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(erstellt: April 2013)

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Begriffsklärung

Im Gegensatz zur Gegenwart verstand man in der Alten Welt unter „Griechenland“ nicht unbedingt ein einheitliches Staatengebilde, sondern den durch Religion oder Philosophie, durch Sport, Bildung und Sprache geprägten Kulturkreis, der geographisch neben dem griechischen Festland als Fortsetzung der Balkanhalbinsel auch die Inseln der Ägäis einschließlich Kreta und Zypern sowie die Küstenregion Kleinasiens umfasste.

Die Bewohner dieses Kulturkreises – die „Griechen“ – wurden von Nicht-Griechen weniger als Angehörige einer Nation denn als Vertreter einer spezifischen Kultur und Lebensart empfunden.

Die Geschichte des antiken Griechenlands ist über Epochen hinweg nicht die Geschichte einer Nation, sondern die von regional begrenzten Teil- und Stadtstaaten – den Poleis. Kulturhistorisch bedeutende Philosophen wie Platon oder Sokrates sind im engeren Sinn keine panhellenischen Persönlichkeiten, sondern entstammten dem Athener Stadtstaat, dessen Einfluss auf Gesamt-Griechenland geographisch und zeitlich (5./4. Jh. v.Chr.) begrenzt war.

1. Griechenland in biblischer Zeit

1.1. Von den Stadtstaaten bis zur Hegemonie Athens

Nach dem Niedergang der Hochkultur der Minoer auf Kreta und der Mykener auf der Peloponnes beginnt um 1000 v. Chr. das Zeitalter der Stadtstaaten. Kleinere Städte (Poleis) wie Athen, Korinth, Argos oder Theben entwickeln sich zu Zentren einer regional orientierten Kultur. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Epoche bilden den Hintergrund für Homers Kampf um Troja.

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Die Gründung zahlreicher Kolonien an den Küsten Kleinasiens, des Schwarzen Meers und auch in Unteritalien prägen die darauf folgende Zeit (8.- 6. Jh. v. Chr.) und lassen die Idee eines großen Griechenlands entstehen (Magna Graecia). Innenpolitisch entwickeln sich in den Stadtstaaten des griechischen Mutterlandes Ansätze zu demokratischen Staatsformen, die – wie in Athen – den freien Bürgern (nicht den Sklaven und Frauen) eine Teilnahme an den politischen Entscheidungen ihres Gemeinwesens ermöglichen.

Der Überfall der Perser auf Griechenland zwang die Stadtstaaten zur Einigung und stärkte das griechische Nationalbewusstsein. In der Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) siegten die Athener allein, zehn Jahre später bei Salamis ein Bündnis aus Spartanern, Athenern und anderen Stadtstaaten Griechenlands. Durch den Triumph gestärkt, stieg Athen zur Seemacht auf, geriet aber durch seine Hegemonialpolitik in Konflikt mit den Spartanern. Der Peloponnesische Krieg (431-404 v. Chr.) brachten keinen Sieger hervor, brach aber die Vormachtstellung Athens.

1.2. Vom Aufstieg Makedoniens bis zur römischen Herrschaft

Im Norden Griechenlands wuchs mit dem Königreich der Makedonen eine neue Macht heran. Philipp II. von Makedonien schlug 338 v.Chr. ein Bündnisheer der Griechen und wurde zum Herrscher über ganz Griechenland. Zum ersten Mal in der Geschichte war Griechenland politisch geeint. Den Plan eines Feldzuges gegen das Perserreich setzte sein Sohn → Alexander in die Tat um (Sieg bei Issos 333 v. Chr.).

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Alexander rückte bis nach Indien vor und gründete ein Reich von nie zuvor da gewesener Größe. Obwohl seine Herrschaft nur gut zehn Jahre dauerte, war sie von weltgeschichtlicher Bedeutung und brachte ihm den Beinamen „der Große“ ein. Mit Alexander begann das Zeitalter des → Hellenismus. Griechische Kultur und Lebensart, Sprache, Religion und Philosophie breiteten sich über den gesamten östlichen Mittelmeerraum bis nach Afghanistan aus. Alexanders Nachfolger (Diadochen) förderten diese Entwicklung durch Gründung neuer Städte und durch Ansiedlung einer griechisch sprachigen Oberschicht. Die Hellenisierung des östlichen Mittelmerraumes ist so weitreichend, dass auch die Römer, die vom 2. Jh. v. Chr. an sukzessive nach Osten vordringen und die hellenistischen Königreiche niederringen, diesen Prozess nicht aufhalten konnten.

168 v. Chr. gelangt Griechenland unter römische Herrschaft. Die → Provinz Macedonia wird eingerichtet. Das griechische Kernland und der Süden (Boiotien, Attika, die Peloponnes sowie Epirus) bilden ab 27 v. Chr. eine eigene Provinz mit dem Namen Achaia.

Auch wenn die politische Eigenständigkeit mit dem Auftreten der Römer verloren ging, so lebte die Kultur der Griechen im Römischen Reich weiter. Hellenistische Literatur und Philosophie prägte zunehmend auch die römische Zivilisation. Römische Kaiser wie → Nero (54–68 n. Chr.), → Claudius (41–54 n. Chr.) oder → Hadrian (117–138 n. Chr.) waren große Griechenlandfreunde und gewährten dem Land großzügige Privilegien.

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Zahlreiche Städte wurden in staatlichen Bauprogrammen vergrößert und monumental ausgestaltet. Bis in die Spätantike hinein war es für die römische Elite selbstverständlich, ihre Söhne zum Studium nach Athen zu schicken. Selbstverständlich sprach man Griechisch, wie überhaupt das Griechische im gesamten Osten des Römische Reiches die vorherrschende Sprache blieb. Davon zeugt auch das Neue Testament, dessen Schriften komplett auf Griechisch geschrieben wurde. Nur im Westen des Reiches konnte sich das Lateinische durchsetzen. Durch die Eingliederung in das → Imperium Romanum verlor Griechenland zwar politisch seine Unabhängigkeit, blieb aber – vor allem im östlichen Mittelmeerraum - in kultureller, religiöser und sprachlicher Hinsicht die prägende Kraft.

2. Griechenland und das Judentum

2.1. In der Diaspora

Der kulturelle Einfluss des Hellenismus machte auch vor dem → Judentum nicht halt. Zwar scheint es schon vorher – durch die Phöniker in Tyrus - Kontakte zum griechischen Kulturkreis gegeben zu haben (vgl. Hes 27,13.19; Joel 4,6), doch wird die Bekanntschaft des jüdischen Volkes mit der griechischen Zivilisation erst seit Alexander und seinen Nachfolgern greifbar.

Insbesondere die in Ägypten, Syrien und Kleinasien lebenden → Diaspora -Juden treten in einen fruchtbaren Dialog mit ihrem hellenistischen Umfeld und bilden im Laufe der Zeit ein „eigengeprägtes“ (Eißler) hellenistisches Judentum heraus. Dessen Sprache ist nicht mehr das Hebräische, sondern das Griechische. Davon zeugt vor allem die LXX – eine Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die seit dem 3. Jh. v. Chr. in Alexandria entstand.

2.2. In Palästina

Im Mutterland selbst verlief die Entwicklung nicht so reibungslos: Judäa wurde 332 v. Chr. von Alexander eroberte, seit 302 v. Chr. gehörte Palästina zum → Ptolemäereich, 100 Jahre später fiel es an die → Seleukiden. Besonders → Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) betrieb eine radikale Hellenisierungspolitik. Er setzte im Jahre 175 einen griechenfreundlichen Hohenpriester am Tempel in Jerusalem ein und ließ die Stadt so umgestalten, dass griechische Lebensweise möglich wurde: ein Gymnasium für Sport und Bildung (vgl. 1Makk 1,14) wurde errichtet, griechische Tempel und Bäder gebaut und das jüdische Heiligtum so umgestaltet, dass heidnische Opfer möglich wurden – der Greuel der Verwüstung aus dem Buch Daniel (vgl. Dan 9,27; 11,31; 12,11).

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Die Situation eskalierte 167 v. Chr. im Opferbefehl für Zeus und dem Verbot der Beschneidung, was auf heftigen Widerstand gesetzestreuer und nationalreligiöser Kreise stieß (vgl. 1Makk 1,51ff). Die Offenheit griechischer Weltkultur und die Exklusivität jüdischer Religion und Tradition prallten im Makkabäeraufstand aufeinander (vgl. 1/2 Makk). Im Gegenüber zum Begriff der Hellenisierung (Hellenismos) begegnet zum ersten Mal das Wort „Judaismos“ in der Bedeutung „jüdische Gesetzestreue“ (z.B. 2Makk 2,21; 8,1).

Der militärische Erfolg der Aufstandsbewegung führte zu politischer Unabhängigkeit (Gründung des → hasmonäischen Königtums) und zur religiösen Restauration, konnte aber den Prozess der Hellenisierung - insbesondere der führenden jüdischen Kreise – nur zeitweise aufhalten. Unter der Herrschaft der Römer (seit 63 v. Chr.) setzt er sich ungebrochen fort: Sogar → Herodes d. Gr. als „König der Juden“ (Mt 2,2) steht den Griechen und ihrer Lebensart näher als dem eigenen Volk.

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2.3. Zur Zeit Jesu

Zur Zeit Jesu waren die Dörfer Palästinas bereits von hellenisierten Städten umgeben, in denen griechische Kultur, Religion und Lebensart gepflegt wurden – vor allem in der Dekapolis, in den Küstenstädten, in Tiberias und Samaria/Sebaste. Wie weit die griechische Kultur nach Palästina vorgedrungen war, zeigt sich vor allem an der Namensgebung: selbst unter den Jüngern Jesu finden sich genuin griechische Namen (vgl. Mk 3,18: „Andreas“, „Philippus“). Nach Joh 19,20 ist der titulus über dem Kreuz Jesu auch in Griechisch abgefasst.

Inwieweit Jesus selbst mit griechischer Kultur vertraut war, der er hin und wieder begegnete (vgl. z.B. Mt 4,25; Mk 5,20; 7,26; 7,31; Joh 12,20f), ist umstritten. Nach Mk 5,20 und 7,31 hat Jesus sich auch im Gebiet der → Dekapolis aufgehalten und Anhänger aus dieser Gegend gewonnen (vgl. Mt 4,25). Mk 7,26 begegnet Jesus in der Gegend von Tyrus einer Syrophönzierin, die als „Griechin“ bezeichnet wird, um nichtjüdische Herkunft deutlich zu machen. Beim Einzug Jesu in Jerusalem nach Joh 12,20f bringen „einige Griechen“ – offensichtlich Gottesfürchtige (oder → Proselyten?) – dem Jünger → Philippus die Bitte vor, Jesus sehen zu wollen.

3. Biblische Überlieferung

Der Begriff „Griechenland“ ist in der Bibel eine Randerscheinung. Die Lutherbibel verzeichnet insgesamt nur sieben Belege, wovon vier auf das Alte Testament (Dan 8,21; 10,20; 11,2; Sach 9,13), zwei auf die apokryphen Makkabäerbücher (1Makk 1,1; 6,2) und nur einer auf das Neue Testament (Apg 20,2) entfallen. Das im hebräischen Alten Testament für „Griechenland“ benutzte Wort „Jawan“, das in der Lutherbibel auch als Eigenname behandelt wird und daher nicht immer übersetzt wird, ist an sieben weiteren Stellen zu finden (Gen 10,2.4; 1Chr 1,5.7; Jes 66,19; Hes 27,13.19).

3.1. Das AT

In der → Völkertafel wird der Begriff „Jawan“ (Gen 10,2.4) vermutlich als Bezeichnung der Ionier gebraucht – einem griechischem Volksstamm an der Küste Kleinasien (ähnlich auch 1Chr 1,5.7).

Unter den Völkern, die nach der Prophezeiung Tritojesajas zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem kommen, befindet sich auch „Jawan“ (Jes 66,19f). Hesekiel erwähnt Jawan und die Rhodier in einer Prophezeiung über Tyrus als Handelspartner der Stadt (Hes 27,13.15.19). Sacharja spricht für die Zeit vor dem Erscheinen des Friedenskönigs vom endzeitlichen Kampf zwischen den Söhnen Zions und den Söhnen Jawans (Sach 9,13), während der Aufstieg des Reichs der Griechen unter Alexander d. Gr. Gegenstand der Visionen im Danielbuch ist (Dan 8,21: „König von Jawan“; 11,2: „Königreich Jawan“). Die beiden Belege für „Griechenland“ im ersten Makkabäerbuch beziehen sich ebenfalls auf Alexander d. Gr. (1Makk 1,1; 6,2).

3.2. Das NT

Griechenland ist wichtiger Schauplatz für die Missionstätigkeit des Apostels → Paulus, insbesondere für die zweite (vgl. Apg 16-18), aber auch für Teile der dritten Missionsreise (vgl. Apg 20; 2Kor 2,13). Philippi, Thessaloniki, Beröa, Athen und Korinth sind die Stätten der paulinischen Mission in Griechenland.

Abb. 7: Karte von zweiter und dritter Missionsreise (Deutsche Bibelgesellschaft)

Da Griechenland im 1. Jh. n. Chr. in Macedonia (Hauptstadt Thessaloniki) und Achaia (Hauptstadt → Korinth) geteilt ist, verwendet das Neue Testament die Namen der römischen Provinzen (Achaia: Apg 18,12.27; 19,21; Röm 15,26; 1Kor 16,15; 2Kor 1,1; 9,2; 11,10; 1Thess 1,7f; Macedonia: Apg 16,9ff; 18,5; 19,21ff; 20,1.3; Röm 15,26; 1Kor 16,5; 2Kor 1,16; 2,13; 7,5; 8,1; 9,2ff; 11,4; Phil 4,15; 1Thess 1,7f; 4,10; 1Ti 1,3). Einzige Ausnahme und direkter Beleg für den Begriff „Griechenland“ ist Apg 20,2: Paulus sei von → Ephesus über Makedonien nach „Griechenland“ (Hellás) gereist, womit vermutlich die Provinz Achaia gemeint ist (vgl. auch Apg 19,21).

4. Paulus in Griechenland

Nach dem Zeugnis der Apg und der Briefe brach Paulus nach dem Apostelkonvent in Jerusalem (48/49 n. Chr.) zur Missionstätigkeit in Kleinasien und Griechenland auf (vgl. Apg 15; Gal 2). Als „Apostel der Heiden“ (Röm 11,13) verfolgte er den Plan, das → Evangelium bis nach Spanien zu bringen (vgl. Röm 15,23). Zuvor mussten Kleinasien und Griechenland gewonnen werden. Dabei konzentrierte er sich auf die Gründung von Gemeinden in den urbanen Zentren, die ihrerseits das Evangelium in die sie umgebenden Territorien brachten. In relativ kurzer Zeit entstanden im östlichen Teil des Imperiums christliche Gemeinden. 55/56 n. Chr. kann der → Apostel behaupten, dass das gesamte Gebiet zwischen Jerusalem und Illyrien mit der Verkündigung des Evangeliums in Berührung gekommen ist (vgl. Röm 15,19).

Die Mission in Griechenland beginnt nach den Angaben der Apostelgeschichte mit der Überfahrt nach Makedonien. Durch eine Vision motiviert (vgl. Apg 16,9), brachen Paulus und seine Mitarbeiter (→ Timotheus, → Silas) von Alexandria Troas in Mysien auf und reisten per Schiff über Samothrake nach Neapolis in Makedonien (heute Kavála). Die kleine Hafenstadt in der Nähe von Philippi war die erste Stadt Griechenlands (und Europas), die der Apostel betrat (vgl. Apg 16,11).

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4.1. Philippi

Auf der Via Egnatia – der wichtigsten Ost-West-Verbindung zwischen Byzanz und Rom – gelangte Paulus nach → Philippi. Die Stadt gerhörte zum ersten Bezirk der Provinz Macedonia (vgl. Apg 16,12) und war 42 v. Chr. nach der Niederlage der Cäsarmörder in der Schlacht von Philippi zur römischen Kolonie ernannt worden. Sie trug den Namen Colonia Iulia Augusta Philippensis (42-30 v. Chr. Colonia Victoria Philippensis) und war Heimat für eine große Zahl ausgedienter Legionäre und italischer Siedler. Nach Ausweis der Inschriften war der Grad der Romanisierung hoch – die Lateinische Sprache und Tradition vorherrschend. Die alteingesessene Bevölkerung (Makedonen und Thraker) sprach Griechisch.

Nach der Apg 16,13ff begann die paulinische Mission mit der Predigt in einer jüdischen Gebetsstätte vor den Toren der Stadt. → Lydia – eine Purpurhändlerin aus dem kleinasiatischen Thyatira - ließ sich mit ihrem „Haus“ taufen, das zur Keimzelle für die christliche Gemeinde wird (vgl. Apg 16,15).

Die Apostelgeschichte weiß von Konflikten mit der Stadtregierung (Apg 16,20), von einer kurzen Verhandlung auf dem Forum (Apg 16,19: „Agora“) sowie von anschließender Inhaftierung und überstürzter Freilassung der Missionare (vgl. Apg 16,16-40). Die Erzählung um den Gefängniswärter scheint mit legendarischen Elemente ausgeschmückt.

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Wie der → Philipperbrief des Paulus bezeugt (vgl. Phil 1,7f; 4,15f), blieb das Verhältnis des Gemeindegründers zur „Erstlingsfrucht Makedoniens“ auch nach der Abreise ausnehmend gut. Über Epaphroditus und Timotheus hält Paulus auch aus der Ferne Kontakt zur Gemeinde (vgl. Phil 1,1; 2,19; 2,25; 4,18), die er im Verlauf der dritten Missionsreise nochmals besucht (vgl. Apg 20,1-3).

4.2. Thessaloniki („Thessalonich“)

Von Philippi kommend (vgl. 1Thess 2,2; Apg 17,1) war Thessaloniki die nächste Station der paulinischen Mission in Griechenland. Amphipolis und Apollonia sind der Apostelgeschichte nur als Durchgangsorte an der Via Egnatia bekannt (vgl. Apg 17,1).

Die heutige Metropole am Thermaischen Golf war im Jahre 316/15 v. Chr. gegründet worden und in makedonischer Zeit wichtiger Stützpunkt für Handel und Flotte.

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In römischer Zeit (nach 148 v. Chr.) wurde Thessaloniki Hauptstadt der Provinz Macedonia und entwickelte sich zur größten Stadt Nordgriechenlands. Nach 42 v. Chr. zur civitas libera („Freistadt“) erhoben (vgl. Inscriptiones Graecae X 2,1 Nr. 6), behielt Thessaloniki die aus makedonischer Zeit stammenden Institutionen städtischer Selbstverwaltung wie Rat, Volksversammlung (demos) und Politarchen (vgl. Apg 17,6ff). Einige wenige Zeugnisse literarischer und epigraphischer Art legen die Existenz einer jüdischen Synagoge nahe, an die die paulinische Mission anknüpfen konnte (vgl. Apg 17,1b). Nach Apg 17,2-5 hatte die paulinische Predigt vor allem unter Gottesfürchtigen und „angesehensten Frauen“ Erfolg, geriet aber mit den Juden in Konflikt, die eine Verhandlung vor der Stadtregierung („Politarchen“; vgl. Inscriptiones Graecae X 2,1 nr. 126) erwirken. Auf alte christliche Lokaltradition zurückgehen dürfte die Nennung eines gewissen Jason, der die Missionare beherbergt und für sie bürgt (vgl. Apg 17,5b-9). Paulus verlässt die Stadt bei Nacht in Richtung Beröa (vgl. Apg 17,10), hält aber weiterhin über seine Mitarbeiter Kontakt mit der Gemeinde (vgl. 1Thess 3,6; Apg 19,22). Wenige Monate schreibt er in Korinth den Ersten Thessalonicherbrief und besucht die Gemeinde nochmals auf der dritten Missionreise (vgl. Apg 20,1-3). Der Zweite Thessalonicherbrief gilt zumeist als pseudepigraph, ist aber Zeugnis für den Fortbestand der christlichen Gemeinde im 1. Jh. n. Chr.

4.3. Beroia („Beröa“)

Die alte, schon bei Thukydides (460-396 v. Chr.) erwähnte Stadt Beroia (heute: Véria) war in römischer Zeit Sitz des makedonischen Städtetages (vgl. Münzprägungen) und trug den Ehrentitel „Metropolis“.

Die relative Abgelegenheit (Cicero: In Pisonem 89: oppidum devium) – abseits der Via Egnatia ohne Zugang zum Meer – und die bekannte Beschaulichkeit dürften nach den Vorfällen in Thessaloniki dazu beigetragen haben, dass Paulus und seine Begleiter Beroia als nächstes Ziel wählten (vgl. Apg 17,10). Wie in Thessaloniki bot auch hier die örtliche Synagoge den Anknüpfungspunkt für die paulinische Mission. Die Predigt des Evangeliums hat Erfolg. Apg 20,4a erwähnt später ein Mitglied der jungen Gemeinde mit Namen: Sopater aus Beroia, der zu den Begleitern des Paulus auf der dritten Missionsreise gezählt wird.

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Die in Apg 17,13ff berichteten Querelen aus Anlass des Missionserfolges (Eifersucht der Juden) erinnern literarisch stark an die Begebenheiten in Thessaloniki. Nach Apg 17,15 verlässt Paulus die Stadt und reist – begleitet von Mitgliedern der Gemeinde – weiter nach Athen. Silas und Timotheus bleiben in Beroia zurück und treffen erst später wieder mit ihm zusammen (vgl. Apg 18,5, aber auch 1Thess 3,1!).

4.4. Athen

Zur Zeit des Paulus hatte Athen schon lange seine Eigenständigkeit und den politischen Einfluss aus der Zeit nach den Perserkriegen verloren. Die Stadt blieb aber der Ort, in der die von Sokrates und Platon begründete Tradition der philosophischen Bildung fortlebte. Die Elite des Mittelmeerraumes, darunter nicht wenige Römer, studierte hier. → Horaz erhielt nach eigenen Angaben seine entscheidende Ausbildung unter den Bäumen der platonischen Akademie (Horaz, epist. 2,43).

Der Philhellenismus, der sich schon im 2. Jh. v. Chr. durch großzügiges Sponsoring monumentaler Bauwerke auf der Agora bzw. am Fuße der Akropolis gezeigt hatte (Olympieion, Attalos-Stoa, Eumenes-Stoa etc.), setzte sich in römischer Zeit fort. Besonders die Regentschaften der Kaiser → Trajan (98-117 n. Chr.) und → Hadrian (117-138 n. Chr.) trugen dazu bei, dass die Stadt ihren Ruf als Bildungs- und Kulturmetropole bis in die ausgehende Antike behaupten konnte. Offiziell geehrt mit dem Titel einer civitas libera et foederata behielt die Stadt ihre traditionellen Institutionen (Rat, Volksversammlung, Areopag etc.).

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Lukas gestaltet den Besuch des Paulus in Athen durch die berühmte →„Areopagrede“ zu einem literarischen Höhepunkt der 2. Missionsreise (vgl. Apg 17,16ff). Umstritten ist die Historizität seiner Angaben. Die Diskussion des Apostels mit den Epikureern und Stoikern auf der Agora – dem traditionellen Ort sokratischen Gesprächs – könnte bewusste literarische Anknüpfung an Lokalkolorit sein (vgl. Apg 17,16-18). Ähnlich auch der Auftritt vor dem → Areopag als dem ehrwürdigem Gremium attischer Demokratie. Die dort gehaltene Rede des Paulus (vgl. Apg 17,21ff) ist stark stilisiert, wenngleich die Existenz von Altären für „unbekannte Götter“, an die die Rede anknüpft (vgl. Apg 17,23), durch die Reisebeschreibung des Pausanias (2. Jh. n. Chr.) belegt ist (Descriptio Graeciae I 1,4).

Der Erfolg der Missionstätigkeit in Athen ist unklar. Die Apostelgeschichte nennt neben einer nicht näher benannten Anzahl von Männern namentlich zwei Personen, die sich dem Apostel anschließen: Dionysios, ein Mitglied des Areopags, der in orthodoxer Tradition als erster Bischof der Stadt gilt, und eine Frau namens Damaris (vgl. Apg 17,34). In den Briefen des Paulus und im übrigen NT findet sich kein Hinweis auf die Existenz einer christlichen Gemeinde. Von Athen reiste Paulus nach Korinth (vgl. Apg 18,1; 1Thess 3,1).

4.5. Korinth

Die Stadt am Isthmos mit seinen großen Häfen (Lechaion und Kenchreai) war die bedeutendste und größte Stadt Griechenlands. Nach der Blüte in archaischer und klassischer Zeit (8.-4. Jh. v. Chr.) geriet der Stadtstaat seit dem 4. Jh. in Konflikt mit den Großmächten. Nach der Zerstörung durch die Römer (146 v. Chr.) wurde Korinth von Julius Caesar als römische Kolonie wieder aufgebaut (44 v. Chr.). Die Colonia Laus Iulia Corinthiensis war seit 27 v. Chr. Hauptstadt der neu gegründeten Provinz Achaia und Sitz des Prokonsuls. Im Jahre 51/52 n. Chr. hatte Lucius Iunius Gallio, ein Bruder des Philosophen Seneca, dieses Amt inne. Nach Apg 18,12-17 musste sich Paulus während seines Aufenthalts in Korinth vor ihm verantworten. Nach Ausweis der archäologischen Funde sowie der antiken Quellen (vgl. Pausanias, Descriptio Graeciae II 1,1-5,5) entwickelte sich die Stadt im 1./2. Jh. n. Chr. zu einem pulsierendem und weltoffenem Handelszentrum.

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Die Anfänge der Christengemeinde gehen auf die paulinische Mission zurück. Nach Apg 18,2 traf Paulus in Korinth auf Aquila und Priscilla, ein jüdisches Ehepaar aus Rom, das wie der Apostel, dem Beruf des Zeltmachers nachging . Auch in Korinth sucht der Apostel den Kontakt zur örtlichen → Synagoge (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 281). Im Haus des Titius Iustus – eines Gottesfürchtigen - scheint sich die erste Gemeinde gebildet zu haben (vgl. Apg 18,7).

Korinth entwickelte sich zum Zentrum der paulinischen Mission in Griechenland. Nach Apg 18,11 verbrachte Paulus hier mindestens anderthalb Jahre. Während dieser Zeit schrieb er den Ersten Thessalonischerbrief (vgl. 1Thess 1,7f; 3,1.6).

Die beiden Korintherbriefe, die nach der Abreise des Apostels abgefasst wurden, geben Einblick in die alltäglichen Schwierigkeiten einer jungen Christengemeinde in heidnischem Umfeld. Gleichzeitig spiegeln sie facettenreich das wechselhafte und bisweilen komplizierte Verhältnis zwischen dem Apostel und seinen „geliebten Kindern“ wider (1Kor 4,14f), von denen einige namentlich bekannt sind (z.B. Stephanas, Gaius, Crispus, Sosthenes, Phoibe in Kenchreai; vgl. Apg 18,8.17; Röm 16,1ff; 1Kor 1,1; 1,14ff; 16,15ff). Der in Röm 16,23 erwähnte „Stadtkämmerer“ Erastus könnte mit dem in einer Bodenplatte vor dem Theater erwähnten identisch sein.

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Persönliche Anfeindungen, Spaltungen und andere innergemeindliche Probleme veranlassten Paulus im Jahre 55/56 n.Chr. zu weiteren Aufenthalten in Korinth (vgl. Apg 20,3; 2Kor 10-13: „Zwischenbesuch“). Von hier aus schrieb der Apostel auch den Römerbrief (vgl. Röm 15,22ff; 16,1ff; 16,21ff). Den Fortbestand der christlichen Gemeinde bezeugt der um 95 n. Chr. verfasste Erste Clemensbrief.

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Abbildungsverzeichnis

  • Löwentor der Burganlage von Mykene Foto: Christoph vom Brocke
  • Alexander der Große Foto: Christoph vom Brocke
  • Kaiser Nero (54-68 n. Chr.) Foto: Christoph vom Brocke
  • Antiochus IV. Epiphanes. Foto: Christoph vom Brocke
  • Herodes der Große. Foto: Christoph vom Brocke
  • Die Vision von Troas – Paulus-Denkmal in Veria. Foto: Christoph vom Brocke
  • Philippi - Römisches Forum. Foto: Christoph vom Brocke
  • Thessaloniki - Promenade und „Weißer Turm“. Foto: Christoph vom Brocke
  • Paulus-Denkmal in Véria. Foto: Christoph vom Brocke
  • Athen - Agora und Akropolis. Foto: Christoph vom Brocke
  • Korinth - Lechaion-Straße und Forum im Hintergrund. Foto: Christoph vom Brocke
  • „Erastus-Inschrift“. Foto: Christoph vom Brocke

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