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Daumen (AT)

(erstellt: April 2013)

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Finger; → Körper; → Körperteile

1. Bezeichnung

Die Übersetzung der hebräischen Worte בְּהוֹן bəhôn / בֹּהֶן bohæn lautet in Verbindung mit יָד jād „Daumen“ und mit רֶגֶל rægæl „große Zehe“. Alle alttestamentlichen Belegstellen des Daumens erwähnen gleichzeitig auch die große Zehe. בְּהוֹן bəhôn erscheint nur im Plural (Ri 1,6 und Ri 1,7), während בֹּהֶן bohæn ausschließlich im Singular verwendet wird.

2. Kultische Verwendung

Die Belege von בֹּהֶן bohæn haben alle einen kultischen Kontext (Ex 29,20; Lev 8,23-24, Lev 14,14; Lev 14,17; Lev 14,25; Lev 14,28; vgl. Hamilton, 609):

Bei der Priesterweihe wird Blut des Opfertieres auf das rechte Ohrläppchen, den Daumen der rechten Hand und die große Zehe des rechten Fußes gestrichen. Die rechte ist die bevorzugte und handlungsorientierte Seite in den biblischen Texten (Propp, 530; Milgrom, 528).

Beim Reinigungsritus für geheilte Aussätzige streicht der Priester das Blut des beim Schuldopfer geschlachteten Tieres ebenfalls auf das rechte Ohrläppchen, den Daumen der rechten Hand und die große Zehe des rechten Fußes dessen, der sich reinigen / entsündigen lässt, zusätzlich dazu aber anschließend noch Öl.

Warum gerade diese drei Körperteile genannt werden, ist umstritten. Einerseits könnten sie symbolisch für den ganzen Menschen stehen (vgl. im Deutschen: von Kopf bis Fuß; so z.B. Noth, 58-59; Budd, 207; Kornfeld, 37). Andererseits ist es möglich, dass die Körperteile in diesem → Ritual funktionale Bedeutung haben (so z.B. Cole, 212; zur funktionalen Bedeutung der Körperteile vgl. → Körperteile 2.). Beide Deutungen lassen sich aber problemlos verbinden, denn auch wenn die Körperteile hier für ihre Funktionen stehen, wird natürlich die ganze Person gereinigt / entsündigt bzw. der Priester als ganze Person in den Dienst Gottes gestellt (so z.B. Harrison, 100; Milgrom, 528; Hartley, 113).

Im Reinigungsritual werden gemäß dieser Deutung mit Blut und Öl Gehör, Handeln und Wandeln gereinigt und der geheilte Aussätzige wird als Ganzer gereinigt / entsündigt und wieder dazu in die Lage versetzt, nach Gottes Geboten zu leben und am Kult teilzunehmen. Milgrom vermutet daneben zusätzlich auch eine apotropäische Wirkung (Milgrom 1991, 853; → apotropäische Riten).

Im Rahmen der Einsetzung der Priester stehen die genannten Körperteile nach der oben angeführten Deutung dafür, dass das Gehör, das Handeln und auch der Wandel des Priesters von nun an geheiligt sind, ganz im Dienst Gottes stehen und er als Geheiliger Gottes Worte von nun an hören, nach seinen Geboten handeln und auf seinen Wegen gehen kann und muss (so z.B. Brohm, 233).

Es bleibt allerdings offen, ob dem → Blut auch reinigende Bedeutung zukommt. Dies ist aber aufgrund der Parallele zum Reinigungsritual wahrscheinlich (Dozeman, 657-658). Milgrom vermutet außerdem eine zusätzliche apotropäische Funktion (Milgrom 1991, 528-529). Scharbert nimmt dagegen an, dass schon die → Priesterschrift den Sinn nicht mehr kannte, in Ex 29,35-37 das Ritual aber nachträglich als Sühne deutete (Scharbert, 114).

Umstritten ist auch, warum der Altar mit dem übrigen Blut des Opfertieres besprengt wird. Noth geht davon aus, dass mit dem Blut eine enge Verbindung zwischen Priester und Altar und somit mit Gott hergestellt werden sollte (Noth, 59; vgl. Scharbert, 114). Fohrer vermutet, dass durch das Blutauftragen auch eine Verbindung zwischen Mensch und Opfertier und nicht nur zwischen Mensch und Altar hergestellt wird (Fohrer, 324). Milgrom nimmt an, dass der Kontakt mit dem Altar für die heiligende Wirkung des Blutes nötig ist; dieser heiligt es und erst dann kann es auf die Kleider gesprengt werden, um so den Priester zu heiligen (Milgrom 2004, 84-86). Das vorherige Bestreichen mit Blut heiligt seines Erachtens noch nicht.

Propp (462.529-532) versteht allerdings diesen Teil der Priesterweihe ganz anders. Er vermutet dahinter eine für Übergangsriten nicht ungewöhnliche symbolische Verstümmelung oder Tötung des Betreffenden. Daher sieht er das Blut des Opfertieres als Symbol für das des Priesters; Ohr, Daumen und Zehen werden durch das Bestreichen mit diesem symbolisch durchtrennt, was wiederum den Tod des Priesters symbolisiert. Durch die Besprengung des Altars und des Priesters mit demselben Blut ‚erhalte’ dieser aber sein Leben zurück. Dies mache Priester zu „living sacrificial victims“ (Propp, 531). Als möglich, aber spekulativ, sieht er außerdem an, dass der Priester dadurch, dass er Blut mit dem Altar teilt, zusätzlich als ‚lebender Altar’ gekennzeichnet wurde (Propp, 531). Der Text selbst enthält allerdings keine Hinweise auf dieses Verständnis.

Da das Ritual ohne weitere Erklärung beschrieben wird, ist die genaue Bedeutung nicht zu erschließen (Rendtorff, 282).

3. Das Abhacken der Daumen

Die vier Belege des Wortes בְּהוֹן bəhôn beziehen sich auf das Abhacken der Daumen und Zehen (Ri 1,6-7). Diese Handlung soll nicht nur das weitere Waffentragen und ein Entfliehen von Kriegsgefangenen verhindern, sondern zeigt auch deutlich die Unterwerfung und Entmachtung des Verlierers auf. Beim Vollzug dieser Verstümmlung an → Adoni-Besek nach seiner Niederlage gegen Juda und Simeon (Ri 1,6) spielen laut biblischem Text wohl auch das ius talionis (Brohm, 233) und der → Tun-Ergehen-Zusammenhang (Götz, 12) eine Rolle, denn er soll selbst 70 Könige auf diese Weise verstümmelt haben.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (Art. jāḏ und rægæl)
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Art. Finger)
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Ackroyd, P., 1982, Art. יָד jāḏ. II-V, in: ThWAT III, Stuttgart u.a., 425-455
  • Boling, R.G., 1975, Judges. Introduction, Translation and Commentary (AncB 6A), Garden City, NY
  • Brohm, B., 2003, Art. Daumen, in: CBL I, Stuttgart, 233.
  • Budd, Ph.J., 1996, Leviticus. Based on the New Revised Standard Version (NCBC), London
  • Cole, R.A., 1973, Exodus. An Introduction and Commentary (TOTC 2), London
  • Dhorme, E., 1963, L’emploi metaphorique des noms de parties du corps en hébreu et en akkadien, Paris
  • Dozeman, Th., 2009, Commentary on Exodus (ECC), Grand Rapids / Cambridge
  • Fohrer, G., 1962, Art. Daumen, in: BHH I, Göttingen, 324
  • Görg, M., 1993, Richter (NEB 31), Würzburg
  • Hamilton, V.P., 1997, Art. בְּהוֹן bəhôn, in: New International Dictionary of Old Testaments Theology and Exegesis I, Grand Rapids 609
  • Harrison, R.K., 1980, Leviticus. An Introduction and Commentary (TOTC), Leicester
  • Hartley, J.E., 1992, Leviticus (WBC 4), Dallas
  • Kornfeld, W., 1983, Leviticus (NEB 6), Würzburg
  • Noth, M., 1962, Das 3. Mose – Leviticus (ATD 6), Göttingen
  • Milgrom, J., 1991, Leviticus 1-16. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 3), New York u.a.
  • Milgrom, J., 2004, Leviticus. A Book of Ritual and Ethics (Continental Commentaries), Minneapolis
  • Propp, W.H., 2006, Exodus 19-40. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 2A), New York u.a.
  • Rendtorff, R., 2004, Leviticus I. 1,1-10,20 (BK 3.1), Neukirchen-Vluyn
  • Scharbert, J., 1989, Exodus (NEB 24), Würzburg
  • Stendebach, 1990, Art. רֶגֶל rægæl, in: ThWAT VII, Stuttgart u.a., 330-345
  • Wenham, G.J., 1979, The Book of Leviticus (NIC.OT 3), Grand Rapids

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