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Chirbet ed-Dawwāra

(erstellt: Februar 2014)

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1. Lage

Chirbet ed-Dawwāra (Koordinaten: 17775.14150; N 31° 51' 56'', E 35° 17' 30''; 600m über NN) liegt ca. 11km nordnordöstlich von Jerusalem und 1,5km südöstlich von → Michmas (= Muchmās; Koordinaten: 1764.1423; N 31° 52' 16'', E 35° 16' 40'') auf einem flachen Hügel im Grenzgebiet zur Wüste. Man hat von hier einen guten Blick in den Jordangraben.

2. Name und Identifizierung

Der Name Chirbet ed-Dawwāra bedeutet „runde Ruine“. Da auch die Ortsbezeichnung → Gilgal (< גלל gll „rollen“) einen „runden“ Ort meinen kann und da 1Sam 7,16 voraussetzt, dass ein Ort namens → Gilgal in der Nähe von → Bethel und → Mizpa lag, ferner Josephus (Antiquitates 6,6,1 [Text gr. und lat. Autoren]) ein Gilgal bei → Geba (= Ǧeba‘; Koordinaten: 1749.1405; N 31° 51' 27'', E 35° 15' 34''; zur Verwechselung mit Gibea s. → Gibea) lokalisiert, mag man mit Finkelstein (1990, 203-205) erwägen, ob es sich bei Chirbet ed-Dawwāra vielleicht um diesen Ort Gilgal handelt, der von dem Gilgal im Jordangraben östlich von → Jericho (Jos 4,19) zu unterscheiden wäre. Er könnte dann das Gilgal sein, an dem nach der Überlieferung → Samuel als Richter gewirkt hat, → Saul zum König gemacht worden ist und das vielleicht auch in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den → Philistern eine Rolle gespielt hat (1Sam 7,16; 1Sam 10,8; 1Sam 11,14f.; 1Sam 13; 1Sam 15; → Michmas). Nach 1Sam 13 war Gilgal in diesen Kämpfen der Stützpunkt der Truppen Sauls, und hier ist Saul von Samuel verworfen worden, weil er in dessen Abwesenheit verfrüht Opfer dargebracht hatte. Die auffällige Befestigung von Chirbet ed-Dawwāra würde zwar gut zu der militärischen Funktion passen, die Gilgal in den Erzählungen hat, doch setzt diese mit „herabkommen“ in 1Sam 13,12 voraus, dass Gilgal nicht so hoch liegt wie Chirbet ed-Dawwāra. Zwickel (29-31) identifiziert Chirbet ed-Dawwāra mit Giach und Chirbet el-Qubba (s.u.) mit Gibeat Amma, da die beiden nur in 2Sam 2,24 belegten Orte den in dem Vers vorausgesetzten Angaben entsprechen. Es sind eisenzeitliche Ortslagen, die in der „Wüste von Gibeon“, d.h. auf der Höhe von Gibeon am Übergang zur Wüste, liegen, und zwar an der Straße nach Osten. Es ist jedoch sehr fraglich, ob „Wüste von Gibeon“ in diesem Sinne zu verstehen ist. So lässt sich letztlich keine Identifizierung plausibel machen.

3. Grabungsbefund

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Nach ersten Untersuchungen im Rahmen von Oberflächenbegehungen fanden 1985 und 1986 Ausgrabungen unter Leitung von I. Finkelstein statt. Der nur ca. 0,5 ha große Ort, in dem nach Finkelsteins Schätzungen knapp 100 Menschen gewohnt haben (198f), bietet nur eine Siedlungsschicht. Ihr auffälligstes Merkmal ist die Befestigungsanlage, eine auf den Felsen gegründete, 2-3m dicke Umfassungsmauer, die sich in einem Oval von 70-90m Durchmesser um die Kuppe des Hügels legt und zur Zeit der Grabung stellenweise noch in mehreren Lagen über 1m hoch anstand. Das Tor ist im Nordwesten mit Ausrichtung auf Michmas zu vermuten.

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Im Ortsinnern standen entlang der Mauer einreihig Wohnhäuser, die im Westen am besten erhalten sind. Im Zentrum wurden keine Mauerreste gefunden, weil diese entweder erodiert sind oder dort nie Häuser standen. Hier sind die Öffnungen dreier Zisternen zu sehen. Die Wohnhäuser waren Vierraumhäuser von 11-13 x 9-11m, die teils im rechten Winkel, teils parallel zur Mauer – dann freilich mit ungewöhnlichem seitlichen Eingang – gebaut waren und von denen einige monolithische Pfeiler noch in situ stehend gefunden wurden. Zum Teil grenzen die Häuser mit einem Raum an die Mauer. Sowohl in der uneinheitlichen Ausrichtung der Häuser als auch in dem damit zusammenhängenden Fehlen einer wirklichen Kasemattenmauer zeigt die Siedlung, dass die späteren festen Bauformen noch nicht etabliert waren.

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Auffällig ist, dass die für Dörfer der → Eisenzeit I typischen Vorratsgruben, ebenso wie andere Hinweise auf landwirtschaftliche Arbeit (z.B. Sichelklingen) fehlen. Spuren einer Zerstörung lassen sich nicht feststellen, und die geringe Zahl kompletter Gefäße spricht für eine friedliche Abwanderung der Bewohner. Da die Stätte später nie wieder bewohnt wurde, wird der eisenzeitliche Befund nur durch die starke Erosion und eine gut 1m dicke Mauer gestört, die in spätrömisch-byzantinischer Zeit unter Verwendung des vorfindlichen Steinmaterials auf die breitere eisenzeitliche Mauer gebaut wurde, vermutlich um die Hügelkuppe vor Erosion zu bewahren.

Chirbet el-Qubba: 600m westlich liegt jenseits eines kleinen → Wadis auf einem fast parallelen Sporn Chirbet el-Qubba (17730.14130) mit Resten von Terrassen und Bauten, die vielleicht zu einer kleinen die Straße sichernden Festung gehörten. Die Oberflächenkeramik stammt vor allem aus der Mittelbronzezeit, aber auch aus Eisenzeit I sowie aus römischer und byzantinischer Zeit.

4. Geschichte

4.1. Datierung

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Die Keramik von Chirbet ed-Dawwāra stammt zum einen aus der späten → Eisenzeit I, zum anderen aus der frühen Eisenzeit II. Dementsprechend nahm Finkelstein an, dass der Ort in der späten Eisenzeit I, d.h. in der 2. Hälfte des 11. Jh.s, gegründet und nach gut 100 Jahren am Ende des 10. Jh.s (im Zusammenhang mit dem Feldzug des ägyptischen Pharao → Scheschonq) aufgegeben worden sei (Finkelstein 1990, 195; 1993, 333); inzwischen setzt Finkelstein den Übergang von Eisenzeit I zu Eisenzeit II später an (Low Chronology) und datiert damit verbunden die Gründung von Chirbet ed-Dawwāra erst in der 1. Hälfte des 10. Jh.s, so dass sich die Zeit der Besiedlung verkürzt (Finkelstein / Piasetzky 53.55). Nach Na’aman, der den Ort den Philistern zuweisen möchte (s.u.), währte die Siedlungszeit noch deutlich kürzer, nämlich nur wenige Jahrzehnte: Der Ort sei nicht in der Eisenzeit I gebaut worden, sondern erst in der Eisenzeit IIA, als man jedoch noch Keramik der Eisenzeit I benutzte, und er sei bereits im zweiten Viertel des 10. Jh.s nach der Vertreibung der Philister aufgegeben worden.

4.2. Funktion

Bei Chirbet ed-Dawwāra handelt es sich kaum um ein Bauerndorf, da der Ort in wenig fruchtbarem Gebiet liegt und weder Sichelklingen noch die für landwirtschaftlich geprägte Orte typischen Silos gefunden worden sind. Angesichts der für einen kleinen Ort einzigartigen Befestigungsmauer dürfte Chirbet ed-Dawwāra vielleicht eine militärische Funktion gehabt haben. Zwingenberger (468f; vgl. 178f) hält eine landwirtschaftliche Funktion jedoch für möglich. Falls es sich um einen militärischen Ort gehandelt hat, sollte er vermutlich die wichtige Ost-West-Straße schützen, die von → Bet Horon über → Michmas nach → Jericho führte.

Angesichts von 1Sam 13f. kann man überlegen, ob die Befestigung ihren Grund vielleicht in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Philistern hatte, die nach der biblischen Darstellung zur Zeit Sauls in dieser Gegend Stützpunkte unterhielten (→ Michmas; → Geba). Wenig überzeugend hält Na’aman (3-7) den Ort dagegen trotz des Fehlens philistäischer Keramik allein aufgrund des Fundes einer sog. Löwenkopftasse, wie sie auch in philistäischen Orten belegt ist, für eine Festung der Philister, die von diesen nach ihrer Einnahme des Gebiets gebaut, mit ihrem Abzug jedoch aufgegeben worden sei. In den Kämpfen mit → Saul sei Chirbet ed-Dawwāra der Stützpunkt der Philister gewesen, den die späteren biblischen Erzähler in Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse in den ihnen vertrauten Orten Michmas (1Sam 13,5.11.16) bzw. Geba (1Sam 13,3) lokalisieren. Nach Finkelstein (1990, 202f; 2013, 38.40) handelt es sich bei Chirbet ed-Dawwāra dagegen um eine israelitische Festung, die mit anderen Orten nördlich von Jerusalem, welche ebenfalls durch Kasemattenmauern befestigt waren (z.B. Tell el-Fūl [→ Gibea]; → Gibeon; Tell en-Naṣbe [→ Mizpa]; Chirbet Raddana [→ Chirbet Raddana]; et-Tell [→ Ai]; → Bethel), von den Anfängen des nordisraelitischen Territorialstaates und damit des Königtums Sauls zeuge, das nicht vor → David und → Salomo, sondern erst in der zweiten Hälfte des 10. Jh.s anzusetzen sei und dem der Feldzug → Scheschonqs ein Ende bereitet habe, um Sauls Expansion in die Ebenen zu stoppen; diese Überlegungen lassen sich jedoch nicht hinreichend begründen.

Literaturverzeichnis

  • Faust, A., Settlement Patterns and State Formation in Southern Samaria and the Archaeology of (A) Saul, in: C. Ehrlich / M. White (Hgg.), Saul in Story and Tradition (FAT 47), Tübingen 2006, 14-38 (26f)
  • Finkelstein, I., The Archaeology of the Israelite Settlement, Jerusalem 1988, 64 (mit Luftbild)
  • Finkelstein, I., Excavations at Kh. ed-Dawwara: An Iron Age Site Northeast of Jerusalem, Tel Aviv 17 (1990), 163-208
  • Finkelstein, I., Art. Dawwara, Khirbet ed-, in: The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land, Jerusalem 1993, Bd. 1, 332-334
  • Finkelstein, I., The Campaign of Shoshenq I to Palestine. A Guide to the 10th Century BCE Polity, ZDPV 118 (2002), 109-135
  • Finkelstein, I., The Forgotten Kingdom. The Archaeology and History of Northern Israel (SBL.ANEM 5), Atlanta 2013
  • Finkelstein, I. / Magen, Y. (Hgg.), Archaeological Survey of the Hill Country of Benjamin, Jerusalem 1993, 196 (und 194 Chirbet el-Qubba)
  • Finkelstein, I. / Piasetzky, E., The Iron I-IIA in the Highlands and Beyond: 14C Anchors, Pottery Phases and the Shoshenq I Campaign, Levant 38 (2006), 45-61
  • Fritz, V., Die Entstehung Israels im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr. (Biblische Enzyklopädie 2), Stuttgart / Berlin / Köln 1996
  • Kochavi, M. (Hg.), Judaea, Samaria and the Golan. Archaeological Survey 1967-1968, Jerusalem 1972, 182
  • Na’aman, N., Ḫirbet ed-Dawwāra – a Philistine Stronghold on the Benjamin Desert Fringe, ZDPV 128 (2012), 1-9
  • Zwickel, W., Gibeat-Amma und Giach, BN 69, 1993, 29-31
  • Zwingenberger, U., 2001, Dorfkultur der frühen Eisenzeit in Mittelpalästina (OBO 180), Fribourg / Göttingen, 144f.178f.214-219.275f.347.349-357.358-364.409f.438f.468f.526f

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Chirbet ed-Dawwāra. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Karte zur Lage von Chirbet ed-Dawwāra. © Israel Finkelstein
  • Die Grabungsareale von Chirbet ed-Dawwāra. Nach Finkelstein, 1990, 166; mit freundlicher Erlaubnis von © Israel Finkelstein; bearbeitet von E. Gaß.
  • Wohnhäuser in Chirbet ed-Dawwāra (Plan). Nach Finkelstein, 1990, 197; mit freundlicher Erlaubnis von © Israel Finkelstein; bearbeitet von E. Gaß.
  • Wohnhäuser in Chirbet ed-Dawwāra. Mit freundlicher Erlaubnis von © Israel Finkelstein.
  • Wohnhäuser in Chirbet ed-Dawwāra. Mit freundlicher Erlaubnis von © Israel Finkelstein.

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