fehlerfrei, äußerlich schön und makellos oder reizend angesehen werden. Generell steht hinter allem, das mit kalos bezeichnet wird, die Vorstellung des Geordneten, der Symmetrie, sei es auf die Gesundheit des Menschen, seine äußere Erscheinung oder auf die Tauglichkeit von Menschen oder Dingen bezogen.

Das Begriffspaar καλός καί ἀγαθός (kalos kai agathos) spielt in dieser und ähnlichen Verbindungen eine wichtige Rolle in griechischer → Antike und → hellenistischem Denken. Für das Neue Testament ist diese Verbindung weniger relevant.

1.2. Antike

1.2.1. ἀγαθός κτλ.

In der antiken Philosophie wurde die Frage nach dem Guten zunächst in Bezug auf die Tüchtigkeit des Bürgers im Staatswesen behandelt (Xen., Oec 1,15; 6,13; vgl. Mueller-Goldingen, 8f) bzw. ist bezogen auf die Fähigkeiten des einzelnen, zu einem gelingenden Staatswesen beizutragen (Platon, Pol 506ab; vgl. Gadamer, 17.49-51; Krämer, 189). Außerdem wird mit dem Adjektiv agathos die Bedeutung oder Trefflichkeit einer Sache hervorgehoben. Das substantivierte Adjektiv kann zum einen abstrakt das Gute (τόν ἀγαθόν, ton agathon) bezeichnen oder konkret bestimmte Güter (τά ἀγαθά, ta agatha). Beides wirkt sich auf das Wohlbefinden des Menschen aus. Das Wissen um das Gute ist Teil der auf sokratischen Denken beruhenden platonischen → Tugend- und Ideenlehre, bei der das Allgemeinwohl im Zentrum steht (vgl. Gadamer, 41-44; Natorp). Die prinzipielle Idee des Guten ist schwer (in Worte) zu fassen (Platon, Pol., 506d; vgl. Gadamer, 20f; Höffe/Rapp, 1536). Dennoch stellt Platon schließlich in der Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Ansätzen, die einerseits das Angenehme oder andererseits die Lebensweisheit als das Gute ansehen, die Idee des Guten als den Ursprung alles Richtigen und Schönen heraus. Das Gute bringt Wahrheit und Vernunft hervor (Platon, Pol 508e; 517bc; vgl. Gadamer, 55; Krämer, 183f). Das gute Leben besteht aus der guten Mischung von Lust und Vernunft und ist frei von inneren Irritationen (Platon, Phil 21d-22d.65a; vgl. Gadamer, 68). Was für den einzelnen Menschen gilt, das trifft analog auch auf das Staatswesen und den Kosmos zu (vgl. Gadamer, 69).

Aristoteles wendet sich gegen die universelle Idee des Guten und konkretisiert das Gute je nach Kategorie: Das Göttliche oder die Vernunft ist das Gute, als Qualität besteht das Gute aus den Tugenden, als Quantität wird es als das Maß verstanden, unter zeitlichem Aspekt ist das Gute der rechte Zeitpunkt, der kairo,j (kairos) (Aristot., EthNik I,4, 1096ab; vgl. Flashar, 66f.70f).

Schließlich wird zwischen weltlichen Gütern und dem anzustrebenden Gut unterschieden, genauer dem höchsten Gut. Platon ordnet in Bezug auf den Menschen Güter in drei Klassen: die des Besitzes, die des Leibes und die der Seele (Platon, Nom 697b, 743; Pol 504-509; Gorg 470). Dieser Ansatz wird später von Vertretern der Stoa weiterverfolgt (Stob., Ekl II,57,19; II,77,6; vgl. Diog. Laert. VII, 94; vgl. Hossenrieder 1995, 46-49). Allerdings muss es im Spannungsfeld zwischen Bedürfnissen und deren Befriedigung durch Güter und in der Konkurrenz verschiedenartiger Güter unweigerlich zu Konflikten kommen, weswegen eine Güter- bzw. Übelabwägung notwendig wird. Dies wird z.B. dadurch entschieden, welche Güter dringender oder wichtiger sind, nach den Folgen für Eigen- oder Gemeinwohl oder entsprechend der Frage nach dem kleineren Übel. Auf dieser Grundlage operiert die Güterethik, die versucht, die Güter des menschlichen Lebens in verschiedene Klassen einzuteilen und gegenseitige Relationen zu bestimmen (vgl. Härle, 126-134; Rawls, bes. 395-452; Nussbaum).

In diesem Zusammenhang wurde bereits in der Antike grundlegend zwischen einem relativen Guten und einem absoluten Guten unterschieden, so dass eine Hierarchie des Guten die Folge ist. Die Orientierung an einem höchsten Gut wurde zur Tradition. Das jeweilige Verständnis dieses höchsten Gutes unterscheidet sich je nach philosophischem und kulturellem Kontext: Es besteht nach Aristoteles in der Glückseligkeit (εύδαιμονἱα, eudaimonia), die durch eine gute innere Haltung und tugendhaftes Handeln erlangt werden kann (Aristot., EthNik I, 1094a-1103a; X,6-9, 1176a-1179a; vgl. Shields, 306-349; Ackrill; Lawrence), nach Epikur im individuellen Wohlbefinden (ἡδονή, ēdonē; Diog. Laert. X,137; Cic., Tusc 3,41; vgl. Hossenfelder 2006, 51-75) und gemäß der → Stoa in der Weisheit (φρόνησις, phronēsis), die den Menschen erkennen lässt, dass es keine echten Güter gibt (vgl. Hossenfelder 1995, 53-58). Einigkeit herrscht schließlich darin, dass die Orientierung am höchsten Gut zu einem guten Leben und zu seelischem Wohlbefinden, gar zum Heil, führen soll. Allerdings entsteht hier ethisch oftmals der Konflikt zwischen menschlichem Sollen oder gar Wollen und menschlichem Tun.

1.2.2. καλός κτλ.

Bei Platon ist der Begriff kalos bzw. kalon ( καλός / καλόν) eng mit der Vorstellung des Guten, im Sinn des agathos verbunden (Platon, Tim 87c). Als höchstes Gut ist das kalon der göttliche Aspekt innerhalb der platonischen Ideenlehre. Das kalon verbindet im Sinne des geordneten Guten Gottheit, Welt und Menschen zu einer idealen Einheit. Der Mensch strebt durch den έρως (erōs) als treibende Kraft stets nach dem kalon.

Aristoteles trifft zwar eine explizite Unterscheidung zwischen agathos und kalos: Ersteres sei nur in Handlungen, also beim Menschen auszumachen, zweiteres finde sich aber auch in Unbeweglichem, also bei Sachen (Aristot., Metaph 1078a; vgl. Rhet II,13, 1389b); seine sonstigen Ausführungen zum Begriff des Guten weisen aber dennoch einige Bedeutungsüberschneidungen auf (z.B. EthNik XI,8 1168b; vgl. Price). Innerhalb der aristotelischen Tugendethik ist das kalon zusammen mit dem agathon das Ziel aller Tugend (Aristot., EthNik III,10, 1115b). Dieses Ziel wird somit nicht durch das kalon allein, sondern durch die καλοκαγαθία (kalokagathia) erreicht (Aristot., EthEud VII,15 1249a; vgl. Buddensiek, 220-223). Schön und gut ist jemand, der tugendhaft ist und dem die schönen Dinge von selbst zukommen (Aristot., EthEud VIII,3 1248b; vgl. Buddensiek, 213-220). In ähnlicher Weise versteht die Stoa den Begriff des kalos, der nun weitgehend synonym zu agathos verwendet wird (Diog. Laert. VII, 100).

1.3. Hellenismus

1.3.1. ἀγαθός κτλ.

Im Hellenismus nimmt das Element des Göttlichen eine prominentere Stellung ein. Gut ist auf den Menschen bezogen derjenige, der Gott wohlgefällig lebt, auf die Gottheit bezogen ist das gute Handeln ein dem Menschen gegenüber gütiges Handeln. Im Corpus Hermeticum wird das Gute aufgrund der menschlichen Sehnsüchte in einer unsicheren Welt dem Göttlichen allein übertragen. Das gute Ziel (άγαθόν τέλος, agathon telos) für diejenigen, die Erkenntnis erlangt haben, besteht darin, vergöttlicht zu werden (Corp.Herm., I,26). Kein Mensch ist demnach gut. Der Mensch kann das Gute nicht erkennen, auch wenn er es als Wort oftmals im Mund führt. Gott allein oder göttliche Wesen werden als gut bezeichnet. Gott ist das Gute schlechthin, da er alles gibt und nichts nimmt (Corp.Herm., II,15f; VI,1; vgl. G. Löhr, 172.179-181.194.210-236). Das Gute ist nur im Ursprünglichen, nicht aber im Geschaffenen zu finden. Dort wo das Gute herrscht, ist ein affektfreier Raum. Dennoch haben Menschen immer einen gewissen Anteil am Guten und können, wo sie nicht schlecht sind, als teilweise gut bezeichnet werden (Corp.Herm., VI,2-5; vgl. G. Löhr, 188)

Ganz in diesem Sinn positioniert sich auch → Philo von Alexandrien aus hellenistisch-jüdischer Perspektive. Gott ist das Gute schlechthin (Philo, LegAll, 1,47), und der Mensch sollte diesem entsprechende Güter erwerben: Enthaltsamkeit, Frömmigkeit und Weisheit lassen die Seele den Weg zu diesem höchsten Gut finden (Philo, SpecLeg, 4,135.147; vgl. Lévy, 150-154). Das Gute ist darüber hinaus das (äußerlich) Schönste ( Philo, LegAll, 57; vgl. Lévy, 150).

1.3.2. καλός κτλ.

Philo betont wie bereits Platon und die Stoa den religiösen Aspekt des kalon, wiederum in enger Verbindung mit agathos; Gott ist hier nicht nur das Gute schlechthin, sondern sogar besser und schöner (Philo, LegGai 5; vgl. Winston, 238-241). Die Vorstellung des höchsten Gutes wird ebenfalls mit kalon bezeichnet, das von Gott kommt oder das Göttliche ist (Philo, Sacr AC 63). Der Mensch, der danach strebt, gehört zu den Söhnen Gottes (Philo, SpecLeg I, 138).

Innerhalb der hermetischen Literatur ist eine signifikante Bedeutungsverschiebung auszumachen, indem kalos als vollständig der göttlichen Sphäre zugehörig verstanden wird (Corp. Herm. XI,3). Der Begriff wird dem agathon beigestellt, so dass oftmals vom Schönen und Guten (καλόν καί ἀγαθόν, kalon kai agathon) die Rede ist, das der Mensch nicht erfassen kann. Der ideale Kosmos ist kalos (Corp.Herm. I,8). Dieses Schöne kann der Mensch allein nicht wahrnehmen, das gelingt ihm nur durch Erkenntnis (Corp.Herm. VI,4).

2. Gut/Güter im Neuen Testament

2.1. Sprachlicher Befund

Gut und Güter werden sowohl im ethischen wie im profanen Sinn im Neuen Testament mit den Adjektiven agathos und kalos sowie deren morphologischen Varianten bezeichnet. Im Neuen Testament ist agathos κτλ. 119mal belegt. Am häufigsten tritt das Adjektiv auf, außerdem finden sich zahlreiche Belege für das substantivierte Adjektiv maskulinum und neutrum. Agathos wird sehr häufig in appellativen Texten verwendet – in paränetischen Passagen der Briefliteratur oder in Parabeln der → Evangelien. In der johanneischen Literatur tritt der Begriff selten auf.

2.2. ἀγαθός κτλ.

Im Neuen Testament ist allein Gott das wahrhaft Gute. Zwar wird auch Jesus als gut bezeichnet, z.B. als guter Lehrer (Mk 10,17; Lk 18,18) oder im Johannesevangelium (Joh 7,12) in einem ebenso absoluten Sinn, was angesichts der geringen Belege für agathos dort bemerkenswert ist. In der Erzählung von dem Reichen, der nach dem ewigen Leben fragt ( Mk 10,17-21 par; vgl. Röder), lehnt Jesus dieses Prädikat für sich allerdings entschieden ab, denn „niemand ist gut als einzig Gott“ ( Mk 10,18; Lk 18,19). Nach matthäischer Darstellung scheint er nicht einmal umfassend Auskunft über das Gute geben zu können oder zu wollen ( Mt 19,17).

Im Neuen Testament erscheint agathos damit als das Gute als abstrakt-absoluter und höchster Wert, der am Wort Gottes ausgerichtet ist (vgl. Röder). Das Gute ist nach Paulus zusammen mit dem Wohlgefälligen und Vollkommenen der Wille Gottes ( Röm 12,2), zu dessen Erkenntnis es gewisser Voraussetzungen bedarf: die Ausrichtung auf Gott, die Distanz zur gegenwärtigen Welt und die Erneuerung der inneren Disposition ( Röm 12,9.21; vgl. Phlm 1,6.14). Das Böse und Schlechte (kakos; poneros; faulos) gilt als Gegenbegriff dieses Guten ( 1Thess 5,15.22; Röm 13,3f; vgl. Wischmeyer, 67). Dem Guten sollte man daher tätig entgegenstreben, um den negativen Versuchungen zu entgehen (3Joh 1,1; vgl. Mk 3,1-6; Röm 9,11; Röm 15,2; Röm 16,9; Eph 6,8; Hebr 13,21). Es ist sogar dem Wert der → Gerechtigkeit übergeordnet und als Ziel essentiell für die menschliche Existenz ( Röm 5,7; vgl. Martin; Röder; Wischmeyer, 66f). Das Verständnis des Guten als in der Erfüllung seiner Bestimmung herausragend oder in religiösem Sinn als dem Willen Gottes entsprechend verschwimmt, wenn auch Objekte (Jak 3,17; Mt 7,17, Lk 8,8, hier spielt die Gattung des Gleichnisses eine wichtige Rolle; vgl. Zimmermann u.a.), Personen ( Mt 5,45; Lk 6,43-45; vgl. Starnitzke, Apg 11,23) oder Abstrakta wie Herrschaft (Röm 13,4) oder Nachrichten der Apostel (Röm 10,15; vgl. Jes 52,7) als gut bezeichnet werden, was zum Teil in direkter Abgrenzung zum entsprechenden Schlechten oder Bösen geschieht. Selten wird agathos im Sinn eines Guts oder von Gütern der weltlichen Bedürfnisbefriedigung verwendet (z.B. Eph 4,28; Lk 12,18f). Wenn von agatha die Rede ist, schwingt oftmals eine → eschatologische Bedeutung mit (Lk 1,53; 12,19; Gal 6,6; Hebr 9,11).

In Anbetracht der seltenen Verwendung im Corpus Johanneum sollte Joh 5,29 besondere Beachtung finden: Hier erwähnt Jesus in seiner Vollmachtsrede diejenigen, die Gutes getan haben und im Gegensatz zu denjenigen, denen böse Werke zugeschrieben werden können. Diese kommen zur → Auferstehung, jene aber werden gerichtet. Im Zusammenhang mit der johanneischen Gesamtverkündigung wird allerdings deutlich, dass mit Jesus eine neue Existenzmöglichkeit für die Menschen geschaffen wurde, womit dem Menschen ein Anteil an Gottes Gut gegeben wurde (Joh 10,27-29; 15,5-8 u.ö.).

Die mellonta agatha, Güter der zukünftigen Welt, sind in Christus real verwirklicht. Das Heil in Christus eröffnet die Chance des Wissens um das Gute und das entsprechende Handeln (Röm 12,2; Kol 1,10; 2Thes 2,16f), was zu einer guten Konstitution führt (Apg 23,1; 1Tim 1,5.19). Gott hat mit der → Schöpfung (des Menschen) ein gutes Werk vollbracht (Eph 2,10; Jak 1,17; vgl. Röder), das durch Jesus Christus zur Vollendung kommt (Phil 1,6).

Wenn Gott als der einzig Gute verstanden wird und die mellonta agatha die einzig wirklichen Güter sind, kann es im diesseitigen Leben kein Gut und keine Person geben, die als agathos im umfassenden Sinn bezeichnet werden können (vgl. Röm 7, insbes. 18f; vgl. Luck, insbes. 225-237; H. Löhr, 176-180): → Paulus verweist zwar darauf, dass dem Menschen im Sinne der → Tora das Gesetz als Gut gegeben ist, er aber durch sein Handeln im Fleisch stets das Sündhafte bewirkt und trotz all seinen Strebens hingegen letztlich nicht das durch und durch Gute. Dieser Dualismus steht daher nicht im Widerspruch zu anderen neutestamentlichen Passagen, in denen Menschen durchaus Gutes bewirken können, worunter aber nur ein Teilaspekt zu verstehen ist, nicht das letztlich wahrhaft und umfassend Gute, das nur von Gott kommen kann. Der Mensch, der aber Aspekte des Guten verwirklicht, wird mit ἀγαθοσύνη bezeichnet. Er vereinigt damit moralische Qualitäten wie der Güte auf sich (Gal 5,22; Eph 5,9). Sie ist der Inhalt christlichen Lebens (Röm 15,14). Im Sinn der neuen Lebenswirklichkeit des Menschen durch Christus mahnt Paulus stets zum Guten (Röm 12,2; Kol 1,10; 1Thess 5,15), vor allem zum guten Tätigsein gegenüber dem Mitmenschen. Der Christ, der sich diese Mahnungen zu Herzen nimmt, kann guten Gewissens leben (Apg 23,1; 1Tim 1,5.19; 1Petr 3,16.21). In diesem Zusammenhang kann der Christ auf die Heilszusage Gottes vertrauen (Röm 8,28; Phil 1,6). Das Gute wird somit offenbar – davon zeugt die Fülle an Textstellen – wesentlich durch die Tat bestimmt (Mk 3,4; Lk 6,9; Lk 6,33.35; Apg 9,36; Röm 2,7.10; Röm 13,3; 2Kor 5,10; Gal 6,10; Eph 6,8 u.ö.), was besonders im Ersten Petrusbrief zum Tragen kommt (1Petr 2,15.20; 1Petr 3,6.17; 1Petr 4,19; vgl. Röder; Sandnes, 381-392). Der agathopoios wird dem kakopoios (1Petr 2,14; vgl. Sandnes, 388f) gegenübergestellt. Dieses gute Tätigsein lässt sich vor allem unter ethischen Gesichtspunkten verstehen, da dem guten Handeln eine entsprechende Disposition zugrunde liegt (vgl. Luther).

Der aus dem hellenistisch-jüdischen Umfeld bekannte philagathos (Aristoteles, Eth.Mag., II,14, 1212b 18ff; Philo Vit.Mos. II,9), ein gesellschaftlicher Ehrentitel, begegnet auch im Neuen Testament: Der Bischof wird als jemand bezeichnet, der das Gute liebt (Tit 1,8). Der aphilagathos hingegen ist derjenige, der das Gute nicht liebt und stattdessen sich selbst ( 2Tim 3,1ff.)

2.3. καλός κτλ.

Möglicherweise impliziert auch der neutestamentliche Gebrauch das ursprüngliche Verständnis von kalos im Sinn eines nach außen sichtbaren Gutseins, der Schönheit (vgl. Fuchs, 16).

Auch im Neuen Testament können Bedeutungsüberschneidungen von kalos und agathos im Sinn des Verständnisses der hellenistisch-jüdischen Umwelt festgestellt werden. Gott wird kalos zugeschrieben, kalon sperma (Mt 13,24.27.37.38) ist das Wort von der Gottesherrschaft.

Das tätige Gutsein wird ebenfalls mit kalos bezeichnet. Die kala erga, zu denen Jesus aufruft, entsprechen den aus der jüdischen Tradition bekannten Liebeswerken. Hierbei handelt es sich um Taten aus Barmherzigkeit und Nächstenliebe, deren Vollbringung die Liebe Gottes in die Welt trägt und sogar weltlichen Lohn einbringen kann, deren Unterlassen aber Konsequenzen nach sich zieht (Strack/Billerbeck IV, 536-558). Darunter fallen öffentliche oder private Krankenpflege, Unterstützung von Mittellosen, Teilnahme an Hochzeits- oder Trauerfeierlichkeiten, aber auch die rechte innere Haltung beim Gebet oder die gesetzestreue Erziehung der Kinder, insbesondere das Torastudium der Söhne betreffend (Strack/Billerbeck IV, 559-610). Die → synoptischen Evangelien präsentieren Jesus als Vollbringer der im Judentum verlangten Liebeswerke, die er zudem explizit einfordert. Allerdings unterscheidet er im Sinne einer Hierarchisierung, denn offenbar gelten nur die von ihm aufgezählten Werke als kala erga, die zur Gottesherrschaft führen. Die → Verkündigung des → Reiches Gottes ist demnach eher als kalos einzustufen als die Bestattung der Toten (Mt 8,21f). Jeglicher Formalismus soll hinsichtlich der Werke überwunden werden; das Werk der Liebe ist Lobpreis Gottes und soll den Glauben wecken (Mt 5,16; 18,5; 25,35f.40). Taten, die als kala erga bezeichnet werden können, werden zudem mit einer entsprechenden inneren Haltung ausgeführt. Derjenige, der kala erga begeht, fragt nicht nach Lohn oder Vergeltung (Lk 14,12-14; Lk 10,30-37). Eine herausgehobenes kalon ergon ist die Salbung Jesu (Mk 14,3-9) vor seiner Gefangennahme. Sie zeigt, dass es über den in Jesu Sinn richtig verstandenen kala erga wie dem Almosengeben noch bessere Werke geben kann wie diese einmalige gute Tat an Christus. Diese guten Werke sind somit sowohl nach außen hin schön, werden aber mit einer inneren Haltung des Glaubens vollbracht und sind damit ein Teil des Strebens nach Gott. Hier ist also der ursprüngliche Unterschied zwischen kalos und agathos aufgehoben. Spürbar könnte er hingegen noch in Mt 12,33-37 sein, wo ein guter Baum und gute Früchte, deren Qualität nach außen sichtbar ist, einem guten Menschen gegenübergestellt wird, bei dem die innere Disposition eine wichtige Rolle spielt (vgl. Fuchs, 17).

Auch im Johannesevangelium nimmt kalos in der Bezeichnung Jesu als guter Hirte eine bedeutende Stellung ein (Joh 10,11-17). Dieser gute Hirte, der sich als einziger zu Recht so nennen darf, bewahrt die menschliche Herde vor dem wahrhaft Bösen und stellt die Verbindung zu Gott her Joh 10,31-39). Konnte im Markusevangelium die Salbung Jesu bereits als einzigartiges und herausgehobenes Liebeswerk am Sohn Gottes verstanden werden, können die kala erga im Johannesevangelium als Liebeswerk von Gott, als Gotteswerk am Menschen bezeichnet werden (Joh 10,37).

Weitgehend synonym zu agathos im Sinne des absolut Guten verwendet Paulus den Begriff kalos (Röm 7,18f). Hier bezeichnet kalon etwas Gutes und Wertvolles, das auch mit Lob bedacht wird. Schließlich verweist auch Paulus auf die Liebeswerke, wobei sich das radikale jesuanische Verständnis, das sich in den synoptischen Evangelien zeigte, bei Paulus noch nicht ausmachen lässt. Fuchs (17f.) weist allerdings gegen die gängige Auffassung auf Ausnahmen hin, die den Aspekt des nach außen wahrnehmbaren und überprüfbaren Guten betonen (z.B. 1Thess 5,21; Phil 4,14), was vor allem auf den Gebrauch im Ersten Korintherbrief zutrifft (1Kor 5,6; 1Kor 7,1.8.26; 1Kor 9,15).

Kann für kalos bei Paulus keine herausgehobene Bedeutung festgestellt werden, wird der Begriff in den Pastoralbriefen auffällig häufig verwendet. Innerhalb der Patoralbriefe kann noch differenziert werden: Neben den kala erga der Nächstenliebe gilt im Titusbrief auch die Fürbitte für Mitmenschen, für Staat und Obrigkeit als kalon (Tit 3,8). Hier steht das diakonische Tatzeugnis im Vordergrund (Tit 2,3.7.14; Fuchs, 24-26.30). Der Erste Timotheusbrief betont neben dem guten Lebenswandel vor allem der Gemeindevorsteher (1Tim 2,2f.; 1Tim 3,2-4) Gebet und Danksagung, was vor Gott als gut erscheinen werde (1Tim 2,2-4), sowie öffentliches → Bekenntnis, das ein Teil des guten Kampfes für den Glauben ausmacht (1Tim 6,12; vgl. Fuchs, 22-24.30). Einen Schritt weiter geht der Zweite Timotheusbrief, in dem die Adressaten in die aktive (Leidens-)Nachfolge des Apostels gerufen werden (2Tim 2,2f; 4,7), was als gut qualifiziert wird (vgl. Fuchs, 26-28.30).

Die zahlreichen Belege lassen letztlich den Schluss zu, dass innerhalb der neutestamentlichen Schriften ein Bedeutungswandel stattgefunden hat. Offenbar ist man in späterer Zeit zu dem alltäglichen Gebrauch von kalos im Sinn von „wahrnehmbar gut, tüchtig, ordentlich, recht, brauchbar“ (zurück)gekommen. Die in hellenistischer Umgangssprache häufig auftretende Vokabel wurde offenbar verwendet, um das Wesen der Christusnachfolge anschaulich zu beschreiben. Das mag auch der Grund für das Auftreten von kalos in Verbindung mit Kriegsvokabular sein (z.B. 1Tim 1,18; 1Tim 6,12; 2Tim 2,3; 2Tim 4,7).

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