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Erwählung (AT)

(erstellt: April 2020)

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Im Alten Testament ist für den profanen Bereich das Auswählen von etwas aus etwas zu etwas mit Ableitungen der Wurzel בחר bḥr breit bezeugt. Die Aussage zielt darauf, die Qualität des Ausgewählten hervorzuheben. Wo es jedoch um die Erwählung durch JHWH – z.B. die Erwählung Israels – geht, wird gerade nicht die Qualität des Erwählten hervorgehoben, vielmehr ist die Erwählung ausschließlich in JHWH selbst verortet.

Die Erwählung ist somit, anders als ein Bundesschluss (→ Bund), ein einseitig göttlicher Akt. Eine aus der Erwählung resultierende Aufgabe der erwählten Größe wird in den unterschiedlichen Literaturwerken unterschiedlich stark gewichtet und gefüllt. Als einseitig göttlicher Akt kann die Erwählung nur von JHWH zurückgenommen werden, und zwar durch die Verwerfung des Erwählten. In den → Chronikbüchern ist von einer derartigen Verwerfung keine Rede mehr, denn JHWH verwirft nicht, was er einmal erwählt hat (vgl. Knoppers).

1. Vom „Auswählen von etwas“ zur „Erwählung Israels“

Die Erwählung Israels ist eine biblische Ausdrucksgestalt zur Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel. Daneben gibt es weitere Ausdrucksgestalten zur Beschreibung dieses Verhältnisses, insbesondere die Bundestheologie (→ Bund), die jedoch andere Aspekte dieses Verhältnisses betont.

Die alttestamentlichen Texte formulieren die Erwählung in aller Regel verbal und mit dem gleichen Verb: JHWH hat Israel erwählt (בחר bḥr). Andere Verben können zur weiteren Qualifizierung dieser Erwählung hinzukommen, sind aber nicht mit בחר bḥr „erwählen“ synonym.

Die Vorstellung von der Erwählung Israels soll im Folgenden daher primär anhand der Belege des Verbes בחר bḥr „erwählen“ in den jeweiligen Kontexten dargestellt werden, um sie gegenüber anderen Vorstellungen präzise profilieren zu können.

In einem ersten Schritt gilt es freilich darzustellen, dass בחר bḥr keineswegs ausschließlich in theologischer Funktion verwendet wird, sondern auch in weitestgehend profaner Verwendung im Sinne von „auswählen“ oder „wünschen“ belegt ist. In dieser profanen Verwendung sowie bei der Wahl von Gott oder den Göttern sind (fast ausnahmslos) Menschen Subjekt von בחר bḥr, bei der Erwählung Israels oder bedeutender Größen daraus ist JHWH Subjekt von בחר bḥr.

Die hier gewählte Bezeichnung der Erwählung Israels als einer Ausdrucksgestalt zur Beschreibung des engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel reiht sich ein in die klassischen Arbeiten etwa von T.C. Vriezen oder L. Köhler (64-66) und jüngere Arbeiten etwa von R. Rendtorff, H.-J. Hermisson, M. Köckert oder A. Labahn.

Demgegenüber steht eine Interpretation, die die Erwählung Israels gerade zur Bezeichnung dieses engen Verhältnisses zwischen JHWH und seinem Volk Israel erhebt (etwa K. Galling, W. Eichrodt, H.H. Rowley, H. Wildberger, H.D. Preuß), „JHWHs erwählendes Geschichtshandeln an Israel zur Gemeinschaft mit seiner Welt“ nachgerade „als Mitte des AT, damit als Grundstruktur atl. Glaubens“ bestimmt (H.D. Preuß, 29 [Herv. gelöscht]). Da in diesem Fall jedoch Ereignisse der Glaubensgeschichte Israels unter den Erwählungsbegriff subsumiert werden (etwa das „Exodusgeschehen als Urerwählung“; Preuß, 43), die die alttestamentlichen Texte selbst nicht als Erwählung bezeichnen, wird hier von dieser Verallgemeinerung abgesehen.

2. Zur Terminologie: בחר bḥr

Betrachtet man die Belege von בחר bḥr und der wenigen Ableitungen davon in ihrer kanonischen Reihenfolge, ergibt sich zunächst, in den Büchern → Genesis und → Exodus, ein erstaunlich profanes Bild:

Die urgeschichtlichen Göttersöhne, die in der Tradition zu Engel wurden, „wählen“ sich Menschentöchter „aus“ (Gen 6,2) und zeugen mit ihnen Nachwuchs (→ Nephilim). Bei ihrer Trennung „wählt“ sich → Lot die Jordanebene als künftigen Wohnort „aus“ (Gen 13,11), → Abram lässt sich im Land → Kanaan nieder. Der Pharao zieht mit „auserwählten“ Kriegswagen den geflohenen Israeliten nach (Ex 14,7; Partizip Passiv בָּחוּר bāḥūr). → Josua soll Kriegsmänner „aussuchen“ für den Kampf gegen → Amalek (Ex 17,9). → Mose schließlich „wählt“ sich tüchtige Männer „aus“ zu seiner Unterstützung bei der Rechtsprechung für die Israeliten (Ex 18,25).

Diese ersten fünf Belege von בחר bḥr, die einzigen in den Büchern Genesis und Exodus, zeigen bereits Dreierlei: Die Auswahl von etwas bringt erstens eine Wertschätzung dem Ausgewählten gegenüber zum Ausdruck. Zweitens wird bei der Auswahl auch eine Abgrenzung getroffen, eine Unterscheidung zwischen dem Gewählten und dem nicht Gewählten gezogen: Die Göttersöhne ehelichen nicht alle Menschentöchter, Lot „wählt“ die Jordanebene, nicht aber das Land Kanaan, und Mose „wählt“ nur eine begrenzte Anzahl an Unterstützern, um für die weit größere Schar der Israeliten Recht zu sprechen. Wenn auch die Nicht-Auswahl nur selten explizit mitgeteilt wird (etwa die Nicht-Erwählung von Davids Brüdern durch JHWH in 1Sam 16,8-10, der allerdings nicht die Erwählung Davids explizit gegenübergestellt wird, sondern dessen Salbung: 1Sam 16,12f.), ist sie stets implizit mitgedacht. Drittens geschieht die Auswahl von etwas aus etwas in der Regel auch zu etwas, das Ausgewählte erhält eine Bestimmung, eine Aufgabe: In den oben genannten Beispielen die Zeugung von Nachkommenschaft, die Wohnsitznahme, die Kriegsführung und die Rechtsprechung.

Eine solche dreifach bestimmte Auswahl wird wie im Falle von Ex 17,9 oft in militärischen Kontexten getroffen (vgl. Jos 8,3; 1Sam 13,2; 2Sam 10,9 // 1Chr 19,2; 2Sam 17,1), wobei wie im Falle von Ex 14,7 oft das Partizip Passiv בָּחוּר bāḥūr die bereits früher erfolgte Auswahl zum Heer o.ä. zum Ausdruck bringt (vgl. Ri 20,15f.34; 1Sam 24,3; 1Sam 26,2; 2Sam 6,1; 2Sam 10,9 // 1Chr 19,2 u.ö.). Im kriegerischen Kontext steht etwa auch Davids Auswahl der fünf Steine in seiner Auseinandersetzung mit Goliat (1Sam 17,40).

In manchen Fällen werden Entscheidungen erzwungen, etwa wenn → David sich für eine von drei Plagen oder für eine Reaktion auf → Absaloms Aufstand „entscheiden“ muss (2Sam 24,12 // 1Chr 21,10 bzw. 2Sam 15,15), oder wenn sich die Israeliten für Gott oder die Götter „entscheiden“ sollen (Jos 24,15). Diese Wahl fiel bekanntlich mal auf die Götter (Ri 5,8; Ri 10,14; Jes 41,24), mal auf JHWH (Jos 24,22).

Schließlich lässt sich „wählen“, woran JHWH Gefallen hat oder woran er keinen Gefallen hat (Jes 56,4; Jes 65,12; Jes 66,4), zwischen guten und weniger guten Wegen (Jes 66,3; Hi 29,25; Ps 25,12; Ps 119,30; Spr 3,31) und zwischen Leben und Tod (Dtn 30,19). Ein kleines Kind, und sei es ein Königssohn, versteht dagegen noch nicht, das Schlechte zu verwerfen (מאס m’s) und das Gute zu „wählen“ (Jes 7,15f.).

Die genannten Beispiele (von weiteren) einer mehr oder weniger profanen Auswahl von etwas aus etwas zu etwas bringen ganz Unterschiedliches zum Ausdruck und entstammen unterschiedlichen Literaturwerken des Alten Testaments. Davon grenzen sich zumindest zwei Literaturwerke ab, in denen ein vergleichsweise konsistenter theologischer Gebrauch der Erwählungsbegrifflichkeit belegt ist: Das Deuteronomium und Deuterojesaja.

Der so beschriebenen im Weitesten profanen Verwendung von בחר bḥr entsprechen im Wesentlichen auch die Belege zweier Ableitungen des Lexems, מִבְחָר mivḥār und מִבְחוֹר mivḥôr, die jeweils „das Beste“, eine „Auslese“ von etwas bezeichnen. Das Partizip Nif. von בחר bḥr (vgl. Spr 8,10.19; Spr 10,20; Spr 16,16; Spr 21,3; Spr 22,1) kommt diesen beiden Ableitungen inhaltlich und funktional nah.

3. JHWH als Subjekt der „Erwählung“

Die theologische Verwendung der Erwählungsbegrifflichkeit mit JHWH als Subjekt und Israel als Objekt der Erwählung findet sich weder in der vorexilischen Prophetie (auch wenn ihre Vorgeschichte hier wohl greifbar wird: Am 3,2), noch in den vorexilischen Erzähltexten des Pentateuch. In vorexilischer Zeit findet sich lediglich die Vorstellung der Erwählung des Kultortes. Die Vorstellung der Erwählung Israels insgesamt setzt dagegen „die Erfahrung der Universalität Gottes voraus. Weil der Gott Israels der Gott aller Welt ist, kann er ein Volk auswählen.“ (Köckert, 277; vgl. bereits Köhler, 66).

3.1. Die „Erwählung des Kultortes“ und die „Erwählung Israels“ im Deuteronomium und davon abhängigen Texten

Das → Deuteronomium blickt (in seiner masoretischen Textgestalt) auf die Erwählung Israels zurück und auf die Erwählung des allein legitimen Kultortes voraus. Literargeschichtlich dürfte Letzteres freilich älter sein:

Wie sich der entlaufene Sklave einen Ort in Israel „aussuchen“ wird, um dort zu bleiben (Dtn 23,17 – nebst Dtn 30,19 der einzige „profane“ Beleg von בחר bḥr im Deuteronomium), so wird sich JHWH einen Ort „erwählen“, an dem Israel seinen Kult vollziehen kann und wo allein es seinen Kult vollziehen soll (Dtn 12,5.11.14.18.21.26 u.ö., meist in der Formulierung „der Ort, den JHWH [dein Gott] erwählen wird“):

„(13) Hüte dich, dass du deine Brandopfer nicht an jedem Ort darbringst, den du siehst, (14) sondern an dem Ort, den JHWH erwählen wird in einem deiner Stämme. Dort sollst du deine Brandopfer darbringen, und dort sollst du alles tun, was ich dir gebiete.“ (Dtn 12,13f.)

Im (rhetorisch verkürzten) Gegensatz zum Altargesetz des Bundesbuches (bes. Ex 20,24) wird hier die Kultzentralisation gefordert, und die Wahl des einen Kultortes mit seiner Erwählung durch JHWH begründet (wo Ex 20,24 die Wahl der lokalen Heiligtümer mit der Kundgabe des Namens JHWHs an dem jeweiligen Ort begründete). Da im Erzählablauf von Tora und Vorderen Propheten → Jerusalem im Deuteronomium noch nicht Teil von „Israel“ ist, wird „der Ort“ erst in den → Königebüchern und dem zweiten Buch Chronik explizit benannt und auf seine Erwählung zurückgeblickt (vgl. 1Kön 8,16 LXX; 1Kön 11,13.32.36; 2Chr 6,6 u.ö.; vgl. auch Sach 3,2; Ps 132,13 [Zion]). In der samaritanischen Tradition ist dagegen → Sichem und nicht Jerusalem der erwählte Kultort, und da in Sichem nach Gen 12,6f. und Gen 33,18-20 bereits Abram und → Jakob einen Altar errichtet hatten, blickt der Samaritanische Pentateuch jeweils auf die Erwählung „des Ortes“ zurück, formuliert also an den genannten Deuteronomiumsstellen im Perfekt (vgl. auch 2Chr 7,12.16; Neh 1,9; vgl. McCarthy, 84*f. und die weiterreichenden Problemanzeigen in Edenburg / Müller).

Der „Kultzentralisationsformel“, „Erwählungsformel“ o.ä. (vgl. Veijola, 267) können zwei Näherbestimmungen folgen: JHWH wird den Ort „erwählen“, „um seinen Namen dort wohnen zu lassen“ (Dtn 12,11; Dtn 14,23; Dtn 16,2.6.11; Dtn 26,2; vgl. auch Neh 1,9) oder „um seinen Namen dort nieder zu legen“ (Dtn 12,5.21; Dtn 14,24) (zur textgeschichtlichen Problematik vgl. McCarthy, 85*f.). In beiden Fällen wird die Präsenz JHWHs in Form seines → Namens zum Ausdruck gebracht.

Verteilen sich die bisher behandelten Belege sowohl auf deuteronomische wie deuteronomistische Schichten (→ Deuteronomismus), so gehören die Erwählung des Königs in Dtn 17,15 und der levitischen Priester in Dtn 18,5; Dtn 21,5 (vgl. auch 1Chr 15,2; 2Chr 29,11) nicht mehr dem Ur-Deuteronomium an (vgl. Samuel, 16-147). Die deuteronomistischen Theologen sprechen sodann konkret von der Erwählung → Sauls (1Sam 10,24; vgl. auch 2Sam 21,6), → Davids (2Sam 6,21; 1Kön 8,16; 1Kön 11,34; 1Chr 28,4; 2Chr 6,6; vgl. auch Ps 78,70; Ps 89,4.20) und → Salomos (1Chr 28,5.6.10; 1Chr 29,1); vgl. noch Hag 2,23 (→ Serubbabel).

Während die bisher genannten Stellen des Deuteronomiums im Wesentlichen im deuteronomischen Gesetz, Dtn 12-26, stehen, finden sich die Belege der Erwählung Israels im Wesentlichen im vorderen Rahmenteil des Buches. Als „locus classicus“ gilt seit T.C. Vriezen (Vriezen, 51) Dtn 7,6ff.: In Dtn 7,6 wird das Banngebot an der Vorbevölkerung und das Verbot, sich mit ihnen vertraglich oder familiär zu verbinden (*Dtn 7,1-5), mit der Erwählung Israels begründet:

„Denn du bist ein heiliges Volk (‘am qādôš) für JHWH, deinen Gott. Dich hat JHWH, dein Gott, erwählt, aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind, dass du ihm Eigentumsvolk (‘am səgullāh) seist.“ (Dtn 7,6; vgl. die Aufnahme in Dtn 14,2)

Die göttliche Aussonderung Israels von allen anderen Völkern soll demnach die Absonderung Israels von den Völkern zur Folge haben. Von späterer Hand wurde die Erwählung Israels weiter bestimmt: Sie ist gänzlich unverdient, liegt nicht an der Qualität des Erwählten, sondern gründet allein in der Liebe JHWHs:

„(7) Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle anderen Völker, hing JHWH sich euch an und hat euch erwählt, denn ihr seid das kleinste von allen Völkern, (8) sondern weil JHWH euch liebt und den Schwur hält, den er euren Vätern geschworen hatte, darum führte JHWH euch heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“ (Dtn 7,7f.)

Nicht der → Exodus selbst stellt ein Erwählungshandeln JHWHs dar, vielmehr ist JHWHs im Exodusereignis offenbar werdende → Liebe zu Israel der Grund für seine Erwählung dieses Volkes, aus der der Exodus erst resultiert.

Ähnlich formulieren Dtn 4,37f.; Dtn 10,15, beziehen aber JHWHs Liebe auf die Vätergeneration und nur die Erwählung auf die von Mose angesprochenen Israeliten. Dtn 10,14 expliziert dabei, was die Erwählung Israels aus allen Völkern bereits implizit enthält: Dass JHWH „der Himmel und der Himmel Himmel und die Erde und alles auf ihr“ gehören (vgl. Dtn 4,39). Nach Dtn 4,35.39; Dtn 7,9 folgt aus der Sonderstellung die Erkenntnis, „dass JHWH (, dein Gott,) (allein) Gott ist“ ( JHWH [’älohækhā] hû’ hā’älohîm; vgl. auch Dtn 10,17). Hieran zeigt sich, „daß von der Erwählung Israels aus allen Völkern nur dort gesprochen werden kann, wo Jahwes alleiniges und ausschließliches Gottsein erkannt worden ist und behauptet wird.“ (Rendtorff, 83).

An allen drei Stellen folgt sodann die → Paränese: Die Erwählung führt zur Treue JHWH und seinen Geboten gegenüber im Sinne einer „Hermeneutik von Liebe und Gegenliebe“ (Veijola, 207).

In deutlichem Unterschied zur deuteronomistischen Bundestheologie ist Israels Gebotsgehorsam damit Folge der Erwählung, nicht aber ihre Voraussetzung. Demgegenüber wird in dem deuteronomistisch geprägten Zusammenhang Ex 19,5f. die Sonderstellung Israels vor allen Völkern (wenn auch ähnlich formuliert wie in Dtn 7,6; Dtn 14,2 sowie Dtn 26,17-19) als Folge des Bundesgehorsams beschrieben, die Erwählungsterminologie ist hier denn auch bezeichnenderweise nicht belegt:

„(5) Wenn ihr nun auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr mein Eigentum (səgullāh) sein von allen Völkern, denn mein ist die ganze Erde. (6) Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern sein und ein heiliges Volk (gôj qādôš) …“ (Ex 19,5f.)

Ein dem Bundesbruch analoges Vergehen Israels gegenüber seiner Erwählung gibt es nicht. Wohl aber kann JHWH die Erwählung revozieren durch die Verwerfung (מאס m’s) des Erwählten (vgl. etwa für Saul 1Sam 15,23.26; 1Sam 16,1, für Jerusalem 2Kön 23,27, für das Nordreich Israel Ps 78,67 und für Israel insgesamt, jedoch negiert, Jes 41,9; Jer 33,23-26).

In deutlicher Aufnahme deuteronomistischer (Erwählungs-)Theologie stellt Ps 135,4f. die Erwählung Jakob-Israels an den Anfang der erinnerten Heilsgeschichte Israels und handelt Ez 20,5 von Israels Erwählung bereits im Land Ägypten. Der göttlichen Heilsgeschichte folgte nach Ez 20 allerdings in allen ihren Phasen die menschliche Unheilsgeschichte auf dem Fuße, und so wird deutlich, dass die durch die Erwählung Israels bezeichnete herausragende Stellung Israels innerhalb der Völkerwelt zum Zeitpunkt ihrer exilisch-nachexilischen Beschreibung zwar kaum Rückhalt in der Geschichte Israels und Judas hat, aber gleichwohl und erst recht hoffnungsvoll vertreten wird. Ps 78 schließlich differenziert innerhalb Israels und lässt seine komplexe Nacherzählung der Heilsgeschichte mit der Erwählung Judas und des Zions (Ps 78,68) sowie Davids (Ps 78,70) enden, der die Verwerfung (מאס m’s) → Josefs und die Nicht-Erwählung Ephraims gegenüber gestellt werden (Ps 78,67). Zu vergleichen sind weiterhin etwa Ps 33,12; Ps 47,5; Ps 106,5.23; 1Kön 3,15 sowie etwa, ohne die Erwählungsbegrifflichkeit, aber mit der Vorstellung der Sonderstellung Israels innerhalb der Völkerwelt, Dtn 32,8f. (var.lect.; vgl. BHS / BHQ) in ihren jeweiligen Kontexten.

3.2. Die „Erwählung Israels“ in Deuterojesaja

Deuterojesaja (Jes 40-55) weitet in seiner prophetischen Grundschicht (Jes *40-48) die deuteronomistische Erwählungstheologie weiter schöpfungstheologisch aus und setzt die Erwählung statt bei der Exodusgeneration und deren Kindern bereits bei den → Erzvätern Israels an. Während im Deuteronomium die Erwählung Israels aus allen Völkern die Absonderung Israels von allen Völkern (zusätzlich) begründet, dient die Erwählung Israels bei Deuterojesaja nicht mehr der Separation Israels von allen Völkern, vielmehr erlangt Israel eine heilvolle Funktion für die Völker. Deuterojesaja verwendet dabei nebst verbalen Belegen von בחר bḥr auch das substantivierte Adjektiv בָּחִיר bāḥîr „Erwählter“.

Das intime Verhältnis zwischen Israel, „meinem Volk“, und JHWH, „eurem Gott“ (Jes 40,1), wird gleich zu Beginn der Trostbotschaft Deuterojesajas subtil festgehalten (vgl. Köckert, 279; Jeremias, 261) und im weiteren Verlauf über die Vorstellung der Erwählung Israels explizit festgeschrieben. In den beiden Heilsorakeln Jes 41,8-13 und Jes 44,1-5 wird Israel als JHWHs Knecht (→ Gottesknecht) und als von ihm erwählt angesprochen:

„(8) Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich (dich) erwählt habe… (9), den ich (dich) ergriffen (חזק ḥzq Hif.) habe von den Enden der Erde, den ich (dich) gerufen (qr’) habe von ihren entlegensten Winkeln. Ich sprach zu dir: ‚Du bist mein Knecht, den ich (dich) erwählt und (dich) nicht verworfen (מאס m’s) habe.‘“ (Jes 41,8f.)

„(1) Nun aber höre Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erwählt habe. (2) So spricht JHWH, der dich gemacht (עשׂה ‘śh) und gebildet (יצר jṣr) hat vom Mutterleib an, der dir hilft: ‚Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob, und Jeschurun, den ich erwählt habe.‘“ (Jes 44,1f.)

In beiden Fällen gipfelt das Orakel im klassisch-prophetischen „Fürchte dich nicht!“, dem in Jes 41,10 eine Beistandszusage und in Jes 44,3f. die Verheißung von → Segen und der Gabe des göttlichen → Geistes folgen. Wenn in Jes 44,1-5 die Erwählung als → Schöpfung dargestellt wird, wird auch hier deutlich, dass die Erwählung Israels allein in JHWH, nicht aber in Israel selbst begründet liegt.

Die Heilsankündigung Jes 43,16-21, in der JHWH in Vers 20 von „meinem Volk“ (עַמִּי ‘ammî), „meinem Erwählten“ (בְחִירִי bəḥîrî) spricht, mündet einerseits wieder in den Hinweis auf JHWHs Erschaffung (יצר jṣr) seines Volkes und andererseits in den daraus folgenden Auftrag für dieses Volk: „Meinen Ruhm sollen sie verkündigen!“ (Jes 44,21). Nach Jes 43,8-15 kommt dem erwählten Knecht Israel eine Zeugenfunktion innerhalb der Völkerwelt für die Einzigkeit JHWHs zu, und das Kyros-Orakel Jes 44,24-45,7 (→ Kyros), das die Berufung des persischen Königs „um meines Dieners Jakob und Israels, meines Erwählten (בְחִירִי bəḥîrî), willen“ (Jes 45,4) begründet, mündet in das „monotheistische“ Bekenntnis:

„(5) Ich bin JHWH und keiner sonst. Außer mir ist kein Gott. Ich gürte dich, auch wenn du mich nicht kennst, (6) damit man erkenne vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang, dass es außer mir keinen gibt. Ich bin JHWH und keiner sonst, (7) der das Licht bildet (יצר jṣr) und die Finsternis schafft (ברא br’), der Heil wirkt (עשׂה ‘śh) und Unheil schafft (ברא br’). Ich bin JHWH, der dies alles wirkt (עשׂה ‘śh).“ (Jes 45,5-7)

Der nicht mit Israel identifizierte Gottesknecht des ersten sogenannten Gottesknechtsliedes, Jes 42,1-4, den Jes 42,1 ebenfalls als Erwählten JHWHs bezeichnet, soll darüber hinaus Recht (מִשְׁפָּט mišpāṭ) unter die Völker bringen.

In jüngeren Texten findet eine doppelte Einschränkung statt: Einerseits wird die Erwählung nun als Separation innerhalb Israels verwendet (vgl. Jes 65f.), und andererseits wird auch die positive Funktion der Erwählung Israels für die Völker wieder eingeschränkt (vgl. etwa Jes 14,2 nach Jes 14,1).

Während Jes 14,1 vom künftigen Erbarmen (רחם rḥm Pi.) über Jakob und einer Wieder-Erwählung Israels (וּבָחַר עוֹד בְּיִשְׂרָאֵל ûvāḥar ‘ôd bəjiśrāel) spricht, kehrt Sach 1,17; Sach 2,16 in Aufnahme deuterojesajanischer Erwählungstheologie zu den Anfängen der deuteronomisch-deuteronomistischen zurück und lässt wieder Jerusalem erwählt werden.

In dem erwählungstheologischen Text Jes 41,8 (s.o.) wird JHWHs Liebe zu Abraham wohl später ergänzt, in Neh 9,7 wird Abra(ha)m sodann explizit als erwählt bezeichnet, die Berufung aus Gen 12,1-3 damit als Erwählung durch JHWH gedeutet.

Zu vergleichen sind weiterhin etwa Jer 33,24; 1Chr 16,13; Ps 105,6.42f. in ihren jeweiligen Kontexten.

3.3. Die „Erwählung“ des Kultpersonals in der priesterlichen Literatur

In der → Priesterschrift, die ursprünglich wohl mit der Sinaiperikope endete (vgl. die Zusammenstellung neuerer Ansätze in Bührer, 22-25), fehlt die Vorstellung von der Erwählung Israels. Die Sonderstellung Israels innerhalb der universalen Völkerwelt wird vielmehr durch die besondere Gotteserkenntnis Israels zum Ausdruck gebracht: Der Gott Israels ist zugleich Schöpfer von Himmel und Erde und wird in dieser universalen Perspektive als Gott, אֱלֹהִים ’ælohîm, schlechthin bezeichnet. Den Erzvätern Israels offenbart sich dieser Gott unter dem Namen El Schadday (Gen 17,1; Gen 28,3; Gen 35,11; Gen 48,3; Ex 6,3), und richtet einen „ewigen Bund“ (Gen 17,7.13.19; vgl. Gen 9,16) mit Abraham und dessen auf Sarah zurückgehenden Nachkommen auf (Gen 17), den Israel als Kollektiv nicht brechen kann – anders als den Sinaibund in der deuteronomistischen Bundestheologie (→ Bund; vgl. die kritische Bestandsaufnahme zu Gen 17, mit etwas anderer Akzentsetzung, bei Krause). Erst in Ägypten und dort nur Mose und den Israeliten offenbart sich Gott unter seinem Namen JHWH (Ex 6,2-8). Israel zeichnet sich so gegenüber den anderen Völkern durch seine intime Gotteserkenntnis und den in seinen Vätern begründeten „ewigen Bund“ aus.

In einem jüngeren priesterlichen Text findet sich dann eine Auseinandersetzung mit der deuteronomistischen Erwählungstheologie: In der mehrschichtigen Erzählung vom Aufstand → Korachs, → Datans und Abirams und der 250 Männer in Num 16f. (vgl. Samuel, 202-235) entzündet sich in den priesterlichen Texten die Auseinandersetzung zwischen den 250 Laien mit Mose und Aaron an der Frage des Heiligkeitsverständnisses (Num 16,3). Indem die 250 Laien schließlich mit dem Tod bestraft werden (Num 16,35), wird ihr Anspruch auf Kultpartizipation zurückgewiesen, der sich in Num 16,3 einerseits auf die deuteronomistische und spät-priesterliche Heiligkeitstheologie (vgl. Ex 19,5f.; Lev 19,2; Ex 20,26; Ex 22,32f.; Num 15,39f.; Dtn 7,6; Dtn 14,2.21; Dtn 26,19; Dtn 28,9; s.o. 3.1.) und andererseits auf die priesterschriftliche Präsenztheologie (vgl. Ex 29,43-46) beruft (vgl. Achenbach, 54-66). Demgegenüber machen die priesterlichen Texte klar, dass JHWH einzig eine Person erwählt (hat), und dass nur diese eine Person als „der Heilige“ zu verstehen ist und sich JHWH im Kult nahen darf: → Aaron, der hier proleptisch für den Hohepriester steht: Num 16,5.7; Num 17,20.

Wenn Aaron in Num 17,16-26 als Vertreter Levis gezeichnet wird, so sind hier auch die Belege der Erwählung der levitischen Priester in Dtn 18,5; Dtn 21,5; 1Chr 15,2; 2Chr 29,11 (s.o. 3.1.), die Erwählung des elidischen Priestergeschlechtes in 1Sam 2,28, die Erwählung Aarons in Ps 105,26, die Erwählung dessen, der sich JHWH nahen und in seinen Vorhöfen wohnen darf, in Ps 65,5 sowie die Aussonderung (בדל bdl hif.) der Leviten in Num 8,14; Dtn 10,8 sowie Aarons und der Aaroniden in 1Chr 23,13 zu vergleichen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
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  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
  • Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Stuttgart u.a. 2011ff
  • Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York / Boston 2009ff
  • Wörterbuch Alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013

2. Weitere Literatur

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