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Fluss / Bach / Wadi

(erstellt: August 2009)

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1. Einführung

Im Gegensatz zu den großen Flussoasen Ägypten und Mesopotamien sind in weiten Teilen Palästinas Niederschläge die wesentliche Grundlage für die Fruchtbarkeit des Landes. Dabei finden die ergiebigen Regenfälle nur in den Wintermonaten statt und erstrecken sich auf die Mittelmeerküste, Galiläa und das Bergland westlich und östlich des Jordangrabens. In der Jordansenke ungefähr südlich von → Bet Schean, im Westjordanland etwa südlich der Höhe von Gaza und im Ostjordanland bereits wenige Kilometer östlich des „Königsweges“ fallen dagegen die jährlichen Niederschläge so gering aus, dass Regenfeldbau nur noch sehr begrenzt oder gar nicht mehr möglich ist (→ Wasserversorgung). Auch wenn es eine Reihe von ganzjährig wasserführenden Quellen gibt, so sind diese doch meist nicht so ergiebig, dass sie Flüsse mit nennenswertem Wasserstand speisen würden.

Der einzige eigentliche Fluss des Landes ist der → Jordan, dessen Quellen am Fuß der südlichen Ausläufer von → Libanon und Antilibanon (→ Hermon) entspringen. Die sich zum Mittelmeer öffnenden Täler und die zum Teil tief eingeschnittenen Seitentäler des Jordan führen im Sommer nur sehr wenig oder gar kein Wasser, verwandeln sich im Winter nach starken Niederschlägen im Gebirge aber oft in kürzester Zeit in reißende Flüsse, von denen eine erhebliche Gefahr ausgehen kann (vgl. die aufwändigen Maßnahmen der Nabatäer zum Hochwasserschutz in Petra). Solche v.a. saisonal wasserführenden Bachtäler heißen hebräisch נַחַל nachal, arabisch wādī. Für „Fluss / Strom“ steht dagegen נָהָר nāhār.

2. Fluss

Im Alten Testament werden eine Reihe von perennierenden Flüssen namentlich erwähnt und mit nāhār bezeichnet. Der einzige Fluss Palästinas, der Jordan (יַרְדֵּן), wird allerdings nirgends nāhār genannt, sondern hier steht immer – ähnlich wie beim → Nil (jə’or) – der Eigenname. Am „Fluss Kebar“ (Ez 1,1.3), vermutlich ein Nebenarm des → Euphrats in der Nähe von Nippur, ist die erste Gotteserscheinung im Ezechielbuch lokalisiert, auf die im Buch immer wieder mit dieser Ortsangabe rückverwiesen wird. Der nāhār schlechthin ist der Euphrat (vgl. etwa Dtn 11,24: הנהר נהר־פרת „der Fluss, der Euphrat“). Als solcher taucht er nicht nur als Grenze des verheißenen Landes (s.u.), sondern auch bei weiteren Ortsangaben auf. „Mesopotamien“ ist in der Einheitsübersetzung und Lutherbibel die Übersetzung für אֲרַם נַהֲרַיִם ’ǎram nahǎrajim (Gen 24,10; Dtn 23,5; Ri 3,8; 1Chr 19,6; Ps 60,2, wörtlich „Aram der zwei Flüsse“). Die Bezeichnung meint wohl zunächst das Gebiet um den Euphrat zwischen Aleppo und dem Chabur, also das heutige Nordsyrien, und wird später auf Syrien erweitert (vgl. HALAT, 640).

Von großer Bedeutung ist die Bezeichnung עֵבֶר הַנָּהָר ‛evær hannāhār „jenseits des Flusses“. In einigen Texten scheint sie aus palästinischer Perspektive formuliert zu sein und das Land östlich des Euphrat zu bezeichnen (Jos 24,2f.14f; 2Sam 10,16; 1Chr 19,16; ähnlich: 1Kön 14,15; Jes 7,20), in anderen ist sie umgekehrt offenbar die Wiedergabe des keilschriftlichen eber nāri bzw. des aramäischen ‛ăbar nahărā’ und meint die schon assyrische Bezeichnung für Syrien-Palästina bzw. konkret die persische Verwaltungseinheit Transeuphratene (1Kön 5,4; Esra 8,36; Neh 2,7.9; Neh 3,7).

Über solche geographischen Angaben hinaus gewinnt die Verwendung von „Fluss / Strom“ im Alten Testament theologische Bedeutung aus der Ambivalenz großer Wassermassen, die sowohl die Quelle von Fruchtbarkeit und Leben als auch eine Bedrohung darstellen können. Als Beispiele sei einerseits auf den lebensspendenden und sich in die Weltflüsse verzweigenden Paradiesstrom in Gen 2,10 verwiesen. Andererseits wird die zerstörerische, ja chaotische Macht des Wassers betont, wenn es in Ps 93,3 heißt: „Es erhoben Ströme, JHWH, es erhoben Ströme ihre Stimme, es erheben Ströme ihr Tosen.“ Gott wird hier als Chaoskämpfer gegen Ströme angesprochen, denen dieselbe Funktion zukommt wie dem Urmeer, das im Rahmen der Weltschöpfung überwunden werden muss, damit der geordnete Erdkreis entstehen und bestehen kann (→ Chaos / Chaoskampf).

3. Bachtal

Wasserversorgung Abb 2 Kidron

Auch wenn es sich bei den Wadis gerade in der Wüste Juda oft um im Sommer wasserlose Täler handelt, so betont die Vokabel נַחַל nachal „Bachtal“ doch im Gegensatz zu גַּיא gaj’ „Tal“ den Aspekt eines zumindest nach winterlichen Regenfällen vorhandenen Wasserlaufs. So heißt in Jerusalem das zum Toten Meer führende → Kidrontal mit der Gihonquelle nachal qidrôn, das quellenlose → Hinnomtal dagegen gê’ bæn-hinnom.

Es bedeutet eine Steigerung ins Utopische, wenn der Kidron nach Ez 47 gespeist von der Tempelquelle dauerhaft zu einem nachal wird, der nicht mehr zu Fuß überquert werden kann (Ez 47,5), wenn sein Wasser das Tote Meer fischreich macht und die Bachufer in der Wüste mit übernatürlich fruchtbaren und lebensspendenden Obstbäumen bewachsen sind.

Die Eigenschaft, spätestens beim nächsten Winterregen von reißenden Wassermassen durchspült zu werden, macht Bachtäler (gelegentlich bis heute) zu bequemen Müllabladeplätzen. Entsprechend sind sie biblisch auch die Orte für die Zerstörung und endgültige Beseitigung von heterodoxen Kultobjekten. Im Kidrontal werden ein Kultbild der Aschera (vgl. Frevel, 536) in 1Kön 15,13 unter Asa, die Aschere und / oder das Kultbild der Aschera (vgl. Frevel, 551) sowie Altäre in 2Kön 23,6.12 unter Josia zerstört. Nach Dtn 9,21 (vgl. anders Ex 32,20) wird der Staub des zerstörten → Goldenen Kalbs in ein Bachtal geworfen.

4. Bachtal und Fluss als Grenze

Flüsse und Bachtäler stellen natürliche Barrieren und Markierungen in der Landschaft dar. Ihre Überquerung kann mit Schwierigkeiten und Kämpfen verbunden sein (vgl. Gen 32,23-33: Jakobs Überschreitung des → Jabbok), v.a. aber das Überschreiten einer Grenze bezeichnen. In mesopotamischen Texten bedeutet das Überschreiten des Unterweltflusses „sterben“. Die Feldzugsberichte assyrischer Könige beginnen oft mit der Notiz, den Euphrat überschritten zu haben (vgl. z.B. die Inschriften des „Schwarzen Obelisken“ Salmanassars III., TUAT I,4, 362f.).

Die tief eingeschnittenen Wadis im Ostjordanland haben ebenfalls oft die Funktion natürlicher Grenzen zwischen Edom, Moab und Ammon. Das schließt allerdings nicht aus, dass z.B. die Nordgrenze Moabs am Arnon (Wādī el-Mōǧib; vgl. Num 21,13) zeitweise über dieses Tal hinaus verschoben werden konnte.

Entsprechend werden auch die Grenzen des verheißenen Landes in seiner Maximalausdehnung angegeben als „von dem Strom Ägyptens an bis an den großen Strom Euphrat“ (Gen 15,18, Lutherübersetzung; vgl. 1Kön 5,1.4). Dieses Gebiet mit dem Bach Ägyptens, in der Bronze- und Eisenzeit wohl der Nachal Besor, ab der Perserzeit das Wādī l-‘Arīš (Keel / Küchler, 101f.), als Südgrenze des Kulturlandes und dem Euphrat als nordöstlicher Grenze entspricht gleichzeitig der fünften persischen Satrapie ‛ăvar nahărā’ (→ Land).

Auch die innerisraelitische Grenze zwischen dem Nordreich Israel und dem Südreich Juda lässt sich zumindest in ihrem östlichen Bereich rekonstruieren, da hier zwei Wadisysteme tiefe Schluchten in die Landschaft geschnitten haben. Zwischen diesen beiden Systemen ist die Grenze im Kontext innerisraelitischer Kriege zeitweise verschoben worden. Das nördliche System beginnt zwischen → Bethel und → Ai mit dem Wādī el-Ǧāje und erreicht über das Wādī el-‘Asās, das Wādī el-Makkūk und das Wādī en-Nu‘ejme nördlich von Jericho den Jordan. Das südliche System wird von dem Wādī Šejbbān, das zunächst nach Süden verläuft, dem Wādī eṣ-Ṣwēnīṭ und dem Wādī el-Qelṭ gebildet, das südlich von Jericho in den Jordan mündet (vgl. Karte im Art. → Michmas).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff. (נהר / נחל)
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg 2008

2. Weitere Literatur

  • Frevel, C., 1995, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs. Beiträge zu literarischen, religionsgeschichtlichen und ikonographischen Aspekten der Ascheradiskussion (BBB 94), Weinheim
  • Keel, O. / Küchler, M., 1982, Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land. Bd. 2: Der Süden, Zürich / Göttingen
  • Schwarzenbach, A., 1954, Die geographische Terminologie im Hebräischen des Alten Testamentes, Leiden

Abbildungsverzeichnis

  • Karte: Wichtige Flüsse und Bäche in Palästina. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der Jordan bei Tel Dan. © public domain (Foto: Johannes Schnocks, 2003)
  • Der Kidron. © public domain (Foto: Klaus Koenen, 1989)
  • Das Wādī l-Mōǧib, der biblische Arnon von Norden. © public domain (Foto: Johannes Schnocks, 2003)
  • Das Wādī el-Qelṭ mit dem Georgskloster. © public domain (Foto: Johannes Schnocks, 2003)

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