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Engel (NT)

Andere Schreibweise: engl. angel

(erstellt: März 2016)

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1. Vorgaben im Frühjudentum und in paganen Religionen

Die Engelvorstellung im NT fußt bei aller Eigenständigkeit wesentlich auf Vorgaben des AT und des Frühjudentums, besitzt aber auch Anleihen bei den paganen Religionen. Die Religion der griechisch-römischen Antike kennt unterhalb des Götterolymps verschiedenste Geistwesen, die je eigenen Lebensräumen zugeordnet sind und diese besiedeln bzw. beschützen, z.B. Nymphen, Faune oder Penaten. Andere sorgen für die Ordnung kosmischer Kräfte oder fungieren als Botengötter, die himmlische Botschaften an Menschen übermitteln oder deren Totenseelen ins Jenseits geleiten. Platon nennt, ganz in griechischer Tradition stehend, die Geistwesen daímones und weist ihnen noch keine negative Konnotation zu. Er sieht in ihnen von Gott aus Liebe über die Menschen und die Staaten eingesetzte Schutzgeister, „keine Menschen, sondern Wesen göttlicheren und besseren Ursprungs“ (Nomoi 713d). Als göttliche Mächte kommt ihnen religiöse Verehrung zu (Nomoi 717b). Platon bestimmt das daimónion im Diotimamythos des Symposions als Hermeneutengeist, der den Raum zwischen Gott und dem Sterblichen „ausfüllt“ (Symposion 202d-203a).

Im AT (→ Engel [AT]) begegnen engelische Geistwesen im Wesentlichen in zweierlei Hinsicht: in → Epiphanien und als Mitglieder des himmlischen Thronrates (Mach, 1992, 16-64). An einigen Stellen spricht das AT von einem „Engel JHWHs“ (mal’ak JHWH). Oft ist dabei kaum entscheidbar, ob es sich bei diesem Boten um ein eigenständiges Geistwesen oder um Gott selbst handelt. Dies spiegelt den traditionsgeschichtlichen Befund, dass die geschilderten Epiphanien ursprünglich an sakralen Orten vorisraelitischer Zeit situiert waren. Aus der Erscheinung verschiedenster Lokalgottheiten wird im Zuge der Monotheismusreflexion (→ Monotheismus [AT]) die des einen Gottes Israels (Haag, 1995, 646f). Im „Engel JHWHs“ wendet sich Gott in seiner → Heiligkeit den Menschen mit Wort, Stimme oder Berührung zu, ohne seiner → Transzendenz verlustig zu gehen. Nicht der Bote, sondern die Botschaft steht im Vordergrund.

Die Vorstellung von einem himmlischen Thronrat, dem → JHWH vorsteht, weist ebenso auf eine Auseinandersetzung mit dem → Polytheismus Kanaans und anderer Religionen. Das besonders in den → Psalmen und in prophetischen Berufungsvisionen (→ Berufung) zu findende Modell erlaubt es der Theologie Israels, die Vielgestalt der göttlichen, numinosen Mächte der → Allmacht JHWHs unterzuordnen. Die Aufforderung an den Thronrat zum → Gotteslob schreibt ihre Dienstfunktion gegenüber dem Gott Israels fest (vgl. Ps 29,1f, Ps 103,20f). Jesajas prophetische Sendung in Jes 6,1-13 erfolgt aus der Begegnung mit den Seraphen (→ Serafim) und ihrem Ausruf der Heiligkeit Gottes, die freilich Gerichtsqualität hat und den Gottesboten zur Sühne anhält (Hartenstein, 2007, 169-172).

2. Überblick über die Engel im Neuen Testament

Da die Engelvorstellung erst in den apokalyptischen Strömungen des Frühjudentums größere Bedeutung erlangte, gab es auch zur Zeit Jesu noch jüdische Parteien, welche einer eigenständigen Engellehre skeptisch gegenüberstanden, so etwa die priesterliche Partei der → Sadduzäer, welche den Schriftkanon auf die ersten → fünf Bücher des Mose beschränkten. Die dort geschilderten Engelerscheinungen waren für sie wohl wahrnehmbare Manifestationen Gottes, ohne daraus aber eine eigene Engelspekulation abzuleiten (vgl. Apg 23,8). Für Jesus und die → Pharisäer gehören die Engel zum selbstverständlichen Glaubensgut, sodass der Mann aus Nazareth die Engel gegenüber den Sadduzäern in seiner Argumentation für die Auferstehung der Toten einbringt (Mk 12,25 parr). Erscheinungen der Engel bleiben in den Evangelien allerdings auf die Kindheits- und Ostererzählungen beschränkt. Im → paulinischen Briefkorpus und den → Deuteropaulinen ist von den heiligen Engeln nur selten die Rede, häufiger dagegen von den → Mächten und Gewalten, zu denen wohl auch die gefallenen Engel gehören. Das sich im → Urchristentum früh abzeichnende Problem, Christus von den Engeln abzugrenzen, reflektieren ausführlich die ersten Kapitel des judenchristlichen → Hebräerbriefes. Die größte Bedeutung kommt den Engeln in der → Offenbarung des Johannes zu, die der reichen engelischen Vorstellungswelt der → frühjüdischen Apokalyptik besonders nahe steht.

3. Bezeichnungen und Namen der Engel im Neuen Testament

Die im Frühjudentum verbreitete „Engel“-Bezeichnung für die im Himmel bei Gott wesenden und von ihm geschickten Geistwesen übernimmt auch das Neue Testament. Wie dort steht der Name für ihre göttliche Herkunft und Botenfunktion (Schlier, 1964, 161f). Sie können schlicht „(die) Engel“ (griech. ἄγγελος ággelos) genannt werden (Mk 1,14; Mt 4,11; Mt 13,39.49; Mt 26,53; Joh 12,29; Gal 3,19 u.ö.) oder näher spezifiziert werden als „Engel im Himmel“ (Mk 13,32), „Engel der Himmel“ (Mt 24,36) oder „Engel vom Himmel“ (Lk 22,43; Gal 1,8). In ihrer Zugehörigkeit zu Gott heißen sie auch „heilige Engel“ (Mk 8,38; Lk 9,26; Apg 10,22; Apk 14,10) oder einfach „die Heiligen“ (2Thess 1,10; Kol 1,12; Eph 1,18).

4. Engelerscheinungen

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In der Regel treten sie nicht als Individuen, sondern als Gattungswesen auf, wie schon ihre unfassliche, in die Myriaden gehende Zahl zum Ausdruck bringt (Hebr 12,22; Apk 5,11; Apk 9,16, im Anschluss an Dan 7,10). Auch die wenigen mit Namen auftretenden Engel sind namentlich wie funktional ganz als Geistwesen gezeichnet, deren Personalität allein in Gott gründet. Dies gilt für → Gabriel („der Starke Gottes“) (Lk 1,19.26) wie für → Michael („Wer ist wie Gott?“) (Jud 9; Apk 12,7).

Engelepiphanien begegnen vor allem in den Evangelien und in der Apostelgeschichte.

4.1. Evangelien

Die → Synoptiker überliefern Angelophanien nur zu Beginn und am Ende ihrer → Evangelien. Während Jesu Verkündigungstätigkeit in → Galiläa und auf dem Weg nach → Jerusalem treten keine Engel in Erscheinung. Davor wie danach jedoch fungieren sie als Sprachrohr Gottes, indem sie Geburt und Auferstehung Jesu als Erfüllung des göttlichen Heilsplans vorstellen. Im Umfeld von Jesu Geburt erscheint gleich dreimal „ein Engel des Herrn im Traum“ (Mt 1,20; Mt 2,13.19). Als Engel des Herrn tritt er in dieser stereotypen Wendung ganz hinter seiner Botschaft zurück. Anders als in Gen 16,11 geschieht die Engelepiphanie im → Traum. Gegenüber den Träumen der Magier und der Frau des → Pilatus werden die Traumoffenbarungen durch den Engel als Gottesworte besonders ausgezeichnet und autorisiert.

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In Lk 1,11 erscheint „ein Engel des Herrn“ dem Priester → Zacharias, während dieser im Tempel das Rauchopfer darbringt (vgl. Wolter, 2008, 77.81.85f). Dass er die rechte Seite des Rauchopferaltars einnimmt, betont seine besondere Würde, die auch im Stehen zum Ausdruck kommt. Nach der Ankündigung der Geburt → Johannes’ des Täufers stellt er sich selbst als der Engel Gabriel vor, „der vor Gott steht“ (ὁ παρεστηκὼς ἐνώπιον τοῦ θεοῦ ho parestēkṓs enṓpion toú theoú). Im Frühjudentum gilt Gabriel als einer der vier bzw. sieben Erzengel (äthHen 9,1; 20,7; 40,9f u.ö.), die im Thronbereich Gottes als „Engel des Angesichts“ (Jub 1,27; vgl. Jes 63,9; Ez 1,6) stehen. Gabriel steht also in Tuchfühlung mit der Heiligkeit Gottes, die er im Tempel nun mit seinem Boten- und Verkündigungsauftrag epiphan macht. Entsprechend der von Lukas bewusst gestalteten Parallelisierung der Vorgeschichten von Johannes dem Täufer und Jesus verkündet Gabriel auch die wunderbare Geburt Jesu als des → Messias aus dem Hause David (Lk 1,26-38). Wenn Lukas auch hier die Sendung von Gott her ausdrücklich festhält (Lk 1,26), lässt er keinen Zweifel an dessen alleiniger Handlungsführerschaft und führt beide Engelerscheinungen mit ihrer eschatologischen Heilserwartung zusammen. Anders als in Lk 1,11 mit dem Visionsterminus wird das Auftreten des Engels vor → Maria als normale Besuchsszene gestaltet: „er trat bei ihr ein“ (Lk 1,28). So gerät Maria ob der Begegnung auch nicht in Furcht, sondern ist lediglich über den Gruß des Engels verwundert, ein Momentum, das ihre Zustimmung zur Verkündigung der Messiasgeburt vorbereitet.

Ihren Höhepunkt erreichen die Engelerscheinungen in der Geburtserzählung Lk 2,9-14 (Wolter, 2008, 127-131). Auch hier „erscheint“ der „Engel des Herrn“ den → Hirten nicht, sondern er „tritt heran“. Die göttliche Präsenz manifestiert sich weiter durch „die Herrlichkeit des Herrn“ (δόξα κυρίου dóxa kyríou), die die Hirten umstrahlt. Mit der Herrlichkeitserscheinung in der → Weihnacht offenbart Gott sich selbst auf Erden und setzt damit seine Epiphanien auf dem → Sinai und beim → Exodus fort. Man wird auch an die Heilsverheißungen im → Jesajabuch erinnert, welche die Lichtdimension und Sichtbarmachung des Heiles vor Augen führen (Jes 35,2; Jes 40,5; Jes 60,1.19f). Der außerordentliche Impetus des Herrenengels, der sich den Hirten zugesellt hat, erfasst die ganze Engelwelt, sodass sie ihren himmlischen, immerwährenden Lobgesang bei den Hirten verrichtet. Mit der Geburt des Christus ist die Distanz zwischen → Himmel und Erde für einen frohen Moment aufgehoben. Nach ihrem Lobgesang, dem Gloria, kehren die Engel zum Himmel zurück, ihre Friedensbotschaft aber klingt nach. Einmalig in der Bibel sind die beiden Konzepte von Boten- und Thronratsangelologie im Kairos der Weihnacht zusammenführt.

Engel gehören auch zur synoptischen Überlieferung vom → leeren Grab. In Mk 16,5-7 begegnen die Frauen, die zum Grab gehen, im Grabinneren einem „Jüngling“ (νεανίσκον neanískon), der in seiner weißen Gewandung als Himmelsbote ausgewiesen ist. Dass er auf der rechten Seite sitzt, lässt von ihm eine gute Botschaft erwarten. Da das leere Grab allein noch mehrdeutig scheint, bedarf es eines angelus interpres, der den Frauen → Jesu Auferstehung verkündigt und sie an dessen früheres Wort Mk 14,28 erinnert, das den Jüngern eine Begegnung mit dem Auferstandenen in Galiläa verhieß. Der von Gott gesandte Engel weist den Jüngern den Weg zum Auferstandenen.

Mt 28,1-8 gestaltet die Angelophanie mit eigener Akzentsetzung. Die Auferstehungsbotschaft wird von einem „Engel des Herrn“ übermittelt, dessen Erscheinung kosmische Erschütterungen hervorruft, die an die Geschehnisse bei → Jesu Tod erinnern (Mt 27,51-53). Während eines → Erdbebens steigt er vom Himmel herab und wälzt den Stein weg. Während der markinische Engel im Grab sitzt, nimmt der matthäische Engel auf dem Stein vor der Grabhöhle Platz. In seiner gewaltigen, blitzartigen Erscheinung lässt er die zur Grabwache abgestellten Soldaten erbeben und wie tot daliegen. Seine Platznahme vor dem Grab deutet den Machtwechsel an, der sich mit der Auferstehung des Gekreuzigten vollzogen hat. Auch er weist die Frauen auf frühere Auferstehungsworte Jesu hin und endet mit der Mahnung „Seht, ich habe es euch gesagt!“ (ἰδοὺ εἶπον ὑμῖν idoú eípon hymín), wohl um seine Botschaft als von Gott kommende zu bekräftigen.

Auch → Lukas variiert die markinische Erzählung in charakteristischer Weise. Er lässt zwei Männer auftreten, wohl um den Zeugenwert ihrer Verkündigung zu erhöhen (Dtn 19,15b). Besonders auffallend ist, dass die Engelbotschaft nicht zu einer Begegnung mit dem Auferstandenen in Galiläa auffordert, sondern nur daran erinnert. Dies erleichtert es dem Evangelisten, alle Ostererscheinungen in Jerusalem zu situieren, um die heilsgeschichtliche Bedeutung dieses Ortes zu betonen.

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In der johanneischen Graberzählung kommt der Engelepiphanie nur noch eine marginale Bedeutung zu. Aus dem Grabbesuch mehrerer Frauen wird eine Begegnungsgeschichte → Marias von Magdala mit dem Auferstandenen (Joh 20,11-18). Die beiden Engel werden als an der Stelle des Hauptes und an der Stelle der Füße sitzend eingeführt. Da sie nur dieselbe Frage wie Jesus stellen („Frau, warum weinst du?“) kommt ihnen – ähnlich der Grabinspektion des → Petrus Joh 20,7 – lediglich die Funktion zu, den Ort, wo Jesus gelegen hat, als Indiz für die Auferstehung genau zu markieren.

Möglicherweise steht hinter den Engelerscheinungen der vier Evangelien mehr als ein einziges Ursprungsformular. J.E. Hafner sieht hinter der lukanischen und johanneischen Grabestradition von zwei Engeln eine eigene Überlieferung (Hafner, 2010, 208f). Während der Engel im → Matthäusevangelium als Bote vom Himmel fungiere, nähmen die Engel bei → Lukas und → Johannes die Rolle von Auferstehungszeugen im Grab ein. Die Zeugen säßen an der leeren Grablegungsstelle wie Seraphen am leeren Thron.

Gegen die Annahme zweier Ursprungsformulare spricht aber die Beobachtung, dass der markinische Grabesengel offensichtlich beide Funktionen vereinigt. Von daher ist es gut möglich, dass die übrigen Evangelisten diese Tradition in je unterschiedlicher Gewichtung aufgegriffen haben.

4.2. Apostelgeschichte

In deutlicher Anknüpfung an die Angelophanien der Septuaginta lässt die Apostelgeschichte das wundersame Wirken der → Apostel vom Erscheinen und Eingreifen eines „Engel des Herrn“ unterstützt sein. So öffnet ein solcher in der Nacht die Türen des Gefängnisses, in das die Apostel zuvor geworfen wurden (Apg 5,19f). Er ermutigt sie, dem Volk im Tempel alle Worte des Lebens zu verkünden. Der Tempel als Ort, an dem sie verhaftet wurden, wird so von Gott als bleibende Stätte der Evangeliumsverkündigung legitimiert.

Ein Engel des Herrn tritt auch auf, wo es darum geht, die Apostel dorthin zu schicken, wo eine Mission nach menschlichem Ermessen sinnlos ist. So fordert ein Engel → Philippus auf, nach Süden an die Straße zu gehen, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt, „sie ist menschenleer“ (αὕτη ἐστὶν ἔρημος haútē estín érēmos; Apg 8,26). Im weiteren Verlauf ist dann vom „Geist (des Herrn)“ (Apg 8,29.39) die Rede, der mit dem Engel offensichtlich identisch ist.

Auch die Öffnung des Judenchristentums zum Heidentum hin wird von einer Engelerscheinung nachhaltig befördert. Dem gottesfürchtigen Hauptmann → Kornelius begegnet in einem himmlischen Gesicht ein Engel des Herrn, der ihn auffordert, → Simon Petrus herbeizuholen (Apg 10,3-7), der seinerseits in einer → Vision die Erlaubnis zum Verzehr unheiliger und unreiner Speisen erhält (Apg 10,10-16).

Die ausführlichste Engelerscheinung findet sich in der Geschichte der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis in Apg 12,6-17. In typisch lukanischer Diktion ist der Engel sowohl als Lichterscheinung wie als in Wort und Handlung anthropomorphe Gestalt gezeichnet. Er stößt dem fest schlafenden Petrus in die Seite, um ihn zu wecken. Dann drängt er ihn aufzustehen, sich anzukleiden und zu folgen. Der Apostel lässt sich von dem Engel an den Wachen vorbei herausführen, ist aber im Unklaren, ob er einen Engel oder ein Traumgesicht sieht (ἐδόκει δὲ ὅραμα βλέπειν edókei dé hórama blépein; Apg 12,9). Im Nachhinein freilich führt er seine Rettung auf den Kyrios, den Herrn Jesus, zurück.

Mit dem Auftreten des → Paulus gehen die Angelophanien indes auffallend zurück (Hockel, 1973, 112f). Es dominieren nun die Christophanien. So wird der Völkerapostel nicht von einem Boten Gottes, sondern von dem erhöhten → Kyrios in einem Himmelsgesicht vor → Damaskus bekehrt und zur Heidenmission berufen (Apg 9; Apg 22; Apg 26). Weitere visionäre Eingebungen auf seinen Reisen kommen vom „heiligen Geist“ bzw. „Geist Jesu“ (Apg 16,6f), von einem Mazedonier (Apg 16,9f) und sonst eben vom Kyrios Jesus (Apg 18,9; Apg 22,17-21; Apg 23,11). Lediglich in der Geschichte vom Seesturm tritt ein Engel auf, der ihm seine Rettung und die aller Schiffsinsassen verheißt. Gegenüber seinen heidnischen Mitfahrern charakterisiert er die Erscheinung als „Engel des Gottes, dem ich gehöre und dem ich diene“ (Apg 27,23). Paulus hatte also vielleicht auch hier eine Christophanie, die er gegenüber seinen Begleitern in propädeutischer Manier als Bot-schaft seines Gottes näherbringen will.

5. Schutz-, Dienst- und Völkerengel

Dass die Schutzengelvorstellung im Frühjudentum keinen zentralen Stellenwert einnimmt, ergeht schon aus dem Fehlen eines entsprechenden terminus technicus im Hebräischen wie im Griechischen. Im Frühjudentum ist die dauerhafte Zuordnung eines bestimmten Engels nur für Kollektive bekannt. Die Vorstellung der Völkerengel klingt schon in Dtn 32,8f LXX an. In Dan 10,10-21 wird ein vor → Daniel erscheinender Gottesgesandter im Kampf mit dem Engelfürsten des → Perserreiches von Michael, dem Engelfürsten Israels, unterstützt. Diesem Vorstellungskreis können auch die sogenannten Gemeindeengel in Apk 2-3 zugeordnet werden (Giesen, 1997, 90f). Sie sind Teil der Erscheinung Christi als → Menschensohn in Apk 1,9-20. Die sieben Sterne in seiner rechten Hand werden mit „Engeln der sieben Gemeinden“ identifiziert, an welche der Seher im Auftrag des Menschensohnes sieben Briefe schreiben soll. Dass sich die Briefe an die Engel der Gemeinden auf Erden richten und sie in der „Du“-Form anreden, könnte für menschliche Gemeindeleiter sprechen (→ Bischöfe, → Propheten oder → Lehrer). In der → Johannesapokalypse meint der Terminus ággelos jedoch durchgehend himmlische Wesen. Dem kosmisch-apokalyptischen Symbolsystem entsprechend ist daher bei den Gemeindeengeln an himmlische Repräsentanten zu denken, die die Adressaten der Briefe an ihre Gottesbeziehung, aber auch ihr Bote-Sein erinnern (vgl. Huber, 2013, 39).

Inwieweit im NT die Vorstellung vom Schutzengel belegt ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert (skeptisch Schnupp, 2004, 111-131). Wenig beachtet wird, dass die Rolle der Engel in den Evangelien durchaus nicht auf die Kindheits- und Ostererzählungen beschränkt bleibt, sondern Engel zu Beginn aller Evangelien als schützende Diener und Begleiter Jesu Erwähnung finden. In der → Versuchungsszene, die alle Synoptiker überliefern, treten sie Jesus helfend zur Seite. Mk 1,13 beschränkt sich zwar auf den lapidaren Hinweis, dass die Engel dem vom → Satan in Versuchung Geführten dienten, doch evoziert der Text damit einen im Frühjudentum bekannten Motivkomplex (vgl. TestNaph 8,4), der Jesus als neuen → Adam vorstellt. Anders als dieser widersteht er dem Bösen, eben auch, weil ihm die Engel zu Diensten sind.

Mt 4,1-11 und Lk 4,1-13 gestalten die Szene breiter aus, indem sie Jesu Konfrontation mit dem Widersacher in drei einzelnen Versuchungen darstellen. Mt 4,11 lässt in Anlehnung an Markus nach der bestandenen Prüfung und dem Entschwinden des Teufels Engel auftreten, die Jesus dienen. Zuvor verzichtet Jesus freilich auf ihren Beistand, zu dem er vom Teufel in der dritten Versuchung aufgefordert wird. Hinterhältig zitiert der Satan Worte aus Ps 91,11f, die den Beter in der Not engelischer Hilfe versichern. Freilich bestätigt er damit ungewollt, dass Jesus als Gottessohn dieser nicht bedarf, selbst nicht, um später seiner Verhaftung zu wehren (Mt 26,53). Ihrer Begleitung darf er jedoch immer sicher sein. Lukas, der die gleiche vom Schriftzitat Ps 91 motivierte Versuchung überliefert, verzichtet auf die finale Notiz vom Dienst der Engel, vielleicht deshalb, weil er den Satan „bis zu gegebener Zeit“ (ἄχρι καιροῦ áchri kairoú; Lk 4,13), d.h. bis er von → Judas Besitz ergreift, nicht mehr auftreten lässt (Lk 22,3; vgl. Lk 10,18). Dann aber steht Jesus auch ein „Engel vom Himmel“ wieder zur Seite. Er erscheint ihm auf dem → Ölberg, um ihn kurz vor seinem Leiden im Gebet zu stärken (Lk 22,43; textkritisch aber umstritten).

Das Motiv einer von den Engeln vermittelten Verbundenheit Jesu mit Gott begegnet auch zu Anfang der johanneischen Jesusgeschichte. Der Messias und Sohn Gottes muss keine Versuchung bestehen, sondern stellt sich seinen Jüngern als Menschensohn vor, über dem sie den „Himmel geöffnet und die Engel auf- und niedersteigen sehen werden“ (Joh 1,51) (Schwindt, 2007, 326-332). Das auf Jesu Taufe weisende Motiv vom geöffneten Himmel und die Präsenz der Engel lassen dieses feierliche erste Offenbarungswort Jesu als johanneische Transformation der synoptischen Tauf- und Versuchungsüberlieferung erscheinen. Daneben fließt auch die Tradition von der → Jakobsleiter aus Gen 28,12 LXX ein. An die Stelle des heiligen „Ortes“ (Gen 28,11.16f.19), des „Hauses Gottes“ (Bet-El) als Vorabbild des → Jerusalemer Tempels, tritt Jesus, der die Verbindung zu Gott herstellt, symbolisiert durch die Engelscharen über ihm. Die johanneische Variante der synoptischen → Getsemani-Überlieferung führt diese Linie weiter. Zu Beginn der „Stunde“, in welcher „der Menschensohn verherrlicht“ und seine „Seele erschüttert ist“ (Joh 12,23.27), vernimmt er eine Stimme aus dem Himmel, die von einigen der Umstehenden als Wort eines Engels gedeutet wird (Schwindt, 2007, 309f). Auch im Augenblick des johanneischen Getsemani kann sich der Menschensohn himmlischen Beistandes sicher sein. Das Engelmotiv weist auf eine Lukas wie Johannes gemeinsame Vorlage der Getsemani-Szene.

Dass Engel einzelne Menschen zumindest zeitweise begleiten und schützen, ist biblisch vor allem im → Tobitbuch belegt. Der Engel → Raphael wird von Gott zum Reisebegleiter des jungen Tobias bestellt, um diesem in Notlagen helfend zur Seite zu stehen. Im Neuen Testament findet der Engel Raphael aber keinerlei Erwähnung. Gleichwohl gibt es Stellen, welche die im Christentum später verbreitete Vorstellung eines jedem Menschen beigeordneten Schutzengels befördert haben. Von einem Rettungshandeln eines Engels erzählt z.B. die Episode aus Apg 12 von der Befreiung des Petrus (siehe 4.2.). Dort ist nicht nur von dem „Engel des Herrn“ die Rede, der Petrus aus dem Gefängnis hinausführt, sondern auch von „seinem Engel“. Denn für die Gemeinde kann der gefangene Petrus nur in Gestalt seines Engels bei ihnen anklopfen und um Einlass bitten (Apg 12,15). Die Vorstellung eines Geleitengels verdichtet sich hier zu einer Ebenbildlichkeit des himmlischen Geistwesens mit dem Menschen, dem er beigesellt ist. Diese Anschauung ist auch im Fall des Märtyrers → Stephanus greifbar. Der Gotteslästerung bezichtigt, wird er vor den → Hohen Rat geführt. Dort erscheint sein Gesicht allen wie als „Gesicht eines Engels“ (Apg 6,15), womit seine Gottverbundenheit, aber auch seine Leidensbereitschaft zum Ausdruck kommt. Seine Engelnatur gipfelt im Augenblick des Todes, da er den Himmel geöffnet und die Herrlichkeit Gottes schaut (Apg 7,55).

Auf die Gottesschau als ureigene Aufgabe der Engel spielt auch Jesus in dem Logion Mt 18,10 an. Es gilt als locus classicus der Schutzengelvorstellung, eine in der Exegese aber umstrittene Lesart. Das Jesuswort steht im Kontext der mt Gemeinderede, die die Gemeinde mahnt, sich an Gottes Zuwendung zu den „Kleinen“ (μικροί mikroí) auszurichten und diese nicht zu verachten. Ihre Engel in den Himmeln schauten nämlich allezeit das Angesicht des Vaters in den Himmeln (Mt 18,10). Mit den „Kleinen“ sind offensichtlich nicht Kinder, sondern Gemeindemitglieder gemeint, die am Rande stehen und Geringschätzung erfahren. Jesus verweist demgegenüber auf ihre engelische Repräsentanz im Himmel, welche ihren ungetrübten Gottesbezug sicherstellt. Auch wenn die Engel, die jedem der Gemeinde grundsätzlich zugeordnet sind, nur als „Angesichtsengel“ (vgl. Jub 1,17.29; Jes 63,9) gezeichnet sind, schließt dies ihre Boten- und Schutzfunktion keineswegs aus, wie z.B. die Selbstvorstellung Gabriels in Lk 1,19 belegen mag. Ihr Geleit geht über den Tod hinaus. So tragen Engel den armen → Lazarus nach dem Tod in den Schoß Abrahams fort (Lk 16,22).

6. Lobpreis und Gottesdienst der Engel

Die in Mt 18,10 implizierte ewige Präsenz der Engel vor Gott dient über die Herrlichkeitsschau hinaus dem ständigen Lobpreis Gottes im himmlischen Thronrat, eine schon in den Psalmen belegte Vorstellung (Ps 29,1f; Ps 103,20f u.ö.), der im Frühjudentum (Henochapokalypsen; Sabbatopferlieder von Qumran u.a.) und in der späteren jüdischen Mystik eine kaum zu unterschätzende Bedeutung zukommt. In den Evangelien begegnet das engelische Gotteslob im Gloriachor der lukanischen Weihnachtsgeschichte Lk 2,13f (siehe 4.1.), um die Geburt des Jesuskindes als Verherrlichungswerk Gottes zu verkünden. Die himmlische ewige → Liturgie wird auf Erden als „neues Lied“ vernehmbar, das die Heilszeit ankündigt, und im Himmel als Freude der Engel über jeden → Sünder, der umkehrt (Lk 15,10).

Seine Fortsetzung findet das „neue Lied“ besonders in der himmlischen Liturgie der Johannesapokalypse. Die Texte des letzten Buches der Bibel erschließen die christliche Wirklichkeit im Wechsel von irdischen und himmlischen Bildern, deren Beziehungsgeflecht wesentlich von Engeln geprägt ist. Vieltausendfach, in unvorstellbar großer Zahl sind sie um den himmlischen Thron versammelt, um Gott und dem → Christuslamm ihr Lob zu singen (Apk 5,11). Die himmlische Liturgie bleibt nicht auf die anfängliche Thronszene beschränkt, sondern stellt für alles weitere Geschehen eine Matrix theologischer Sinnbildung dar (Tóth, 2006, 157-176). Die Christen sind schon jetzt in diesen Lobpreis einbezogen (Apk 5,8), erst recht aber in der kommenden Heilszeit (Apk 14,2f; Apk 15,3f; Apk 19,1-8).

Auch Paulus setzt die Gegenwart der Engel im Gottesdienst seiner Gemeinden voraus, freilich nicht ohne eine ambivalente Haltung einzunehmen, da er neben den guten auch böse Geistwesen voraussetzt. So erklärt sich z.B. die etwas kryptische, an die Frauen im Gottesdienst gerichtete Mahnung, sie sollten „wegen der Engel“ ihr Haupt bedecken (1Kor 11,10). Vermutlich ist die von Gen 6,1-4 LXX ausgehende Tradition evoziert, die um die sündige Neigung der Engel weiß, sich mit Menschenfrauen zu verbinden (vgl. Stuckenbruck, 2014). Positiver besetzt ist der gottesdienstliche Beitrag der Engel, wenn der Apostel die → Glossolalie der Menschen mit der der Engel vergleicht (1Kor 13,1). Miteingeschlossen sind die Engel auch im alle kosmischen Mächte umfassenden Bekenntnis des Philipperhymnus zu „Jesus Christus, dem Herrn, zum Lobpreis Gottes, des Vaters“ (Phil 2,11).

7. Engel im Gericht

Im Frühjudentum und im Neuen Testament sind Engel am → Gerichtshandeln Gottes als Richtende wie als Gerichtete beteiligt. Paulus, der die Existenz auch böser, von Gott abgefallener Engel kennt, weist seine Gemeinde angesichts von Rechtsstreitigkeiten auf ihr Vermögen hin, selbst über Engel richten zu können (1Kor 6,3), wobei er wohl wie in 1Kor 11,10 an jene gefallenen Geister denkt, von denen die → Henochschriften handeln. Auch 2Petr 2,4 und Jud 6 spielen auf diese an. Nach Mt 25,41 droht Jesus den Verfluchten, die den geringsten Brüdern gegenüber nicht barmherzig sind, das „ewige Feuer (an), das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist“.

Breiter gestreut sind im neutestamentlichen Schriftkorpus die Hinweise auf eine Beteiligung der Engel im Endgericht. Allererst treten sie bei der → Parusie Christi auf. Nach 1Thess 4,16 ertönt die Stimme des Erzengels, die → Posaune Gottes, um die Herabkunft des Kyrios anzukündigen. Oder Christus wird von „Engeln seiner Macht“ begleitet „in loderndem Feuer“ (2Thess 1,7f). In der synoptischen Überlieferung kündet Jesus den Menschensohn an, der, geleitet von seinen Engeln, das Gericht entweder selbst vollzieht (Mt 16,27) oder seine Engel aussendet, um die Gesetzesübertreter zur richten (Mt 13,41f) und die auserwählten Gerechten aus allen Himmelsrichtungen zu sammeln (Mt 24,31). Die Engel bilden mit Christus auch einen Gerichtshof, da jeder Bekenner Christi selber vom Menschensohn vor den Engeln bekannt werden wird (Lk 12,8f)

Die Offenbarung des Johannes bringt weitere Differenzierungen (Michl, 1937, 182-193). Das göttliche Gerichtshandeln vollzieht sich in verschiedenen Anläufen, in welchen sich, vorangetrieben von den Engeln, Gottes Herrschaft sukzessive gegen die des Satans durchsetzt. In der zentralen Vision Apk 12 von der von einem Satansdrachen (→ Drache) verfolgten Himmelsfrau kommt es Michael, dem einzigen mit Namen genannten Engel, zu, mit seinen Engeln gegen den Drachen zu kämpfen. Da auch der Drache ein Heer von Engeln befehligt, entbrennt im Himmel ein Kampf beider Heere. Mit der Heerführerschaft nimmt Michael seine aus dem Frühjudentum bekannte Funktion als Schutzpatron des Gottesvolkes wahr. Die Apokalypse des Johannes lässt aber keinen Zweifel, dass der Sturz des Drachen und seiner Engel von Gott selbst (passivum divinum in Apk 12,9) und der Lebenshingabe Jesu Christi (Apk 12,11) herrührt.

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Der Fall des Teufels wird von drei Siebenerreihen von Plagen umrahmt, welche das Gerichtsgeschehen vorantreiben. In den beiden letzten Reihen, den Posaunen-Visionen (Apk 8-9) und den Schalen-Visionen (Apk 15-16), treten je sieben Engel auf. Nachdem das Lamm im Verlauf der ersten Plagenreihe (Apk 6f) die Siegel des himmlischen Buches geöffnet hat, lösen die Engel durch das Blasen der Posaunen und das Ausgießen der Schalen weitere Plagen über die Erde aus. Die sieben Posaunenengel, die als Angesichtsengel eingeführt werden (Apk 8,2: „vor Gott stehen“), dürften identisch sein mit den sieben Geistern vor dem Thron Gottes in Apk 1,4. Das Zueinander von Heil und Gericht überträgt sich auch auf die Engel. So bringt ein und derselbe Altarengel, der von den Posaunenengeln nochmals zu unterscheiden ist, mittels einer goldenen Räucherpfanne die Gebete der Heiligen zu Gott, füllt die Pfanne dann aber mit glühenden Kohlen, um sie mit vernichtender Wirkung auf die Erde zu werfen (Apk 8,3-5). Diese Ambivalenz bestimmt auch die Verkündigungstätigkeit der Engel, die die Geschichte als Endgeschichte durch ihre Fragen, Rufe und Befehle geradezu provozieren (Schlier, 1964, 173). So kommt das Aufdecken der Geschichte erst durch die Frage eines gewaltigen Engels in Gang, wer würdig sei, „das Buch und seine Siegel zu lösen“ (Apk 5,2). Später verkünden Engel, die hoch am Himmel fliegen, der Erde „ein ewiges Evangelium“ (Apk 14,6), in paränetischer Diktion aber auch die Stunde des Gerichts (Apk 14,7-13). Engel sind an der Seite des Menschensohnes auch am endzeitlichen Gerichtsvollzug beteiligt. In zwei Gerichtsbildern von der Getreideernte und dem Keltern treten neben dem Menschensohn Engel auf, die die Vernichtung in Gang setzen (Apk 14,14-20). Ein Engel vom Himmel ist es schließlich, der die Tausendjährige Herrschaft Christi und der auferweckten Christen herbeiführt, indem er den Teufel bindet, in den Abgrund stürzt und diesen für tausend Jahre versiegelt (Apk 20,1-3; → Tausendjähriges Reich).

8. Christus und die Engel

Die umfangreiche Beteiligung am Heils- und Gerichtswirken Gottes lässt die Engel in eine Konkurrenz zu Jesus Christus treten, die in judenchristlichen Kreisen, wie bes. Hebr 1f belegt, ausdrücklich reflektiert wird. Schon das Proömium stellt fest, dass der zur Rechten der göttlichen Majestät gesetzte Sohn „umso viel erhabener geworden ist als die Engel“ (Hebr 1,3f). Nicht diesen gelten die ausführlich zitierten messianischen Psalmworte wie Ps 2,7 oder Ps 110,1, sondern allein Christus, dem Kyrios. Die Engel sind „nur dienende Geister (λειτουργικὰ πνεύματα leitourgiká pneúmata), ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen“ (Hebr 1,14).

Dass Auferstehung und Erhöhung Christi dessen Beziehung zu den Engeln entscheidend bestimmen, ergeht auch aus dem Hymnus 1Tim 3,16 mit der Bekenntnisformel, dass „er (Christus) den Engeln erschienen ist“ (ὤφθη ἀγγέλοις ṓphthē aggélois). Die wörtliche Übersetzung „er hat sich sehen lassen“ betont die aktive Rolle der Engel bei ihrer Christusbegegnung (Hafner, 2010, 202). Als Thronratsmitglieder sind sie die ersten Zeugen der Auferstehung Christi und seines Herrschaftsantritts im Himmel. Auf diesem engelischen Erstzeugnis bauen auch die späteren Graberzählungen auf.

In der Johannesapokalypse ist die Grenzziehung zwischen Christus und den Engeln – zumindest an einigen Stellen – weit weniger ausgeprägt (Forschungsüberblick bei Huber, 2007, 51-64). Der Menschensohn wird in Apk 1,12-20 zwar eindeutig mit göttlichen Wesenseigenschaften ausgestattet und als Christus identifizierbar, wird in der Gerichtsszene Apk 14,15 aber von einem „anderen Engel“ befehligt, seine Sichel über die Erde zu schleudern. Umgekehrt tritt in Apk 10,1-7 ein „starker Engel“ auf, der ebenfalls göttliche Attribute trägt, aber als „anderer Engel“, der wie Gott in einer Wolke erscheint, eine Theo- und keine Christophanie darstellt.

9. Engelverehrung

Die Gottesnähe der Engel mit ihrem Vermögen, Gottes Herrlichkeit auf Erden widerzuspiegeln, und ihre Gerichtsmächtigkeit verleihen ihnen eine außerordentliche Größe und Würde. Ihre unverwandte Anbetung und Schau Gottes machen sie selbst rein und heilig. Die Engel übersteigen das Sein der Menschen, sofern diese erst in der Auferstehung „sein werden wie die Engel im Himmel“ (Mk 12,25 parr). Und doch können auch die Engel ihrer Gotteswürde verlustig gehen, sodass die Christen berufen sind, über sie zu richten (1Kor 6,3). Nach Hebr 2,16 nimmt Gott „sich keineswegs der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams“. So kann einer der sieben Schalenengel am Ende der Apokalypse als Offenbarungsmittler auftreten, der dem Seher das neue → himmlische Jerusalem zeigt, am Schluss aber dessen Ansinnen zurückweist, vor ihm niederzufallen und ihn anzubeten (Apk 22,8f). Eine Verehrung der Engel, gegen die auch Kol 2,18 ausdrücklich Stellung nimmt, widerspricht ihrer geschöpflichen und heilsgeschichtlichen Wesensherkunft (vgl. zum Ganzen Stuckenbruck, 1995).

Literaturverzeichnis

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  • Schwindt, R., 2007, Gesichte der Herrlichkeit. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Studie zur paulinischen und johanneischen Christologie (HBS 50), Freiburg i. Br.
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Abbildungsverzeichnis

  • Erzengel Michael und Gabriel, Orthodoxe Ikone, 12. Jahrhundert, Saint Catherine's Monastery, Sinai. Public Domain.
  • Mariä Verkündigung am Triumphbogen der Santa Maria Maggiore in Rom (432-440). Wikimedia Commons. Public Domain.
  • Christus im Grab, bewacht von Engeln. William Blake, ca. 1805. William Blake Archive über Wikimedia Commons, gemeinfrei.
  • "Der dritte Engel mit Posaune", Giusto de' Menabuo, Fresko 1376-1378. Mit freundlicher Genehmigung von http://easyweb.easynet.co.uk/giorgio.vasari/

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