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(erstellt: September 2015)

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1. Terminologie

Im Hebräischen wird die Ernte mit dem Terminus קׇצִיר qāṣîr bezeichnet, abgeleitet vom Verb קצר qṣr „ernten“ (vgl. 1Sam 6,13). Im Neuen Testament wird für „Ernte“ das Wort θερισμός therismos gebraucht.

2. Altes Testament

2.1. Die Ernte und ihre Bedeutung im Alltag

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Die Ernte war für die Menschen im Alten Testament von immenser Wichtigkeit, hing doch ihr Überleben entscheidend davon ab, dass durch das Ernten genügend Vorräte für den täglichen Lebensunterhalt vorhanden waren. Eine gute Ernte bedeutete Glück, eine schlechte oder gar eine ausbleibende ( Gen 45,6) Hunger und damit Unheil und Verderben (Jes 16,9; Jer 48,32). Es verwundert daher nicht, dass die Zeit der Ernte eine Freudenzeit war (Jes 9,2; vgl. Jes 16,9f; Jer 5,24). Schlimm war es, wenn dem Bauern der „Lohn“ für die anstrengende Ackerarbeit vorenthalten wurde und die Ernte einem Fremden oder gar einem Feind zugutekam (Hi 5,5; Hi 24,6; Mi 6,15; Jer 12,13).

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Schon der Geserkalender aus dem 10. Jh. v. Chr. nennt die Ente neben anderen wichtigen landwirtschaftlichen Arbeiten: „Zwei Monate (für das) Einsammeln. Zwei Monate (für das) Säen. Zwei Monate (für das) Spätgras. Ein Monat (für das) Schneiden von Flachs. Ein Monat (für das) Ernten von Gerste. Ein Monat (für das) Ernten und Abmessen. Zwei Monate (für das) Schneiden von Trauben. Ein Monat (für die) Sommerfrucht“. Am Anfang steht die Olivenernte im Herbst, am Ende die Lese der sommerlichen Früchte (Trauben, Feigen, Obst). Vgl. → Fest 2.3.

Die Gerstenernte ( Gen 30,14) fand je nach Region in den Monaten April und Mai statt, die Weizenernte etwa 10-14 Tage danach. Anschaulich wird die Ernte der Ähren in Jes 17,5f beschrieben. Während hier die Arbeit des Schnitters im Blick ist, setzen andere Stellen eher das Sammeln der Ernteprodukte voraus (Rut 2,9; 1Sam 8,12; Hi 24,6; Pred 11,4). Gerade das Buch → Rut ist ein eindrückliches Zeugnis für die Erntevorgänge in alttestamentlicher Zeit (bes. Rut 1,22; Rut 2).

Ernte 2
Normalerweise lag die Ernte in den Händen der Bauern und ihrer Familienangehörigen; eingesetzt werden konnten auch Tagelöhner. Als Erntegerät diente bei der Getreideernte die → Sichel (Dtn 16,9; Dtn 23,26), mit der man die Ähren hoch oben am Halm abschnitt (Hi 24,24), um sie dann gesammelt (Rut 2,8.23) und gebunden (Gen 37,7) – evtl. auf einem Wagen (Am 2,13) – zum Dreschplatz (der Tenne: Dtn 16,13; Mi 4,12) zu bringen, wo nach dem Trocknen des Getreides der Dreschschlitten zum Einsatz kam (Jes 28,27) oder die Körner des Getreides mit Stöcken ausgeklopft (Ri 6,11; Rut 2,17) oder von Tieren mit ihren Hufen ausgetreten wurden (Dtn 25,4; Jes 28,28; → dreschen). Am Ende wurde das Getreide → geworfelt (Jer 15,7; Rut 2,3). Geerntet wurde in der Regel aufgrund der großen Hitze früh am Morgen (Spr 10,5). Man erntete die Felder nicht völlig leer, sondern ließ für die Armen eine Ecke des Feldes, auf dem sie Nachlese halten durften (Lev 19,9f; Lev 23,22; vgl. Dtn 24,19). Ähnliche Sozialbestimmungen beziehen sich auf die Nachlese in den Obstbaumkulturen (Jes 24,13; Jer 6,9; Lev 19,10; Lev 23,22).

Auf die Getreideernte folgte in den Monaten August und September die Ernte der Sommerfrüchte ( Jer 40,10.12; Am 8,1f; Mi 7,1), insbesondere von → Trauben und → Oliven, → Granatäpfeln, → Maulbeerfeigen und → Feigen.

Besonders die Weinlese (בָּצִיר) wird mehrfach erwähnt ( Ri 8,2; Ri 9,27; Jes 32,10; → Weinberg / Weinstock / Weinproduktion). Man pflückte die Trauben von Hand (Jer 6,9), sammelte sie und brachte sie in die Kelter, die zumeist in der Nähe der Weinberge installiert war (Jes 5,2). Die Weinlese war ebenso wie die Getreideernte eine Freudenzeit (Jes 16,9f; Jer 48,33).

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Die Olivenernte wurde mithilfe von Stöcken vorgenommen, mit denen man die reifen Oliven abschlug. Man konnte die Bäume auch schütteln und die herabgefallenen Früchte dann einsammeln ( Dtn 24,20; Jes 17,6). Die gesammelten Früchte wurden anschließend in einer Ölpresse zerquetscht, um so das begehrte Öl zu gewinnen.

2.2. Metaphorischer Gebrauch

Vor allem in Zusammenhang mit dem → Tun-Ergehen-Zusammenhang wird das Bild vom Ernten gebraucht (Spr 22,8; Hi 4,8; Hos 8,7; Hos 10,12f). Dabei stehen allein das negative Tun und die sich einstellenden negativen Folgen im Blickpunkt, so. z.B. in Spr 22,8: „Wer Unheil sät, wird Unheil ernten“. In Gerichtsworten wird das drohende Ende, das über das Volk kommt, mit dem Bild von der Ernte verdeutlicht (Jes 17,5; Jes 18,14f; Jer 5,17 Jer 9,21; Am 4,7; Jo 4,13; Mi 6,15). In Heilsworten steht eine große Ernte für das kommende Heil (Am 9,13; Jo 4,18; Ps 126,5f).

2.3. Ernte und Kult

Den Menschen war bewusst, dass man die Früchte der Ernte Gott verdankt ( Gen 8,22; Ps 65,10-14). Daher kamen die ersten Früchte auch Gott (Ex 23,13; Ex 34,26; Dtn 26,1-11) bzw. den Priestern (Lev 23,10) zu, und auch der → Zehnte von allem Erntegut war für JHWH bestimmt (Lev 27,30; Dtn 12,17f; Dtn 14,22f; Am 4,4). Gerade die Erntefeste zeigen, dass eine Ernte ohne göttlichen → Segen nicht denkbar war (vgl. Jo 1,11). Erntefeste waren das Ernte- bzw. das Wochenfest (→ Fest), das man nach der Weizenernte beging (Ex 23,16; Ex 34,22). Das Lesefest (bzw. später → Laubhüttenfest) folgte auf die Ernte der Baumfrüchte, insbesondere der Oliven und Trauben (Ex 23,16; Ex 34,22; Dtn 16,13). Dass JHWH die Ernte garantiert, zeigt die nachsintflutliche Zusage Gen 8,22, wonach die Abfolge von Säen und Ernten bestehen bleibt, solange die Erde existiert (vgl. Jer 5,24).

3. Neues Testament

Der neutestamentliche Gebrauch entspricht dem im Alten Testament. Zum einen ist die alltagspraktische Bedeutung der Ernte für das Leben (vgl. Mt 25,24.26) und Überleben der Menschen wie der Apostel (1Kor 9,11) und die Verbindung von Ernte und Segen (2Kor 9,6) im Blick. Im Spruch über das Sorgen wird auf die Vögel verwiesen, die von Gott versorgt werden, obwohl sie weder säen noch ernten (Mt 6,26; Lk 12,24). Das Gerichtswort gegen Reiche Jak 5,4 hat Erntearbeiter im Blick, denen der gerechte Lohn vorenthalten wird.

Zum andern finden sich vielfältige metaphorische Zusammenhänge, in denen auf die Ernte Bezug genommen wird. So wird auf den Tun-Ergehen-Zusammenhang in Erntebildworten (vgl. Mt 7,16-20) angespielt: „Was der Mensch sät, wird er ernten“, unterstreicht beispielsweise Gal 6,7.

Vor dem Hintergrund der Missionstheologie wird Mt 9,37f verständlich: Wie Arbeiter in die Ernte so sendet Jesus seine Jünger in die Welt. Und Joh 4,36-38 stellt heraus, dass sich der Missionserfolg – die Ernte – aufgrund der bereits erfolgten Saat einstellt, ohne dass die Jünger die volle Mühe der Vorarbeit auf sich nehmen mussten, so dass man resümieren kann: „Die Arbeit der Jünger ist also nur Erntearbeit“ (Bultmann 1950, 147). In 1Kor 9,11 steht die Ernte für den materiellen Lebenserhalt, der zu erfolgen hat aufgrund der geistlichen Saat der Apostel in der Gemeinde. Die Entsprechung von Saat und Ernte kann auch Motivation sein für das Handeln der Christen in der Gegenwart (2Kor 9,6).

Auch im Neuen Testament kann das Bild der Ernte für das Gericht ( Gal 6,7b) oder das drohende Ende stehen, das die Welt erfasst (Mt 13,30.39). Sie kann aber auch im Sinne von Sammeln die Zusammenführung der Erwählten bedeuten (Apk 14,15f): Der Menschensohn steht mit der Erntesichel bereit, um die überreife Frucht zu ernten.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Real-Encyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft, Stuttgart 1894-1972
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff
  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
  • Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009

2. Weitere Literatur

  • Borowski, O., Agriculture in Iron Age Israel, Winona Lake 1983, 57-69
  • Bultmann, R., Das Johannesevangelium (KEK II), 11. Aufl. Göttingen 1950
  • Dalman, G., Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 2: Der Ackerbau, Gütersloh 1932; Bd. 3: Von der Ernte zum Mehl, Gütersloh 1933
  • Gemünden, P. von, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung (NTOA 18), Göttingen 1993
  • Zwickel, W., Leben und Arbeit in biblischer Zeit. Eine Kulturgeschichte, Stuttgart 2013, 92-96.101-114

Abbildungsverzeichnis

  • Erntearbeiten (Wandmalerei im Grab des Sennudjem in Dēr el-Medīna; 19. Dynastie). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der sog. Bauernkalender aus Geser (10. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Dreschschlitten (Ägypten; 20. Jh.). © public domain (Foto: Ludwig Koenen, 1964)
  • Bei der Olivenernte werden die Früchte mit einem Stock vom Baum geschlagen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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