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Bundesbuch

(erstellt: Dezember 2005)

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Das Bundesbuch ist eine Sammlung von Rechtssätzen und Mahnungen, die im Buch Exodus hinter den Zehn Geboten steht.

1. Name und Gegenstand

Welcher Textbereich mit dem Begriff „Bundesbuch“ gemeint ist, lässt sich nicht ganz einfach bestimmen. Die Bezeichnung selbst findet sich in Ex 24,7: „Und er [Mose] nahm das Buch des Bundes (sefær habbərît) und las es vor den Ohren des Volkes“. Der Sache nach geht es um Rechtsbestimmungen, die Jhwh dem Mose im voranstehenden Kontext übermittelt. Der Übergang von Erzählung zu Rechtsbestimmungen und wieder zurück zu Erzählung ist dabei nicht eindeutig, sondern fließend, was zu der eingangs bemerkten Schwierigkeit der Abgrenzung führt. Eine oft verwendete extensionale Definition versteht den Textbereich Ex 20,22-23,33 als Bundesbuch. Ex 20,22-23 verbietet die Herstellung von → Götterbildern aus Silber oder Gold, tut dies aber unter Hinweis auf den narrativen Vorkontext (Ex 19-20). Ähnlich verhält es sich mit dem hinteren Rahmenstück Ex 23,20-33, welches unter Einführung der Gestalt des „Engels Jhwhs“ auf die Landnahme vorausblickt. Der Begriff des → Bundes (bərît) kommt im so abgegrenzten Korpus nur insofern vor, als verboten wird, mit den Einwohnern des in Besitz zu nehmenden Landes Verträge / Bündnisse zu schließen (Ex 23,32). Im Sinne eines Bundes zwischen Israel und seinem Gott kommt der Begriff jedoch nicht vor. Die diesem Gesetzbuch eigene Konzeption ist keine vertragstheoretische, es ist erst der (literargeschichtlich spätere) narrative Kontext (Ex 24,4-8), der diesen Begriff auf das vorangehende Buch appliziert.

2. Komposition und Inhalt

2.1. Einbindung in den Kontext

Wie bereits erwähnt, stehen am Anfang und am Ende Stücke, die auf den Kontext nicht nur des Exodusbuches, sondern der weiteren Bücher verweisen: Ex 20,22-23 blickt auf Ex 19-20 zurück, Ex 23,20-33 auf Num-Jos voraus. Auch Ex 21,1 ist ein Stück, welches die Mittlerschaft des → Mose und die Gegenwart des Volkes, also die Situation am Gottesberg voraussetzt. Weitere Verzahnung mit dem narrativen Kontext ergibt sich aus den wiederholten Hinweisen auf den Aufenthalt (Ex 22,20; Ex 23,9) und die Herausführung (Ex 23,15) aus Ägypten, sowie aus dem Motiv der Erhörung des Klagegeschreis (Ex 22,22.26, vgl. Ex 3,7.9). Wichtig ist zudem die Ex 20,22-21,1 und Ex 22,20-23,30 durchgehende Gestaltung als Gottesrede in der 1. Person mit der Anrede Israels in der 2. Person Sg. oder Pl. Auch dieses literarische Element fordert notwendig einen narrativen Rahmen.

Weitgehend ohne Bezüge zum narrativen Kontext und folgerichtig mit wenigen Ausnahmen auch ohne die 1. Person Gottes und ohne die 2. Person des Angeredeten ist der Teil Ex 21,12-22,19 gestaltet. Er kann auch ohne narrativen Rahmen überliefert worden sein, wobei Ex 21,13-14.23-26 Ausnahmen in der 2. Person darstellen.

2.2. Komposition

Bundesbuch 1

Die Komposition des Bundesbuches ist konzentrischer Natur, wobei sich ein dreifacher Rahmen um zwei Sammlungen legt, die ihrerseits jeweils dreifach konzentrisch gestaltet sind.

2.3. Inhalt

2.3.1. Die Rahmenstücke

Die beiden äußeren Rahmenstücke Ex 20,22-23 und Ex 23,20-33 zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf konkretes geschichtliches Handeln Jhwhs referieren. Ex 20,22-23 blickt auf die Ereignisse Ex 19-20 zurück, wo sich Gott dem Volk als Sprechender offenbart. Ex 23,20-33 blickt voraus auf die Führung zur Landnahme durch den Engel Jhwhs.

Einen zweiten Rahmen bilden die Bestimmungen über den Kultort, einerseits das Altargesetz Ex 20,24-26 und andererseits die Festordnung Ex 23,13-19. Das Altargesetz Ex 20,24-26 gebietet den Bau eines einfachen Altars, der ohne Kultpersonal betrieben wird. Die Festordnung Ex 23,13-19 wird durch eine Präambel zur Alleinverehrung Jhwhs (13) eingeleitet, dann folgt abermals ein Rahmenstück, welches die Dreizahl der Wallfahrtsfeste betont (14), ergänzt durch sein Gegenstück (17). Dazwischen sind die drei großen landwirtschaftlichen Feste aufgeführt: das → Mazzenfest, noch ohne das → Passa (15), das Erntefest und das Lesefest am Ende des Jahres (16), wobei die letzte Bestimmung deutlich macht, dass der Jahresbeginn im Herbst lag. Anschließend folgen zwei Bestimmungen zum korrekten Schlachten und zum korrekten Umgang mit dem Geschlachteten (18), sowie das Gebot, jegliche Erstgeburt zum Tempel Jhwhs zu bringen und nicht rituell auszulösen (19).

Der nächstinnere Rahmen wird durch Bestimmungen in 6/7-Struktur gebildet. Am Anfang steht ein relativ umfangreiches Gesetz zur Sklavenfreilassung, in welchem als Grundordnung die Freilassung des Sklaven im siebten Jahr vorgesehen ist (Ex 21,2-11). Das Gegenstück dazu bilden die Bestimmungen zum Sabbatjahr (Ex 23,10-11), der Brache im siebten Jahr, und dem Sabbattag (Ex 23,12), der als Erholungstag für Mensch und Tier konzipiert ist (noch kein Bezug auf die Schöpfung). Derartige Bestimmungen, die einen Teil der Schöpfung, sei es in zeitlichem, räumlichem oder sächlichem Sinne, für Gott aussondern, werden „Privilegrecht“ genannt.

Dieser dreifache Rahmen umschließt zwei Sammlungen, zum einen die Rechtssätze Ex 21,12-22,19, zum anderen die Mahnungen Ex 22,20-23,9.

2.3.2. Die Sammlung von Rechtssätzen

Die Sammlung von Rechtssätzen ist ihrerseits dreifach konzentrisch gestaltet, wobei der äußere Rahmen durch die todeswürdigen Verbrechen Ex 21,12-17 am Anfang und Ex 22,17-19 am Ende gebildet wird. Diese Bestimmungen zeichnen sich durch eine charakteristische Gestaltung aus: Benannt wird nicht das Vergehen, sondern die handelnde Person im Partizip („der Schlagende“), während die Rechtsfolge jeweils lautet „muss getötet werden“, nur Ex 22,17.19 lauten etwas anders. Der Bestimmung Ex 21,12 sind in Ex 21,13-14 anders gestaltete Präzisierungen zugefügt worden. Im Anschluss an Alt (1934) werden diese Rechtssätze wegen ihrer Unbedingtheit und Schärfe auch „apodiktisches Recht“ genannt, neuerdings findet auch der Begriff „Todesrecht“ Verwendung.

Der nächstinnere Rahmen wird gebildet durch Rechtsbestimmungen bei Verletzung der körperlichen Integrität von Personen (Ex 21,18-32; Ex 22,15-16). Das vordere Stück Ex 21,18-32 behandelt eine Reihe von Fällen von Körperverletzungen durch Menschen oder durch Tiere. In einer präzisierenden Zusatzbestimmung zum Fall einer fremdverschuldeten Fehlgeburt (Ex 21,22) fällt die bekannte Formulierung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Ex 21,24), die auch „Talionsformel“ genannt wird. Sie bringt hier jedoch kein Rechtsprinzip zum Ausdruck, schon gar kein grausames oder drakonisches, sondern regelt lediglich einen eng begrenzten Spezialfall im Sinne einer Strafbegrenzung (zur Talion vgl. Otto, 1994, 73-81). Zudem ist damit nicht eine reale Körperverletzung als Strafe gemeint, vielmehr wird das Maß für eine Ersatzleistung angegeben (Schwienhorst-Schönberger, 1990, 79-128). Die in äußerst knapper, juristischer Fachsprache gehaltene, hebräische Formulierung müsste etwa so paraphrasiert werden: „Dann sollst du den Wert eines (gesunden) Auges als Entschädigung für ein (zerstörtes) Auge geben“. Das hintere Stück dieses Rahmens behandelt die illegitime Verletzung der Jungfräulichkeit einer Frau (Ex 22,15-16).

Im kompositorischen Zentrum der Rechtssatz-Sammlung stehen die sog. jəšallem-Gesetze, benannt nach einer immer wiederkehrenden Formulierung, die „er soll bezahlen / erstatten“ bedeutet (Ex 21,33-22,14). Dabei wird eine große Bandbreite von Tatbeständen abgehandelt, die jeweils mit einer monetären oder materiellen Vergeltung sanktioniert werden. Im Anschluss an Alt (1934) werden diese Rechtssätze „kasuistisches Recht“ genannt, weil in ihnen in teils sehr differenzierter Weise Tatbestände abgehandelt werden. Sie sind sprachlich daran zu erkennen, dass der Oberfall meist mit (hier: „wenn“) eingeleitet wird, während die Unterfälle meist mit ’im („wenn“) beginnen.

2.3.3 Die Sammlung von Mahnungen

Die zweite große Sammlung des Bundesbuches benennt nicht Straftatbestände und ihre Rechtsfolgen, sondern spricht Ermahnungen aus, die überwiegend negativ, in einigen Fällen jedoch auch positiv formuliert sind. Sie haben nicht die Funktion, begangene Taten zu bestrafen, sondern die, präventiv durch Herausbildung eines Ethos Straftaten zu verhindern. Diese Sammlung ist wie die erste dreifach konzentrisch gestaltet.

Der äußere Kreis wird gebildet durch die Ermahnungen zur menschlichen Behandlung des unter den Israeliten lebenden Fremdlings (Ex 22,20; Ex 23,9). Davon umschlossen reihen sich aneinander die Bestimmungen zum Umgang mit Personen geringeren Standes: den Witwen und Waisen (Ex 22,21-23), den Schuldnern (Ex 22,24) und den Pfandgebern (Ex 22,25-26). Am Ende steht die Gerichtsordnung Ex 23,1-3.6-8, in welche noch einmal verschachtelt Tierschutzbestimmungen (Ex 23,4-5) eingeschlossen sind.

Den kompositorischen Kern dieser zweiten Sammlung bilden Ermahnungen im Verhältnis zu Gott (Ex 22,27-30): das Verbot Gott zu fluchen, welches mit dem Verbot, einen Fürsten zu fluchen, verbunden ist (Ex 22,27) und wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem anderwärts erwähnten (Ex 21,6; Ex 22,7-8) Gottesgericht steht. Dann folgt das Gebot, Gott den Erstling des Nachwuchses zu geben (Ex 22,28-29), was wohl so zu verstehen ist, dass in v28 allgemein von Nachwuchs die Rede ist und v29 expliziert, dass die Opferung auf Rinder, Schafe und Ziegen anzuwenden ist. Diese im Zentrum stehende Gebotsreihe wird beschlossen durch das Verbot von Raubtieren Gerissenes zu essen, weil die Angesprochenen „heilige Männer“ sind (Ex 22,30).

3. Entstehung

Die Forschungsgeschichte zur Entstehung des Bundesbuches haben Schwienhorst-Schönberger (1990, 3-37) und Otto (1994, 19-24) dokumentiert. In der Forschung wurde nahezu einstimmig die Auffassung vertreten, dass das Bundesbuch außerhalb des narrativen Kontexts der Gottesberg / Sinai-Perikope (Ex 19-24) entstanden ist und auch ohne diesen zunächst überliefert wurde, bis es dann zu einem bestimmten Zeitpunkt in diesen Erzählzusammenhang eingefügt wurde. Strittig war, ob die Rechtssatz-Sammlung („Profanrecht“) am Anfang stand, so Schwienhorst-Schönberger (1990), oder die Sammlung von Mahnungen („Gottesrecht“), so Halbe (1975). Die Auffassung von Schwienhorst-Schönberger hat sich weitgehend durchgesetzt. Nach Otto (1994, 24) waren beide Sammlungen zunächst im Kern profan und wurden durch gottesrechtliche Erweiterungen theologisiert.

Nach Schwienhorst-Schönberger (1990) stellt sich die Entstehungsgeschichte des Bundesbuches folgendermaßen dar: Am Anfang stand ein kasuistisches Rechtsbuch, das den Grundbestand von Ex 21,12.18-22,14 umfasste. Es enthielt Rechtssätze, war durchgehend in der 3. Person formuliert und wurde in dieser Gestalt bis in das 9./8. Jh. fortgeschrieben. Dieses Rechtsbuch wurde in vordeuteronomistischer Zeit einer gottesrechtlichen Redaktion unterzogen. In diesem Stadium der Entstehung wurde das Bundesbuch zu einer Gottesrede umgestaltet, die 1.Person Gottes und die 2. Person des Angeredeten treten auf. Zu dieser Schicht gehören u.a. die Grundschicht des Altargesetzes Ex 20,24-26, das Schuldsklavenrecht Ex 21,2-11, das Asylrecht Ex 21,13-17, die Sakralgebote Ex 22,27-29, das Brachjahr- und Ruhetag-Gebot Ex 23,10-12, der Festkalender Ex 23,14-19, sowie die Grundschicht des Epilogs Ex 23,20-33. Danach habe das Bundesbuch eine deuteronomistische Überarbeitung erfahren. Dazu gehörten u.a. das Bilderverbot Ex 20,23 im Prolog, einige Erweiterungen im Epilog Ex 23,20-33, sowie zahlreiche kleinere Ergänzungen dazwischen. Priesterschriftlich beeinflusst sei nur der Rückbezug auf den Dekalog in Ex 20,22.

Nach Crüsemann (1992) hat das Bundesbuch zwei Quellen. Die eine sei eine Sammlung von Rechtssätzen, die aus dem nach 2Chr 19 vom judäischen König Joschaphat (871-848) in Jerusalem eingerichteten Obergericht stamme (1992, 195-199), die andere sei das sog. „Privilegrecht“ Ex 34,11-26, das auf die prophetische Protestbewegung des Elia im Nordreich Israel zur Zeit des Königs Ahab (873-853) zurückgehe. Ende des 8., Anfang des 7. Jh.s sei aus diesen beiden Quellen das Bundesbuch zusammengestellt worden, wobei die Rechtssätze weitgehend unverändert blieben, während Ex 34,11-26 in veränderter Gestalt in den zweiten Teil des Bundesbuches eingegangen sei. Dieses Buch sei schon als Gottesrede gestaltet, aber noch nicht Teil des Exodusbuches gewesen. Die letzte Fortschreibung vom Anfang des 7. Jh. bezeichnet Crüsemann als „kultische Historisierung“ (1992, 231), deren wichtigste Einfügung Ex 20,23 sich auf eine kultische Theophanie beziehen soll.

Nach Otto (1994, 23f) stehen am Anfang der Entstehung des Bundesbuches kleinere, thematisch begrenzte Sammlungen von Rechtssätzen. Eine Sammlung von Rechtssätzen aus dem vorjosianischen Jerusalem habe die Grundschicht von Ex 20,24-26; Ex 21,2-22,26 umfasst, eine weitere Sammlung von Rechtssätzen die Grundschicht von Ex 22,28-23,12. Diese zweite Sammlung habe das Konzept der Gottesherrschaft in das Buch eingeführt und im Folgenden auch geprägt. Die jüngste Schicht des Bundesbuches schließlich setze sowohl das Dtn als auch die Priesterschrift voraus und sei im Zuge seiner Einfügung in die Sinai-Perikope verfasst worden (Ex 20,22-23; Ex 21,1; Ex 22,19b.20-21; Ex 22,23.24b.30; Ex 23,9.13).

Neuerdings wird erwogen (Houtman, 1997, 16; Oswald, 1998, 259; etwas anders Aurelius, 2003, 158), ob nicht bereits in der Grundschicht der Gottesberg / Sinai-Perikope (Ex 19-24) das Bundesbuch enthalten war, weil die Theophanie Ex 19,16ff ohne Gesetzeskundgabe zwecklos wäre. Für das Bundesbuch hat dies die Konsequenz, dass seine Entstehung und Fortschreibung sehr viel enger mit der seines heutigen literarischen Kontextes verbunden ist, als man früher angenommen hat. Es ergibt sich nach dieser Auffassung eine dreistufige Literargeschichte: Am Anfang stand die Sammlung von Rechtssätzen Ex 21,12-22,18 (ohne Ex 21,13-14.23-25), die noch unabhängig von der Gottesberg-Perikope tradiert wurde. Diese Sammlung wurde im Zuge ihrer Einfügung in die Gottesberg-Perikope vor allem durch den Mahnungsteil erweitert. Das Gesetz erhielt dabei im Wesentlichen seine heutige Gestalt und umfasste dann Ex 20,24-23,19. Die deuteronomistischen Erweiterungen Ex 20,22-23 und Ex 23,20-33 schließlich passen das nunmehr Bundesbuch genannte Werk der deuteronomistischen Gestalt der Gottesberg-Perikope an. Nach Houtman (1997, 16) ist nur die Sammlung von Rechtssätzen etwas älter, alle weiteren Teile des Bundesbuches wurden Mitte des 6. Jh. für den narrativen Kontext des Enneateuch geschaffen.

Die zeitliche Einordnung der Entstehung des Bundesbuches und seiner Teile ist schwierig, da die Texte nicht datiert sind. Zu beachten ist aber, dass bereits die Rechtssatz-Sammlung fraglos eine Geldwirtschaft voraussetzt, da mehrfach Geldzahlungen als Strafe vorgesehen sind (Ex 21,11.32.34; Ex 22,6.16). Die Rechtssubjekte des Bundesbuches verfügen über Geld, was auf eine urbane Gesellschaft weist, etwa das Jerusalem des 7. Jh. Ein weiterer Anhaltspunkt ist das Verhältnis des Bundesbuches zum Gesetz des Deuteronomium. Mit Ausnahme von Van Seters (1996) halten alle Forscher das Bundesbuch für den Vorläufer des Deuteronomium (vgl. dazu Otto, 1994, 179f). Einen Hinweis auf die Entstehungszeit kann auch das Fehlen des Königs geben. Nach Otto (1994, 101) standen hinter dem Bundesbuch oppositionelle Priesterkreise, die in assyrischer, also noch in monarchischer Zeit (7. Jh.) die Begründung des Rechts vom König unabhängig gemacht haben. Alternativ dazu ist die Entstehung in nachmonarchischer Zeit (Exilszeit) denkbar.

4. Theologie

Die Sammlung von Rechtssätzen im ersten Teil des Bundesbuches steht in enger Beziehung zur Rechtspraxis der judäischen Gerichtsbarkeit, gleich ob sie als Lehrbuch oder als Referenzbuch zu verstehen ist. Als solche sind die Rechtssätze problemorientiert und in teilweise nur noch schwer verständlicher juristischer Fachsprache gehalten. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich vom Rest des Bundesbuches. Entsprechend ihrer fachspezifischen Ausrichtung zeigen sie überwiegend keine spezifische theologische Prägung. Aus einigen Stellen wird deutlich, dass es bei bestimmten Fallgestaltungen ein sakrales Gerichtsverfahren gab (Ex 21,6; Ex 22,7-8.10).

Theologisch brisant ist in diesem Teil des Bundesbuches allein sein Abschluss, das Verbot, anderen Göttern außer Jhwh zu opfern (Ex 22,19), dessen Zugehörigkeit zu dieser älteren Sammlung allerdings nicht sicher ist. Die literarische Gestalt dieses Verbotes ist nicht die der Gottesrede, so dass es formal zu den Rechtssätzen gehört, seinem Anliegen nach gehört es jedoch schon zu den Mahnungen des zweiten Teils (vgl. Ex 23,13). Die Todessanktion verbindet es wiederum mit den Reihungen todeswürdiger Verbrechen (Ex 21,12-17; Ex 22,17-19) des ersten Teils des Bundesbuches. Man kann es wohl am besten als Scharnier zwischen den beiden großen Sammlungen des Bundesbuches verstehen (ausführlich und etwas anders zu Ex 21,17-19 Schwienhorst-Schönberger, 1990, 124-127).

Die Mahnungen des zweiten Teils des Bundesbuches zielen ab auf ein politisches Gemeinwesen, dessen Proprium der solidarische Umgang mit traditionellerweise benachteiligten Personengruppen ist. Diese Mahnungen setzen damit die Programmatik der Exodus-Gottesberg-Erzählung in Ethos um. Die untrennbare Zusammengehörigkeit von Bundesbuch und Exodus-Gottesberg-Erzählung zeigt sich auch an der Voranstellung der Gesetze zur Sklavenfreilassung an die Spitze der Rechtssätze (Ex 21,1-11) ganz analog zur Erzählung von der Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten (anders Crüsemann, 1992, 179-188). Auch die Voranstellung des Altargesetzes (Ex 20,24-26) ergibt sich folgerichtig aus der unmittelbar im Vorkontext erfolgten Begegnung mit Gott (Ex 19,16-19). Und wie die Erzählung so kennt auch das Bundesbuch keinen König, weder als Gegenstand der Gesetzgebung – an seine Stelle rückt der nāśî’ „Fürst“ (Ex 22,27), noch als Gesetzgeber – an seine Stelle rückt Mose. Die traditionelle Struktur der Gesetzgebung Gott – König – Volk (Ps 72,1) wird ersetzt durch die Abfolge Gott – Mose – Volk (Ex 21,1).

Das Bundesbuch wandelt sich „in einem kontinuierlichen Prozess zunehmend expliziter theologischer Rechtsbegründung“ (Otto, 1994, 24) zu einem Buch, in dem Ethos und Recht eine Verbindung eingehen: „Das Bundesbuch erreicht damit eine umfassende theologische, auf ein Ethos der Solidarität mit dem Schwachen zielende Legitimation von Ethos, die noch einmal mit der Einfügung des Bundesbuches in die Sinaiperikope neu akzentuiert und auf den Offenbarungsgedanken hin reflektiert wird“ (Otto, 1994, 102).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Albertz, R., Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde (GAT 8/1, 8/2), Göttingen 1992.
  • Alt, A., Die Ursprünge des israelitischen Rechts, in: Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philosophisch-historische Klasse, Bd. 86, Heft 1 (1934), auch in: Alt, A., Zur Geschichte des Volkes Israel. Eine Auswahl aus den ‚Kleinen Schriften’, 2. Aufl., München 1979, 203-257.
  • Aurelius, E., Zukunft jenseits des Gerichts. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zum Enneateuch (BZAW 319), Berlin 2003.
  • Crüsemann, F., Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992.
  • Halbe, J., Das Privilegrecht Jahwes Ex 34,10-26. Gestalt und Wesen, Herkunft und Wirken in vordeuteronomischer Zeit (FRLANT 114), Göttingen 1975.
  • Houtman, C., Das Bundesbuch. Ein Kommentar (DMOA 24), Leiden 1997.
  • Osumi, Y., Die Kompositionsgeschichte des Bundesbuches Exodus 20,22b-23,33 (OBO 105), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1991.
  • Otto, E., Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des „Bundesbuches“ Ex XX 22 - XXIII 13 (StB 3), Leiden 1988.
  • Otto, E., Theologische Ethik des Alten Testaments (ThW 3,2) Stuttgart 1994.
  • Schwienhorst-Schönberger, L., „Dies sind die Rechtsvorschriften, die du ihnen vorlegen sollst“. Zur Struktur und Entstehung des Bundesbuches, in: F.L. Hossfeld (Hg.), Vom Sinai zum Horeb, Stationen alttestamentlicher Glaubensgeschichte, Würzburg 1989, 119-144.
  • Schwienhorst-Schönberger, L., Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie (BZAW 188), Berlin 1990.
  • Van Seters, J., Cultic Laws in the Covenant Code and their Relationship to Deuteronomy and the Holiness Code, in: M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus, Redaction – Reception – Interpretation, Leuven 1996.

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