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Andere Schreibweise: Gešur, Gessur, Geshur (engl.)

(erstellt: Juni 2017)

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Geschur 01
„Geschur“ bezeichnet ein kleines staatliches Gebilde der Eisenzeit im nördlichen Ostjordanland, das vermutlich aramäisch geprägt war.

1. Name und Etymologie

Herkunft und Bedeutung des Namens „Geschur“ (hebr. גְּשׁוּר gəšûr) sowie des zugehörigen Gentiliziums „Geschuriter“ (hebr. גְּשׁוּרי gəšûrî) sind unsicher. Einige sehen darin eine Variante zu Geter (Sohn Arams, Gen 10,23; Albright, 12; Lipiński 2000, 336). Beide Namen seien demnach von der semitischen Wurzel *gṯr „stark sein“ abzuleiten, die im Altaramäischen als gšr, im Reichsaramäischen als gtr auftrete. Der Name „Geschur“ wäre dann mit „Festung“ wiederzugeben (Lipiński 1993, 202; Hendel, 111). Allerdings ist eine entsprechende Wurzel weder alt- noch reichsaramäisch, sondern ausschließlich akkadisch (gašāru, vgl. AHw, 283) bezeugt. Weitere akkadische Ausdrücke, die mit dem Namen in Verbindung stehen könnten, sind gušūru / gašūru „gefällter Baumstamm / Balken“ und das davon abgeleitete gišru „Brücke“.

Die Wiedergabe in der → Septuaginta erfolgt uneinheitlich, wobei v.a. hinsichtlich des Gentiliziums auch zwischen den Handschriften Unterschiede bestehen: Gebietsbezeichnung: Γεσιρ Gesir bzw. Γεδσουρ Gedsur / Γεσσουρ Gessur; Gentilizium: Γεσιρι Gesiri bzw. Γεσουρι Gesuri sowie Γαργασι Gargasi (nur Dtn 3,14).

2. Biblische Überlieferung

In der Hebräischen Bibel findet sich „Geschur“ / „Geschuriter“ in drei Kontexten. Einmal als Bezeichnung eines Gebietes bzw. seiner Bewohner im Zusammenhang mit der Landnahme und einmal als Königtum, zu dem Davids Sohn → Absalom verwandtschaftliche Beziehungen hat. Zusätzlich finden sich die Geschuriter in einer Liste von Völkern wieder, die → David während seiner Zeit als Vasall der → Philister geschlagen haben soll (1Sam 27,8). Während die ersten beiden Beleggruppen in das nördliche Ostjordanland verweisen, scheinen die von David besiegten Geschuriter südlich von Juda zu lokalisieren zu sein.

Nach den Belegen im → Deuteronomium und im Buch → Josua ist das Gebiet der Geschuriter (und → Maachatiter) von den Eroberungen der Israeliten im Ostjordanland ausgenommen (Dtn 3,14; Jos 12,5; Jos 13,2.11-13). Einen weiteren Beleg für Geschur lesen → Peschitta und → Vulgata in 2Sam 2,9, wonach das Gebiet dann Teil des Herrschaftsgebiets Ischbaals (→ Isch-Boschet) wäre bzw. an dieses grenzte (Na’aman 1990). Die genannten Belege bieten unterschiedliche Informationen darüber, ob das Gebiet innerhalb (Jos 13,11-13) oder außerhalb (Dtn 3,14; Jos 12,4-5) des von den Israeliten eingenommenen Landes liegt. Nach der Notiz in 1Chr 2,23 kam es zu einer Rückeroberung von israelitisch eroberten Städten durch die Geschuriter und Aramäer. Dieser ersten Gruppe von Belegen zufolge handelt es sich bei Geschur bzw. den Geschuritern um eine weitgehend eigenständige politische Größe, die grob im Bereich des Golan lokalisiert werden kann.

Die zweite Gruppe von Belegen bezieht sich auf die Abstammung von Davids Sohn Absalom (2Sam 3,3; 2Sam 13,37-38; 2Sam 14,23.32; 2Sam 15,8; 1Chr 3,2). Er ist der Sohn der geschuritischen Prinzessin Maacha, der Tochter des Königs Talmai, welcher seinerseits ein Sohn Ammihuds ist (2Sam 3,3; 2Sam 13,37; 1Chr 3,2). Nachdem Absalom seinen Halbbruder → Amnon ermordet hat, flieht er nach Geschur zu seinem königlichen Großvater (2Sam 13,23-39). Der Heerführer → Joab holt ihn zurück nach Jerusalem, nachdem er durch eine List die Zustimmung Davids zu diesem Vorhaben eingeholt hat (2Sam 14). Den in diese Erzählung eingeflochtenen Belegen zufolge ist Geschur ein Königtum (2Sam 3,3; 2Sam 13,37) im Bereich Arams (2Sam 15,8). Es ist einerseits mit dem Reich Davids durch Heirat verbunden, andererseits aber so eigenständig, dass sich Absalom durch Flucht dorthin dem Zugriff Davids entziehen kann.

3. Lage und Identifizierung

Die einzige Quelle für die Existenz Geschurs ist die Hebräische Bibel. Der Großteil ihrer Belege für die Gebietsbezeichnung und das Gentilizium verweisen in die Gegend nordöstlich vom See Genezareth, nämlich auf Aram (2Sam 15,8) bzw. den Golan südlich des Hermon und westlich von → Baschan (Dtn 3,8-14; Jos 12,5; Jos 13,7-13; Hafþórsson, 235; Pakkala 2010, 158). Eine genaue Identifizierung des Gebietes ist jedoch auf Basis der biblischen Belege nicht möglich (Na’aman 2012, 90f.).

Von einer Reihe von Forschern wird heute et-Tell, das antike → Bethsaida (Koordinaten: 2094.2574; N 32° 54' 37'', E 35° 37' 50''), mit Geschur in Verbindung gebracht (Arav 2004) bzw. jener Ort als gleichnamige Hauptstadt des eisenzeitlichen Königreichs identifiziert (Na’aman 2012, 94-97; Younger, 210-213). Die wesentlichen Gründe dafür sind die vagen biblischen Hinweise für die Lokalisierung Geschurs und die Tatsache, dass et-Tell die bei weitem bedeutendste Ortslage der mittleren Eisenzeit auf dem Golan und somit ein aussichtsreicher Kandidat für die Hauptstadt eines Königtums ist (Na’aman 2012, 95; vgl. Pakkala 2013, 235f.). Den Ergebnissen neuerer Grabungen zufolge könnten die Strukturen, die Stratum VI der Ausgrabung in et-Tell zugerechnet werden, tatsächlich aus dem frühen 10. oder sogar dem späten 11. Jh. v. Chr. stammen, so dass sie zeitlich mit den biblischen Referenzen im Kontext der Davidüberlieferung zusammenstimmen können (Arav u.a. 2017, 7-12). Dennoch steht die Identifizierung vor dem Problem, dass kein lokaler Ortsname mit dem Namen „Geschur“ in Verbindung steht, so dass sie ganz auf den uneindeutigen biblischen Angaben zur Lokalisierung Geschurs beruht (Pakkala 2013, 236).

Schließlich gibt es auch den Versuch, die beiden häufig parallel genannten Königtümer Geschur und (Bet-)Maacha (→ Abel-Bet-Maacha) gleichzusetzen, wobei sich der Name „Geschur“ auf die Hauptstadt beziehe, „(Bet-)Maacha“ auf die regierende Dynastie, die sich von einem König Maacha herleite (Lipiński 2000, 334-337).

4. Geschichte

Die Rekonstruktion der Geschichte Geschurs und der Geschuriter ist abhängig von den Quellen, aus denen sie sich speist.

Namentlich finden sich die Gebietsbezeichnung und das Gentilizium nur in der Hebräischen Bibel. Hält man das, was sich aus ihr extrahieren lässt, für historisch zuverlässig, war Geschur in der frühen Eisenzeit (→ Eisenzeit I; → Eisenzeit II) eine eigenständige politische Größe im Bereich des Golan, die von einem König regiert wurde. Die Ungenauigkeiten bei der Lokalisierung (innerhalb oder außerhalb des eroberten Gebiets im Ostjordanland) könnten ein Hinweis darauf sein, dass die wohl in Jerusalem ansässigen deuteronomistisch geprägten Schreiber einer deutlich späteren Zeit nur vage Informationen über die Existenz dieses Königtums hatten (Na’aman 2012, 91). Weitere Details zur Geschichte Geschurs lassen sich der biblischen Überlieferung nicht entnehmen (Hafþórsson, 235f.; Pakkala 2010, 159).

Gelegentlich werden zwei akkadische Quellen als „external evidence“ wenigstens für die Existenz Geschurs herangezogen, einer der → Amarnabriefe (EA 256,22-28) und eine Inschrift des assyrischen Königs → Salmanassar III. über einen Feldzug nach Syrien und zum Libanon in seinem 21. Regierungsjahr. Der Amarnabrief erwähnt das Land „Gari“ / „Garu“ (māt ga-ri), das durch eine irrtümliche Silbenauslassung mit Geschur identifiziert werden könnte, sowie eine Anzahl von Städten in diesem Land (Mazar; Kochavi, 3; Arav 2004, 1-5; anders z.B. Lipiński 2006, 238). Allerdings kann das Land „Gari“ / „Garu“ aufgrund der Angaben nicht mit hinreichender Sicherheit lokalisiert werden. Zudem ist die Silbenauslassung spekulativ. Der Amarnabrief trägt damit nicht dazu bei, die aus der biblischen Überlieferung gewonnenen Erkenntnisse über Geschur zu vergrößern (Pakkala 2010, 167; Na’aman 2012, 92).

Die genannte assyrische Inschrift ist teilweise sehr schlecht erhalten. Das betrifft auch die Zeile 160, in der – wie N. Na’aman vorschlägt – eine Referenz auf Geschur (G[i-šu(r)-r]a-a-a) zu lesen sein könnte (Na’aman 2006, 43-46). Da darüber hinaus hinsichtlich der Identifizierung der umstehenden, besser lesbaren Ortsnamen Unsicherheit besteht, ist auch dieser Hinweis auf Geschur alles andere als sicher (Na’aman 2012, 94; Pakkala 2010, 167-170; Pakkala 2013, 229-234). So erhellen diese beiden assyrischen Zeugnisse die Geschichte Geschurs ebenfalls nicht.

Folgt man schließlich der Identifizierung von Bethsaida (et-Tell) mit Geschur bzw. dessen Hauptstadt, bieten die archäologischen Erkenntnisse zu der Ortslage weitere Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion der Geschichte Geschurs (Arav 2004; Na’aman 2012, 97). Es war demnach in der Eisenzeit IIA ein gut ausgebautes, wohl aramäisch geprägtes Stadtkönigtum mit einigem Umland am nordöstlichen Rand vom See Genezareth und auf dem südlichen Golan, dessen Anfänge möglicherweise ins 10. oder sogar 11. Jh. v. Chr. zurückreichen. In der zweiten Hälfte des 9. Jh.s v. Chr. wurde es dann durch den Aramäerkönig → Hasaël erobert und in das Reich von Aram-Damaskus eingegliedert (Na’aman 2012, 95f.).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Eerdmans Dictionary of the Bible, Grand Rapids 2000
  • Archaeological Encyclopedia of the Holy Land, New York / London 2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Albright, W.F., 1956, The Biblical Tribe of Massa’ and Some Congeners, in: R. Ciasca (Hg.), Studi Orientalistici in Onore di Giorgio Levi Della Vida I (Pubblicazioni dell’Istituto per l’Oriente 52), Rom, 1-14
  • Arav, R. u.a., 2017, Report on the 2016 Excavation Season, https://www.unomaha.edu/international-studies-and-programs/bethsaida/_files/docs/bethsaida-reports-2016.pdf (Stand: 12.04.2017)
  • Arav, R., 2004, Toward a Comprehensive History of Geshur, in: ders., R.A. Freund (Hg.), Bethsaida. A City by the North Shore of the Sea of Galilee III (Bethsaida Excavations Project. Reports & Contextual Studies), Kirksville, MO, 1-48
  • Hafþórsson, S., 2006, A Passing Power. An Examination of the Sources for the History of Aram-Damascus in the Second Half of the Ninth Century B.C. (ConBOT 54), Stockholm
  • Hendel, R., 2005, Remembering Abraham: Culture, Memory, and History in the Hebrew Bible, Oxford
  • Kochavi, M. 1989, The Land of Geshur Project: Regional Archaeology of the Southern Golan (1987-1988 Seasons), IEJ 39/1-2, 1-17
  • Lipiński, E., 1993, Les Sémites selon Gen 10,21-30 et 1 Chr 1,17-23, ZAH 6, 193-215
  • Lipiński, E., 2000, The Aramaeans. Their Ancient History, Culture, Religion (OLA 100), Leuven u.a.
  • Lipiński, E., 2006, On the Skirts of Canaan in the Iron Age. Historical and Topographical Researches (OLA 153), Leuven u.a.
  • Mazar, B., 1961, Geshur and Maacah, JBL 80, 16-28
  • Na’aman, N., 1990, The Kingdom of Ishbaal, BN 54, 33-37
  • Na’aman, N., 2006, In Search of Reality behind the Account of David’s Wars with Israel’s Neighbors (2002), in: ders. (Hg.), Ancient Israel’s History and Historiography. The First Temple Period (Collected Essays 3), Winona Lake, 38-61
  • Na’aman, N., 2012, The Kingdom of Geshur in History and Memory, SJOT 26, 88-101
  • Pakkala, J., 2010, What Do We Know about Geshur?, SJOT 24, 155-173
  • Pakkala, J., 2013, The Methodological Hazards in Reconstructing the So-called Kingdom of Geshur, SJOT 27, 226-246
  • von Soden, Wolfram, 1985, Akkadisches Handwörterbuch 1 (AHw). Unter Benutzung des lexikalischen Nachlasses von Bruno Meissner (1868-1947), Wiesbaden, 2. Aufl.
  • Younger Jr., K.L., 2016, A Political History of the Arameans. From their Origins to the End of their Polities (ABSt 13), Atlanta

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Bethsaida. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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