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(erstellt: August 2015)

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1. Begrifflichkeit

Das Wortfeld „Freude“ wird im Alten Testament meist mit Formen der Wurzel שׂמח śmḥ ausgedrückt: שׂמח „sich freuen / fröhlich sein“; שָׂמֵחַ śāmeaḥ „fröhlich“; שׂׅמְחָה śimḥāh „Freude“. Daneben sind Formen der Wurzel גיל gjl (גיל „jauchzen“; גׅיל gîl II „Jauchzen / Jubel“) zu nennen sowie die Verben עלץ ‘lṣ und עלז ‘lz („jauchzen / frohlocken“), שׂושׂ śwś bzw. שׂישׂ śjś („sich freuen / frohlocken“) und שׁעע š‘‘ bzw. שׁעשׁע š‘š‘ („erfreuen / sich erfreuen“). Die Wurzel רנן rnn bezeichnet lautes Rufen, das sowohl freudig als auch klagend sein kann (רנן „laut rufen / jubeln“; רׅנׇּה rinnāh „Jubelruf / Klageruf“). Häufig wird Freude durch ihre Ausdrucksformen charakterisiert, z.B. als Lachen, Singen, Tanzen, Klatschen (Kruger 2005). Die für Freude verwendeten Verben werden gerne mit Begriffen für Körperteile kombiniert, vor allem mit dem Herzen (לֵב lev / לֵבָב levāv), der Kehle (נֶפֶשׁ næfæš), der Stimme (קוֹל qôl) und der Zunge (לָשׁוֹן lāšôn) (Abart 2015). Im Psalter und im Jesajabuch sind besonders viele Belege zu finden. „Freude“ im Alten Testament spielt in der exegetischen Forschung eine geringere Rolle als andere Emotionen.

2. Profane Anlässe zur Freude

Viele verschiedene Anlässe zur Freude werden genannt, so das Wiedersehen nach Trennung ( Ex 4,14; Ri 19,3; 1Sam 6,13), gute Nachrichten (1Sam 11,9; 1Kön 5,21; Jer 20,15; Est 8,15-17), Sieg über Feinde (1Sam 19,5; 2Sam 1,20), Empfang eines Siegers (1Sam 18,6), Geschenke (Jes 39,2) und die Krönung des Königs (1Sam 11,15; 1Kön 1,40.45; 2Kön 11,14.20; 1Chr 12,41; 2Chr 23,13.21). Besonders häufig ist die Hochzeit als freudiger Anlass genannt (Jer 7,34; Jer 16,9; Jer 25,10; Jer 33,11; Hhld 3,11), aber auch die Ernte (Jes 9,2; Jes 16,9f.; vgl. Jer 48,33). Menschliche Beziehungen sind Grund zur Freude, so vor allem die Beziehung des Mannes zur Frau (Spr 5,18) und dem Sohn (Spr 10,1; Spr 23,15; Spr 23,24f.). Immer wieder wird der Wein als Quelle der Freude genannt oder ist mit Freude verbunden (Ri 9,13; Sach 10,7; Ps 104,15; vgl. Jes 24,11; Jer 48,33).

Relativ häufig wird Schadenfreude erwähnt. In den Individualpsalmen setzt sich der Beter mit der Freude seiner Feinde über sein Elend auseinander; er klagt über sie und erhofft oder bejubelt deren Ende ( Ps 30,2; Ps 35,15.19.24; Ps 38,17). Der Gerechte freut sich über die Vergeltung am Frevler (Ps 58,11).

Genauso setzen sich die Fremdvölkersprüche mit der Freude der anderen Völker über das Ergehen Israels auseinander ( Jes 14,29; Jer 50,11; Ez 25,6; Ez 35,14f.; Ez 36,5; Ob 12; Klgl 4,21; vgl. auch die positiv gewertete Freude der Bäume über den Sturz des Tyrannen in Jes 14,8).

3. Freude in der Gottesbeziehung

3.1. Psalmen

Ein Schwerpunkt der Belege zum Thema Freude findet sich im → Psalter. Der Einzelne freut sich in den Klageliedern und Dankliedern (→ Psalmen) über die Rettung durch JHWH oder antizipiert den Jubel nach seiner Rettung. So kann seine Freude Gegenstand von Bitten, Vertrauensäußerungen und Lob bzw. Lobversprechen sein (z.B. Ps 5,12; Ps 9,3; Ps 30,12; Ps 31,8; Ps 32,11; Ps 86,4).

Die besondere Gottesbeziehung des Königs ist mit Freude verbunden ( Ps 21,8; Ps 63,12).

Verschiedene Aspekte der Gottesbeziehung inspirieren die Beter zur Freude, so Gott selbst ( Ps 33,21; Ps 97,12; Ps 104,34), seine Gnade (Ps 90,14), seine Gebote (Ps 19,9), seine Gerechtigkeit (Ps 67,5), sein Eingreifen (Ps 66,6; Ps 92,5) etc., so dass der Beter vielleicht sogar vom „Gott meiner Freude“ (Ps 43,4; vgl. Apparat der BHS) sprechen kann. Freude führt dabei zum Jubel und zum Lob Gottes.

Freudig in ihrer Gottesbeziehung sind Jakob / Israel ( Ps 14,7; Ps 53,7), der → Zion (Ps 48,12; Ps 97,5, über den sich seinerseits die Welt freut, Ps 48,3), die Menschen in besonderer Gottesnähe, z.B. der Gerechte (Ps 64,11; Ps 68,4; Ps 97,12) und die Elenden (Ps 69,33), die Völker (Ps 67,5) sowie der gesamte Kosmos (Ps 96,11; Ps 97,1).

3.2. Festfreude

Wallfahrten sind ein Anlass zur Freude (Jes 30,29; Ps 122,1). Auch sonst sind kultische → Feste mit Freude verbunden, „fröhlich zu sein vor JHWH und sich über die guten Gaben Gottes zu freuen […] – das ist der Kern der deuteronomischen Festtheorie“ (Janowski 2006, 291). Eine häufige Formulierung dafür ist „fröhlich sein vor JHWH“, vor allem im → Deuteronomium (שׂמח לִפְנֵי יהוה śmḥ lifnê jhwh Lev 23,40; Dtn 12,12.18; Dtn 16,11; Dtn 27,7; Ps 68,4; vgl. auch Dtn 14,26; Jes 9,2), teilweise parallel mit „vor JHWH essen“ (אכל לִפְנֵי יהוה ’kl lifnê jhwh Dtn 12,7.18; Dtn 14,26; Dtn 27,7; vgl. 1Chr 29,22).

Im → Esra- und Nehemiabuch sowie in den → Chronikbüchern sind die Höhepunkte der Erzählung durch kultische Festbeschreibungen markiert. In diesem Kontext ist häufig von großer Freude die Rede (1Chr 29,22; 2Chr 30,21.26; Esr 3,12f.; Esr 6,22; Neh 8,12.17), da sich das Volk bei den Festen des Heilswillen JHWHs vergewissert. Im Fest, im Kult, im Gesetz, im Tempel und in der Lebenspraxis ist Heil, und nicht erst in einer erhofften eschatologischen Zukunft. Diese Texte könnten daher als gezielt „uneschatologisch“ gelesen werden (Pohlmann 2008, 321).

3.3. Eschatologische Freude

Angesichts einer als negativ empfundenen Gegenwart erwarten eine Reihe von prophetischen Texten Freude in der Zukunft. Die erwartete Heilszeit (→ Eschatologie) kann als dauernde Freude geschildert werden (Jes 29,19; Jes 35,10; Jes 51,3.11; Jes 61,7; Jes 65,13; Jer 31,13). Wenn von JHWHs Kommen zu Gericht und Vergeltung die Rede ist, endet erst einmal alle Freude an Musik und Wein (Jes 24,7-11). Diejenigen, die gerettet und erlöst werden, werden sich zukünftig freuen (Jes 26,19; Jes 29,19; Jes 30,29; Jes 35,10; Jes 65,13-14). Der Zielpunkt dieser → Hoffnung ist im → Jesajabuch die → Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde durch JHWH. Erst diese völlige Änderung der Verhältnisse ermöglicht eine Zeit der Freude (Jes 65,17-25; Pohlmann 2008, 323-325; Miller 2000, 167-170).

4. Qohelet (Prediger)

Eine besondere Funktion hat Freude bei → Qohelet (Pred 2,1.2.10.26; Pred 3,12.22; Pred 4,16; Pred 5,17-19; Pred 7,4; Pred 8,15; Pred 9,7; Pred 10,19; Pred 11,8-9). Ihre Deutung ist abhängig von der jeweiligen Gesamtdeutung des Buchs. Bei einer Interpretation von Qohelet als Empiriker, der nach einem bleibenden Gewinn fragt und dabei sowohl eine optimistische Weisheit als auch apokalyptische Positionen ablehnt, ist das Ergreifen der Gelegenheit zur Freude das, was für den Menschen gut ist; die Freude ist Gabe Gottes (Michel 1989, 273). Falls מַעֲנֶה ma‘ănæh in Pred 5,19 nicht als Form von ענה ‘nh III „sich abmühen“, sondern von ענה ‘nh I „antworten“ gedeutet wird, wäre Freude für Qohelet eine Offenbarung Gottes (Lohfink 1998). Eine Übersicht über weitere Interpretationen der Belege zur Freude bei Qohelet bietet Anderson. Er lehnt die Deutung als Carpe diem-Aussagen oder als Glossen ab und interpretiert sie als Ironie (Anderson 2001).

5. Gottes Freude

In einigen wenigen Passagen ist von der Freude Gottes die Rede (vgl. insgesamt Dubach 2009). So freut sich JHWH in Zef 3,17; Jes 62,5; Jes 65,19 über sein Volk. In Jes 62,5 ist JHWHs Freude die eines Bräutigams über seine Braut. In Dtn 28,63; Dtn 30,9; Jer 32,41 bezieht sich die Freude JHWHs auf sein Handeln an Israel. Dieses Wirken kann Gutes für Israel, aber auch Vernichtung bedeuten (zur Ambivalenz Dtn 28,63). In den Psalmen ist Gottes Freude ein Ausdruck seiner Souveränität, wenn er sich an seiner → Schöpfung erfreut, mit den → Chaoswesen spielt (Ps 104,26.31) und lachend die Gottfernen und Spötter zurückweist (Ps 2,4; Ps 37,13; Ps 59,9).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Abart, C., Lebensfreude und Gottesjubel. Studien zu physisch erlebter Freude in den Psalmen (WMANT 142), Neukirchen-Vluyn 2015.
  • Aejmelaeus, A., „Rejoice in the Lord!“ A Lexical and Syntactical Study of the Semantic Field of Joy in the Greek Psalter, in: M.F.J. Baasten / W.Th. van Peursen (Hgg.), Hamlet on a Hill. Semitic and Greek Studies (FS T. Muraoka; OLA 118), Leuven u.a. 2003, 501-521.
  • Anderson, W.H.U., A Critique of the Standard Interpretations of the Joy Statements in Qoheleth, JNSL 27 (2001), 57-75.
  • Braulik, G., Die Freude des Festes. Das Kultverständnis des Deuteronomiums – die älteste biblische Festtheorie, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums (SBAB 2), Stuttgart 1988, 161-218.
  • Braulik, G., Von der Lust Israels vor seinem Gott. Warum Kirche aus dem Fest lebt, in: I. Baumgartner / C. Friesl / A. Máté-Tóth (Hgg.), Den Himmel offen halten. Ein Plädoyer für Kirchenentwicklung in Europa (FS P.M. Zulehner), Innsbruck / Wien 2000, 92-112.
  • Dubach, M., Die heiteren Seiten Gottes, in: T. Naumann / R. Hunziker-Rodewald (Hgg.), Diasynchron. Beiträge zur Exegese, Theologie und Rezeption der Hebräischen Bibel (FS W. Dietrich), Stuttgart 2009, 101-116.
  • Janowski, B., Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, 2.Auflage, Neukirchen-Vluyn 2006.
  • Köhlmoos, M., „Denn ich, JHWH, bin ein eifersüchtiger Gott.“ Gottes Gefühle im Alten Testament, in: A. Wagner (Hg.), Göttliche Körper – Göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (OBO 270), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2014, 191-217.
  • Kruger, P.A., The Face and Emotions in the Hebrew Bible, OTE 18 (2005), 651-663.
  • Lohfink, N., Koh 5, 17-19 – Offenbarung durch Freude, in: Ders., Studien zu Kohelet (SBAB 26), Stuttgart 1998, 151-165.
  • Michel, D., Qohelet (EdF 258), Darmstadt 1988.
  • Michel, D., Untersuchungen zur Eigenart des Buches Qohelet (BZAW 183), Berlin / New York 1989.
  • Miller, P.D., Judgment and Joy, in: J. Polkinghorne / M. Welker (Hgg.), The End of the World and the Ends of God. Science and Theology on Eschatology, Harrisburg/Penn. 2000, 155-170.
  • Pohlmann, K.-F., Beobachtungen zum Aspekt „Freude“ in Chr / Esr – Jes 65 / 66 – Kohelet, in: I. Kottsieper / R. Schmitt / J. Wöhrle (Hgg.), Berührungspunkte, Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt (FS R. Albertz; AOAT 350), Münster 2008, 317-331.
  • Strawn, B.A. (Hg.), The Bible and the Pursuit of Happiness. What the Old and the New Testament Teach Us about a Good Life, New York 2013.
  • Wagner, A., Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Waltrop 2006.

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