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Gott / Gottesbild (AT)

(erstellt: April 2012)

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1. Einheit in der Vielfalt

Das Gottesbild des Alten Testaments ist vielschichtig wie das Alte Testament selbst, das in seiner überlieferten Endgestalt das Ergebnis einer Wachstums- und Bearbeitungsgeschichte ist. Bei aller Diskussion um die Details besteht doch soweit Einigkeit, dass diese Geschichte, jedenfalls in schriftlicher Form, in das erste Jahrtausend vor Christus und zwar ganz überwiegend in dessen zweite Hälfte fällt (vgl. Levin 2001). In der Schriftensammlung, die in den christlichen Kirchen „Altes Testament“ heißt, sind somit Gotteserfahrungen und Gottesbilder aus einem knappen Jahrtausend zusammengeflossen. Einzelne Motive sind noch älter und finden sich z.B. bereits in der aus → Ugarit bekannten kanaanäischen Mythologie (vgl. Spieckermann 2006). Die Rede von Gott im Alten Testament ist deshalb polyphon und keineswegs immer sauber intoniert. Gemeinsam ist den verschiedenen Stimmen, jedenfalls im Verständnis derer, die sie der Nachwelt als Sammlung überlieferten, die Überzeugung, immer von demselben Gott zu erzählen. In der Vielstimmigkeit der alttestamentlichen Zeugnisse lässt sich im Sinn einer theologischen Zusammenschau von dem Gottesbild des Alten Testaments deshalb unter folgenden Voraussetzungen sprechen:

a) Gott ist, bei aller Verschiedenheit der im Alten Testament bezeugten Gottesvorstellungen und → Gottesbezeichnungen, einer (Dtn 6,4).

b) Dieser eine Gott (hebr. אֱלֹהִים ’älohîm) hat sich unter dem Namen → Jahwe (hebr. יהוה / im Folgenden Jhwh) offenbart (Ex 6,2f) und → Israel zu seinem Volk gemacht (Ex 24; Dtn 26,17f).

c) Der eine Gott Jhwh will als Gott Israels allein (Ex 20,3 // Dtn 5,7) und bildlos (Ex 20,4 // Dtn 5,8) verehrt werden (→ Monotheismus).

d) Der Gott Israels ist als einziger Gott auch der Schöpfer der Welt und des Menschen (Gen 1 u.ö.; → Schöpfung).

e) Gott offenbart sich in der Geschichte durch sein Handeln sowohl an seinem Volk insgesamt, als auch am einzelnen Menschen. Er ist der Herr der Geschichte (Jes 41,21-29 u.ö.). Im geschichtlichen Handeln Gottes wird sein Wesen offenbar.

2. Gottes Einheit und Einzigkeit

Das Alte Testament bezeugt, so verstanden, in einer Vielzahl von Gottesbildern bzw. Gottesvorstellungen die Einheit und Einzigkeit Gottes. Allerdings stehen weder diese noch jene am Beginn der Geschichte des Alten Testaments. Die bekannte Stele des Merenptah (vgl. → Israel 3.2.) bezeugt zwar im späten 2. Jahrtausend v. Chr. eine ethnische Größe mit dem Namen Israel im Bereich der syro-palästinischen Landbrücke, sagt aber nichts über ihren Gott oder ihre Religion. Der Gott Jhwh tritt erst mit den Königreichen Israel und Juda ins Licht der Geschichte, also mit der Staatenbildung im 10. Jh. v. Chr. Wie Jhwh zum „Staatsgott“ dieser beiden Königreiche wurde, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Ganz allgemein ist die einfachste Annahme, dass sich die Religion Israels und Judas zunächst nicht wesentlich von den Religionen anderer Kleinstaaten im syrischen Raum unterschieden hat.

Jhwh war in Israel und in Juda als Schutzgott der jeweils regierenden Dynastie der wichtigste Gott, der im offiziellen Kult verehrt wurde – vielleicht sehr früh faktisch monolatrisch (vgl. Petry 2007a). Wahrscheinlich wurde er jedoch an verschieden Orten in unterschiedlichen lokalen Manifestationen verehrt (vgl. Schmid 2003). Die Texte aus Kuntillet ‘Aǧrūd (→ Kuntillet ‘Aǧrūd [Kuntillet Agrud]) und Chirbet el-Qōm (→ Chirbet el-Qōm [Chirbet el-Qom]) bezeugen einen „Jhwh von Samaria“ neben einem „Jhwh von Teman“ und es liegt nahe, neben beiden auch die Existenz eines „Jhwh von Jerusalem“ zu vermuten. Erst nach dem Untergang des Nordreiches Israel 722 v. Chr. wird eine Entwicklung einer zunehmenden Entgrenzung Jhwhs greifbar, an deren Ende aus einer innerhalb einer begrenzten Region in verschiedenen lokalen Manifestationen verehrten Gottheit der Gott geworden ist, der als einziger Gott überhaupt verehrt wird. Wie er als Staats- und Dynastiegott von Juda im Jerusalemer Tempel seinen Thron hatte (vgl. Jes 6,1ff; Ps 24,7ff), wird er auch als einziger Gott Zion / Jerusalem in besonderer Weise verbunden, gleichwohl nicht an den Tempel gebunden bleiben:

„So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße! Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte?“ (Jes 66,1).

Auf dem langen Weg dorthin propagiert zunächst Dtn 6,4 den Gedanken der Einheit Jhwhs (vgl. Aurelius 2003). Das sukzessive entstehende Buch → Deuteronomium definiert das Verhältnis des einen Gottes Jhwh zu dem nunmehr einen Volk Israel als exklusiven → Bund (Dtn 26,17f) und verpflichtet das Volk zur Verehrung Gottes an nur einem Kultort (Dtn 12). Ob dieses Gebot der Kultzentralisation historisch mit den Kultreformen zusammenhängt, die 2Kön 23,8 dem König → Josia zuschreibt, ist strittig (dafür z.B. Pakkala 1999, 231ff; Albertz 1992, 307-327, dagegen z.B. Kratz 2000, 136ff; vgl. auch Petry 2007a, 33ff). Das Erste Gebot des → Dekalogs (Ex 20,3 // Dtn 5,7) ordnet schließlich die alleinige Verehrung, das → Bilderverbot des Dekalogs (Ex 20,4 // Dtn 5,8) die kultbildlose Verehrung Jhwhs programmatisch an (zum „Mehr“ des Bilderverbots gegenüber dem Fremdgötterverbot vgl. Petry 2007b). Frühestens in der ausgehenden Exilszeit, spätestens im frühen 5. Jh. v. Chr. verkündigt der in der Forschung → „Deuterojesaja“ genannte Prophet, dass der eine und allein zu verehrende Gott Israels der einzige Gott überhaupt ist (Jes 44,6; Jes 45,5; Jes 45,6; Jes 45,21; Jes 46,9 u.ö.) und trägt so das Konzept des → Monotheismus in das Gottesbild des Alten Testaments ein.

Damit war jedoch keineswegs der Endpunkt einer im Rückblick gleichsam evolutionären, gar stringenten und notwendigen Entwicklung vom Polytheismus über die Monolatrie zum Monotheismus erreicht. Vielmehr wurde die Frage nach Gott, nach seinem Wesen und seinem geschichtlichen Wirken sowie nach dem Besonderen seiner Beziehung zu seinem erwählten Volk im Gegenüber zur Völkerwelt unter neuen Vorzeichen in persischer und hellenistischer Zeit immer wieder neu gestellt und vielfältig beantwortet. So wurden etwa die sonst einer Mehrzahl von Göttern oder anderen numinosen Mächten zugeschriebenen Eigenschaften und Phänomene entweder in das Bild des einzigen Gottes integriert (z.B. Jes 45,5-7) oder bestimmte, insbesondere negative oder „dunkle“ Elemente aus dem Gottesbild ausgegliedert (z.B. durch die Nicht-Schöpfung des → Chaos in Gen 1 oder die Figur des → Satans im Hi 1f. Die Spannung zwischen den verschiedenen Positionen blieb im Laufe der weiteren Überlieferungsgeschichte des Alten Testaments erkennbar.

3. Gottes Offenbarung in der Geschichte

Das Alte Testament entwirft weder ein Gottesbild im Sinne eines systematischen Lehrgebäudes, noch geht es ihm darum, Gott zu beweisen. Die Schriften des Alten Testaments setzen entsprechend dem altorientalischen common sense Gottes Existenz voraus und entfalten sein Wesen und seine Eigenschaften im Rahmen von Erzählungen, die von der Geschichte Gottes mit der Welt und mit seinem Volk Israel handeln. Der erzählerische Bogen, der gespannt wird, um „Gottes Heilshandeln als Äußerung seines Wesens“ zu deuten (Feldmeier / Spieckermann 2011), reicht – ungeachtet der Zeit der jeweiligen Erzähler bzw. Autoren – von der Schöpfung der Welt (Gen 1) bis zur Etablierung eines um den Jerusalemer Tempel gescharten Gemeinwesens in persischer Zeit (→ Esra-Nehemia).

3.1. Tora und Geschichtsbücher

3.1.1. Schöpfung, Urgeschichte und Vätererzählungen (Genesis)

„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“ (Gen 1,1). Gleich der erste Satz des Alten Testaments stellt Gott als Schöpfer vor (→ Genesis; → Schöpfung). Gott schafft (ברא br’) Himmel und Erde, Wassertiere und Vögel (Gen 1,21f) sowie den Menschen (Gen 1,27), er lässt das Licht (Gen 1,3) oder die Fruchtbarkeit der Erde (Gen 1,11) durch sein Wort entstehen (אמר ’mr), er macht (עשׂה ‘śh) Sonne und Mond (Gen 1,16) und die Tiere des Feldes (Gen 1,25). So schafft, ordnet und gestaltet Gott auf vielfältige Weise die Welt, die der Lebensraum des Menschen und die Bühne der Geschichte ist. Im Rahmen der → Urgeschichte (Gen 1-11) wird der für alle Menschen gültige Rahmen der Gott-Mensch-Beziehung abgesteckt: Die Grenze zwischen Gott und dem Menschen, dem Gott die Herrschaft über die Erde übertragen hat (Gen 1,28), ist der Tod. Nach dem Sündenfall (Gen 3) rückt er als reale Bedrohung ins Bewusstsein des Menschen (Gen 3,19; in Gen 6,3 wird seine Lebenszeit dann konkret auf maximal 120 Jahre begrenzt). Der Tod wahrt die Unterscheidbarkeit von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf (Gen 3,22). Trotz der den Menschen wegen seines Ungehorsams treffenden Vertreibung aus dem Garten → Eden bleibt Gott seinem Geschöpf insoweit zugewandt, als er ihm ein Leben außerhalb des → Paradieses ermöglicht. Der Mensch erfährt Gott als den Herrn über Leben und Tod, eine Ambivalenz im alttestamentlichen Gottesbild, die noch im Rahmen der Urgeschichte in der → Sintfluterzählung (Gen 6-9) wiederkehrt. Gott vernichtet das Leben auf der Erde, sorgt im Auftrag an → Noah jedoch zugleich für seinen Fortbestand und sagt im → Bund (בְּרִית bərît) mit Noah die Erhaltung des Lebens zu (Gen 9,9-11). Dieser Bund, vor dem Werden der Völker (Gen 10) geschlossen, gilt für die gesamte Menschheit und bezieht sogar die Tierwelt ein.

Gott, der das Leben der gesamten Menschheit ermöglicht, kann sich gleichwohl in besonderer Weise einzelnen Menschen zuwenden (→ Erzeltern). Er beruft aus der Vielzahl der Völker → Abram / Abraham und verheißt ihm Nachkommen, → Segen und für die verheißenen Nachkommen → Land (Gen 12). Unter Abrahams Söhnen (→ Ismael und → Isaak) ist nur Isaak Träger dieser Verheißung (Gen 17,21), von den beiden Söhnen Isaaks nur → Jakob, nicht → Esau. Gott ist in seiner Wahl frei, aber in seiner Verheißung treu. Die Verheißungsträger sind von den Gefahren des Lebens nicht frei, aber sie werden in ihnen bewahrt. Jakob blickt auf ein bewegtes Leben zurück, als er nach dem Kampf am → Jabbok den Namen Israel erhält (Gen 32,29). Seine Söhne werden die Stammväter und Namensgeber der 12 Stämme des Gottesvolkes.

3.1.2. Exodus, Gesetz und Wüstenwanderung (Exodus – Deuteronomium)

Das Buch → Exodus erzählt sodann von der Herausführung der zu einem großen Volk gewordenen Nachkommenschaft Jakobs aus Ägypten. Zur Führung des Volkes beruft Gott → Mose (Ex 3-4) und offenbart sich ihm unter dem Namen → Jhwh als Gott der „Erzväter“ Abraham, Isaak und Jakob, den diese allerdings noch nicht namentlich gekannt hätten (Ex 6,2f). Der eine Gott kann somit auch vor und damit unabhängig von der Offenbarung des Gottesnamens verehrt werden. Die Bekanntgabe des Gottesnamens unterstreicht allerdings die besondere Beziehung Gottes zu Israel. Sie bekommt durch die Offenbarung des Willens Gottes zunächst am → Sinai / Horeb im → Dekalog (Ex 20,2-17), im → Bundesbuch (Ex 20,22-23,33) und in den Kultbestimmungen der Bücher Exodus und → Leviticus (darin das → Heiligkeitsgesetz, Lev 17-26) sowie am Ende der Wanderung in den Gesetzen des → Deuteronomiums eine formale Grundlage, auf deren Einhaltung das Volk am Vorabend der Landnahme beim Bundesschluss (Dtn 26,16-19) verpflichtet wird. Der → Bund besiegelt das exklusive Verhältnis zwischen Gott und Israel. Es gilt: Jhwh, der Gott Israels – Israel, das Volk Jhwhs. Das erwählte Volk soll → heilig sein, weil sein Gott heilig ist (Lev 11,45; Lev 19,2). Da im Bund und in der → Erwählung Gottes → Liebe zu seinem Volk Ausdruck finden, ist die angemessene Haltung der Erwählten die Liebe zu Gott, wie sie im „Höre Israel“ (Dtn 6,4f) gefordert wird (→ Schema Israel). Sie äußert sich ihrerseits wesentlich in der Einhaltung der Ersten Gebots:

„Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. […] Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott…“ (Dtn 5,6f; Dtn 5,9a // Ex 20,2f; Ex 20,5a).

Der Gott des Dekalogs tritt nicht als Gott eines Ortes, einer Dynastie oder als Gott der Vorfahren auf, sondern als persönliches Gegenüber, dessen Anspruch an jeden Einzelnen herantritt (vgl. Petry 2007b). Gott wacht über seinen Anspruch als ein eifernder Gott (אֵל קַנָּא ’el qannā’; Dtn 5,9 // Ex 20,5; vgl. Ex 34,14; Dtn 4,24; Dtn 6,15). Sein Eifer als Zug seines Wesens äußert sich in Form von Zorn gegenüber jenen, die seine Gebote missachten (wörtlich: „die mich hassen“) oder als Barmherzigkeit gegenüber jenen, „die mich lieben und meine Gebote halten“ (Dtn 5,10 // Ex 20,6). Gottes → Zorn ist als Ausdruck enttäuschter Liebe ohne diese nicht denkbar und ihr nachgeordnet: „Nicht der verbitterte, zornige Gott prägt das Alte Testament, sondern der in seiner Liebe hintergangene Gott, der der unbeirrbar Liebende bleibt“ (Feldmeier / Spieckermann 2011, 134).

Der im Rahmen des Dekalogs als Gotteswort formulierte Zusammenhang zwischen Gottesliebe, Gebotsbeachtung und Wohlergehen des Volkes zieht sich wie ein roter Faden durch die biblische Darstellung der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Einerseits weicht Gott seinem Volk während der → Wüstenwanderung nicht von der Seite (Ex 13,21f). Dass Gott mit seinem Volk mitgeht, ist fester Bestandteil des alttestamentlichen Gottesbildes. Andererseits reagiert Gott bereits am Sinai auf den in der Anfertigung des → goldenen Kalbes manifesten Abfall des Volkes mit äußerstem Zorn und mit Strafe (Ex 32). Die göttliche Strafe führt dann gleichwohl doch nicht zur zunächst angekündigten Vernichtung des Volkes. Auf Moses Fürbitte hin reut (נחם nḥm Nif.; Ex 32,14) Gott sein Vernichtungsurteil und er beschränkt die Strafe auf die Abgefallenen. Schließlich dürfen nicht die Empfänger der Gottesoffenbarung in der Wüste, sondern erst ihre Kinder in das verheißene Land einziehen (Num 14).

3.1.3. Israel im Land (Josua – 2Könige)

Nach der im Buch → Josua geschilderten Eroberung des Landes bildet eine sich wiederholende Folge von Abfall, Strafe, Gebet und Errettung sowie erneutem Abfall das grundlegende Schema der im → Richterbuch erzählten vorstaatlichen Zeit Israels im Land (vgl. Aurelius 2003b).

So beispielhaft Ri 3,7-12a:

7 Und die Israeliten taten, was dem HERRN missfiel, und vergaßen den HERRN, ihren Gott, und dienten den Baalen und den Ascheren. 8 Da entbrannte der Zorn des HERRN über Israel und er verkaufte sie in die Hand Kuschan-Rischatajims, des Königs von Mesopotamien; und so diente Israel dem Kuschan-Rischatajim acht Jahre. 9 Da schrien die Israeliten zu dem HERRN, und der HERR erweckte ihnen einen Retter, der sie errettete, Otniël, den Sohn des Kenas, des jüngsten Bruders von Kaleb.10 Und der Geist des HERRN kam auf ihn, und er wurde Richter in Israel und zog aus zum Kampf. Und der HERR gab den König von Mesopotamien Kuschan-Rischatajim in seine Hand, sodass seine Hand über ihn stark wurde. 11 Da hatte das Land Ruhe vierzig Jahre. Und Otniël, der Sohn des Kenas, starb.

12 Aber die Israeliten taten wiederum, was dem HERRN missfiel…

Vor diesem Hintergrund klingt der letzte Satz des Richterbuches wie ein Fazit und scheint von der Errichtung einer Monarchie die Besserung der Verhältnisse zu erwarten: „Zu der Zeit war kein König in Israel; jeder tat, was ihn recht dünkte“ (Ri 21,25). Vor der in 1Sam 9-10 in Gottes Auftrag durch → Samuel geleiteten Designation und Wahl → Sauls zum ersten König Israels wird allerdings in 1Sam 8 das Königtum als Verwerfung Gottes beurteilt:

„Der HERR aber sprach zu Samuel: Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll“ (1Sam 8,7; vgl. auch Ri 8,23; 1Sam 12,12).

Nun werden göttliches und menschliches Königtum in der Umwelt des Alten Testaments gerade nicht als Widerspruch verstanden. Der irdische König gilt als Repräsentant Gottes, der als Sohn des Götterkönigs in größter denkbarer Nähe zum himmlischen Herrscher steht (vgl. Feldmeier / Spieckermann 2011, 56ff; vermutlich ist diese Vorstellung aus Ägypten in das Alte Testament übernommen worden; vgl. auch → König / Königtum [Ägypten]). Unter anderem Ps 2 oder 2Sam 7 legen nahe, dass dies in vorexilischer Zeit in Jerusalem nicht anders war (→ Königtum Gottes). Der in 1Sam 8 konstatierte Antagonismus von irdischem Königtum und göttlicher Herrschaft (vgl. dazu Veijola 1977; Müller 2004; → Königskritik) setzt deshalb vermutlich ein verändertes Welt- und Gottesbild voraus. Nach dem Verlust des Staates und der Institution des irdischen Königtums wird Gott selbst als König Israels proklamiert, neben dem ein irdischer König in Israel eigentlich keinen Platz hat.

In dieser Hinsicht steht die Verkündigung → Deuterojesajas der deuteronomistischen Kritik (→ Deuteronomismus) am Königtum recht nahe. Zwar fehlt bei Deuterojesaja die direkte Polemik gegen ein irdisches Königtum in Israel, es hat unter monotheistischem Vorzeichen aber praktisch keinen Platz mehr: das Königtum über Israel wird Jhwh selbst zugeschrieben, die klassischen irdischen Aufgaben des Königs werden einerseits auf den Fremdherrscher (irdische Herrschaft), andererseits auf das Gottesvolk (Vermittlung zwischen Gott und Welt durch Bezeugung Gottes vor den Völkern) übertragen (vgl. Petry 2007a).

Im weiteren Verlauf der in den Büchern Samuel und Könige geschilderten Geschichte des Gottesvolkes bleibt die Sicht auf das Königtum ambivalent. Die Könige Israels und Judas werden an der Einhaltung des göttlichen Gebotes gemessen, doch mehrheitlich (die Könige Israels ausnahmslos) scheitern sie an diesem Maßstab und werden mit jenem Urteil belegt, das im Richterbuch das Volk getroffen hatte, denn sie taten, „was böse war in den Augen des HERRN“ (הָרַע בְּעֵנֵי יְהוָה). So erscheint der Untergang der Königreiche Israel und Juda letztlich als konsequente Reaktion Gottes auf eine Geschichte des Abfalls. Doch die Geschichte Gottes mit seinem Volk endet nicht mit Gottes Zorn. Die Hoffnung auf Gottes erneute Barmherzigkeit jenseits des Gerichts scheint bereits am Ende der Königebücher auf (vgl. Aurelius 2003b) und wird dann in der Verkündigung der Prophetenbücher in unterschiedlichen Gestaltungen zur Zukunftsperspektive.

3.2. Propheten

Die Verkündigung der Prophetenbücher des Alten Testaments läuft inhaltlich zur Geschichtsdarstellung der Bücher Samuel und Könige teilweise parallel, historisch und theologisch führt sie diese weiter. Dieser Umstand hängt eng mit der Entstehung und dem Wachstum der Prophetenbücher zusammen. Es hat sich etwa über ein halbes Jahrtausend hinweg, vom 8. Jh. v. Chr., als das Werden der Bücher → Jesaja, → Hosea und → Amos begann, bis ins frühe 2. Jh. v. Chr., als die prophetische Literatur des Alten Testaments ihre Endgestalt erreichte, vollzogen (vgl. Kratz 2003). So begleiten, kommentieren und reflektieren die Propheten die Geschichte des Gottesvolkes vom 722 v. Chr. besiegelten Ende des Königreichs Israel über den Untergang des Königreichs Juda 587 v. Chr. (→ Jeremia; → Ezechiel) bis zum Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels in persischer Zeit (→ Haggai; → Sacharja; → Maleachi; → Deuterojesaja) und darüber hinaus, zum Teil bis zum erwarteten Ende der Welt. Das Gottesbild der Prophetenbücher ist vom Auf und Ab der Geschichte des Gottesvolkes geprägt: „In ihren Rückblicken auf die Vergangenheit, den Analysen der Gegenwart und den Prognosen der Zukunft künden sie von einem Gott, der sein Volk verworfen hat, aber nicht von ihm lassen kann. Und sie künden von einem Volk, das seinen Gott verlassen hat, aber nicht ohne ihn leben kann.“ (Kratz 2003, 7).

Die Propheten, so fasst es bereits der deuteronomistische Rückblick auf die Geschichte Israels in 2Kön 17 (vgl. Aurelius 2003b, 71-95) zusammen, verkünden vor dem Exil des Gottesvolkes Gottes Gericht als Reaktion auf menschliches Fehlverhalten, sei es kultischer oder sozialer Art (vgl. z.B. Am 1,6ff; Hos 4,1ff; Jes 5; Jer 2; Ez 5 u.ö.). Jhwh wacht in beiden Bereichen über die in seinem Namen erlassenen Gesetze und Ordnungen als Gott des → Rechts und der Gerechtigkeit (מִשְׁפָּט וּצְדָקָה mišpāṭ ûṣədāqāh; Jer 9,23 u.ö.). Daher ist Gerechtigkeit nicht nur eine Eigenschaft Gottes (vgl. z. B. Ps 33,5; Ps 36,6f; Ps 85,11-14), sondern als theologischer Schlüsselbegriff (vgl. Spieckermann 2003) ganz allgemein „der Maßstab nicht nur für das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern auch für das Verhältnis der Menschen untereinander“ (von Rad 1982, 382). Die alttestamentliche Prophetie fordert die Beachtung dieses Maßstabs immer wieder ein bzw. warnt vor den Folgen seiner Missachtung. Gottes Zorn wird als Ausdruck seiner richtenden Gerechtigkeit erfahren, doch er bleibt nicht Gottes letztes Wort (Jes 54,7ff). Nach dem Gericht verkünden die Propheten, insbesondere Deuterojesaja, dem exilierten Volk eine heilvolle Zukunft, einen neuen Exodus (Jes 43,16ff u.ö.; Jer 16,14f) sowie den Wiederaufbau des Tempels (Jes 44,24ff; Hag 2,6ff; → Eschatologie). Sie versichern es seiner weiterhin gültigen Erwählung (Jes 41,8f; Jes 43,1ff) und proklamieren den Gott Israels als König über alle Völker und die ganze Erde (Jes 45; Jes 52,7-10; Sach 14,9).

Das bei Deuterojesaja erstmals explizit formulierte Bekenntnis zu Jhwh als dem einzigen Gott („Monotheismus“) dient im Rahmen seiner Heilsprophetie zunächst und vor allem als Argument für Gottes Geschichtsmacht (Jes 41,21-29 u.ö.), also als Versicherung, dass Gott auch nach dem erfahrenen Gericht weiterhin für sein Volk in die und in der Geschichte eingreifen kann und will. Dabei kann Gott, in dieser Hinsicht ändert sich in der frühen Perserzeit die Sicht auf die Völker, fremde Herrscher nicht nur als Werkzeuge seines Zornes gegen, sondern auch ausdrücklich zum Wohle des Gottesvolkes einsetzen: Ein fremder Herrscher, der Gott nicht einmal kennt, wird zu seinem Gesalbten (Jes 45,1-7). Dem Gottesvolk kommt die Aufgabe zu, Gottes Einzigkeit zu bezeugen (Jes 43,10-13 u.ö.). Die Rolle der fremden Völker bleibt insgesamt betrachtet freilich ambivalent. Ihre endzeitliche Niederwerfung durch Gott bleibt, wahrscheinlich verstärkt vor dem Hintergrund späterer, politisch instabilerer Epochen, die Verheißung für die Zukunft (vgl. Jes 13-23; Jer 49-51; Ez 25-32).

3.3. Schriften

Die → Psalmen und Teile der Weisheitsliteratur des Alten Testaments setzen sich mit dem in der Geschichte erfahrenen und von den Propheten verkündigten Gottesbild auseinander. Dabei sind insbesondere im → Psalter alle wesentlichen Facetten alttestamentlicher Theologie und ihres Gottesbildes vertreten (vgl. Spieckermann 1989). Die Psalmbeter bringen Klage, Dank und Lob in verschiedenen Lebenssituationen mit unterschiedlichen Erwartungen vor Gott (→ Gebet). Diese Erwartungen sind gleichwohl (auch heute noch, wenn sich ein Beter einen Psalm zu Eigen macht) konkret, weshalb je nach Situation durchaus verschiedene Eigenschaften Gottes erinnert und aufgerufen werden bzw. ihretwegen an Gott appelliert wird. Die folgende Aufzählung kann insofern nicht abschließend sein, sondern lediglich Beispiele nennen:

Ps 104 lobt Gott als Schöpfer, Ps 82 ruft ihn als den gerechten Richter an, andere Psalmen bekennen die Gerechtigkeit als Eigenschaft Gottes (Ps 33,5; Ps 36,6f; Ps 85,11-14) oder verkünden Gott als König (Ps 29; Ps 47; Ps 93; Ps 95-99; vgl. dazu Jeremias 1987; → Königtum Gottes). Der rettende Gott des Exodus (Ps 105; Ps 114) und der Gesetzgeber (Ps 119) werden im Psalter bedacht, aber auch Gottes Zorn angesichts der Verfehlungen des Volkes (Ps 78; Ps 106) und das Exil (Ps 137). Gottes besondere Zuwendung zum Menschen wird ebenso gepriesen (Ps 8), wie an der Unterscheidung zwischen Gott uns Mensch festgehalten wird (Ps 115,16). Gott und das Leben gehören zusammen, Tote loben ihn nicht (Ps 6,6; Ps 30,10; Ps 88,11-13; Ps 115,17). Die Psalmbeter erfahren Gott als zu- oder abgewandt, formulieren Lob und Dank für erfahrene Zuwendung, bitten um ebensolche Zuwendung, um Schutz und Gerechtigkeit oder klagen ihre Not. Und noch in tiefster Not (z.B. Ps 13) appellieren sie an Gottes liebende Güte (חֶסֶד ḥæsæd; → Gnade), die sein Wesen eigentlich bestimmt (geradezu definitorisch: Ps 86,15; Ps 103,8; Ps 136; Ps 145,8, dort im Gegensatz zu Ex 34,6f ohne Einschränkung formuliert).

Ausgerechnet das Vertrauen in Gottes Güte und Gerechtigkeit, in die Berechenbarkeit oder doch zumindest Nachvollziehbarkeit göttlichen Handelns durch den Menschen, gerät in Teilen der Weisheitsliteratur in eine Krise (→ Weisheit). Das Scheitern der Idee eines schlichten → Tun-Ergehen-Zusammenhangs am Schicksal des Einzelnen wird literarisch im → Hiobbuch am grundlosen und unverstandenen Leiden des exemplarischen Gerechten durchgeführt, im täglichen Leben aus der Erfahrung geschlossen, dass gerechter Lebenswandel und irdisches Wohlergehen immer wieder nicht zusammengehen (so z.B. Ps 73; Pred 7,15; Pred 8,14). Zwar ist diese Erfahrung als solche im Alten Orient auch außerhalb und bereits lange vor der geschichtlichen Existenz Israels und seines Gottes belegt (vgl. Beyerlin 1975, 157ff). Allerdings wurde die jüngere Weisheitsliteratur des Alten Testaments vom Leid des Frommen vor dem Hintergrund des monotheistischen Bekenntnisses offenbar in besonderer Weise herausgefordert (vgl. Heckl 2010). Dabei tritt, während das Bild von Gott als Schöpfer unterstrichen wird, Gottes Wirken in der Geschichte in den Hintergrund, da der Sinn dieses Wirkens für den Menschen nicht durchschaubar ist. Das Hiobbuch stellt in diesem Zusammenhang noch die Frage nach Gottes Gerechtigkeit, freilich um sie angesichts der Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf für unsinnig zu erklären (Hi 40,7ff).

„Gerechtigkeit“ (צְדקָה ṣədāqāh), im Psalter und im → Sprüchebuch zahlreich belegt und theologisch von zentraler Bedeutung, kommt im → Predigerbuch begrifflich gar nicht mehr vor. Gleichwohl hofft der Prediger schließlich auf ein Gericht Gottes über Gerechte und Frevler (Pred 3,17; vgl. Pred 12,14). Obwohl ihm Gottes Gerechtigkeit in der Welt nicht erkennbar ist, gibt auch der Prediger das Bild des gerechten Gottes in letzter Konsequenz nicht auf. Wie alles Ding hat auch das Gericht, in dem die Gerechtigkeit zum Zuge kommt, seine Zeit, mag diese Zeit auch erst mit dem Eschaton, dem Kommen des Gottesreiches erfüllt sein (vgl. Dan 12; Ps 1,5; Weish 5,16f [Lutherbibel: Weish 5,17f]).

4. Aspekte des alttestamentlichen Gottesbildes

Die Rede von Gott im Alten Testament ist eingangs polyphon genannt worden. Das dieser Rede entsprechende Gottesbild des Alten Testaments muss folglich reich an Farben und Facetten sein. Sie alle angemessen zu beschreiben, ein umfassendes Gottesbild zu entwerfen, hielt bereits → Jesus Sirach für ein aussichtloses Unterfangen (vgl. Sir 43). Gleichwohl lassen sich einige zentrale Elemente im alttestamentlichen Gottesbild ausmachen: Der eine und einzige Gott des Alten Testaments ist (neben aber doch vor anderem) der Heilige, der Schöpfer, der Retter und Erbarmer sowie der Gerechte.

Zu den Eigennamen bzw. Gottesbezeichnungen des Alten Testaments vgl. insbesondere die Artikel → Jahwe bzw. → Gottesbezeichnungen / Gottesnamen (AT).

4.1. Gott, der Heilige

Es ist die von den → Serafim in Jes 6,3 lautstark verkündete → Heiligkeit Gottes, seine vollkommene Reinheit, die ihn vom Menschen und von der Welt klar und deutlich unterscheidet, jedoch erst in dieser Unterscheidung die Zuwendung Gottes zum Menschen und zur Welt ermöglicht (Feldmeier / Spieckermann 2011, 17ff). Der Gott des Alten Testaments geht nicht in der Welt auf, er steht ihr und damit dem Menschen, der Geschöpf ist, gegenüber. Nur so kann Gott dem Menschen ein Gegenüber sein. Als Gott seines in besonderer Weise zum Gegenüber erwählten Volkes ist Jhwh der „Heilige Israels“ (קְדוֹשׁ יִשְׂרָאֵל qədôš jiśrā’el; Jes 1,4; Jes 12,6, Jes 41,14; Jes 60,14; im Jesajabuch insgesamt 24-mal, außerhalb nur 2Kön 19,22; Jer 50,29; Jer 51,5; Ps 71,22; Ps 78,41; Ps 89,19). Auch wenn der Pentateuch diese Bezeichnung für Gott nicht kennt, kann er gleichwohl den Umkehrschluss formulieren: „Ihr sollt heilig sein; denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2; vgl. Ex 19,5f; Dtn 7,6). Das Volk des Heiligen ist gefordert, sich zu heiligen, d.h. Unreines zu meiden und nach körperlicher (vgl. Lev 11-15), sittlicher (vgl. Ps 24,3ff) und religiöser Reinheit zu streben (vgl. Jes 6,5ff).

Gottes Heiligkeit wirkt sich nicht nur auf sein Volk aus, sondern auf Alles und Jeden, das bzw. der ihm zugeordnet ist, also zu Gott gehört. Gottes → Name selbst ist heilig (vgl. Jes 57,15; Ps 103,1; Ps 111,9) und darum vor Missbrauch zu schützen (vgl. Ex 20,7 // Dtn 5,11; vgl. dazu Köckert 2007). Aber auch Menschen (z.B. die Priester durch Salbung: Ex 30,30ff), Orte bzw. Räume (z.B. als Orte einer Theophanie (→ Epiphanie), d.h., weil Gott dort erschienen ist: Ex 3,5; Ex 40), Gegenstände (z.B. das Heiligtum selbst und alle Geräte, die dazu gehören: Ex 30,25ff) oder Zeiten (z.B. der Sabbat: Gen 2,3; vgl. Ex 20,8ff) können heilig sein (Milgrom 2000).

Der Gegenbegriff zum Heiligen ist das Profane. Das Profane kann entweder rein oder unrein sein (→ Reinheit / Unreinheit / Reinigung). Da das Heilige vor dem Kontakt mit Unreinem unbedingt geschützt werden muss bzw. das Unreine in Gegenwart des Heiligen nicht bestehen kann (Jes 6,5), sind an allen möglichen Kontaktstellen von Heiligem und Profanen entsprechende Unreinheit vermeidende Vorkehrungen zu treffen.

4.2. Gott, der Schöpfer

Gleich die ersten Worte des Alten Testaments stellen Gott als den Schöpfer vor (→ Schöpfung). „Schaffen“ (ברא br’) ist die erste Tätigkeit Gottes, die erzählt wird. Der Gott des Alten Testaments tritt also unmittelbar als Schöpfer auf den Plan. Im Gegensatz zu ägyptischen Mythen oder zum babylonischen Schöpfungsmythos → Enuma Elisch erzählt das Alte Testament weder vom Werden Gottes bzw. der Götter (Theogonie), noch von einem Kampf der Götter um die Herrschaft (Theomachie). Der Gott der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung Gen 1 ordnet die Welt nicht durch Kampf sondern mit dem und durch das Wort: Neunmal heißt es in Gen 1: „Und Gott sprach“.

Das nach seinen Anfangsworten betitelte Weltschöpfungsepos „Enuma elisch“ („Als droben“), die klassische Kosmogonie Babylons, war weit über Babylonien hinaus bekannt. Der etwa 900 Zeilen Keilschrift auf sieben Tafeln umfassende Text diente vor allem der Verherrlichung des babylonischen Hauptgottes → Marduk. Er setzt ein beim „Urpaar“ Apsu und Tiamat, die die Götter erschaffen und erzählt, wie Marduk als Preis für seinen Sieg über Tiamat, deren Leib er teilt und daraus Himmel und Erde formt, die Herrschaft über die Götter und den Kosmos erhält. Marduk ordnet die Gestirne und erschafft die Menschen als Diener der Götter (vgl. Beyerlin 1975, 106ff).

Anders als etwa der babylonische Hauptgott Marduk im Zweistromland ist der Gott des Alten Testaments in keinerlei Hinsicht Geschöpf, er ist schon „im Anfang“ wesenhaft Schöpfer, „der in seiner Schöpfung ein Gegenüber schafft, ohne das er nicht Gott sein will“ (Feldmeier / Spieckermann 2011, 254). Selbst dort, wo im Alten Testament kanaanäische Traditionen vom Kampf der Götter mit Jhwh verbunden werden (Ps 29; Ps 93; Ps 74; vgl. dazu Spieckermann 1989), wird doch nie ein wirklicher Kampf geschildert. Gottes Herrschaft wird von den Mächten angefochten, aber die Machtfrage ist geklärt. Der Gott des Alten Testaments gebietet von Anbeginn an souverän über die Elemente, die Elemente des Chaos eingeschlossen, seine Herrschaft währt von Ewigkeit zu Ewigkeit (Ps 93,2 und Ps 93,5), er selbst ist ewig (Jes 40,28; vgl. Gen 21,33; Jer 10,10; Ps 90,2; Ps 102,26f). Gottes Allmacht bedenken im Psalter jedoch erst Ps 115,3; Ps 135,6 und vor allem (und durchaus ambivalent) Ps 139, außerhalb des Psalters neben Gen 1 etwa Am 9,1-6 und das Hiobbuch (vgl. Feldmeier / Spieckermann 2011, 160-175).

Als Schöpfer schafft Gott in Gen 1 im Sinne einer creatio prima den Lebensraum und die Lebewesen, die diesen Lebensraum bevölkern (vgl. auch Jes 45,18). Er ist der „lebendige Gott“ (Dtn 5,26; 1Sam 17,26; 1Sam 17,36; Jer 10,10), die Quelle des Lebens (Ps 36,10). Gottes → Segen ermöglicht seinen Geschöpfen eine selbstständige Reproduktion (Gen 1,22; Gen 1,28), sie bleiben aber auf Gottes Zuwendung und Fürsorge im Sinne einer creatio continua oder conservatio angewiesen, ein Motiv, das sich vor allem in einigen Psalmen findet. Gott allein vermag die → Chaosmächte zu beherrschen und die Ordnung der Schöpfung aufrecht zu halten (vgl. Ps 93; Ps 104). Deuterojesaja kennt beides und verweist mit dem Terminus ברא br’ sowohl auf die Erschaffung des Himmels, der Erde und der Gestirne (Jes 40,26; Jes 45,18), als auch auf Gottes Wirken in der Geschichte (Jes 41,20) und die Erschaffung Israels (Jes 43,1).

Aus der Vielzahl der von Gott geschaffenen Lebewesen ragt der Mensch, in der Gemeinschaft von Mann und Frau Gottes Ebenbild (Gen 1,27; → Gottebenbildlichkeit), heraus. „Die Vorstellung der Gottebenbildlichkeit […] qualifiziert den Menschen als Statthalter Gottes auf Erden mit allen Rechten und Pflichten“ (Kratz / Spieckermann 1999, 270f). Ps 8 rückt den Menschen ebenfalls sehr nah an Gott heran: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ (Ps 8,6). Entsprechend der wesenhaften Nähe zwischen Gott und Mensch kann das Alte Testament trotz der kategorialen Unterschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf und trotz des Verbots, ein dingliches Gottesbild anzufertigen, sehr menschlich von Gott reden. Gott wird mit Merkmalen des menschlichen Körpers (Anthropomorphismen) beschrieben: Jhwh verfügt über einen Kopf (רֹאשׁ ro’š), ein Angesicht (פָּנִים pānîm), ein Ohr (אֹזֶן ’ozæn), Augen (עֵינַיִם ‘ênajîm), Nase (אַף ’af) und Mund (פֶּה pæh), Hand (יַד jad), Arm (זְרוַֹע zərôa‘) und weitere Körperteile (vgl. Baumann 2003). Aber auch menschliche Affekte (Anthropopathismen) sind dem Gottesbild des Alten Testaments nicht fremd. Es spricht von Gottes Liebe (vgl. Dtn 7,7-9), seinem dieser Liebe entsprechenden Zorn (vgl. Hos 2,4-15 als Reaktion auf enttäuschte Liebe), seiner Reue (vgl. Gen 6,6; Ex 32,14; Hos 11,8f) oder auch vom Wechsel zwischen Zorn und Barmherzigkeit (vgl. Jes 54,7f).

4.3. Gott, der Retter und Erbarmer

Die Möglichkeit, dass Erfahrungen göttlichen Zorns von Erfahrungen göttlicher Barmherzigkeit abgelöst werden können, begründet menschliches → Hoffen auf Gottes Handeln. Der Mensch erlebt Gottes Barmherzigkeit als Zuwendung (der Beter etwa von Ps 13 bittet konkret, Gott möge ihm sein Angesicht zuwenden) und die Wendung seiner Notsituation als Rettung. Gottes Zuwendung entspricht seinem Wesen, er ist der treue Gott (Dtn 7,9) und der barmherzige Gott (Dtn 4,31), außer ihm ist kein Retter (Jes 45,21). Im Psalter ist dieses Motiv oft zu finden. Der Beter klagt in der Hoffnung auf Gottes rettendes Eingreifen, und er gründet seine Hoffnung in der im Lob ausgedrückten Erinnerung an früher erfahrene Rettung.

Was für den einzelnen Menschen vor Gott gilt, gilt auch für sein Volk. Die Bibel erinnert den Anfang der Beziehung zwischen Gott und Israel als Rettungstat: „Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land,…“ (Ex 3,8; vgl. Ex 6,6; Ex 18,4; Ex 18,8 u.ö.). Deuterojesaja verbindet den Verweis auf den Exodus mit der Verheißung neuen Heils (Jes 43,16-21; vgl. Hos 12). So erinnert das Alte Testament in weiten Teilen vergangenes Heil, um gegenwärtige Hoffnung zu begründen: Hoffnung auf das rettende Eingreifen Gottes, in dem seine wesenhafte Liebe (Dtn 7,8; Dtn 10,15; Jer 31,3) Gestalt gewinnt.

4.4. Gott, der Gerechte

Die zentrale Bedeutung des Gerechtigkeitsbegriffs im Alten Testament ist in gleicher Weise für den gesamten Alten Orient zu konstatieren (s. auch oben unter 3.2.). Der Name → Melchisedek / Melchi-Zedek „Zedek ist mein König“ (מַלְכִּי־צֶדֶק malkî-ṣædæq; Gen 14,18; Ps 110,4) deutet darauf hin, dass die Gerechtigkeit ursprünglich eine eigenständige Gottheit war, die im Laufe der Entwicklung der Jhwh-Religion zunehmend zu einer dem Gott Israels zugeordneten Funktion bzw. Eigenschaft wurde (vgl. Spieckermann 2000). Gerechtigkeit ist von Gott gewollt, sie dient seiner Herrschaft (als Stütze des Gottesthrones, vgl. Ps 89,15; Ps 97,2) sowie der Ordnung und Erhaltung der Welt. Als Urheber der Gerechtigkeit ist Gott selbst gerecht (Ps 11,7; Jes 45,21) und liebt den Gerechten (Spr 15,9). Darum wird der gerechte Gott als Richter angerufen, wenn die Weltordnung – sei es in der großen Welt der Völker, sei es in der vergleichsweise kleinen, für das betende Individuum freilich nicht weniger wichtigen Welt des einzelnen Menschen – gestört ist. Traditionell ist die Durchsetzung der Gerechtigkeit freilich dem → König übertragen. Er hat die Gerechtigkeit Gottes zu vermitteln (Ps 72,1-3) und wird deswegen in besonderem Maße an seinem Eintreten für die Schwachen gemessen (Spr 31,8f).

Die dem Herrschaftsanspruch entsprechende Titulatur des Heiligen, der Schöpfer und Erhalter ist und sich seiner Geschöpfe rettend erbarmt, ist dementsprechend jene des Königs. Die Worte der Freudenboten: „Dein Gott ist König!“ (Jes 52,7) ist in den Ohren Zions eine Heilsbotschaft, weil der Königstitel nicht auf Willkürherrschaft zielt, sondern auf Errichtung und Erhaltung der Ordnung, auf Recht und Gerechtigkeit. Das Königtum Gottes ist bei Deuterojesaja immer an Israel gebunden (vgl. Jes 41,21; Jes 43,15; Jes 44,6; Jes 52,7), während in den Psalmen (Ps 29; Ps 93 u.ö.) noch die ältere Vorstellung vom Götterkönig durchscheint (vgl. hierzu weiterhin Schmidt 1966).

Als Repräsentant Gottes auf Erden ist der König so nah mit Gott verbunden, dass ihre Beziehung als Vater-Sohn-Verhältnis beschrieben werden kann: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt…“ (Ps 2,7b; vgl. 2Sam 7). Es ist dieses besondere Verhältnis zwischen Gott und König, in dessen Rahmen in vorexilischer Zeit von → Gott als Vater gesprochen werden kann. Erst in nachexilischer Zeit findet sich eine Übertragung auf das Gottesvolk (erstmals Jes 63,16; vgl. Feldmeier / Spieckermann 2011, 62), Ausgangspunkt einer Entwicklung hin zur Rede von Gott als dem Vater, wie sie für das Neue Testament typisch sein wird.

Der Anspruch der göttlichen Gerechtigkeit richtet sich jedoch auch zuvor nicht nur an den König, sondern grundsätzlich an das Leben eines jeden Menschen: Leben und Gerechtigkeit sollen einander entsprechen. Dieser Anspruch steht vor dem Problem des unschuldigen Leidens der Gerechten und des Glücks der Frevler (vgl. Hi 21; Ps 71 sowie oben 3.3.): Wie kann Gerechtigkeit gedacht, wie an der Gerechtigkeit Gottes festgehalten und göttliche Willkür entsprechend ausgeschlossen werden, wenn sie im Leben unsichtbar bleibt? Dass Gottes Handeln sich in seinen Zusammenhängen dem Verstand des Menschen entzieht, ist für den Menschen schon Herausforderung genug. Aber wie sollte sich der Mensch an einen willkürlich agierenden, d.h. ungerechten Gott wenden? So ist der Gott des Alten Testaments schließlich auch der Richter, von dem nach dem Tod das Urteil über Gerechte und Frevler (vgl. Ps 1,5; Pred 12,14; Dan 12) erwartet wird → Gericht Gottes. Auch als Richter bleibt der Gott der Gerechtigkeit der barmherzige Gott (אֵל רַחוּם ’el raḥûm Dtn 4,31), der auf die Umkehr des Frevlers hofft und auf den deshalb selbst der Gottlose seine Hoffnung setzen kann (Jes 55,7): „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“

Literaturverzeichnis

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