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Gesellschaftsstruktur (AT)

(erstellt: Januar 2006)

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1. Die verwandtschaftsbasierte Gesellschaft

Die Basis der Gesellschaft des alten Israel ist von den Anfängen an die Familie. Sie ist die wesentliche Produktionseinheit, wobei landwirtschaftliche Produktion absolut dominiert (Subsistenzwirtschaft). Die Großfamilie (Sippe, Clan) dürfte auch die primäre Siedlungseinheit darstellen. Die Zugehörigkeit zur Familie und die Verbindung der Familien untereinander wird genealogisch gedacht: je größer die Nähe zu einem gemeinsamen Vorfahren, desto enger der verwandtschaftliche Zusammenhang (→ Genealogie). Größere Einheiten wie Stämme oder gar eine Gesamtgröße „Israel“ spielen zunächst keine erkennbare Rolle.

2. Die Monarchie

Die Errichtung von Monarchien in Israel und Juda um 1000 v. Chr. herum ändert zunächst kaum etwas an der dominanten Rolle der Verwandtschaft als gesellschaftlicher Basis. Die neue Institution der Monarchie hat zunächst nur geringen Einfluss auf das tägliche Leben; die herrschende Schicht dürfte allenfalls 1-2% der Bevölkerung ausmachen. Allerdings können mit der Zeit staatliche Anforderungen nach → Fronarbeit und → Abgaben auf ungleiche Verteilung von Reichtum verstärkend wirken (→ Staat).

3. Antike Klassengesellschaft

Etwa im 8. Jh. setzt ein Prozess ein, in dem sich gesellschaftliche Ungleichgewichtungen dynamisch auseinander entwickeln. Kleinere Bauernfamilien geraten durch Überschuldung in Schuldknechtschaft und können auf Dauer ihren Landbesitz verlieren, was sie zu einer Tagelöhnerexistenz zwingt. Eine kleine Oberschicht von Grundbesitzern konzentriert immer größere Anteile des Bodens in ihren Händen. In Analogie zu Entwicklungen in Iran, Griechenland und Italien lässt sich von der Ausbildung einer „antiken Klassengesellschaft“ (H.G. Kippenberg, 1977) sprechen. Die Oberschicht verbündet sich zugleich mit dem Königtum und partizipiert an dessen Macht („partizipatorische Monarchie“, R. Kessler, 2006).

4. Exilierungen

Mit der assyrischen Westexpansion seit Mitte des 8. Jh.s kommt es zu häufigen Exilierungen, die ihren Höhepunkt nach der Zerstörung Jerusalems 586 erreichen. Vor allem die Exilierten selbst müssen sich nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit verstärkt auf die Familienstrukturen stützen, die ihre fundamentale Rolle nie eingebüßt hatten. Da aufgrund der Exilssituation Familien nicht mehr gleichsam naturwüchsig zusammenleben, werden nun schriftliche Eintragungen in Geschlechtsregister eingeführt (→ Genealogie).

5. Die Provinzgesellschaft der Perserzeit

In der persischen Provinz → Jehud dominieren offenbar die aus dem Exil zurückgekehrten Familien. Sie eignen sich ihren früheren Landbesitz wieder an, der zwischenzeitlich in die Hände der verarmten Landbevölkerung geraten war, und legen über das genealogische System fest, wer legitim zu „Israel“ gehört. Ansonsten bildet Jehud eine typische Provinzgesellschaft mit relativer Autonomie innerhalb des Perserreichs. Die meisten Stadthalter sind Juden, das Hohepriestertum gewinnt an Gewicht, in späterer Zeit wird ein eigenständiges Münzrecht wahrgenommen. Der Preis der relativen Autonomie ist die absolute Unterordnung unter die persische Oberhoheit und die Abführung der Reichssteuer. Die Verhältnisse in der Provinz Samaria gleichen – bis auf die Rolle des Tempels – denen in Jehud.

6. Das hellenistische Ethnos

Mit der Eingliederung der südlichen Levante in die Diadochenreiche zunächst der → Ptolemäer, dann der → Seleukiden nimmt die Macht der → Priesterschaft und weniger aristokratischer Familien ständig zu. Vor allem über die Steuerpacht sind sie selbst an der ökonomischen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung beteiligt. Im Gefolge von Versuchen von Teilen der Oberschicht, aus dem minderen Status eines Ethnos in den einer hellenistischen Polis aufzusteigen, kommt es zu einem Aufstand, der von der Landpriesterfamilie der so genannten → Makkabäer angeführt wird. Nach Übernahme der Hohepriesterschaft und Errichtung einer (nun hasmonäisch) genannten Monarchie nähert sich die Hasmonäerherrschaft allerdings dem hellenistischen Typ immer mehr an. Die Römer, die im 1. Jh. die Vorherrschaft übernehmen, finden bereits eine tief gespaltene Gesellschaft vor.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003

2. Weitere Literatur

  • Gottwald, N.K., 2001, The Politics of Ancient Israel (Library of Ancient Israel), Louisville, Kentucky
  • Kessler, R., 1994, Frühkapitalismus, Rentenkapitalismus, Tributarismus, antike Klassengesellschaft. Theorien zur Gesellschaft des alten Israel, EvTh 54, 413-427
  • Kessler, R., 2006, Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt
  • Kippenberg, H.G. (Hg.), 1977, Seminar: Die Entstehung der antiken Klassengesellschaft (stw 130), Frankfurt am Main
  • McNutt, P., 1999, Reconstructing the Society of Ancient Israel (Library of Ancient Israel), London / Louisville, Kentucky

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