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(erstellt: November 2005)

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Gorgias war im 2. Jh. v. Chr. ein Feldherr des seleukidischen Königs → Antiochus IV. Epiphanes im Kampf gegen die → Makkabäer.

1. Verortung und Quellen

In der antiken Literatur ist Gorgias fast nur als Akteur in den Auseinandersetzungen des Seleukidenreiches mit Judas Makkabäus fassbar (→ Seleukiden). Die wichtigste Quelle für die Person des Feldherrn und für seine Rolle in Palästina sind die beiden → Makkabäerbücher, insbesondere 1Makk 3,38-4,25 und 1Makk 5,55-60, 2Makk 8,9 sowie die Antiquitates Judaicae des Flavius Josephus, insbesondere XII 7,3-4 und 8,6 (298-312.351; Text gr. und lat. Autoren).

2. Person

Über die Person des Gorgias berichten die antiken Quellen sehr wenig. Aufgrund seiner Rolle in den Auseinandersetzungen mit Judas Makkabäus muss man annehmen, dass er im 2. Jh. v. Chr. eine wichtige Position in der Reichsverwaltung unter Antiochus IV. Epiphanes und Antiochus V. Eupator inne hatte. Diese zu definieren fällt jedoch schwer: Während ihn 2Makk 12,32 als stratēgós von Idumäa charakterisiert, bezeichnen ihn die anderen Belegstellen lediglich als stratēgós, ohne den Amtssitz zu nennen (etwa 2Makk 8,9). Josephus, Antiquitates 8,6 (351) bezeichnet ihn als stratēgós von Jamnia, was innerhalb der älteren Forschungsliteratur zu der – heute aber nicht mehr verfolgten – Überlegung geführt hat, dass Gorgias Stratege der Paralia, der Küstenregion des seleukidischen Palästina, gewesen sei (vgl. so etwa Willrich 1912, 1598; dagegen Gottheil / Krauss 2002). Dies erscheint denkbar, da Gorgias den antiken Quellen nach zumindest zeitweilig von Jamnia aus militärisch agierte. Jedoch könnte es sich dem Wortlaut von Josephus, Antiquitates 8,6 (351) nach ebenso gut um ein rein militärisches Kommando gehandelt haben. Möglicherweise kann die Diskrepanz in der Titulatur dadurch geklärt werden, dass an den Belegstellen von unterschiedlichen Aktionen berichtet wird und Gorgias im Laufe der Zeit verschiedene Strategien besetzte, die im Seleukidenreich recht unterschiedliche Funktionen und Kompetenzbereiche besessen haben können. Die Strategie in Idumäa scheint Gorgias – so zumindest legt es 2Makk nahe – erst mit dem Regierungsantritt Antiochus V. Eupator übernommen zu haben (2Makk 10,14 in Verbindung mit 2Makk 12,32).

Die weiteren Aussagen der antiken Quellen bleiben ebenfalls im Oberflächlichen verhaftet: 2Makk 8,9 charakterisiert ihn als einen erfahrenen Feldherren. 1Makk 3,38 bezeichnet Gorgias als phílos („Freund“) des Antiochus, was im Kontext der seleukidischen Reichsstruktur nahe legt, dass der General adeliger Herkunft war, gleichwohl nicht zum engeren Kreis der Machtträger gehörte (phílos toŭ basiléōs „Freund des Königs“ zählt zu den rangniedrigeren aristokratischen Titeln im Seleukidenreich).

3. Die Rolle des Gorgias während der Erhebung der Makkabäer

Gorgias gehört zu den Hauptakteuren des seleukidischen Feldzuges zur Niederschlagung des beginnenden Makkabäeraufstandes im Jahre 165 v. Chr. und wird auch im Kontext späterer Ereignisse dieser Erhebung erwähnt.

Der Ursprung der Entsendung und die genaue militärische Position des Gorgias in diesem Feldzug sind unklar. Während nach 1Makk 3,38 (dem Josephus, Antiquitates XII 7,3 [298] folgt) Lysias (der Verweser der westlichen Reichshälfte) den stratēgós Ptolemaios – der allerdings im weiteren Verlauf der Handlung nicht mehr erwähnt wird – sowie die Strategen Nikanor und Gorgias entsendet, um gegen Judäa zu ziehen, ist es nach 2Makk 8,8-9 der stratēgós von Koile-Syria und Phönikien, Ptolemaios, der Nikanor und Gorgias aufgrund eines Hilfegesuches des Philippus, des Befehlshabers (epistátēs) von Jerusalem (2Makk 5,22), mit diesem Feldzug beauftragt.

Während des Feldzuges scheint Nikanor die Position des Oberbefehlshabers eingenommen zu haben (2Makk 8,9). Jedoch ist Gorgias, der anscheinend größere Truppenteile kommandierte, im Parallelbericht von 1Makk die Hauptperson.

Bezüglich der Entsendung der Feldherren nimmt Niese (1900, 466; vgl. Bengtson, 1964, 168) an, dass die Darstellung des 2Makk den Sachverhalt getreuer wiedergibt, da diese Vorgehensweise dem seleukidischen Dienstweg entspreche. Die abweichende Darstellung von 1Makk sei darauf zurückzuführen, dass die Erfolge des Judas Makkabäus durch eine Entscheidung, welche vom Seleukidenherrscher direkt ausgeht, aufgewertet werden sollen. Zu dieser Position ließe sich kritisch anmerken, dass Josephus der Darstellungslinie des 1Makk folgt, ohne dessen theologische Tendenz zu kopieren. Zudem zeigt 2Makk 10,9-11 und 2Makk 12,1, dass 2Makk Rolle und Person des Lysias historisch nicht korrekt einordnen kann oder will.

Bezüglich der Rangordnung der Feldherren vermuten Schürer / Vermers / Millar (160 Anm. 58), dass die beiden divergierenden Makkabäerbücher den Sachverhalt insofern korrekt darstellen, als Gorgias der Reiterführer, Nikanor der Führer der Fußtruppen war; jedoch gibt es hierfür keine Quellenbelege. Dagegen nennt Schürer (1901, 206-207 Anm. 56) Gorgias den Befehlshaber der Streifschaar, Nikanor den Führer des Hauptheeres. Dies harmoniert zwar mit der Darstellung der Schlacht bei Mizpa, findet sich jedoch nirgends explizit ausgeführt. Möglicherweise geht das Vorgehen auf eine nur für diese Schlacht getroffene Entscheidung der seleukidischen Heeresführung zurück. Der Stratege Ptolemaios, Sohn des Dorymenes, war sicherlich nicht selbst anwesend, dürfte aber pro forma als Oberbefehlshaber angesehen worden sein. Die Führung selbst hatte wohl Nikanor inne, der zu den ersten Freunden (tōn prōtōn phílōn), einem weiteren seleukidischen Adelsrang, gezählt wird. Gorgias erscheint demgegenüber eher als militärischer Spezialist.

Den antiken Quellen zufolge kam es während dieses Feldzuges nur zu einer Schlacht: Nachdem die seleukidischen Truppen bei Emmaus, das westlich von Jerusalem, beim heutigen ‘Amwas liegt (nicht identisch mit dem neutestamentlichen Emmaus; vgl. Schürer / Vermers / Millar, 159 Anm. 57) gelagert hatten (1Makk 3,57; Josephus, Antiquitates XII 7,3 [298]), versuchte Gorgias mit 5000 Mann Infanterie und 1000 Reitern (so 1Makk 4,1; Josephus, Antiquitates XII 7,3 [298]) das Lager des Judas zu überfallen. Dieser griff, über den Plan informiert, seinerseits das im Lager verbliebene Hauptheer der Seleukiden an und schlug es vernichtend. Während Gorgias mit seinen Truppen in die Berge zog, um die vermeintlich geflohenen Judäer zu suchen, bereitete Judas sein Heer auf den Kampf mit den Truppen des Gorgias vor. Als Gorgias bei seiner Rückkehr die Situation erkannte und das eigene Lager in Flammen sah, zog er sich mit seinen in Auflösung begriffenen Truppen zurück, ohne den Kampf zu wagen (1Makk 4,1-2; Josephus, Antiquitates XII 7,4 [310-312]).

Als Datum der Schlacht nimmt man allgemein den Sommer 165 v. Chr. an. Dieses Datum ergibt sich aus der Kombination von 1Makk 3,37 (147. aer. Sel. [= Jahr der Seleukidenära]) mit 1Makk 4,28 (en tō erchoménō eniautō) und 1Makk 4,52 (148 aer. Sel.). Die Ereignisse fallen also noch ins Jahr 147 aer. Sel., welches dem Jahr 166/165 v. Chr. entspricht (vgl. dazu Schürer / Vermers / Millar, 160 Anm. 58; Haag 2003, 74).

Nach dem Regierungsantritt des Antiochus V. Eupator (nach Josephus, Antiquitates XII 8,6 [351] in Verbindung mit XII 9,1 [357], aber bereits unter Antiochus IV. Epiphanes) bekämpfte Gorgias, anscheinend von Jamnia aus, weiterhin die jüdischen Aufständischen (2Makk 10,14). Die gegen Jamnia ziehenden Truppen von Joseph und Asarja wurden von Gorgias mit erheblichen Verlusten auf jüdischer Seite zurückgeschlagen (1Makk 5,18.19.55-62; insb. 59ff.; Josephus, Antiquitates XII 8,6 [350-351]). Später von Judas angegriffen, entkam Gorgias jedoch nur knapp einer Gefangennahme, als ihn ein gewisser Dositheos (ob Bürger der Stadt Tobiene oder Mitglied einer Gruppe namens Tobiaden ist angesichts der unsicheren Lesart nicht zu entscheiden) ihn an sich riss. Nur das Eingreifen eines thrakischen Reiters, der Dositheos den Arm abschlug, rettete Gorgias (vgl. 2Makk 12,32-35), dem die Flucht nach Marissa gelang. Nach diesen Ereignissen verlieren sich die Spuren des Gorgias.

In der älteren Forschung findet sich die Überlegung, ob die Episoden 1Makk 5,55-62.66-67 und 2Makk 12,32-45 nicht identisch seien (vgl. etwa Wellhausen, 1905, 147-8; Dancy, 1954, 198-9). Diese Annahme wird erneut aufgegriffen von Bar-Kochva, der abweichend von der Darstellung der Makkabäerbücher die Ereignisse in einer Anmerkung folgendermaßen rekonstruiert (1989, 51 Anm. 78): „The Jews had in mind to advance to the coastal plain against Iamnia (I Macc. 5.58), presumably in order to prevent some aggressive initiative planned by Gorgias. This purpose can be deduced from Gorgias’ speedy reaction, and can explain the violation of the order given to the Jewish sub-commanders not to attack the enemy (I Macc. 5.19). Gorgias had indeed already advanced eastwards, and the battle took place near Marisa (I Macc. 5.66; II Macc. 12.35) in the hills of Southern Shephela, which were not far from the borders of Judaea (I Macc. 5.60; II Macc. 12.38).“ Dem ist entgegenzuhalten, dass die Berichte der antiken Quellen eine gute chronologische Ordnung ergeben und inhaltlich kohärent scheinen. Ob der antiken Darstellung in diesem Punkt widersprochen werden muss, ist daher fraglich.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1894-1972
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
  • Jewish Encyclopedia http://www.jewishencyclopedia.com (2002)

2. Weitere Literatur

  • Bar-Kochva, Bezalel, 1989, Judas Maccabaeus, Cambridge
  • Bengtson, Hermann, 1964, Die Strategie in der hellenistischen Zeit, Bd. II, München, 168-172
  • Dancy, John Christopher, 1954, A Commentary on I Maccabees, Oxford
  • Haag, Ernst, 2003, Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr. (Biblische Enzyklopädie 9), Stuttgart
  • Niese, Benedictus, 1900, Kritik der beiden Makkabäerbücher nebst Beiträgen zur Geschichte der Makkabäischen Erhebung, Hermes 35, 268-307.453-527
  • Niese, Benedictus, 1903, Geschichte der griechischen und makedonischen Staaten seit der Schlacht bei Chaeronea, 3 Bde., Bd. III: von 188-120 v. Chr., Gotha, 234-243
  • Schürer, Emil / Vermers, Geza / Millar, Fergus, 1973, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, by Emil Schürer, edd. by. Geza Vermes and Fergus Millar, Edinburgh, Bd. I, 159-160
  • Schürer, Emil, 1901, Geschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Leipzig (Repr. Hildesheim – New York 1970), Bd. I, 205.212
  • Wellhausen, Julius, 1905, Über den geschichtlichen Wert des zweiten Makkabäerbuchs im Verhältnis zum ersten, Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, Göttingen, 117-163

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