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(erstellt: Mai 2014)

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1. Definition und Terminologie

Fasten bedeutet zunächst den willensmäßig geübten Verzicht auf gewisse oder alle Nahrung während einer bestimmte Zeitspanne. Etymologisch leiten sich die Wörter νηστεύω nēsteuō (fasten), νηστεία nēsteia (Fasten, Nahrungsverzicht, Hunger, Fasttag) und νῆστις nēstis (nüchtern / hungrig) wie ihre Äquivalente in anderen indogermanischen Sprachen auch von der Beschreibung eines Zustandes der Leere und der Nüchternheit her. Die lateinischen Äquivalente lauten ieiunus, ieiunare, ieiunium. Im Griechischen wird der Begriff aus „Nicht-Essen“ (νή - ἐσθίω - estiō) gebildet. Die Sache selbst muss im Neuen Testament nicht unbedingt durch den Begriff ausgedrückt werden; sie kann ebenso auch durch Beschreibungen des Nahrungsverzichts zur Darstellung gelangen.

2. Kategoriale Differenzierung von Fasten

Kategorial ist a) zwischen einem Verzicht auf Essen sowie auf Essen und Trinken zu unterscheiden. Dieser Verzicht kann sich b) auf alle oder nur auf bestimmte Nahrungsmittel beziehen. Der Verzicht kann c) auf die Sexualität ausgedehnt werden. Fasten kann d) einzeln oder als Gruppe durchgeführt werden. e) Fasten als freiwilliger Verzicht ist von erzwungener Abstinenz zu unterscheiden. Ebenfalls ist f) spontanes Fasten von regelmäßigem Fasten an festgesetzten Tagen zu unterscheiden.

3. Funktionen und Wirkungen von Fasten in der Religionsgeschichte

In der Religionsgeschichte hat Fasten verschiedene Funktionen:

1. Apotropäisch-kathartisches Fasten: Nahrungsmittel können von Dämonen infiziert werden. Ein Verzicht schützt somit vor dem Einfluss der Dämonen. Zugleich kann dem Fasten selbst eine Kraft gegen die Dämonen innewohnen.

2. Initiationsfasten: Hier ist der Verzicht Teil eines Rituals zur Einführung eines Menschen in eine neue Gemeinschaft oder eines Mitglieds in eine neue Funktion innerhalb einer Gemeinschaft.

3. Ekstatisches oder prophetisches Fasten: Hierbei geht es um die Vorbereitung einer Begegnung mit dem Göttlichen bzw. mit Gott. Fasten fungiert als ein Mittel ekstatischer oder prophetisch-visionärer Stimulierung.

4. Ethische Motivierung: Fasten kann eine ethische Dimension erlangen, wenn es um seiner selbst willen als gutes Werk gilt oder wenn die Mittel, auf die Verzicht geleistet wird, Armen zu Gute kommen.

5. Fasten als Inhalt eines Enthaltungsgelübdes: Der Verzicht hat den Charakter einer Gabe (vgl. Votivgabe) an Gott, durch die eine bestimmte Gegengabe erhofft wird.

6. Fasten als Ausdruck der Trauer: Diese Funktion ist religionsgeschichtlich besonders weit verbreitet. Fasten kann hierbei ein Sündenbekenntnis sowie individuelle oder kollektive Umkehr begleiten und somit zum eigentlichen Bußritus werden.

7. Bußritus: Das Fasten selbst wird zum Zeichen der Reue und Zerknirschung.

Im Neuen Testament sind viele dieser Funktionen lebendig. Für 1. bis 7. gilt im biblischen Kontext die Regel, dass Fasten und → Gebet eng aufeinander bezogen sind. Die Begleitung und Unterstützung von Gebeten wird im Neuen Testament zu einer Grundfunktion des Fastens. Dafür scheint die Funktion des Fastens als ein Selbstminderungsritual eher in den Hintergrund zu treten.

4. Fasten im Neuen Testament

4.1. Vorkommen

Während νῆστις nēstis nur zweimal vorkommt und sich jeweils im Kontext der Speisung der Viertausend auf die „hungrige“ Volksmenge bezieht (Mt 15,23; Mk 18,3), erscheint das Verb νηστεύω nēsteuō neunzehnmal in den → synoptischen Evangelien und in der → Apostelgeschichte, bzw. das Substantiv νηστεία nēsteia fünfmal im lukanischen Geschichtswerk (→ Lukasevangelium und Apostelgeschichte) und im → 2. Korintherbrief.

Textkritisch lässt sich die Tendenz beobachten, dass Fasten in der Alten Kirche mit der Zeit zunehmend wichtiger wurde. Sowohl bei Mt 17,20, in Mk 9,29, in Apg 10,30 und in 1Kor 7,5 finden sich in der handschriftlichen Überlieferung weitere Einfügungen von Fasten.

4.2. Die Versuchung des fastenden Jesus

In den synoptischen Evangelien wird der vierzigtägige Aufenthalt Jesu in der Wüste nach seiner Taufe beschrieben. Er steht in der Tradition des zweimaligen, vierzig Tage dauernden Aufenthalts des → Mose auf dem Gottesberg (Ex 24,18; Ex 34,28) und der ebenso langen Wanderung → Elias zum Horeb (1Kön 19,8). Während dieses Fastens redet Gott mit Mose und zeigt sich ihm. Gott erscheint auch dem Elia nach seiner Fastenwanderung. Hier wie dort dient das Fasten der Vorbereitung und Begleitung der prophetischen Begegnung mit Gott (3. Funktion).

Demgegenüber lässt der Wüstenaufenthalt Jesu eine andere Funktion erkennen. Jesus geht in die Wüste, um dort vom → Satan versucht zu werden (besonders Mt 4,1; aber auch Mk 1,13; Lk 4,2). An dieser Stelle ist offensichtlich die prophetisch-theophane Funktion der biblischen Vorbilder in ihr Gegenteil gewendet worden. Der vierzigjährige Aufenthalt des Volkes in der Wüste, der ebenfalls von verschiedenen Versuchungen begleitet wird, spielt hier im Hintergrund eine wichtige Rolle. Das Fasten Jesu dient offensichtlich nicht der Gottesbegegnung, sondern führt in eine Begegnung mit dem Satan. Anscheinend macht das Fasten Jesus nicht immun gegen dessen Versuchungen, sondern im Gegenteil anfälliger, denn der Satan versucht ihn am Ende dieser Zeit zuerst mit seinem Hunger (Mt 4,3f; Lk 4,3f). Dieses Fasten hat offensichtlich keine apotropäische Wirkung (1. Funktion), sondern führt im Gegenteil von Anfang an in Versuchungen. Dennoch vermag Jesus den Versucher zu überwinden. Diese Fastenzeit scheint eher einer Initiation (2. Funktion) zu dienen, indem sie mit der Taufe Jesu und seiner Berufung durch die Himmelsstimme zur Einführung Jesu in seinen öffentlichen Dienst gehört.

4.3. Exorzistisches Fasten?

Bei der → Heilung eines besessenen Knaben erscheint die apotropäische Funktion in sekundären Lesarten. Jesus teilt nach → Markus seinen Jüngern mit, dass diese Art von dämonischen Geistern nur durch Gebet ausfahre (Mk 9,29). Manche Handschriften wie etwa der → Codex Alexandrinus ergänzen „durch Gebet“ mit „durch Fasten“. Mt 17,20 wird in manchen Handschriften „durch Gebet und Fasten“ ergänzt. Fasten erscheint hier deutlich in seiner neutestamentlichen Grundfunktion als Begleitung von Gebeten. Die Wirksamkeit des Gebets scheint durch Fasten verstärkt zu werden. Dies ist auch in der sekundären Erweiterung in 1Kor 7,5 der Fall. → Paulus erlaubt dort die zeitlich befristete sexuelle Abstinenz in der Ehe um des Gebetes willen. Gewisse Handschriften ergänzen auch dies mit Fasten. Allerdings bieten hier – durchaus in Analogie zur Versuchungsgeschichte – Enthaltung und Verzicht gerade keinen Schutz vor den Versuchungen des Satans.

4.4. Fasten in der Apostelgeschichte

Nachdem Saulus-Paulus in einer Vision den Auferstandenen gesehen hat, isst und trinkt er drei Tage nichts, bis er sich taufen lässt (Apg 9,9.19). Dieses Fasten folgt auf die Offenbarung und könnte sowohl die Buße des Paulus anzeigen als auch zur initiatorischen Vorbereitung auf seine Taufe dienen.

In Antiochia dienen und fasten die Propheten und Lehrer der Gemeinde gemeinsam (Apg 13,2). Es wird nicht deutlich, weshalb sie fasten, doch dieses Fasten zeitigt die dritte prophetische Funktion. Vom Heiligen Geist erhalten sie die Weisung, → Barnabas und Saulus zu der von Gott für sie bestimmten Berufung auszusondern. Daraufhin fasten und beten sie und legen den beiden die Hände auf (Apg 13,3). Dieses zweite Fasten wird zum initiatorischen Akt für die erste Missionsreise des Paulus (2. Funktion). Durch initiatorisches Fasten (Substantiv im Plural), welches ihre Gebete unterstützt, setzen Paulus und Barnabas am Ende dieser Reise in jeder Stadt Älteste ein (Apg 14,23). Hintergründig tritt das Thema Fasten bei den vier Männern am Tempel in Erscheinung, deren Gelübde Paulus in der Tradition des → Nasiräats auslösen soll (Apg 21,24). Fasten im Sinne eines Enthaltungsgelübdes (5. Funktion) findet sich in Apg 23,12-14.21: Mehr als vierzig Männer geloben, weder zu Essen noch zu Trinken, bis sie Paulus umgebracht hätten.

Mit dem „Fasten“ als kalendarische Angabe wird in Apg 27,9 auf den → Jom Kippur Bezug genommen. Es wird aber nicht explizit gesagt, dass Paulus den Jom Kippur fastend gehalten habe.

4.5. Fasten als gutes, gerechtes Werk

Die alte Prophetin Hanna dient Gott am Tempel Tag und Nacht mit Fasten und Beten (Lk 2,37; beides im Plural). Gebet und Fasten scheinen hier mehrere Funktionen zu haben. Einerseits erscheinen sie in der frühjüdischen Tradition der gerechten Werke, die für Gott geübt werden können (4. Funktion), andererseits führen sie anscheinend bei dieser Prophetin zur Offenbarung über das Kind Jesus. Ganz ähnlich erscheint das Fasten im Codex D bei der Vision des Kornelius. Dieser praktiziert hier neben Gebet und Almosentätigkeit zusätzlich auch Fasten und damit die typische Triade des jüdischen Übens von Gerechtigkeit (zedaqa), die nicht nur einen ethischen, sondern auch einen gottesdienstlichen Charakter hat. Zugleich begegnet ihm daraufhin in einer Vision ein Mann, der ihn auffordert, nach → Petrus zu senden (Apg 10,30), welcher ihn schließlich zum Glauben führen werde. Das Fasten scheint in dieser Texttradition als gutes Werk intendiert zu sein (4. Funktion), führt dann aber zu einer prophetischen Schau (2. Funktion).

Die ethische Dimension (4. Funktion) erscheint in der Triade frühjüdischer Zedaqa-Frömmigkeit in der Bergpredigt (Mt 6,1-18; insbesondere Mt 6,1: δικαιοσύνη dikaiosynē). Fasten gilt hier als ein verdienstvolles Werk, das Lohn erwirkt. Jesus bestätigt dies indirekt, indem er göttlichen Lohn nur denen verheißt, die mit Fasten gerade nicht öffentliche Anerkennung für ihre Frömmigkeit erwarten. Bemerkenswerterweise sollen sie ihr Fasten gegenüber ihren Mitmenschen nicht in der Form von Trauer- oder Selbstminderungsriten durchführen, da es sonst seine ethisch relevante Funktion gegenüber Gott verliert (Mt 6,16-18).

Im → Gleichnis von → Pharisäer und → Zöllner (Lk 18,9-14) verweist der Pharisäer auf sein Fasten als gutes Werk. Als Pharisäer hält er pro Woche zwei Fastentage (Lk 18,12). Der Zöllner hingegen, der nicht fastet, demütigt sich selbst, schlägt sich an die Brust und bittet um Vergebung. Buße und Selbstminderungsritual werden von ihm ohne Fasten vollzogen, wobei gerade diese beiden Funktionen des Fastens beim Pharisäer fehlen.

5. Fastenkritik

Neben dieser impliziten Kritik am Fasten und der Kritik an einer konkreten Fastenpraxis in Mt 6,16-18 distanziert sich Jesus in den synoptischen Evangelien auch sonst deutlich vom Fasten (Mk 2,18-20; Mt 9,14-17; Lk 5,33-38). Im Gegensatz zu den Pharisäern und Johannesjüngern fasten seine Jünger nicht. Jesus antwortet mit einem Bildwort. „Können etwa die Hochzeitsgäste fasten, solange der Bräutigam mit ihnen ist?“ Jesus vergleicht seine Jüngergemeinschaft mit einer Hochzeitsgesellschaft. Fasten und Hochzeit sind unvereinbar. Fasten rückt hier als Opposition zur Festfreude in den Bedeutungshorizont des Trauerritus (6. Funktion). In der Parallelstelle in Mt 9,15 wird Fasten explizit mit Trauern gleichgesetzt. Für die Zeit der Kirche kündigt Jesus eine Wiederaufnahme der Fastenpraxis an. „Es werden aber Tage kommen, dann wird der Bräutigam von ihnen genommen, und dann werden sie fasten an jenem Tage.“ (Mk 2,20) Manche Exegeten sehen dieses letzte Wort als Bildung der Gemeinde an. Dann würde Jesus in Mk 2,18fpar alles Fasten für seine Gemeinschaft ablehnen.

Das von den Evangelien entworfene Jesusbild zeichnet sich dadurch aus, dass in der Tradition der prophetischen Fastenkritik (vgl. etwa Jes 58,1-12; Jer 14,12; Jo 2,13; ferner Sir 34,26; TestAss 2,8 → Fasten / Fastentage AT) die Nächstenliebe weit vor jedes Fasten gestellt wird. Anscheinend schließen sich die Nähe der Gottesherrschaft und Fasten gegenseitig aus.

Tatsächlich ist Fasten bei Paulus und in den neutestamentlichen Briefen kein Thema. Paulus erwähnt Fasten nur zweimal in je einem → Peristasenkatalog im 2. Korintherbrief. Während in 2Kor 6,5 offen bleibt, ob Fasten zum Ungemach (am Ende der Reihe in 2Kor 6,5) oder zu den Tugenden zählt (Beginn 2Kor 6,6), macht der Kontext von 2Kor 11,27 deutlich, dass Fasten zu den Mühen gehört, die dem Apostel durch die Umstände aufgezwungen worden sind. Deshalb bezeichnet Fasten hier in untypischer Verwendung den Zwang zum Hungern und bietet keinen Hinweis darauf, dass Paulus eine Fastenpraxis geübt hätte.

6. Antiasketische Ausrichtung und Erneuerung der Fastenpraxis in der frühen Kirche

Fasten tritt im Neuen Testament in Korrelation zu dessen antiasketischer Stoßrichtung in den Hintergrund. Im Gegensatz zu Johannes dem Täufer, dessen Jünger regelmäßig gefastet haben sowie zu Johannes selbst, der „weder aß noch trank“ (Mt 11,18) und auch hinsichtlich Kleidung und Nahrung streng asketisch lebte (Mt 3,4par), wurde Jesus mit Blick auf seine Mahlgemeinschaften als „ein Fresser und Säufer“ bezeichnet (Mt 11,19).

Paulus bestätigt den Korinthern ihre Freiheit, die sich gerade auch auf das Essen bezieht. Ein Verzicht auf gewisse Nahrungsmittel soll nur um der Mitmenschen willen erfolgen (1Kor 8,8f; 1Kor 10,27-29). Paulus macht den nichtjüdischen Galatern zum Vorwurf, dass sie Tage, Monate, Zeiten und Jahre halten (Gal 4,10). Das könnte sich auch auf jüdische Fastentage beziehen.

Im → Kolosserbrief und in den → Pastoralbriefen wird Nahrungs- und Sexualaskese sowie das Halten von bestimmten Tagen – gerade auch des jüdischen Festkalenders – als Einfallstor für falsche Lehren bekämpft (Kol 2,16; 1Tim 4,1-5; vgl. 1Tim 5,23). Wer mit Christus gestorben ist, für dessen Heil ist jeder Verzicht auf bestimmte Speisen irrelevant (Kol 2,20f; so auch Hebr 13,9). Offensichtlich gibt es in der Jesusbewegung eine große Distanz zum Fasten. Die Gegenbewegung in der frühen Kirche entwickelte sich unterschiedlich schnell. In der synoptischen Literatur spielt Fasten eine negative und eine vorsichtig positive Rolle (s.o.). In der Apostelgeschichte wird das Fasten wieder wichtig. Allerdings fehlt auch hier eine direkte Aufforderung zum Fasten. In der paulinischen wie in der johanneischen Literatur spielt Fasten keine Rolle.

Eine Abgrenzungstendenz gegenüber der Fastenpraxis lässt sich auch im → Barnabasbrief beobachten, wo im Anschluss an die prophetische Fastenkritik einem nicht erwünschten und unwirksamen Fasten ein heilsrelevantes Fasten gegenübergestellt wird (Barn. 3). Letzteres wird durch Zitation von Jes 58,6ff gleichsam als sozial-diakonisches Handeln bestimmt (Barn. 3,3) und damit in der Sache faktisch ersetzt. Der Jesus des → Thomasevangeliums äußert sich sehr kritisch gegenüber dem Fasten und verbietet es (Thomasevangelium 6;14;104). Die Jünger sollen hingegen in einem metaphorischen Sinn gegenüber der Welt fasten (Thomasevangelium 27).

Nach der Didache (Didache 8,1) werden in den christlichen Gemeinden so wie im Judentum zwei Fastentage in der Woche gehalten – in bewusster Abgrenzung aber nicht am Montag und Donnerstag, sondern am Mittwoch und am Freitag.

Erst ab dem dritten Jahrhundert gewinnt Fasten im Zusammenhang zunehmender asketischer Tendenzen eine große Bedeutung für Kirche und Frömmigkeit.

7. Zur Verortung in der jüdischen Fastenpraxis

Die neutestamentliche Fastenpraxis ist zutiefst in der der hebräischen Bibel und in der Frömmigkeit des zeitgenössischen Judentums verankert. Umso mehr fällt auf, dass Fasten als Umkehr / Buße des Einzelnen oder als spontaner Ausdruck der Trauer im Neuen Testament nicht vorkommt. Das ist etwa bei → Josephus ganz anders. In seine Nacherzählung biblischer Geschichten fügt er immer wieder zusätzlich Fasten ein – so etwa bei Achans Diebstahl (Josua 7f; Josephus, Antiquitates 5,35-48) – und berichtet über einen Fasttag, den er selbst aufgrund einer kriegerischen Bedrohung erlebt hat (Josephus, Vita 290-303).

Fasten und Fasttage werden nach Josephus von seinen jüdischen Zeitgenossen vor allem im Sinne von Trauerbräuchen oder als Reaktion auf Kalamitäten durchgeführt und sind immer mit der Gebetspraxis verbunden.

Im → jüdischen Festkalender gibt es verschiedene Fastentage wie den Jom Kippur, den 9. Av (Zerstörung des Tempels im Jahr 587 v. Chr. und 70 n. Chr.), den 17. Tammuz (Überwindung der Stadtmauer durch Nebukadnezar und Titus), den 10. Tevet (Belagerung Jerusalems durch die Babylonier), den 3. Tishri (Ermordung Gedaljahs) und den 13. Adar (Vortag des Purimfestes). Daneben wird aber auch zur Unterstützung des Gebets gefastet (1Makk 47; 2Makk 13). Die pharisäische Bewegung hat nach Auskunft des Neuen Testament zweimal in der Woche gefastet (Lk 18,12; vgl. Didache 8,1). Allerdings war die Fastenpraxis unter den Juden und jüdischen Gruppierungen sehr heterogen. Philo berichtet von solchen, die sich nur am Versöhnungstagfasten beteiligt haben (Philo Spec Leg 1,186).

Später wird Fasten in der Mischna vor allem in den Traktaten Joma (zum Jom Kippur) und Taanit (öffentliche Fastenvorschriften bei ausbleibendem Regen und anderen Bedrohungen) geregelt.

Fasten ist aber nicht mehr nur ein Buß- und Trauerakt (Bar 1,5; ebenso TestRub 1,10), sondern auch ein verdienstvolles Werk in Verbindung mit Gebeten und Werken der Barmherzigkeit (Tob 12,8; vgl. Bereschit Rabba 44,12). Schon in Sir 3,3-4 ist greifbar, dass verdienstvolle Werke Sühnung bewirken können. Fasten schafft Sühnung für in Unwissenheit begangene Sünden (PsSal 3,8; vgl. Joseph und Aseneth 11,6.12-14). Daneben wird auch zur Unterstützung des Gebets gefastet (1Makk 47; 2Makk 13). Fasten in Verbindung mit Gebet und Almosen gewann im Judentum eine wichtige Bedeutung vor allem im Zusammenhang der → Kultzentralisation. Wer nicht in Jerusalem wohnte, musste auf die Teilnahme am Gottesdienst bzw. Kultgottesdienst verzichten. Der Verzicht auf den Gottesdienst wurde durch andere religiöse Aktivitäten wie die Versammlung um die Heiligen Schriften in den → Synagogen, Gebete, Almosentätigkeit und Fasten kompensiert.

Römische und griechische Autoren beschreiben das Fasten der Juden als einen besonderer Brauch (Tacitus historiae 5,4, Sueton Divus Augustus 76,2; vgl. dazu Josephus contra Apionem 1,34,308).

Aus rabbinischer Zeit ist extensives privates Fasten von Einzelnen überliefert. Zugleich finden sich im → Talmud auch Forderungen, solches Fasten einzuschränken (Babylonischer Talmud Taanith 11a; 11b; 14b; 22b).

8. Fasten in der nichtjüdischen Umwelt

In der griechisch-römischen Welt findet sich Fasten – abgesehen vom → Orakelwesen und der medizinischen Literatur sowie von einigen Zauberpapyri oder philosophischen Gruppierungen wie den Kynikern – nur im griechischen Demeterkult (vgl. Scholion Aristophanes Thesmophoriazusae 80.947ff.983f; Plutarch Demosthenes 30,5; Athenaios deipnosophistae 307C/F), in den eleusinischen Mysterien (vgl. exempl. Hymni Homerici 2 Demeter 47ff; 200f; Ovid fasti 4,535f; Clemens Alexandrinus protrepticus ad Graecos 2,21,2 [dt.]) und in spezifischen Formen des römischen Kultes der Ceres (vgl. Livius ab urbe condita 36,37,4; Petronius satyricon 44). Die Verpflichtung der ägyptischen Priester zum Fasten vor Opferhandlungen (vgl. Herodot historiae 2,40; ferner Hieronymus adversus Ioviniaum 2,13 [engl.]) findet im griechisch-römischen Bereich keine Entsprechung.

Insgesamt zeigt die griechisch-römische Religiosität eine große Zurückhaltung gegenüber dem Fasten. Hier schließt sich das Neue Testament durchaus stimmig an.

9. Zusammenfassung

Die Fastenpraxis im Neuen Testament hat viele verschiedene Funktionen, die im religionswissenschaftlichen Vergleich auch in anderen Religionen vorkommen können. Sie wurzelt in der jüdischen Fastenpraxis. Allerdings tritt die Buß- und Trauerfunktion nun in den Hintergrund. Im Vergleich zum jüdischen Kontext macht sich im Neuen Testament eine tendenzielle Distanzierung gegenüber dem Fasten zunehmend deutlicher bemerkbar. Sie passt phänomenologisch gut in den griechisch-römischen Kontext und zu der marginalen Rolle, die Fasten dort spielt. In der Alten Kirche wird Fasten ab dem zweiten Jahrhundert wieder beliebter, doch erst ab dem dritten Jahrhundert beginnt es sich als Grundübung christlicher Religiosität im Rahmen der „Asketisierung“ der Frömmigkeit auszubreiten.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Böcher, O., 1998-2005, Art. Fasten/Fastentage - III. Christentum, RGG4III, 41-42
  • Grimm, W., 1997, Art. νηστεύω, TBLNT, 420-423
  • Hall, S. G./Crehan, J. H., 1983, Art. Fasten/Fastentage - III. Biblisch/kirchenhistorisch, TRE XI, 48-59
  • Zmijewski, J., 1981, Art. νηστεύω, EWNT I, 1144-1147

2. Monographien und Aufsätze

  • Grimm, V.E., 1996, From Feasting to Fasting, the Evolution of a Sin. Attitudes to food in late antiquity, London / New York
  • Wick, P., 2003, Die urchristlichen Gottesdienste. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausfrömmigkeit (BWANT 150), Stuttgart u.a.

3. Weitere Literatur

  • Baumann, A.H., 1993, „Fasttage in der Darstellung des Josephus“, in: D.-A. Koch u.a. (Hgg.), Begegnungen zwischen Christentum und Judentum in Antike und Mittelalter (FS H. Schreckenberg), Göttingen, 41-49.
  • Böcher, O., 1972, Christus Exorcista. Dämonismus und Taufe im Neuen Testament (BWANT 96), Stuttgart u.a.
  • Böttrich, Ch., 1998, Fasten im Neuen Testament, ZdZ 52, 11-15
  • Kee, A., 1969, The Question About Fasting, NT 11, 161-173
  • Könemann, J., 2012, Nicht bloßer Selbstzweck: das alte Phänomen Fasten ist immer noch aktuell, Herder-Korrespondenz. 66, 364-69
  • Lambert, D., 2003, Fasting as a Penitential Rite: A Biblical Phenomenon?, HThR 96, 477-512

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