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Elchasai (Buch des)

(erstellt: September 2011)

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1. Textbestand

Das → apokryphe Offenbarungsbuch des Elchasai/Elxai ist verloren gegangen, Zitate und Hinweise auf seinen Inhalt und literarischen Charakter begegnen jedoch in den Werken der frühkirchlichen Häresiologen Hippolytus von Rom, → Eusebius und Epiphanius (spätere Berichte über das Buch und seine Benutzer gehen auf diese Quellen zurück). Die Verweise sind fragmentarisch; sie begegnen im Rahmen von Polemiken gegen seine Benutzer. Die folgende Rekonstruktion der Botschaft des Buches und der Umstände, unter denen es geschrieben wurde, ist deshalb vorläufig und hypothetisch. Für andere Interpretationen sei verwiesen auf die unten genannte Literatur, besonders die Studien von Wilhelm Brandt, Georg Strecker, F. Stanley Jones und Reinhold Merkelbach.

2. Entstehungshintergrund

Die Nachrichten von Hippolytus und Epiphanius lassen darauf schließen, dass das Buch des Elchasai kurz vor dem Ende des Kriegs → Trajans gegen die Parther (114-117 n. Chr.) von einem in → Mesopotamien beheimateten Juden in aramäischer Sprache verfasst wurde. Im Herbst des Jahres 116 hatte Trajan einen Aufstand gegen seine Besetzung von Teilen Parthiens blutig unterdrückt. Juden waren an diesem Aufstand aktiv beteiligt, der mit jüdischen Aufständen in verschiedenen Teilen des römischen Reiches zusammenfiel. Aus den Berichten von Hippolytus und Epiphanius können wir schließen, dass das Buch von der Erscheinung eines riesigen → Engels sprach (seine Maße wurden im Buch in Schoinen sowie römischen Meilen genau angezeigt), der von einem ebenso großen weiblichen Engel begleitet worden sei, “dem → heiligen Geist” (Hippolytus, Refutatio IX 13,2-3 und Epiphanius, Panarion 19,4,1; 30,17,6; 53,1,9). Epiphanius meint, dass der Name Elxai den Verfasser des Buches bezeichnet (Pan 19,2,2), obwohl er diesen aramäischen Namen – wohl mit Recht – als “verborgene Macht” übersetzt und berichtet, dass der männliche Engel im Buch als eine für Menschen unsichtbare Macht dargestellt wurde (Pan 19,4,1 und 30,17,6). So erscheint es wahrscheinlicher, dass “verborgene Macht” ursprünglich den großen männlichen Engel bezeichnete.

3. Inhalt

Der bereits erwähnte Engel kündigt einen Krieg viel größeren Ausmaßes als den oben erwähnten an; dieser habe apokalyptischen Charakter (→ Apokalypse) –, “wenn wieder drei Jahre von Kaiser Trajan vollendet sind, seitdem er die Parthen seiner Gewalt unterwarf” (Hippolytus, Ref IX 16.4). Diesem Kriege werde “der große Gerichtstag” folgen (vgl. Epiphanius, Pan 19,4,3). Wahrscheinlich richtete sich die Offenbarung des Engels an Juden, die das Blutbad überlebt hatten, um sie auf den Tag des großen → Gerichts vorzubereiten. Sie sollten sieben nicht-menschliche Zeugen (Himmel, Wasser, heilige Engel, Gebetsengel, Öl, Salz, Erde; Instanzen, die die apokalyptischen Geschehnisse überleben würden?) anrufen und ihnen gegenüber versprechen, nie wieder zu sündigen. Dabei nennt der Text explizit sieben → Sünden (Hippolytus, Ref IX 15,2 und 5-6; Epiphanius Pan 19,1,6 und 19,6,4, vgl. 30,17,4). An dem Tage des großen Gerichts werde dann der große Engel auftreten und für sie sprechen (vgl. Epiphanius, Pan 19,4,3). Zeitgeschichtlich interessant ist auch die Aussage, dass erzwungener → Götzendienst keine Sünde sei, wenn er “nur mit den Lippen und nicht im Herzen” begangen werde (Eusebius, Hist. Eccl. VI 38 und Epiphanius, Pan 19,1,8; 19,3,2). Außerdem empfahl der Text die → Ehe als eine Institution zur Vermeidung sexueller Verfehlungen (Pan 19,1,7; verg. 1.Kor 7,2-9).

Die genannten drei Quellen verweisen auf eine griechische Übersetzung des Buches, die zwischen 116 n.Chr. und den zwanziger Jahren des dritten Jahrhunderts verfasst sein muss. In dieser Übersetzung, die ebenso wie das aramäische Original verloren gegangen ist und die wir nur aus den Werken der genannten Häresiologen kennen, sind Verweise auf eschatologische Geschehnisse (→ Eschatologie) weggelassen oder mystifiziert. Die Vorhersage eines apokalyptischen Krieges, “wenn wieder drei Jahre von Kaiser Trajan vollendet sind”, ist im griechischen Text Teil einer astrologischen Warnung vor dem Einfluss des kriegerischen Planeten Mars, der als der Regent des “dritten Tages” (Dienstag) galt (Hippolytus, Ref IX 16,3-4). Das Versprechen des Engels, dass er an dem Tage des großen Gerichts als → Zeuge auftreten werde, ist nicht ins Griechische übersetzt worden und in Spiegelschrift geschrieben. Außerdem wird das so entstandene Rätselwort eingeführt mit der Warnung: “Niemand suche nach der Bedeutung, sondern nur im Gebet spreche man diese Worte”.

Literaturverzeichnis

  • Brandt, W., 1912 (Neuauflage Amsterdam 1972), Elchasai. Ein Religionsstifter und sein Werk, Leipzig.
  • Jones, F. S., 1996, The Genre of the Book of Elchasai: A Primitive Church Order, Not an Apocalypse, in: A. Özen (Hg.), Historische Wahrheit und theologische Wissenschaft: Gerd Lüdemann zum 50. Geburtstag. Frankfurt, 87-104
  • Koenen, L./ Römer, C., 1988, Der Kölner Mani-Kodex. Über das Werden seines Leibes, Opladen
  • Luttikhuizen, G. P., 1985, The Revelation of Elchasai: Investigations into the Evidence for a Mesopotamian Jewish Apocalypse of the Second Century and its Reception by Judaeo-Christian Propagandists (TSAJ 8), Tübingen
  • Luttikhuizen, G. P., 2005, Elchasaites and their Book, in: A. Marjanen/ P. Luomanen (Eds.), A Companion to Second-Century Christian “Heretics”, Leiden/ Boston, 335-364
  • Luttikhuizen, G. P., 2006, The Baptists of Mani’s Youth and the Elchasaites, in: id., Gnostic Revisions of Genesis Stories and Early Jesus Traditions, Leiden/Boston, 170-184
  • Merkelbach, R., 1988, Die Täufer, bei denen Mani aufwuchs, in: P. Bryder (Hg.), Manichaean Studies. Proceedings of the First International Conference on Manichaeism, Lund, 105-133
  • Strecker, G., 1959, Elkesai, RAC IV, col. 1171-1186

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