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Fluch / Fluchen (NT)

(erstellt: Oktober 2013)

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1. Griechische Äquivalente

Das Gegenteil von → „Segen“ bzw. „segnen“ (eulogein ktl.) wird im Neuen Testament am häufigsten mit dem Wortfeld ara ktl. bzw. katarasthai ktl. umschrieben (Röm 12,14; Jak 3,9; Mt 25,43.41; Lk 6,28). Weitere Gegenbegriffe sind „schmähen“ (loidorein1Kor 4,12), und „Geiz“ (pleonexia2Kor 9,5f; 2Petr 2,14). Auffällig ist, dass der eigentliche Gegenbegriff von eu-logein, nämlich kako-logein, im NT nie im Sinne von „fluchen“ verwendet wird – ebenso wenig wie blasphemein ktl.

1.1. kakologein ktl.

Das Verb kakologein ist im NT vor allem im Sinne von „Schlechtes reden, schmähen“ belegt: Mk 7,10 par. Mt 15,4; Mk 9,39 und Apg 19,9. Der mutmaßlich älteste ntl. Beleg ist Mk 7,10. Wohl nicht zufällig wird hier ein Vers aus dem AT zitiert, das → Elterngebot von Ex 21,16 (im Zusammenhang mit dem Ehrgebot von Ex 20,12): Wer seine Eltern schmäht, der soll des Todes sterben. Nach Mk 7,10 ist der entsprechende Gegenbegriff von kakologein (übel reden) also nicht eulogein (gut reden) sondern timan (ehren).

1.2. blasphemein ktl.

Auch blasphemein wird im NT nicht im Sinne von „fluchen“ verwendet, sondern im Sinne von „schmähen, verleumden, lästern“ (Hofius, EWNT I, 527-532). Nirgendwo jedenfalls ist blasphemein der Gegenbegriff zu eulogein.

1.3. loidorein ktl.

Anders ist dies – jedenfalls in 1Kor 4,12 – im Hinblick auf das Verb loidorein, auch wenn loidorein nicht mit „fluchen“, sondern mit „schmähen, beschimpfen“ zu übersetzen ist. So beschimpfen die → Pharisäer den geheilten Blinden (Joh 9,28), während → Paulus unwissentlich den Hohenpriester schmäht (Apg 23,4). Nach 1Petr 2,23 ist Jesus ein Vorbild, weil er nicht „zurückgeschmäht“ (anteloidorei) hat, als er geschmäht wurde.

1.4. katarasthai ktl.

„Fluchen, verfluchen“ wird im NT mit katarasthai ktl. wiedergegeben. Das Kompositum (das Verbum simplex ist im NT nicht belegt) geht auf das griechische Substantiv ará (Wunsch Gebet) zurück (Büchsel, ThWNT 1, 1933, 449). Bereits bei Sophokles (Philoktetes 1120 u.ö.) und Euripides (Alkestis 714 u.ö.), meint ará den „Fluch“ (vgl. auch Röm 3,14).

1.5. anathematizein ktl.

Das Nomen anathema im Sinne von „Fluch“ ist im NT nur bei Paulus (Gal 1,8f; 1Kor 12,3; 1Kor 16,22 und Röm 9,3) sowie einmal in der → Apostelgeschichte (Apg 23,14) belegt. Ursprünglich ist darunter ein Weihegeschenk zu verstehen (vgl. Lk 21,5 – s.u.). Das daraus abgeleitete Verbum anathematizein bedeutet „bannen, töten, verfluchen“.

2. katarasthai ktl. im Neuen Testament

2.1. Begriffliche Abgrenzung

Die Wortgruppe ará ktl. taucht im Neuen Testament ein Mal in der Grundform ara (im Sinne von Fluch: Röm 3,14 in freier Zitation von Ps 10,7) auf, fünfmal in der Form katara (Fluch – Gal 3,10.13; Jak 3,10Hebr 6,8; 2Petr 2,14), ein Mal in Form des Adjektivs eparatos (Joh 7,49 unter Anspielung auf Dtn 27,26), zweimal in Form des Adjektivs epikataratos (Gal 3,10.13) und fünfmal in Form des Verbs katarasthai (Röm 12,14; Mk 11,21; Mt 25,41; Lk 6,28; Jak 3,9). Der Gegenbegriff zu katarasthai ist im NT durchgängig eulogein (Gal 3,13f; Röm 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9f; Mt 25,34.41).

2.2. Grundbedeutung

Das griechische Substantiv ará bezeichnet zunächst „Wunsch, Bitte, Gebet“ (Büchsel, ThWNT 1, 1933, 449; vgl. Euripides, Hippolyt 888.890.895 u.ö.). Zugleich kann das Nomen aber auch die Bedeutung von „Fluch“ annehmen (vgl. Euripides, Medea 607; Phönizierinnen 67.334 u.ö.; Josephus, Ant IV 104). Das Verbum simplex ist sowohl in der Profangräzität (vgl. Herodot, Hist 1,132,8) als auch in der Septuaginta (1Kön 8,31; 2Chr 6,22) belegt, nicht aber im NT. Hier taucht stattdessen das Kompositum katarasthai auf. Davon abgeleitet ist das (ntl. belegte) Substantiv katara. Dieses trägt durchweg die Bedeutung „Fluch“. Das Doppelkompositum-Verbaladjektiv epikataratos (vgl. Gen 3,14.17; Gen 4,11 u.ö.) ist mehrfach in der → Septuaginta im Sinne von „verflucht“ belegt, im NT nur in Gal 3,10.13. Außerhalb der Septuaginta und des NT taucht epikataratos erst ab dem 2. Jh. n. Chr. auf. Das einfache Verbaladjektiv eparatos findet sich nur bei Philo, LegAll III 111 u.ö. sowie bei Josephus, Ant I 58; VI 118; VII 208; stets im Sinne von „verflucht“ – darüber hinaus auch in Joh 7,49, nicht aber in der Septuaginta.

2.3. Vorkommen der Wortgruppe katarasthai ktl. im Neuen Testament

2.3.1. Gott bzw. Christus als Subjekt des Fluchs und dessen endzeitliche Auswirkung

1) Gal 3,10-14

Maßgeblich für das ntl. Verständnis des Fluches ist – wie beim Verständnis des Segens – seine Verwendung im → Galaterbrief.

Zentrale Bedeutung hat der Gegensatz zwischen dem Glauben (pistis) und den Werken des Gesetzes (erga nomou – zu interpretieren als Taten, die das Gesetz fordert bzw. Werke, die das Gesetz beim Menschen hervorbringt (Rusam, 57-59). Wenn Paulus den Glauben mit dem Segen parallelisiert, dann entspricht den Werken des Gesetzes folgerichtig der Fluch (Gal 3,10). Terminologisch nimmt er das in Gen 12,3 vorgegebene Wortfeld katarasthai ktl. auch in Gal 3 auf, unterstützt durch das Zitat von Dtn 27,26 in Gal 3,10. Nach Paulus stehen diejenigen unter dem Fluch, die „aus den Werken des Gesetzes“ sind, während die aus dem Glauben als Kinder Abrahams bezeichnet werden. Auf den ersten Blick scheint → Josephus das ganz anders zu sehen: Seiner Meinung nach stehen gerade diejenigen, die dem Gesetz zuwiderhandeln, unter dem Fluch (Ant IV 302). Doch das Zitat von Dtn 27,26 in Gal 3,10 macht deutlich, dass Paulus für seine Argumentation genau das Gleiche reklamiert, was auch Josephus meint. Denn auch er hält daran fest, dass diejenige verflucht sind, die nicht bei allem bleiben, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist.

Paulus verwendet hier vermutlich ein Schriftwort, das seine galatischen Kontrahenten gegen ihn in Anschlag bringen. Hatten diese doch von den Heidenchristen gefordert, sie sollten sich beschneiden lassen (Gal 5,2; Gal 6,12f) und die → Tora beachten, so wie sie niedergeschrieben ist (Gal 4,21; Gal 5,4; Gal 6,13)! Dementsprechend bezeichnet Paulus diejenigen, die aus den Werken des Gesetzes leben, als unter dem Fluch (kataraGal 3,10). Zweimal verwendet er im vorliegenden Zusammenhang das Wort epikataratos, einmal im Zitat von Dtn 27,26 (Gal 3,10) und einmal im Zitat von Dtn 21,23 (Gal 3,13). Im letztgenannten Zitat ändert Paulus das ursprüngliche Wort für „verflucht“ (kekateramenos) in epikataratos, um die Parallelität aufweisen zu können. Christus hat die Adressaten vom Fluch des Gesetzes (katara tou nomou) losgekauft (Gal 3,13). Auch hier ist – ähnlich wie bei den Formulierungen „Werke des Gesetzes“ (erga nomou) oder „Glaube Christi“ (pistis Christou) – wohl mit einem genitivus auctoris zu rechnen, insofern Paulus vom Fluch spricht, den das Gesetz beim Menschen hervorruft.

Der Übernahme des Fluches durch Jesus „für uns“ (Gal 3,13) entspricht der Segen für die Heidenvölker (ethne) (Gal 3,14) – ähnlich dem Gedanken von 2Kor 5,21 (vgl. auch Gal 4,4f); zweifellos handelt es sich auch bei der Genitivkonstruktion „Segen des Abraham“ (vor Paulus nicht belegt) um einen Genitivus obiectivus, „da Abraham der Empfänger des Segens ist, der ihm in Gen 12,2f umfassend verheißen wurde“ (Heckel, 140; vgl. Gal 3,8).

Nach Paulus kommt der Segen den Heidenvölkern (ethne) zu. Er besteht in der gegenwärtigen Gabe des Geistes (Gal 3,14 – die Vorstellung, dass der Geist den Glaubenden verheißen ist, findet sich so nur noch in Apg 2,33) durch den Glauben (Röm 1,4; Röm 7,6; Röm 8,2; 1Kor 6,11; Röm 12,13 – Wolter, 2011, 157f.).

Segen (eulogia) und Fluch (katara) sind integriert in das zentrale Thema der paulinischen Theologie: die Verkündigung der Freiheit von der Anklage der Tora für alle Heiden. Das ist umso auffälliger, als Paulus nur im Galaterbrief so argumentiert.

2) Hebr 6,8

In Hebr 6,7f wird die Unmöglichkeit einer zweiten Buße illustriert mit dem Bild von der Erde, die durch den Regen Frucht hervorbringt. Dies qualifiziert der Verfasser des → Hebräerbriefs als „Segen“, während die Erde dem Fluch (katara) nahe ist, wenn sie Dornen und Disteln trägt. Dem Bildelement Erde entspricht auf der Sachebene die Alternative „ewiges Heil“ oder „endgültige Verwerfung“ (Heckel, 187). Darin klingt bereits eine Drohung mit: Die Disteln werden letztendlich (to telos) ins Feuer geworfen werden (Hebr 6,8), wobei das Feuer (vgl. auch Mt 3,10.12) die endzeitliche Vernichtung assoziiert.

3) Mk 11,12-14.20f.

Die Episode von der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20f) wird in der Forschung höchst unterschiedlich beurteilt. Häufig versteht man dabei unter Verweis auf Hos 9,10; Jer 24,1-10 (vgl. Jer 29,17); Mi 7,1 (vgl. Jer 8,13) den Feigenbaum als Bild für Israel und interpretiert die Geschichte deshalb als Ankündigung eines Gerichts über Israel. In der atl. Bildersprache entspricht dem Volk Israel jedoch eher der Weinberg (vgl. Jes 5,1-7; aufgenommen in Mk 12,1-12). Insofern ist die Feigenbaumepisode im → Markusevangelium wohl eher als Versuch einer Deutung der inzwischen erfolgten geschichtlichen Ereignisse zu verstehen (Böttrich, 353). Über Israel als Volk wird in diesem Zusammenhang nichts ausgesagt.

4) Mt 25,41

Mit der Sondergutparabel vom Weltgericht (Mt 25,31-46) führt → Matthäus weiter, was Markus mit der Verfluchung des Feigenbaumes andeuten wollte: Auch dem mt Jesus gilt Israel nicht als Ganzes „verflucht“, sondern nur diejenigen, die nicht entsprechend handeln. In jedem Fall zeigen sich die positiven Auswirkungen des Segens bzw. die negativen des Fluches erst eschatologisch: die Verfluchten werden hingehen „zur ewigen Strafe“ (Mt 25,46) im ewigen Feuer (Mt 25,41). Darin sind offensichtlich die Vorstellungen von Segen und Fluch aus Dtn 30,16.19; Dtn 33,1f aufgenommen (Luz, I/3, 535).

5) Joh 7,49

Der Fluch der Pharisäer über das gesetzesunkundige Volk, das an Jesus glaubt, steht in der Perspektive endzeitlicher Verdammung. Weil das Volk die Tora nicht kennt und nicht erfüllt (vgl. Dtn 27,26), hat es nach Meinung der → johanneischen Pharisäer Verdammung verdient. Dass nach der Überzeugung des Evangelisten dieser Fluch letzten Endes auf die Pharisäer selbst zurückfallen wird, weil sie Jesus nicht als Messias anerkennen, korrespondiert der Aussage von Joh 7,49. In diesen Kontext passt auch die Beschimpfung des Blindgeborenen in Joh 9,28, insofern das dabei verwendete Wort loidorein an anderer Stelle (1Kor 4,12) als Gegenbegriff zum „Segnen“ verwendet wird.

6) 2Petr 2,14

Im 2Petr 2,14 werden „Kinder des Fluchs“ (kataras tekna) beschrieben als Menschen mit „Augen voll Ehebruch“, die ruhelos auf Sünde aus sind und ein in Habgier (pleonexia) geübtes Herz haben. Auffällig ist, dass pleonexia wie schon in 2Kor 9,5 als eine Art Gegenbegriff zum „Segen“ fungiert. Wer alles für sich behalten will und nicht bereit ist, vom Guten etwas abzugeben, gilt als ein „Kind des Fluchs“, d.h. als dem endzeitlichen Verderben angehörig. Er erhält den „Lohn der Ungerechtigkeit“ (2Petr 2,13.15). In 2Petr 2,19 werden solche Menschen als „Sklaven der Vernichtung“ (douloi tes phthoras) bezeichnet.

Allen behandelten Stellen ist gemeinsam, dass der Fluch eschatologische Auswirkungen hat. Allerdings unterscheiden sich die Aspekte der drohenden Verwerfung im → Jüngsten Gericht, die dabei von den ntl. Autoren unterstrichen werden. Für Paulus sind die Glaubenden durch das Christusgeschehen nicht mehr dem endzeitlichen Fluch unterworfen (Gal 3f.), während im Hebräerbrief die Kehrseite dieser Medaille thematisiert wird: Wer vom Glauben abfällt, fällt wieder dem Fluch anheim. Ähnlich sind die Vorstellungen in Joh 7,49 und Mk 11,12-14.20f, wo es um die Frage des Glaubens (an Jesus als den Messias Israels) geht. Der Verfasser des → Zweiten Petrusbriefs nutzt ähnlich wie die Parabel in Mt 25,31-46 den eschatologischen Aspekt des Fluchs, um paränetisch auf die Notwendigkeit eines guten Lebenswandels hinzuweisen bzw. andernfalls mit dem Gericht zu drohen.

2.3.2. Menschen als Subjekt (und Objekt) des Fluchs und dessen ethische Auswirkung in Röm 3,14; 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9

Im Rahmen seiner Ausführungen über die Macht der Sünde stellt Paulus in Röm 3,14 fest, dass Juden wie Heiden einen Mund voll Fluch (aras) und Bitterkeit (pikrias; vgl. Eph 4,31) haben. Das wird im Kontext weiter exemplifiziert: sie betrügen mit ihrer Zunge, auf ihren Lippen ist Schlangengift (ios), sie vergießen Blut, auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer. „Fluch“ entspricht hier dem exakten Gegenteil von Segen, wie dieser in Röm 12,14 und Lk 6,28 verstanden ist. Hatte der von Menschen an andere weitergegebene „Segen“ „Wohltaten“ impliziert, so schließt der von Menschen an andere weitergegebene „Fluch“ entsprechend „Schandtaten“ ein. Die gesamte Passage in Röm 3,10b-18 stellt sich als eine atl. Zitatenkette dar, die überwiegend aus Psalmversen besteht (Ps 14,1-3; Ps 5,10; Ps 139,4; Ps 10,7; Jes 59,7; Spr 1,16; Ps 35,2). Das in Röm 3,14 verwendete altertümliche Wort ará („Fluch“ – ein Hapaxlegomenon im NT) wird von Paulus demnach ganz bewusst aufgenommen, um auf den Referenztext (Ps 10,7) hinzuweisen. Formal macht er damit deutlich, dass er sich auch mit diesem Verständnis von „Fluch“ als Ausübung von bösen Taten auf die Schriften stützen kann.

Auch das Fluchverständnis des → Jakobusbriefs entspricht dem des Paulus (bzw. Lukas) recht genau. Gotteslob (eulogia) und Menschenfluch (katara) darf nach Jak 3,9f nicht aus ein- und demselben Mund kommen. Das wird durch jenes Bildwort von der Quelle, aus der nicht zugleich süßes und bitteres Wasser kommen könne (Jak 3,11f), noch einmal illustriert. Wohl nicht zufällig taucht hier das im NT nur in Röm 3,13 und Jak 3,8 verwendete Wort ios auf – im Sinne von „Gift“ (vgl. nur noch Jak 5,3; dort allerdings im Sinne von „Rost“), das aus dem Mund kommt. Einen Menschen zu verfluchen, ist nach Röm 3,14 und Jak 3,9 also nichts anderes, als verbal Gift zu verspritzen.

3. Anathema / anathematizein im NT

3.1. Herkunft und Bedeutung

Ursprünglich bedeutet anathema als Nomen zu dem Verb anatithemi (aufstellen) etwas „Aufgestelltes“. Später bezeichnet es etwas für eine Gottheit im Tempel „Aufgestelltes“, ein „Weihegeschenk“ (so in 2Makk 2,13; Ri 16,19 [Aquila]; Lk 21,5), das der Gottheit bzw. ihrer Gnade oder ihrem Zorn überlassen ist. Vor dem Hintergrund des hebr. Verbs hrm (bannen) nimmt das Substantiv bereits in der Septuaginta auch die Bedeutung „Fluch“ an (Lev 27,28f; Dtn 7,26; Dtn 13,17 u.ö.): „Das ‚Gebannte‘ ist profaner menschlicher Verfügung durch Gebrauch oder Verkehr schlechthin entnommen und der Vernichtung preisgegeben“ (Behm, ThWNT 1, 1933, 356).

Das davon abgeleitete Verb anathematizein ist erstmalig in der Septuaginta belegt. Bei Philo und Josephus findet es sich nicht und taucht erst wieder im NT und davon abhängig in der nachfolgenden christlichen Literatur (v.a. bei Athanasius) gehäuft auf. Fast durchgängig hat das Verb in der LXX die Bedeutung „bannen“ (Num 21,2f; Dtn 13,16; Jos 6,21; Ri 1,17; Ri 21,11; 1Sam 15,3; 2Kön 19,11; 1Chr 4,41). Interessanterweise übernimmt im Lauf der Zeit anathematizein offenbar auch die Bedeutung von „dem Tod übergeben“ bzw. „töten“ – so in 1Makk 5,5; im 2. Jh. n. Chr. bietet in Dan 11,44 Theodotion das Verb anathematisai statt des ursprünglichen apokteinai (töten).

3.2. Vorkommen im NT

Insgesamt zwölfmal taucht im NT die Wortfamilie anathema auf, fünfmal davon als Fluchformel (Gal 1,8f; 1Kor 12,3; 1Kor 16,22; Röm 9,3) – und ausschließlich bei Paulus. Grundlegend für das Verständnis des Substantivs anathema ist auch in diesem Fall der Galaterbrief. Hier findet sich zweimal kurz hintereinander die Formulierung „der sei verflucht“ (anathema esto) als Folge aus einem Bedingungssatz (Gal 1,8f). Paulus verflucht gleich zu Beginn seines Briefes diejenigen, die den Galatern „ein anderes Evangelium“ predigen. Demnach bedeutet die Formulierung im vorliegenden Zusammenhang nichts anderes als die Übergabe der Irrlehrer an das endzeitliche Strafgericht Gottes (Kuhn, EWNT 1, 193). Die Bedingungssätze von Gal 1,8f sind im Grunde wie kasuistische Rechtssätze formuliert. Ein vergleichbarer Konditionalsatz mit derselben Folgerung (anathema esto) findet sich auch in 1Kor 16,22 – dies umso deutlicher, als im selben Vers das Kommen des Herrn mit dem Ausruf „Maranatha!“ (nach Apk 22,20b zu übersetzen mit „Unser Herr, komm!“, vgl. Did 10,6) herbeigewünscht wird. Das Kommen des Herrn (zum Gericht) wird demnach die Wirksamkeit des Fluchs erweisen. Das anathema trifft weniger die Abweichung der Galater von den theologischen Überzeugungen des Paulus als vielmehr ihren Abfall von Christus (Gal 3,1-5; Gal 4,8-11; Gal 5,4.7f).

In Röm 9,3 fügt Paulus an das „anathema“ als Explikation an, „von Christus getrennt“ zu sein: Der Fluch bedeutet Trennung von Christus und endzeitliche Verlorenheit – so wie es nach 1Thess 4,18 und Phil 1,21-23 das Ziel eines jeden Glaubenden ist, in diesem Leben (vgl. Röm 8,38f) und endzeitlich „allezeit bei dem Herrn / bei Christus zu sein“. Paulus wäre bereit, die Trennung von Christus auf sich zu nehmen, wenn er dadurch seine jüdischen Glaubensgeschwister für die Gemeinschaft mit Christus – und damit für den daraus resultierenden Segen – gewinnen könnte.

In 1Kor 5,1ff fehlt zwar der Begriff, doch inhaltlich zielt das hier vorgeschlagene Disziplinverfahren auf das, was Paulus ansonsten durch die Formel „anathema esto“ zum Ausdruck bringt (Wolff, 103; Schrage, 374). Seine Empfehlung, den Blutschänder „dem Satan zu übergeben zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde am Tage des Herrn“ (1Kor 5,5), d.h. ihn aus der Gemeinde auszustoßen, weil Gott diejenigen, die „draußen“ sind, richten wird (1Kor 5,13), entspricht exakt dem, was das anathema esto meint: Der Delinquent wird dem Gericht Gottes übergeben – bzw. implizit zur Umkehr aufgerufen (Heckel, 245f.).

Einen Sonderfall stellt die Annahme in 1Kor 12,3 dar, dass ein Mensch den Fluch anathema Iesous aussprechen könnte (Wolff, 285-287 sowie Heckel, 216-218) – was als eine Form der Gotteslästerung zu verstehen wäre. Im Kontext von 1Kor 12,2 und angesichts der Konfrontation der Korinther mit ihrer heidnischen Vergangenheit könnte der Ausruf anathema Iesous am ehesten ein Relikt heidnischer Einstellung sein. Wer mit Jesus nichts zu tun haben will, flucht ihm. Dabei spricht der Verflucher jedoch sein eigenes endzeitliches Urteil; das ist die logische Folge, die sich in der Zusammenschau mit 1Kor 16,22 ergibt.

Es spricht alles dafür, dass der paulinische Gebrauch des Substantivs anathema auch die Bedeutung des Verbs anathematizein im NT geprägt hat. So wird etwa der Schwur des Petrus in Mk 14,17 durch eine (bedingte) Selbstverfluchung massiv unterstrichen (vgl. katathematizein in Mt 26,74). Die gleiche Form hat auch der Schwur in Apg 23,12.14.21: Der Schwörende ist bereit, sich dem Richterzorn Gottes bzw. seiner endzeitlichen Vernichtung zu übergeben, falls er einen Meineid leistet. Insofern nimmt das Verb die Bedeutung „töten“ an (vgl. 1Makk 5,5 und Dan 11,44 Theodotos) und unterstreicht damit noch einmal die Brisanz des geleisteten Schwurs.

4. Zum Unterschied von ara ktl. und anathema

Wenn Menschen anderen „fluchen“ (unter Verwendung eines Begriffes aus der Wortfamilie ara ktl.), dann tun sie einander Böses an. Sie vergießen Blut, verbreiten Schaden und Jammer, haben keine Gottesfurcht (Röm 3,14-18; vgl. Röm 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9).

Davon unterscheidet sich der Ausruf anathema esto auf signifikante Weise: Die mit dem anathema Belegten sind dem Gericht Gottes verfallen. Für sie gibt es keine Rettung mehr. In diese Richtung weist auch die Verwendung des Verbs anathematizein. Es handelt sich hier also um performative Redeweise (vgl. Gal 1,8f; 1Kor 16,22): Das anathema droht nicht nur mit dem Gericht, sondern führt es herbei. Paulus fordert seine Adressaten auf, die Gemeinschaft mit jenen Irrlehrern, die unter dem Fluch stehen, abzubrechen. Dass dabei auch eine paränetische Absicht mitschwingt und Paulus die bedingt Verfluchten zur Umkehr führen will, ist zu vermuten (Heckel, 228).

5. Zusammenfassung

Die im NT für „Fluch / fluchen“ verwendeten Begriffe lassen sich nicht auf ein gemeinsames griechisches Grundwort zurückzuführen. Besonderes Gewicht hat die Wortfamilie ara ktl., bei der sich zwei grundlegende Aspekte unterscheiden lassen: Zum einen impliziert der von Gott bzw. von Christus ausgehende Fluch die endzeitliche Verwerfung, zum anderen wird „fluchen“ als ein von Menschen ausgehendes Tun im Sinne böser Taten verstanden. „Fluchen“ steht damit – zumindest im Hinblick auf diese zwei Gesichtspunkte – dem „Segnen“ im NT diametral gegenüber.

Immer wieder sind beide Aspekte wechselseitig aufeinander bezogen: Böse Taten ziehen den endzeitlichen Fluch nach sich. Dennoch zielen das pln. und lkn. Fluchverbot zunächst nur auf innergemeindliche Beziehungen. Wenn Paulus indessen unter bestimmten Voraussetzungen ein „anathema“ ausruft, dann liefert er den mit diesem Wort Belegten der endzeitlichen Vernichtung im Gericht Gottes aus – wobei die Chance der Umkehr bestehen bleibt. Insofern mag bei der Verwendung des Substantivs anathema durchaus auch eine paränetische Absicht mitschwingen.

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