Gottesfürchtige (NT)
(erstellt: Juli 2022)
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1.Grundsätzliches
Der Ausdruck „Gottesfürchtige“ orientiert sich an den literarisch und epigraphisch in unterschiedlichen Kontexten bezeugten θεοσεβεῖς / theosebeis (Sg. Θεοσεβής / theosebēs), den vor allem in der → Apostelgeschichte
Gegenüber dem Proselytentum mag die Möglichkeit eines vollgültigen Übertritts zur Gemeinde der Christen ohne → Beschneidung
Inwiefern von jüdischer Seite auf einen Übertritt der Gottesfürchtigen gedrängt, also aktiv missioniert wurde, lässt sich nicht pauschal beantworten. Die polemische Äußerung in Mt 23,15
2. Hebräische Bibel und Rabbinen
2.1 Hebräische Bibel und Septuaginta
Die hebräische Bibel kennt mit dem Hauptmann → Naaman
2.2 Rabbinische Literatur
jāre šāmajim
Für Sympathisierende, die nicht voll zum Judentum übergetreten sind, bürgert sich im rabbinischen Schrifttum der Ausdruck des jāre šāmajim, des den Himmel Fürchtenden, ein (vgl. etwa bSanh 70b zu Spr 31,1
ger tošāb
Für einen Sympathisanten, der die → noachitischen Gebote
3. Frühjüdische Quellen
3.1 Philo von Alexandrien
Philo stellt Petronius, den Legaten von Syrien, als Amtsträger mit Affinität zu jüdischer Lebensweise dar. Der als von „Natur aus wohlwollend und gütig“ (Leg Gai 243) Belobigte verhinderte erfolgreich, dass Kaiser Caligula seine Statue im Jerusalemer Tempel errichten ließ. Petronius werden ein „Schimmer von der jüdischen Philosophie und Frömmigkeit“ (Leg Gai 245; Übersetzung F.W. Kohnke-Giessen) und eine seelische Prädisposition für die jüdischen Werte attestiert, die Philo als universell präsentiert (vgl. Feldman, 349). Ihm zufolge spricht das jüdische Gesetz „alle Jünger der Weisheit, seien es Hellenen oder Barbaren“, an (Spec Leg II 44; vgl. Feldman, 349). Einrichtungen wie Sabbatobservanz oder der Versöhnungstag fänden weltweit Beifall (vgl. Vit Mos II 20f.; auch Josephus, Ap 2,282; Feldman, 348f.; Siegert 1973, 147).
3.2 Flavius Josephus
3.2.1 Judaisieren, Nachahmen, Mitvollziehen
Die Begrifflichkeit des „Judaisierens“ (ἰουδαΐζω / ioudaizō), in Est 8,17
Josephus kennt „Griechen, die unsere feierlichen Gebräuche verehren“ (Ant 3,217) und berichtet von antiochenischen Juden: Sie „zogen eine Menge Griechen zu ihrer Gottesverehrung herüber, wodurch sie jene gewissermaßen zu einem Bestandteil ihrer eigenen Gemeinde machten“ (Bell 7,45; Übersetzung H. Clementz). Möglicherweise handelt es sich hier eher um Sympathisierende als um Proselyten (vgl. Feldman, 350), an deren Status als Hellenen sich durch den Übertritt offenbar nichts änderte.
Mit Stolz spricht der jüdische Historiker vom Eifer der Griechen für jüdische Sitten (Ap 1,166), „unsere Gottesverehrung“ (eusebeia; Ap 2,282), die allerorts verbreitete Sabbatruhe, „das Fasten, Anzünden von Lichtern und viele unserer Speisegebote“ (Ap 2,282). Jüdische Tugenden wie sozialer Zusammenhalt, Wohltätigkeit und Engagement für das Gesetz würden breit „nachgeahmt“ (Ap 2,283). Anders als in der paganen Literatur (vgl. etwa Augustinus, Civ VI 10; siehe 6), wird die Partizipation an jüdischer Religionspraxis hier wertgeschätzt.
Diese Partizipation drückte sich Josephus zufolge u. a. darin aus, dass „alle Juden des Erdkreises und alle Verehrer des wahren Gottes sowohl in Asien wie in Europa“ (Ant 14,110; Übersetzung H. Clementz) den Jerusalemer Tempel unterstützten. Neben Juden werden (wie in der Apg) sebomenoi ton theon genannt, die wahrscheinlich als Sympathisierende aufzufassen sind (vgl. Feldman, 350; Sigert 1973, 128). Josephus berichtet, dass Fulvia, eine „den jüdischen Gesetzen beigetretene“ (Ant 18,82) Frau aus der römischen Elite, um ihre Weihegabe an den Jerusalemer Tempel betrogen wurde.
3.2.2 Poppäa Sabina
In Ant 20,189-196 verlautet über Poppäa Sabina, die Gattin Neros, dass sie „eine gottesfürchtige Frau war und sich deshalb für die Juden ins Mittel legte“ (Ant 20,195; Übersetzung H. Clementz). Sie kam den Bitten einer Gesandtschaft nach, den Abriss einer Mauer des Jerusalemer Tempels zu verhindern, und hielt dabei zwei der Gesandten als Geiseln zurück: Der Hohepriester und der Tempelschatzmeister werden zuvor für diverse Gräueltaten verantwortlich gemacht (vgl. Ant 20,181), sodass ihre Absetzung als Akt der Gerechtigkeit erscheint (vgl. Ant 20,195f.). Ähnlich gelagert ist Poppäas an anderer Stelle bezeugte „Wohltat“ (Vita 16), sich für Josephus‘ nahestehende Priester einzusetzen. Eine „gottesfürchtige“ Haltung äußert sich demzufolge in politischer Affinität und diplomatischem Eingreifen höchster paganer Kreise zugunsten bestimmter jüdischer Gruppen (hier Tempelpriester). Aus anderen Quellen bezogene moralische Zuschreibungen an die Gattin Neros im Sinne einer „happy eclectic“ (Williams, 87) gehen an Text und Sache vorbei.
3.2.3 Izates und Helena
Den Unterschied zwischen einer gottesfürchtigen Existenz und voller Konversion entfaltet die Erzählung vom Übertritt des Königshauses von Adiabene zum Judentum (vgl. Ant 20,17-96; vgl. auch jSuk 1; jNas 3,6; BerRbti). Der Thronfolger Izates und seine Mutter Helena lassen sich durch jüdische Vermittler davon überzeugen „Gott zu verehren“ (Ant 20,34) bzw. die jüdischen Gesetze zu verinnerlichen. Am Wunsch des Izates sich beschneiden zu lassen, um „felsenfest“ oder „vollkommen jüdisch“ (Ant 20,38) zu sein, diskutiert die Erzählung die Möglichkeit, auch „ohne Beschneidung Gott zu verehren“ (Ant 20,41). Trotz Sorge vor dem Widerstand der eigenen Untertanen wird der äußere identity marker schließlich doch vollzogen. Der Beschneidung folgen karitative Wohltaten der Mutter aus Mitteln des Sohnes an Notleidende in Jerusalem (Ant 20,53). Diese werden als Ausdruck der „Frömmigkeit“ (eusebeia) Helenas markiert.
4. Die Gottesfürchtigen im lukanischen Doppelwerk
4.1. Spezifische Begrifflichkeiten der Apostelgeschichte
Lk stellt in der Apg mit den Ausdrücken φοβούμενοι / phoboumenoi bzw. σεβόμενοι τὸν θεόν / sebomenoi ton theon Sympathisierende jüdischer Lebensweise dar (vgl. Apg 10,2.22.35
Für den abrupten Wechsel von phoboumenoi zu sebomenoi ton theon ab Apg 13,50
Nicht eindeutig ist zudem die Aufforderung von Paulus und Barnabas an die Proselyten, „dass sie bleiben sollten in der Gnade Gottes“ (Apg 13,43
4.2 Mission unter Gottesfürchtigen
4.2.1 Kornelius
Der Hauptmann einer römischen Kohorte namens Kornelius wird in Apg 10
4.2.2 Erfolg und Misserfolg in den Synagogen
Mit der Anrede „Ihr Männer von Israel und ihr Gottesfürchtigen“ (Apg 13,16
Die Perikope von Paulus in Athen beginnt: „Und er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf dem Markt zu denen, die sich einfanden“ (Apg 17,17
Nach einem weiteren Zerwürfnis mit der Synagoge in Korinth (vgl. Apg 18,5f.
4.2.3 Gottesfürchtige Frauen
Angesehene und reiche Frauen spielen im Kontext der paulinischen Mission eine wichtige Rolle: In Philippi werden von vornherein die Frauen angesprochen; die Purpurhändlerin → Lydia
Die historische Bedeutung der Gottesfürchtigen für die urchristliche Mission lag darin, dass sie durch ihre oftmals hohe soziale Stellung den jungen Christusgemeinden Ansehen und Einfluss in deren paganem Umfeld sichern konnten (vgl. Siegert 1991, 932). Der Gedanke liegt nahe, dass Mission unter den Gottesfürchtigen von den Synagogen als Herausforderung ihres mühsam erworbenen sozialen Status Quo verstanden wurde.
4.3 Lukasevangelium
Das → Lukasevangelium
Der sog. Hauptmann von Kafarnaum (Lk 7
5. Paulus und die frühchristliche Entwicklung
Obwohl das Gesetz ein wichtiges Motiv in den Paulusbriefen darstellt, spielen diese in der Diskussion um die Gottesfürchtigen eine stark nachgeordnete Rolle. Es ist strittig, ob Paulus Gottesfürchtige abwarb (vgl. Siegert 1973, 136) oder sie überhaupt adressierte (vgl. Lieu, 55). In Röm 4,9f.
Beim sog. Antiochenischen Zwischenfall wirft Paulus → Petrus
Im → Ersten Timotheusbrief
Insgesamt sieht Judith Lieu in den frühchristlichen Schriften eine Entwicklung des Begriffs der „Gottesfurcht“ hin zu einer „general designation for the true Christian religion“ (Lieu, 83). Bereits bei Irenäus (Haer I 16,3) könne theosebeia parallel zu „Wahrheit“ (ἀλήθεια / alētheia) in Abgrenzung zu Häresie, also lehrhaft verstanden werden.
Als Beleg für die Existenz von Gottesfürchtigen im 2. Jh. n. Chr. wird Justins Dialog mit Trypho (Mitte des. 2. Jh. n. Chr.) gesehen (vgl. Stanton, 374). Anders als die Gottesfürchtigen (Dial 10,4), so der Vorwurf des fiktiven Juden Trypho, praktizierten die Christen weder Sabbat noch Beschneidung und bezeichneten sich dennoch als fromm (Dial 10,3). Der Punkt: Wenn sogar Gottesfürchtige die Gebote einhalten, sollten die Christen dies doch erst recht tun (vgl. Feldman, 357). Umgekehrt erhebt Tertullian in Ad Nationes 1,13 Vorwürfe gegen Heiden, die jüdische Feste mitvollziehen. In den Instructiones des christlichen Poeten Commodianus (3. Jh.) schreibt sich diese ambiguitätsfeindliche Haltung gegen christlich-jüdische Grenzgängerinnen und -gänger fort (vgl. Feldman, 357).
6. Pagane Literatur
Als locus classicus wird seit Bernays wiederholt ein Passus aus Juvenals XIV. Satire angeführt:
Manche, denen ein den Sabbat ehrender Vater (metuentem sabbata patrem) zuteil wurde, beten nichts an außer den Wolken und der Gottheit des Himmels (nil praeter nubes et caeli numen), glauben, von menschlichem Fleisch unterscheide sich nicht das eines Schweines, dessen sich der Vater enthielt, und lassen bald auch ihre Vorhaut beschneiden (mox et praeputia ponunt: Juvenal, Sat XIV 96-99; Übersetzung J. Adamietz).
Der Vater hält den Sabbat sowie (gewisse) Speisegebote und betet den Himmel an, der Sohn schließlich lässt sich im Sinne einer „progression of observance“ (Feldman, 347) beschneiden. Das Partizip metuens ist dabei nicht unbedingt, wie Bernays meinte, als terminus technicus anzusehen (vgl. Feldman, 348; vgl. aber Levinskaya 1996, 118f.). Dass die „Gottheit des Himmels“ (caeli numen) angebetet wird, lässt an die „Himmelsfürchtigen“ in rabbinischen Texten denken (siehe 2.2), hier in ablehnender Außenperspektive freilich zu „nichts als Wolken“ degradiert. Gewarnt wird davor, dass der Sohn eines gottesfürchtigen Vaters ein Proselyt wird. Ähnliches gilt für ein Gedichtfragment des Petronius, in dem das Anrufen der „höchsten Himmelsohren“ (caeli summas…auriculas) und die Anbetung einer „Schweinegottheit“ (porcinum numen) erwähnt werden. Wiederum scheint eine Abgrenzung Gottes- oder Himmelsfürchtiger von Juden impliziert (vgl. Schäfer, 117-119). Die satirische Wirkung konnte jeweils nur erzielt werden, wenn das Thema einem breiten Publikum bekannt war (vgl. Feldman, 346; Levinskaya 1996, 119).
Seneca kritisiert im Traktat De Superstitione die Verbreitung jüdischer Lebensweise: „Die Besiegten haben den Siegern Gesetze gegeben“ (victi victoribus leges dederunt; Augustinus, Civ VI 11; Übersetzung W. Thimme; vgl. Juvenal, Sat XIV 100). Die darauffolgende Kritik an der Sabbatobservanz richtet sich v.a. an die Nachahmenden: „Sie (illi) freilich kennen die Gründe ihres Ritus, doch tut der größere Teil des Volkes (maior pars populi), was er selbst nicht begreift“ (Übersetzung W. Thimme).
Eine zweite Gruppe neben den Juden wird auch in Suetons Bericht über die Ausweisung der Juden aus Rom im Jahr 19 n. Chr. genannt. Inkludiert werden die, die ähnliche Dinge (similia) vertraten (Sueton, Tib 36; vgl. Feldman, 345). Zu dieser Kategorie gehörte Plutarch zufolge wohl auch „ein Freigelassener namens Caecilius, der dem Judentum zuneigte“ (Plutarch, Cic 7,6,4f.; Übersetzung K. Ziegler / W. Wuhrmann). Dieser römische Quaestor übte offenbar einige jüdische Praktiken aus und wird demnach als Sympathisant dargestellt (vgl. Feldman, 345). Diesbezüglicher Argwohn drückt sich bei Epiktet aus: „Warum spielst du den Juden vor, obwohl du Grieche bist?“ Epiktet adressiert „einen, den man zwischen zwei Glaubensweisen hin und herschwanken sieht“ (Diss II 9,20; Übersetzung R. Mücke). Die anschließend genannte Taufe wird üblicherweise als Proselytentaufe gedeutet, sodass wohl von einem Gottesfürchtigen die Rede ist (vgl. Feldman, 347; Schäfer, 145).
In Bezug auf die besonders harte Eintreibung des fiscus Iudaicus durch Domitian heißt es: „Zu ihrer [der Judensteuer, M.A.] Zahlung wurden diejenigen herangezogen, die entweder wie Juden lebten, ohne sich dazu zu bekehren (inprofessi Iudaicam viverent vitam), oder jene, welche die ihrem Volke auferlegten Zahlungen nicht geleistet hatten, da sie ihre Herkunft verheimlichten“ (Sueton, Dom 12,2; Übersetzung O. Veh). Mit der ersten Gruppe sind wahrscheinlich Sympathisierende gemeint (siehe die Diskussion bei Schäfer, 165f.), die zusammen mit den Proselyten offenbar eine finanzpolitisch relevante Größe ausmachten (vgl. Schäfer, 171). Diese Annahme stützt eine von Cassius Dio überlieferte Episode über den Fall des Ehepaars Flavius Clemens und Domitilla. Clemens wird demnach von Domitian wegen „Atheismus“ hingerichtet, Domitilla in die Verbannung geschickt, „weshalb auch viele andere, die sich in jüdische Lebensformen hineintreiben ließen, Verurteilung erfuhren. Einige von ihnen wurden hingerichtet, andere nur ihres Vermögens beraubt“ (Cassius Dio LXVII 14,1-3; Übersetzung O. Veh). In dieser Weise sollten unter Anwendung der lex maiestatis auf jüdische Sympathisierende in der römischen Oberschicht politische Gegner ausgeschaltet und Geld eingetrieben werden (vgl. Levinskaya 1996, 5-9).
Demnach nehmen pagane Autoren zur Kenntnis, dass viele ihrer nicht-jüdischen Zeitgenossen den Sabbat als Ruhetag schätzen und sich an jüdische Speisegesetze halten. Diese auf Enthaltung von Schweinefleisch reduzierte Wahrnehmung wird wie die Anbetung eines mit der Himmelsmetapher umschriebenen Gottes abwertend ins Wort gebracht („Schweinegottheit“, „nichts als Wolken“). Die nicht immer klar erscheinende Abgrenzung zwischen Juden und Nicht-Juden, die sich auch am Mangel eindeutiger Begrifflichkeiten zeigt, rief Argwohn hervor. Trotz der damit verbundenen Gefahren sympathisierten viele mit jüdischer Lebensweise, wie im Spiegel satirischer Invektiven und staatlicher Repressalien deutlich wird.
7. Epigraphische Zeugnisse
7.1 Aphrodisias-Inschriften
Eine Sonderstellung in der Debatte nimmt der als Aphrodisias-Inschrift bzw. -Inschriften bekannt gewordene Fund einer zweiseitig beschriebenen Stele ein, die 1987 von Reynolds und Tannenbaum erstediert wurden (= SEG 36,970 = IJO II 14). Darauf finden sich die Namen von insgesamt 71 oder 72 Juden, darunter drei Proselyten, und 54 als „gottesfürchtig“ (θεοσεβῖς / theosebis: B 34; θεοσεβ[ής] / theoseb[ēs]: A 19f.) bezeichneten nicht-jüdischen Spendern (möglicherweise einer Spenderin; vgl. Brooten) im Kontext einer jüdischen Stiftung. Die Aphrodisias-Inschriften stellen einen Wendepunkt in der Debatte um die Gottesfürchtigen dar, weil hier eine so bezeichnete Gruppe gegenüber geborenen Juden und Proselyten separat aufgeführt wird. „For the first time there was clear evidence that Jews, proselytes and God-fearers were three different groups in a certain town of Asia Minor“ (Koch, 63). Die Aphrodisias-Inschriften haben wiederum eine eigene Debatte über Datierung, Interpretation und v.a. die Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse in Gang gebracht. Die ersten Zeilen auf Seite A lauten (nach Deutung Amelings):
θεὸς βοηθὸς πατελλάδω[ν]
οἱ ὑποτεταγμέ-
νοι τῆς δεκαν(ίας)
τῶν φιλομαθῶ[ν]
(5) τῶν κὲ παντευλογ(ούντων?)
εἰς ἀπενθησίαν τῷ πλήθι ἔκτισα[ν]
ἐξ ἰδίων μνῆμα
…
Gott (ist) der Helfer der Imbißinhaber. Die unten aufgeführten Mitglieder der Vereinigung der Wissensliebenden, die auch (bekannt sind als die, die) Segen auf alle herabrufen, errichteten der Menge zur Befreiung von Trauer aus eigenen Mitteln ein Grabmal…
(Text und Übersetzung W. Ameling)
Als gewisser Konsens in der Forschung gilt, dass beide Seiten des 2,80 Meter hohen Marmorblocks weder zur selben Zeit noch von derselben Hand und, nicht wie zunächst angenommen, zu Beginn des 3., sondern im 4. bis 5. Jh. n. Chr. beschrieben wurden (vgl. Ameling, 79-82). „A ist auf jeden Fall später“ (Ameling, 82). Nach Reynolds und Tannenbaum ist in Z.1 von einer von den Juden in Aphrodisias betriebenen öffentlichen Suppenküche (πάτελλα / patella) die Rede, zu der die darunter aufgeführten Spender, darunter Juden und Gottesfürchtige, beigetragen hätten (inklus. Seite B). Aufgrund der mit diesem Vorschlag einhergehenden grammatikalischen Probleme meint Ameling, dass Seite B Spender zum Bau eines Grabmals nennt, das „allen Mitgliedern der Gemeinde offenstand“ (Ameling, 92). Seite A listet Spender zu dessen Renovierung auf.
Die θεοσεβεῖς / theosebeis auf Seite B und A haben ein unterschiedliches Profil: B listet 52 nicht-jüdische Spender unter der Überschrift „… und die folgenden Gottesfürchtigen“ (B 34) auf. Es folgen Ratsherren (B 35-38) und Vertreter unterschiedlicher Gewerbe (Purpurfärber, Geschossmacher, Bildhauer, Geldwechsler etc.; B 39ff.). Das Epithet θεοσεβής / theosebēs ist auf Seite B demnach eine dankbare Würdigung paganer Wohltätigkeit von jüdischer Seite, „not an acknowledgement of obedience to certain practices“ (Lieu, 80). Diese Mitbürger „were pious, because they gave some money to a religious institution“ (Koch, 69). theosebēs erscheint folglich als jüdischer „Dialekt“ des paganen Ehren-Epithets eusebēs (gegen Lieu, 57, vgl. aber 77; Rajak, 389; Robert, 45; siehe Kap.1).
Demgegenüber ist bei den zwei als theoseb(ēs) bezeichneten Nicht-Juden auf A 19f., die unter 13 Mitgliedern einer jüdischen „Vereinigung der Wissensliebenden“ (A 3f.) aufgeführt werden, von einer engeren Bindung auszugehen (vgl. Koch, 75; Murphy-O'Connor). Sie stellen eine von den Proselyten abgegrenzte Gruppe dar (vgl. A 13). „Für die Zusammensetzung der δεκανία ist interessant, daß hier drei Proselyten und zwei ‚Gottesfürchtige‘ in einem Gremium vertreten sind, dem auch Gemeindehonoratioren angehörten“ (Ameling, 95).
Historisch wird die prominente Selbstdarstellung der Juden von Aphrodisias, die auch pagane Gottesfürchtige anzog, vor dem Hintergrund des Galeriusedikts (311 n. Chr.; vgl. Noethlichs, 37 mit Anm. 313) gesehen. Dieses zielte auf religiöse Integration und schuf kurzfristig einen Markt der Glaubensüberzeugungen (vgl. Chaniotis, 231).
7.2 Theaterinschrift von Milet und weitere
Die sog. Theaterinschrift von Milet (CIJ II 748 = IMilet 940f.) datiert ins 2. oder 3. Jh. n. Chr. Auf einem Theatersitz im Theater von Milet steht geschrieben: τόπος Εἰουδέων τῶν καὶ θεο<σ>εβίον / topos Eioudeōn tōn kai theo<s>ebion, je nach Interpretation zu übersetzen entweder als „Platz der Juden, die auch die [Gemeinschaft der] Frommen genannt werden“ (Siegert 1973, 159), oder „Platz der Juden zusammen mit den Gottesfürchtigen“. Entscheidend ist: War dieser Platz für zwei Gruppen oder eine bestimmt, d.h. Juden mit Beinamen Fromme / Gottesfürchtige oder Juden und eine separat anzusehende Gruppe Gottesfürchtiger? Eher als von einer ehrenden Selbstbezeichnung der Juden (vgl. Lieu, 80) ist von einer undifferenzierten Außenwahrnehmung auszugehen, die Gottesfürchtige und Juden gleichsetzte (vgl. Baker, 413f.; Levinskaya 1996, 64f.). Die Annahme, es handle sich um Anhänger des Theos Hypsistos-Kults, setzt die Existenz einer solchen jüdisch-paganen Gruppierung voraus (vgl. Baker, 415f.; siehe 7.4). Da es zudem einen weiteren Sitz im selben Theater nur für Gottesfürchtige gab (vgl. Levinskaya 2019, 388), bietet keine der genannten Lösungen letzte Sicherheit.
Unter den mehr als 80 Inschriften in der sog. Synagoge von Sardes finden sich sechs Ex-Votos, in denen das Epithet theosebēs auftaucht (vgl. Kroll, 7-10). Zwei Freilassungsinschriften aus Pantikapäum an der Nordküste des Schwarzen Meeres aus dem 1. Jh. n. Chr. sprechen von der „Synagoge der Judäer und Gott Fürchtenden (?)“ (vgl. Trebilco, 155f.) bzw. „der Synagoge der Juden und Gottesfürchtigen“ (vgl. Levinskaya 2019). Letztere Inschrift bestärkt die Annahme, „that Godfearers could have been full members of the Jewish communities“ (Levinskaya 2019, 385).
Daneben finden sich indirekte Hinweise auf Gottesfürchtige, etwa auf der Weihinschrift eines kleinen Altars aus dem 1. od. 2. Jh. n. Chr. in Pamphylia: „dem untrüglichen und nicht mit Händen gemachten Gott ein Gelübde“ (van der Horst). Die seltenen Adjektive „untrüglich“ und „nicht mit Händen gemacht“ (ἀχειροποίητος / acheiropoiētos) weisen in frühchristlichen bzw. jüdischen Sprachgebrauch (vgl. Apg. 17,24
Die lateinischen metuens / metuentes-Inschriften, die aufgrund der lexikalischen Entsprechung von metuo zu σέβομαι / sebomai in die Diskussion einbezogen wurden, lassen sich nicht eindeutig auf Gottesfürchtige oder jüdisches Milieu beziehen (vgl. Feldman, 358; Levinskaya 1996, 69f.).
7.3 Pagane Frauen als Wohltäterinnen
Julia Severa (CIJ II 766; IJO II 168), Priesterin des Kaiserkults im 1. Jh. n. Chr., stiftete die Synagoge von Akmoneia in Phrygien. Dass sie auch politisch-soziale Vorteile darin sehen mochte, öffentlich mit der Synagoge assoziiert und von dieser belobigt zu werden, schließt eine sympathisierende Haltung keineswegs aus (gegen Lieu, 58).
Für Capitolina, eine Gottesfürchtige aus dem 3. Jh. (CIG 2924; Trebilco, 4.3), ist eine Schenkung an die Synagoge von Tralles in Erfüllung eines Gelübdes inschriftlich belegt.
Die Nicht-Jüdin Tation (IJO II 36), nicht direkt als Gottesfürchtige bezeichnet, tritt in einer Inschrift aus Phokaia oder Kyme (mglw. 3. Jh. n. Chr.) als Spenderin von Teilen eines Synagogenbaus in Erscheinung: Sie „errichtete das Haus und die Säulenhalle um den Hof aus eigenen Mitteln und schenkte sie dann den Juden“ (Übersetzung W. Ameling). Dafür wird sie von der Synagoge u.a. mit einem Ehrensitz, wohl im Gottesdienst, geehrt (vgl. Ameling, 162-167).
7.4 Gottesfürchtige als "Hypsistarier"
Stephen Mitchell formulierte die kontroverse These, theosebeis bezeichneten jüdische wie pagane Anhänger eines Kultes des „Höchsten Gottes“ (θεὸς ὕψιστος / theos hypsistos; vgl. Mitchell). Vor dem Hintergrund henotheistischer Tendenzen in der griechisch-römischen Kultur, möglicherweise unter jüdischem Einfluss (vgl. Lieu, 63), hätten Juden und Heiden zur gemeinsamen Verehrung eines oder des „Höchsten Gottes“ zusammengefunden. Dagegen wurde eingewendet, dass die Bezeichnung Höchster Gott nicht zwingend einen distinkten Kult voraussetzt, sondern vielmehr zunächst ein übertragbares, polyvalentes Epitheton darstellt (vgl. Wischmeyer). Ob ein jüdisch-paganer Mischkult im Rahmen der Kaiserzeit mit ihrer „Durchlässigkeit der Formeln und Bilder“ (Marek, 145) denkbar ist, hängt nicht zuletzt davon ab, welcher Grad an Heterogenität für die jüdischen Diaspora-Gemeinden veranschlagt wird (zur Deutung der Synagoge von Sardes als Kultstätte von Theos Hypsistos vgl. Goodman).
Siehe auch
Literaturverzeichnis
Lexikonartikel
- Siegert, F., Art. Gottesfürchtige, in: NBL I (1991) 931-932
- Weigandt, P., Art. οἰκία, in: EWNT II (21992) 1210-1211
Kommentare
- Dunn, J.D.G., The Acts of the Apostles, Grand Rapids 2016
- Jervell, J., Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 1998
- Pesch, R., Die Apostelgeschichte. 2. Teilband: Apg 13-28 (EKK 5 / 2), Zürich / Neukirchen-Vluyn 1986
Weitere Literatur
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- Ameling, W. (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis. Band II: Kleinasien (TSAJ 99), Tübingen 2004
- Baker, M., Who Was Sitting in the Theatre at Miletos? An Epigraphical Application of a Novel Theory, in: JSJ 36 (2005) 397-416
- Bernays, J., Die Gottesfürchtigen bei Juvenal, in: Commentationes philologae in honorem Theodori Mommseni scripserunt amici, Berlin 1877, 563-569
- Brooten, B.J., Iael προστάτης in the Jewish Donative Inscription from Aphrodisias, in: Pearson, B.A. (Hg.), The Future of Early Christianity (FS H. Koester), Minneapolis 1991, 149-162
- Chaniotis, A., The Jews of Aphrodisias: New Evidence and Old Problems, in: SCI 21 (2002) 209-242
- Cohen, S.J.D., The Conversion of Antoninus, in: Schäfer, P. (Hg.), The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I (TSAJ 71), Tübingen 1998, 141-171
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- Feldman, L.H., Jew and Gentile in the Ancient World. Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993
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- Wischmeyer, W., ΘΕΟΣ ΥΨΙΣΤΟΣ. Neues zu einer alten Debatte, in: ZAC 9 (2005) 149-168
Abbildungsverzeichnis
- Stele aus Aphrodisias, Vorderseite und linke Seite / Copyright: A. Chaniotis; aus Koch 2006, 64
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