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Erbe / Erbrecht (AT)

(erstellt: Februar 2008)

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1. Terminologie und Definition

Als erbrechtliche Termini begegnen im Alten Testament נחל nāchal „erben / besitzen“ und נַחֲלָה nachǎlāh „Erbbesitz / Erbland“. Wesentlich seltener und deutlich später (ab dem 6. Jh. v. Chr.) wird in diesem Sinn auch ירשׁ jāraš „besitzen“ verwendet.

נחל nāchal „erben / besitzen“ begegnet im Alten Testament 59 Mal, das Substantiv נַחֲלָה nachǎlāh „Erbbesitz / Erbland“ 220 Mal. Während das Verb den Erhalt eines Anteils im Fall einer Erbfolge ausdrückt, bezeichnet das Substantiv den zukommenden Erbteil. Die aus Immobilien (Num 16,14; Rut 4,3; 1Kön 21,2f.; Spr 19,14) und beweglichen Gütern (Mi 7,14) bestehende nachǎlāh galt im Unterschied zu dem durch Kauf erworbenen Eigentum als unveräußerlicher und jeder Sippe zugehöriger → Besitz (vgl. u.a. Jos 24,28; 1Kön 21,3; Ez 46,18).

2. Erbrechtliche Bestimmungen

Auch wenn davon auszugehen ist, dass man in Bezug auf das Alte Testament von keinem systematischen Erbrecht sprechen kann, finden sich sowohl in Rechtstexten als auch in narrativen Texten grundsätzliche erbrechtliche Bestimmungen:

(1) Falls es ihm möglich war, regelte der Erblasser vor seinem Tod die Aufteilung der vorhandenen Güter (vgl. 2Sam 17,23; 2Kön 20,1 = Jes 38,1; Sir 33,24).

(2) Als Erben kamen, wenn es sie gab, nur Söhne in Betracht, wobei der jeweilige Erstgeborene den ersten Anteil erhielt. In Dtn 21,15-17 wird es dem Vater verboten, den von einer weniger geliebten Frau stammenden Erstgeborenen zu Ungunsten eines von einer geliebten Frau geborenen jüngeren Sohnes zu benachteiligen. Das Erstgeburtsrecht konnte jedoch aufgrund eines schwerwiegenden Vergehens verwirkt werden (vgl. Gen 35,22).

(3) Töchter waren nur erbberechtigt, wenn ein Sohn fehlte (Num 27,1-11). Allerdings konnten sie ihr Erbe nur unter der Auflage erhalten, keinen Mann aus einem anderen Stamm zu heiraten, damit das Vermögen der Familie nicht in die Hände einer anderen Sippe gelangte (Num 36,1-12).

(4) Waren keine Nachkommen vorhanden, ging das Erbe an die männlichen Verwandten des Verstorbenen über, wobei die Reihenfolge nach Num 27,9-11 folgende war: Brüder, Onkel väterlicherseits, nächste Verwandte aus der Sippe. Die Übertragung der nachǎlāh von einer Sippe auf eine andere war hingegen nicht möglich (Num 36; 1Kön 21,1-19; Ez 46,16ff.).

(5) Im Gegensatz zu den Töchtern hatte eine Witwe grundsätzlich kein Anrecht auf das Erbe ihres verstorbenen Mannes (→ Witwe). Eine kinderlose Witwe konnte entweder unter Mitnahme ihrer Mitgift und ihrer persönlichen Dinge in ihr Elternhaus zurückkehren (Gen 38,11; Lev 22,13; Rut 1,8) oder eine → Leviratsehe eingehen und somit bei der Familie ihres Mannes bleiben (Dtn 25,5-10; Rut 4). Für die hellenistische Zeit scheint hingegen von keinem Erbverbot für Witwen mehr auszugehen zu sein (Jdt 8,7; Jdt 16,24 [jeweils nicht in Lutherbibel]; Tob 8,21 [Lutherbibel: Tob 8,23]).

3. Metaphorische Redeweise

(1) In übertragener theologischer Bedeutung wurde der Begriff nachǎlāh „Erbbesitz / Erbland“ eng mit dem von Gott den Vätern verheißenen → Land verknüpft (Ex 32,13; Ps 105,8-11; Ez 47,14; 1Chr 16,15-18) und die Verteilung des Landes an die Stämme als Erhalt einer nachǎlāh bezeichnet (Num 32; Num 34,14f.; Jos 13,1-21,42): das Land galt als nachǎlāh JHWHs (vgl. 1Sam 26,19; 2Sam 14,16; 1Kön 8,36; Ps 47,4f.; Jer 2,7; Jer 3,19; Jer 12,7; Jer 16,18; Jer 50,11; Ps 68,10). Das Land ist dem Volk allein durch die Zusage und Garantie JHWHs gegeben und kann als Strafe jederzeit wieder entzogen werden, denn das Land an sich ist letztlich Eigentum JHWHs (Jer 2,7; Jer 12,7-9; Jer 16,18; Ps 68,10).

(2) Auch das → Volk konnte als Erbbesitz, als nachǎlāh JHWHs (Dtn 4,20; Dtn 9,26.29; 1Sam 10,1; 2Sam 20,19; 2Sam 21,3; 1Kön 8,51.53; 2Kön 21,14; Jes 19,25; Jes 47,6; Jes 63,17; Jer 10,16; Jer 12,8f.; Jer 51,19; Jo 2,17; 4,2; Mi 7,14.18; Ps 28,9; Ps 33,12; Ps 74,2; Ps 78,62.71; Ps 94,5.14; Ps 106,5.40) bezeichnet werden, denn JHWH hatte Israel aus Ägypten geführt (vgl. Dtn 4,20; 1Kön 8,51), erwählt (Ps 33,12) und in einer Götterversammlung als Erbbesitz erhalten (Dtn 32,8f.).

(3) Die Tatsache, dass die → Leviten kein eigenes Land erhielten, wird damit erklärt, dass JHWH selbst ihre nachǎlāh ist (Num 18,20; Dtn 10,9; Dtn 18,2; Jos 13,33; Ez 44,28).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe des Alten und Neuen Testaments, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Bechmann, U., 2003, Prophetische Frauen am Zweiten Tempel? Ein Vorschlag, Die Töchter Zelofhads (Num 27) als Kultprophetinnen zu verstehen, BN 119 / 120, 52-62
  • Braulik, G., 1992, Deuteronomium II. 16,18-34,12 (NEB 28), Würzburg
  • Christensen, D.L., 2002, Deuteronomy 21:10-34:12 (WBC 6B), Nashville
  • Derby, J., 1997, The Daughters of Zelophehad Revisited, JBQ 25, 169-171
  • Golka, F.W., 1999, BECHORAH und BERACHAH: Erstgeburtsrecht und Segen, in: Beyerle, S. / Meyer, G. / Strauß, H. (Hgg.), Recht und Ethos im Alten Testament – Gestalt und Wirkung (FS H. Seebass), Neukirchen-Vluyn, 133-144
  • Henninger, J., 1989, Zum Erstgeborenenrecht bei den Semiten, in: ders., Arabica Varia (OBO 90), Freiburg / Schweiz – Göttingen, 139-167
  • Litke, J.D., 2002, The Daughters of Zelophehad, CurTM 29, 207-218
  • Mbuwayesango, D.R., 2003, Can Daughters Be Sons? The Daughters of Zelophehad in Patriarchal and Imperial Society, in: T.J. Sandoval / C. Mandolfo (eds.), Relating to the Text. Interdisciplinary and Form-Critical Insights on the Bible (JSOT.S 384), London / New York, 251-262
  • Nielsen, E., 1995, Deuteronomium (HAT I/6), Tübingen
  • Perlitt, L., 1991, Deuteronomium (BK V/1.2), Neukirchen-Vluyn
  • Rad, G. von, 1968, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium (ATD 8), 2. Aufl., Göttingen
  • Schäfer-Lichtenberger, C., 1997, Beobachtungen zur Rechtsstellung der Frau in der alttestamentlichen Überlieferung, WuD 24, 95-120
  • Schmidt, L., 2004, Das vierte Buch Mose. Numeri 10,11-36 (ATD 7),13, Göttingen
  • Seebass, H., 2000, Zur juristischen und sozialgeschichtlichen Bedeutung des Töchtererbrechts nach Num 27,1-11 und 36,1-2, BN 102, 22-27
  • Seebass, H., 2003, Numeri 10,11-21,1 (BK IV/2), Neukirchen-Vluyn
  • Ulrich, D.R., 1998, The Framing Function of the Narratives about Zelophehad`s Daughters, JETS 41, 529-538
  • Utzschneider, H., 1991, Patrilinearität im alten Israel, BN 56, 60-97
  • Weinfeld, M., 1993, The Promise of the Land: The Inheritance of the Land of Canaan by the Israelites, Berkeley u.a.
  • Wright, C.J.H., 1998, Deuteronomy, 2. Aufl., Peabody

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