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(erstellt: Februar 2009)

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1. Name

Der Name Ehud (אֵהוּד ’ehûd) ist entweder als Hypokoristikum, das heißt als vertraute Kurzform, zu Abihud (אֲבִיהוּד ’ăvîhûd) angesprochen worden (vgl. Noth, 141, 146, 235), oder man hat ihn sich als aus den Elementen אֵי ’ê „wo?“ und הוֹד hôd „Pracht“ zusammengesetzt erklärt (vgl. Stamm, 64, 69). Für den ersten Fall ergibt sich die Übersetzung: „Mein Vater ist Pracht“. Die Aussage des Namens lässt sich dann entweder auf den Ahnen des Namensträgers beziehen oder als Lob der Gottheit des Namensträgers bzw. als Ausdruck der Frömmigkeit seiner Eltern verstehen, womit unverkennbar eine religiöse Dimension in den Blick käme. Schließt man sich der zweiten Deutungsmöglichkeit an, formuliert der Name die Klage: „Wo ist die Pracht?“, die der Repräsentation des verstorbenen Vorfahren gilt.

Ob der Name Ohad (אֹהַד ’ohad; Gen 46,10; Ex 6,15) Ehud entspricht, muss offen bleiben. Der Name Abihud (אֲבִיהוּד ’ăvîhûd) erscheint in dieser Schreibweise ausschließlich in 1Chr 8,3, wird dort aber meist in Abi Ehud (אֲבִי אֵהוּד ’ăvî ’ehûd = „der Vater des Ehud“) geändert (vgl. Japhet, 188).

Belege für den Namen Ehud begegnen außer in der Ehud-Erzählung des → Richterbuchs (vgl. Ri 3,15-16.20-21.23.26; Ri 4,1) nur in 1Chr 7,10 sowie bei entsprechenden Textänderungen in 1Chr 8,3.6. Alle Belege außerhalb des Richterbuches beschränken sich auf genealogische Angaben, die mit dem → Stamm Benjamin bzw. dessen Namengeber verbunden sind.

2. Inhalt und Aufbau der Ehud-Erzählung

Die Ehud-Erzählung in Ri 3,12-30 handelt davon, wie der ebenso listenreiche wie furchtlose Benjaminit Ehud seinen Stamm – nach der Darstellung des Textes in seiner jetzigen Gestalt sogar ganz Israel – durch ein Attentat vom Joch moabitischer Fremdherrschaft befreit (→ Moab).

1) Die Exposition der Erzählung (Ri 3,12-15) schildert die Notlage und führt gleichzeitig den Helden ein, der die Rettung bringt. Die Moabiter haben Verbündete um sich gesammelt und die Palmenstadt in Besitz genommen, womit aller Wahrscheinlichkeit nach → Jericho (Tell es-Sulṭān; Koordinaten: 1921.1420; N 31° 52' 15'', E 35° 26' 39'') gemeint ist (vgl. Dtn 34,3; 2Chr 28,15). Nun muss Israel → Eglon, dem König der Moabiter, dienen. Man entsendet den Benjaminiten Ehud, der uns auffälligerweise gleich zu Beginn als Linkshänder vorgestellt wird, um einen Tribut an Eglon zu überbringen.

Eng verwoben mit der Schilderung der Ereignisse ist eine geschichtstheologische Deutung und Bewertung des Geschehens, die sich auf ganz ähnliche Weise auch in den Rahmenstücken anderer Erzählungen des Richterbuches findet (vgl. z.B. Ri 4,1-3). Israel ist nicht von ungefähr in Not geraten, sondern hat „das Böse in den Augen JHWHs“ getan. Deshalb gibt JHWH Eglon Macht über Israel. Der Notschrei der Israeliten veranlasst JHWH dazu, Ehud zum „Retter“ zu erwecken.

2) Der Hauptteil der Erzählung (Ri 3,16-26) ist in viele kleine Szenen untergliedert, in deren Verlauf sich eine spannende, von überraschenden Wendungen geprägte Handlung entwickelt.

Ehud bereitet sich zunächst sorgsam auf sein Attentat vor, indem er für sich eine Stichwaffe herstellt, deren Klinge an beiden Rändern scharf geschliffen ist. Als Linkshänder gürtet er die Waffe natürlicherweise an seine rechte Hüfte, die für gewöhnlich nicht von den Wachen kontrolliert wird, da Rechtshänder ihre Waffe auf der linken Seite zu tragen pflegen. So macht er sich den Umstand seiner Sinistralität (Linkshändigkeit) geschickt zunutze (Ri 3,16).

Er bringt gemeinsam mit einer kleinen Delegation den Tribut zu Eglon, der sich bei dieser Gelegenheit vermutlich in der von ihm eroberten Palmenstadt aufhält. Hier wird erstmalig auf Eglons enorme Fettleibigkeit Bezug genommen, mit der es später noch seine besondere Bewandtnis haben wird (Ri 3,17).

Mit der Ausführung des Attentats wartet Ehud, bis die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft die Bildfläche wieder verlassen haben (Ri 3,18).

Dann macht er an einem markanten Wendepunkt, nämlich bei den Kultbildnissen von → Gilgal, kehrt und begibt sich erneut zum moabitischen König. Er stellt ihm die Mitteilung eines Geheimnisses in Aussicht, woraufhin Eglon alle Umstehenden anweist, sich zu entfernen (Ri 3,19).

In einem neuen Anlauf werden die genauen Umstände der Audienz nochmals detailliert geschildert. Nach Ri 3,20 befindet sich Eglon zu dem Zeitpunkt, als Ehud bei ihm eintritt, in einem besonderen Obergemach, das offenbar ihm allein vorbehalten ist. Ehud konkretisiert nun das Geheimnis als göttliche Botschaft. Der König erhebt sich von seinem Sessel, um das Gotteswort zu empfangen. Doch er empfängt die blanke Klinge aus der Hand Ehuds, die so tief in seinen voluminösen Leib eindringt, dass sich das quellende Fett um das Heft des Dolches schließt, wodurch die tödliche Waffe und die von ihr verursachte Wunde gleichsam unsichtbar werden. Der Text erwähnt im unmittelbaren Anschluss daran ein merkwürdiges Detail, das wohl darauf schließen lässt, dass Eglon im Moment des blitzartig eintretenden Todes seinen Stuhlgang verliert (Ri 3,21-22).

Nach vollbrachter Tat strebt Ehud wieder dem Ausgang entgegen, dem offenbar ein besonderer Eingangsbereich, vielleicht eine Art Warteraum, vorgelagert ist. Das Obergemach schließt er zuvor sorgsam hinter sich zu und verriegelt es (Ri 3,23).

Kaum hat er die Szene verlassen, treten Eglons Diener auf und finden das Privatgemach ihres Herrn verschlossen vor. Doch sie bleiben zunächst arglos, weil sie vermuten, dass ihr Herr gerade dabei ist, seine Notdurft zu verrichten (Ri 3,24). Dabei gehen die Diener anscheinend davon aus, dass Eglon in seinem Raum so etwas wie eine Zimmertoilette zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung steht. Erst nach endlosem Warten greifen sie zu einem Schlüssel, öffnen den Raum und finden Eglon tot auf dem Boden liegend (Ri 3,25).

Ehud hat inzwischen längst die Kultbildnisse bei Gilgal passiert und ist nach Seira, einem nicht mehr näher lokalisierbaren Ort in Ephraim, entkommen (Ri 3,26).

3) Vom militärischen Nachspiel des Attentats berichten Ri 3,27-29. Das Haupt der feindlichen Besatzer ist unschädlich gemacht, doch noch befinden sich die Moabiter auf benjaminitischem Territorium. Ehud begibt sich deshalb ins ephraimitische Höhenland und beruft dort mit Hilfe des Schofars (→ Musik / Musikinstrumente), eines häufig bei kriegerischen Aktionen verwendeten Signalhorns, den israelitischen Heerbann ein. Die Männer folgen ihm und besetzen die Jordanfurten, um die vom Text stillschweigend als Folge des Attentats vorausgesetzte Flucht der Midianiter zu vereiteln. Als Folge dieser Maßnahme erleiden 10.000 Moabiter den Tod.

4) Ri 3,30 stellt schließlich eine Art Resümee dar, das die Erzählung in die Chronologie des Richterbuches eingliedert (vgl. Ri 3,11; Ri 5,31; Ri 8,28) und auf diese Weise an die geschichtstheologischen Elemente der Exposition (Ri 3,1-3) anknüpft.

3. Hintergrundinformationen

3.1. Zum historischen und geographischen Setting der Erzählung

Die Erzählung von Ehuds Attentat spielt – ganz unabhängig von der Frage, wann sie entstanden sein mag – offensichtlich in vorstaatlicher Zeit. Ein König Israels kommt als Gegenspieler Eglons nirgends in den Blick. Vielmehr ist es Sache eines einzelnen Stammeshelden, dem Eindringling entgegenzutreten. Seiner Einzelaktion folgen militärische Maßnahmen des Heerbannes, der sich seinerseits in keiner Weise als Armee eines Königs zu erkennen gibt.

Der Text setzt in seiner Grundintention voraus, dass es den Moabitern in der Frühzeit Israels – am ehesten wohl in der spätvormonarchischen Zeit – gelungen ist, über das Territorium ostjordanischer israelitischer Stämme hinweg Einfluss in einem begrenzten Gebiet des Westjordanlandes zu gewinnen. Konkret muss man dabei an das Areal des Stammes Benjamin oder wenigstens an Teile davon denken. Darauf verweisen die Herkunft des Helden und die Erwähnung der Palmenstadt, die wir aller Wahrscheinlichkeit nach mit Jericho (Tell es-Sulṭān) gleichzusetzen haben (vgl. Bernhardt, 586; → Jericho 3.).

In der Königszeit soll das Gebiet nördlich des Flusses → Arnon zu einem Zankapfel zwischen Israel und Moab geworden sein. Dass es schon früher zu tief greifenden Auseinandersetzungen gekommen sein mag, die unter Umständen bis in den cisjordanischen Raum hineinreichen konnten, ist historisch eher unwahrscheinlich, aber nicht mit völliger Gewissheit auszuschließen (vgl. Scherer, 40).

Archäologisch lässt sich eine Anwesenheit der Moabiter im Gebiet Jerichos in der Zeit, die für die Handlung der Ehud-Erzählung in Frage kommt, nicht nachweisen. Freilich war das Gebiet in der Eisenzeit weitgehend kontinuierlich besiedelt (vgl. Weippert / Weippert, 146-147; → Jericho 4.3.8.). Es sind dort sogar ziemlich gut erhaltene Überreste einer Palastanlage gefunden worden, die dem so genannten Hilani-Typ (bit hilani) entspricht und wahrscheinlich aus der Königszeit stammt. Möglicherweise käme ein etwaiger Vorgänger der Palastanlage an gleicher oder benachbarter Stelle als Residenz Eglons in Betracht. Ob ein solcher aber, falls er je existiert hat, wirklich dem Hilani-Typ entsprochen hat, muss, solange es keine neuen archäologischen Erkenntnisse gibt, im Dunkeln bleiben.

Das geographische Konzept der Erzählung scheint vorauszusetzen, dass Ehud Eglon in der Palmenstadt, also in Jericho, aufsucht, um das Attentat dort zu begehen. Zum einen wird im Text keine weitere Ortschaft genannt, die dafür in Frage käme, zum andern weist die Erwähnung Gilgals darauf hin. Denn dieses zeitweilig nicht ganz unbedeutende israelitische Heiligtum war Jericho in nordöstlicher Richtung vorgelagert (vgl. Scherer, 41). Daraus ergibt sich, dass sich Eglon zum Zeitpunkt des Attentats nicht in seinem Stammland aufgehalten hat. Vielleicht besaß er in Jericho eine Nebenresidenz, um das neu gewonnene Territorium optimal abzusichern.

Erasmus Gaß (2008, 47) ist im Zusammenhang mit historischen und archäologischen Gesichtspunkten zu der Auffassung gelangt, dass die Moabiter erst und ausschließlich im 8. Jh. v. Chr. einen dauerhaften, gesicherten Zugriff auf ostjordanisches Territorium auf der Höhe von Jericho hatten. Er glaubt, dass der Plot unserer Ehud-Geschichte deshalb nicht früher entstanden sein kann. Dem ist entgegenzuhalten, dass, wie Gaß selbst in aller Klarheit herausstellt (a.a.O., 41-42), die Moabiter schon im 9. Jh. v. Chr. eine entscheidende Rolle im Gebiet nördlich des Arnon gespielt haben und Ortschaften wie Madaba und Nebo kontrollierten. Sie repräsentierten also bereits in dieser Zeit einen Machtfaktor, der den Israeliten bekannt gewesen sein muss und den sie als Bedrohung empfunden haben werden. Es wäre der Phantasie eines Erzählers oder Autors des 9. Jh.s durchaus zuzutrauen, sich die Moabiter als feindliche Aggressoren vorzustellen, die den Jordan überschreiten und das Gebiet der Palmenstadt usurpieren, auch wenn sie für ihn noch nicht in Sicht- und Rufweite waren. Über die historische Dimension des Textes ist damit freilich noch nichts gesagt. Auch kann eine Frühdatierung der Überlieferung damit nicht erwiesen, sondern allenfalls als weiterhin bedenkenswerte Möglichkeit zur Diskussion gestellt werden.

3.2. Einzelne Begriffe und Realien

1) פַּרְשְׁדוֹן paršədôn „Stuhlgang“. Zu den schwer zu bestimmenden Begriffen aus der Ehud-Erzählung gehört an erster Stelle das nur ein einziges Mal im Alten Testament belegte Wort פַּרְשְׁדוֹן paršədôn in Ri 3,22, dem in der heute vorliegenden Textgestalt noch ein He-lokale zur Kennzeichnung des Akkusativs der Richtung angehängt ist. Ein Teil der griechischen Textüberlieferung scheint an eine Vorhalle zu denken. Einige moderne Ausleger suchen eine Verbindung zu dem akkadischen Wort für „Loch“, was ebenfalls zu einer Richtungsangabe zu passen scheint (vgl. HALAT, 920). Eindeutiger kommt der Text allerdings erst zu Beginn von Ri 3,23 auf Ehuds Fluchtweg zu sprechen, so dass am Ende von Ri 3,22 vielleicht doch eher an eine Reaktion als unmittelbare Folge des Attentats zu denken ist. Barré (1-11) schlägt deshalb vor, den fraglichen Begriff von dem akkadischen Verb naparšudu mit der Wurzel pršd abzuleiten, das für gewöhnlich „hinausgehen“ bzw. „enteilen“ bedeutet, sich aber auch speziell auf Fäkalien beziehen kann. הַפַּרְשְׁדוֹן happaršədôn wäre demnach mit „das Exkrement“ oder „der Stuhlgang“ zu übersetzen. Die besondere Endung zur Kennzeichnung der Richtung könnte man hinzugefügt haben, als das Verständnis für die ursprüngliche Bedeutung des seltenen Wortes verloren ging und man es deshalb an den Ausdruck zu Beginn von Ri 3,23 angleichen wollte.

2) מִסְדְּרוֹן misdərôn „Vorraum / Warteraum“. In Ri 3,23 findet sich nämlich die wiederum im Alten Testament ausschließlich hier erscheinende Vokabel מִסְדְּרוֹן misdərôn, der ebenfalls ein He-lokale beigegeben ist. Dass hiermit eine Angabe über den Fluchtweg vorliegt, wird allgemein anerkannt. Fraglich ist nur, was für eine Art von Fluchtweg damit bezeichnet werden soll. Manche denken an die Toiletteninstallation. Ehud hätte sich durch den Toilettenschacht gezwängt, um durch die Kloake ins Freie zu gelangen (vgl. Halpern, 40-41). Diese Erklärung bleibt jedoch rein hypothetisch, zumal Toilettenanlagen mit Kanalisationssystem für die in Frage kommende Zeit in Obergemächern archäologisch nicht belegt sind. Die Flucht durch die Kloake rückt den Helden außerdem in ein bizarres Licht, das sich schlecht zu der Rolle fügt, die er in den übrigen Partien der Erzählung spielt. Wahrscheinlich ist eher an einen weniger auffälligen Gebäudeteil zu denken. Man kann zum Beispiel einen Vor- oder Warteraum in Betracht ziehen. Dort pflegten sich Personen aufzuhalten, die einer Audienz beim Machthaber entgegensahen. Solche Einrichtungen sind in verschiedenen antiken Palastanlagen aus dem Alten Vorderen Orient archäologisch breit bezeugt. Wollte Ehud das Gebäude auf dem gewöhnlichen und damit unauffälligsten Wege verlassen, musste er sich, nachdem er sich vom Tatort zurückgezogen hatte, in die Richtung des Empfangsraums begeben, um von dort weiter zum Ausgang zu gelangen.

3) Das Verschließen der Tür. Für diesen Fluchtweg spricht auch die Reihenfolge der Schilderung aus Ri 3,23. Ehud verlässt zuerst das Gemach Eglons und schließt dann die Türen hinter sich zu. Das wäre bei einer Flucht durch die Toilette schwer möglich. Dass Eglons Diener zum Öffnen der Tür einen Schlüssel benötigen, während Ehud diese zuvor offenbar ohne Hilfsmittel abgeschlossen hat, stellt die Auslegung vor ein weiteres Rätsel. Kraeling (209-210) hat in diesem Zusammenhang auf die technologiegeschichtliche Besonderheit der so genannten Homerischen Tür verwiesen, die von innen und außen ohne Schlüssel verriegelt wird, aber von außen nur mit Hilfe eines besonderen Instrumentes geöffnet werden kann, dessen Form an das menschliche Schlüsselbein gemahnt. Näher an der Lebenswelt unseres Textes liegt aber mit Sicherheit das Ägyptische Schloss (vgl. Abb. 3; → Schloss / Schlüssel).

Es funktioniert im Prinzip ähnlich wie die Homerische Tür, ist dieser jedoch hinsichtlich seiner technischen Gediegenheit überlegen. Der Riegel des Ägyptischen Schlosses weist Löcher auf, die für Stifte vorgesehen sind, die, wenn der Riegel geschlossen wird, von oben in den Riegel hinein sinken (→ Riegel). Zum Öffnen müssen die Stifte von einem 25 bis 75 cm langen Schlüssel nach oben gedrückt werden. Auch dieser Riegel kann von innen und außen ohne Schlüssel vorgelegt, aber, insbesondere von außen, nur mit Schlüssel geöffnet werden (vgl. Stager, 240*-245*). Eglons Diener glauben also, ihr Herr hätte sich auf der Toilette eingeschlossen, obwohl in Wirklichkeit Ehud den Riegel von außen vorgelegt hat. Weil sie den König bei seiner intimen Verrichtung nicht zu stören wagen, warten die Diener, bis Ehud längst auf dem Wege ist, um das militärische Nachspiel seines Attentats vorzubereiten.

4. Entstehungsgeschichte

Die Ehud-Erzählung mit ihren vielen Unebenheiten und Merkwürdigkeiten hat – wenn das Ganze nicht doch als kuriose Novelle aus der Feder eines einzigen, relativ späten Verfassers anzusprechen ist – vermutlich eine mehrstufige Entstehungsgeschichte durchlaufen, die heute nur noch versuchsweise rekonstruiert werden kann.

4.1. Die Heldenerzählung

Am Anfang stand vielleicht einmal eine ursprünglich nur mündlich weiter gegebene Legende von Ehud, dem benjaminitischen Attentäter, dem es mit List und Mut gelungen ist, einen feindlichen Usurpator zu ermorden und so zur Befreiung seines Stammes beizutragen. Eine solche Überlieferung bleibt für uns aber eine hypothetische Größe, über deren exakte Gestalt sich keine näheren Auskünfte erteilen lassen.

4.2. Die erzählerische Ausgestaltung

Im weiteren Vollzug der mündlichen Überlieferung oder spätestens bei der ersten schriftlichen Abfassung des Textes ist der Stoff anscheinend erzählerisch stark angereichert und ausgeschmückt worden. Viele merkwürdige Details, die jetzt den eigenartigen Charakter der Darstellung prägen, gehören kaum zum ältesten Bestand der Geschichte von Ehud, dem Attentäter. Die Ausgestaltung hat den Unterhaltungswert der „Story“ beträchtlich gesteigert. Außerdem hat die Schadenfreude über die Niederlage der Feinde deutlich an Raum gewonnen. Vor allem die Privataudienz im Obergemach, das Austreten des Stuhlgangs, das Abschließen des Raumes und die Vermutung der Diener, ihr Herr befände sich gerade auf dem Abort, dürften zu den Elementen zu zählen sein, die über die ursprüngliche Ausstattung der Legende hinausreichen.

4.3. Die JHWH-Kriegs-Redaktion

Eine erste theologische Anreicherung erhielt der Text durch eine JHWH-Kriegs-Redaktion, die ihre Spuren in Teilen von Ri 3,27-29 hinterlassen hat. Das Anliegen dieser Redaktion bestand vor allem darin, die Bedeutung JHWHs für den Sieg Ehuds über die Moabiter herauszustreichen. Nicht der Held, sondern sein Gott steht hier im Vordergrund, insofern JHWH derjenige ist, der die Moabiter Ehud und seinen Männern in die Hände gibt. Auch die immense Anzahl der getöteten Feinde, die die Größe des Sieges veranschaulichen soll, dürfte damit in Zusammenhang stehen.

4.4. Die deuteronomistischen Textanteile

Einen stärkeren Einfluss haben die → Deuteronomisten auf die heutige Gestalt der Ehud-Erzählung genommen. Mit relativ sparsamen Textanteilen in Ri 3,12-15 und mit dem Resümee in Ri 3,30 haben sie aus der Schilderung eines einzelnen JHWH-Krieges eine theologische Geschichtserzählung gemacht, die sich als eine von mehreren Episoden innerhalb der deuteronomistisch konzipierten Richterzeit darstellt. Die moabitische Bedrohung erscheint jetzt als Folge von Israels Untreue gegenüber JHWH. Durch die Notlage zur Besinnung gebracht, wenden sich die Israeliten wieder ihrem Gott zu, der mit Ehud einen Helden erweckt, um Israel, das nun als die Gesamtheit des Gottesvolkes gedacht ist, zu erretten.

5. Zur Auslegung

5.1. Das Attentat

Mit der Vorstellung, dass JHWH im Kriege die Sache seines Volkes führt, geht die Ehud-Erzählung keinen Sonderweg. Es gehört vielmehr zu den geprägten Glaubensüberzeugungen Israels, dass sein politisches Überleben und die dazu erforderlichen Maßnahmen eng mit seinem Gottesverhältnis verbunden sind. Dass der Krieg eine religiöse Dimension hat, war für die Völker des Alten Vorderen Orients weit über die Grenzen Israels hinaus eine Selbstverständlichkeit. Auch die Moabiter, die in der Ehud-Erzählung die Rolle der Feinde spielen, partizipierten an dieser Anschauung. Dafür gibt es sehr überzeugendes außerbiblisches Belegmaterial. Die Stele des Moabiterkönigs → Mescha (TUAT I/6, 646-650; KAI 181), der Jahrhunderte nach der Zeit, in der die Eglon-Geschichte spielt, in Auseinandersetzungen mit Israel verwickelt war, bezeugt, dass dieser König seine Siege gegen Israel auf den Gott → Kemosch zurückgeführt hat. Kemosch dürfte demnach bei den Moabitern als Kriegsgott eine ähnliche Rolle gespielt haben wie JHWH bei den Israeliten.

Nicht das kriegerische Moment der Ehud-Erzählung stellt also den eigentlichen Stein des Anstoßes dar, wohl aber der Umstand, dass Eglon von Ehud nicht im offenen Kampf getötet, sondern manipuliert, getäuscht und durch ein Attentat hinterlistig ermordet wird.

Schon Josephus hat offenbar dieses und andere Probleme des Textes gesehen und qualifiziert Eglon deshalb als grausamen Gewaltherrscher (Antiquitates Judaicae V, 185-197; Text gr. und lat. Autoren). Er soll Israel gequält und in größtes Elend gestürzt haben. Zugleich versucht Josephus zu erklären, weshalb Ehuds Anschlag so erfolgreich verlaufen konnte. Eglons Arglosigkeit führt er darauf zurück, dass Eglon Ehud schon seit längerem gut kannte, weil dieser bei Hofe ein und aus ging. Die Diener waren wegen der Mittagshitze unachtsam. Die spätere Flucht der Moabiter, die der biblische Text als Folge des Attentats unausgesprochen voraussetzt, macht Josephus plausibel, indem er einen der Besetzung der Jordanfurten zeitlich vorausgehenden Angriff der Israeliten auf die moabitische Garnison im Ostjordanland skizziert. So wird verständlich, was die Moabiter über das Attentat hinaus zur Flucht veranlasst hat. Doch weder Josephus’ Bemühungen um die Klärung sachlicher Schwierigkeiten noch sein Anliegen, den Attentäter durch die ethische Disqualifizierung Eglons zu entlasten, haben Anhalt an der biblischen Überlieferung. Als Tyrann im qualifizierten Sinne des Wortes tritt uns Eglon an keiner Stelle entgegen. Nirgends wird seine Herrschaft als ungewöhnlich grausames Gewaltregime kenntlich gemacht. Dass die Benjaminiten Abgaben zu entrichten haben, entspricht nur den damaligen Gepflogenheiten. Eine besondere Zumutung lässt sich daraus nicht ableiten. Als biblisches Beispielstück für das Recht oder gar die Pflicht des Tyrannenmordes kann man die Ehud-Erzählung daher kaum heranziehen, zumal Tyrannei im qualifizierten Sinne des Wortes eher eine Bedrohung des Gemeinwesens von innen als von außen darstellt.

Ehud begeht seinen Mordanschlag ad liberationem patriae, also um sein Vaterland oder seine Heimat von fremder Herrschaft zu befreien. Die Mittel, die er dazu einsetzt, werden vom Erzähler nicht verurteilt. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, dass er das Verhalten seines Helden nicht nur billigt, sondern sogar hohes Vergnügen daran findet.

5.2. Die Verspottung der Feinde

Die Verspottung der Feinde war im alten Israel und seiner Umwelt Teil des Triumphes über den Gegner. In dieser Hinsicht ist die Ehud-Erzählung nicht mehr und nicht weniger als ein Kind ihrer Zeit. So nötigen etwa die → Philister laut Ri 16,25 den gefangenen und geblendeten → Simson dazu, bei einem großen Fest zu ihrer Belustigung als eine Art Spaßmacher aufzutreten. In Ri 3,12-30 erfolgt der Spott literarisch und wird durch die raffinierte Kunst des Erzählers erreicht. Dabei werden die Gegner keineswegs verharmlost. Wohl aber wird ihre Stärke in Schwäche verkehrt. Eglon ist „ein überaus fetter Mann“ (Ri 3,17). Das allein macht ihn nicht zur Karikatur. Vielmehr ist das Fett im Alten Testament ein Symbol für Macht und Stärke (vgl. Heller, 126-127). Auch die 10.000 Moabiter, die Ehuds Männer nach Auskunft von Ri 3,29 erschlagen haben sollen, nennt der Text „fett“. Das zeigt wie groß der Sieg war. Denn die Feinde werden so als besonders stark und kampfkräftig vor Augen geführt. Unmäßiges Fett kann zugleich aber auch die Hybris eines Menschen oder seinen Hochmut gegen Gott bezeichnen (vgl. etwa Hi 15,27), so dass das Motiv der Fettigkeit insgesamt einen ambivalenten Zug behält. Eglon und seine Soldaten sind auf jeden Fall ernst zu nehmende Gegner. Doch Ehuds List (Ri 3,16-26) und JHWHs Beistand (Ri 3,28) schenken Israel den Sieg.

Die Feinde werden dabei der Lächerlichkeit preisgegeben. Eglons Fett erleichtert Ehud die Verschleierung seiner Tat, weil die Mordwaffe vollständig im Wanst des Getöteten verschwindet. Das vorgetäuschte, von Ehud als „Gotteswort“ (dəvar-’älohîm) ausgegebene „geheime Wort“ (dəvar-setær) bzw. die „Geheimsache“ veranlasst Eglon dazu, seine Diener hinauszuschicken und ermöglicht Ehud die für das Attentat günstige Privataudienz. Der Mord bleibt lange unentdeckt, weil Eglons arglose Diener ihren Herrn auf der Toilette wähnen und sich erst nach endlosem Zögern dazu durchringen, das verschlossene Obergemach, wo ihr Herr mutmaßlich seine Notdurft verrichtet, mit Hilfe des Schlüssels zu inspizieren. Weder auf den König noch auf seine Gefolgsleute werfen diese grotesken Szenen ein günstiges Licht.

Der Geringschätzung der Gegner, wie sie sich in der Art und Weise der Schilderung ausspricht, wird man kaum mit Sympathie begegnen. Man kann und braucht sie nicht zu entschuldigen, aber man kann sie als Folge der vielen Feindseligkeiten zwischen Israel und Moab erklären (vgl. z.B. 2Kön 1,1; 2Kön 3), die gewiss auf beiden Seiten ein hohes Maß an Erbitterung gezeitigt haben werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Amit, Y., 1999, The Book of Judges: The Art of Editing (Biblical Interpretation Series 38), Leiden
  • Barré, M. L., 1991, The Meaning of pršdn in Judges iii 22, VT 41, 1-11
  • Bernhardt, K.-H., 1987, Art. Jericho, TRE 16, 586-588
  • Donner, H., 2. Aufl. 1995, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildungszeit (GAT, ATD Ergänzungsreihe 4/1), Göttingen
  • Gaß, E., 2005, Die Ortsnamen des Richterbuchs in historischer und redaktioneller Perspektive (ADPV 35), Wiesbaden
  • Gaß, E., 2008, Zur Ehud-Tradition in historisch-topographischer Hinsicht, ZDPV 124, 38-50
  • Halpern, B., 1988, The Assassination of Eglon. The First Locked-Room Murder Mystery, BiRe 4/6, 33-41, 44
  • Heller, J., 1988, Die Symbolik des Fettes, in: ders., An der Quelle des Lebens. Aufsätze zum Alten Testament (BET 10), Frankfurt, 125-127
  • Japhet, S., 1993, I & II Chronicles (OTL), London / Louisville
  • Kraeling, E. G., 1935, Difficulties in the Story of Ehud, JBL 54, 205-210
  • Noth, M., 1928, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung (BWANT 3/10), Stuttgart
  • Scherer, A., 2005, Überlieferungen von Religion und Krieg. Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3-8 und verwandten Texten (WMANT 105), Neukirchen-Vluyn
  • Stager, L. E., 2003, Key Passages, Eretz-Israel 27, 240*-245*
  • Stamm, J. J., 1980, Beiträge zur hebräischen und altorientalischen Namenkunde (OBO 30), Freiburg Schweiz / Göttingen
  • van der Veen, P.G., Art. Jericho, in: WiBiLex 2009 (Zugriffsdatum: 10.2.2009)
  • Weippert, H. / Weippert, M., 1976, Jericho in der Eisenzeit, ZDPV 92, 105-148

Abbildungsverzeichnis

  • Karte von Moab und Jericho. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Jericho mit Palmen. © Katholisches Bibelwerk, Linz
  • Ägyptisches Schloss. Ein flacher Holzschlüssel mit Zapfen und Löchern (unten) wurde in ein Loch des Türpfostens gesteckt, so dass die Stifte des Pfostens in die Löcher des Riegels fielen. Mit den Stiften des Schlüssels konnte man die Stifte am Pfosten wieder zurückdrücken. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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