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(erstellt: Januar 2006)

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1. Bedeutung

Das hebräische Wort ברית (bərît) deckt sich in seinem Bedeutungsumfang nicht ganz mit dem deutschen Wort „Bund“. Schon ein Blick in die Wörterbücher macht dies deutlich: Wilhelm Gesenius selbst hatte in seinem Wörterbuch aus dem Jahre 1834 „Bündnis, Bund, Vertrag“ als Übersetzung angegeben; Frants Buhl in seiner Überarbeitung der 17. Auflage des Wörterbuchs „eine Abmachung, die durch eine feierliche Zeremonie einen bes. eindringlichen u. verpflichtenden Charakter bekommt“, kompakter das HALAT mit „Vereinbarung, Bund“; Gesenius, 18. Aufl. geht von einer Grundbedeutung „Inpflichtnahme eines Schwächeren durch einen Stärkeren, wobei meist Letzterer dem Ersteren Schutz zusagt“, aus, die sich in zwei Bereiche differenziert: „allg. Abmachung, Bund, Übereinkommen, Vereinbarung, Verpflichtung, Vertrag“ und „theol. herk. Bund, doch sachgemäß meist m. Verpflichtung (des Menschen durch Jahwe) u.ä. od. Selbstverpflichtung bzw. Zusage (J.s ggüber dem Menschen) z. übers.“; dazu tritt dann noch „Verband, Gemeinde, Gemeinschaft“, eine Bedeutung, die in Dan 11,22 und später in → Qumran bezeugt ist.

In den Übersetzungen und Bedeutungsangaben wird deutlich, dass ברית (bərît) nicht ausschließlich zum religiösen Vokabular gehört, sondern einen alltagssprachlichen Hintergrund hat. Das hier angesprochene Vertragsrecht differenziert sich zwischen Abmachungen unter Gleichen und Verträgen mit einem deutlichen Machtgefälle, etwa einem Großkönig und seinem Vasallen. Bei der Übertragung eines solchen vertragsrechtlichen Modells auf das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel stellt sich das Problem, wie die Bindung des göttlichen Vertragsgebers zu verstehen ist.

Die Idee der Bindung scheint auch in der Vertragsterminologie des Alten Orients durch; so heißt akkadisch riksu „Band, Bund, Bündel, Knoten, Abmachung, Vertrag, Satzung“ (AHw 984f), ein Bedeutungsumfang, der vergleichbar mit dem hethitischen išḥiul ist. Von daher ist die etymologische Ableitung des hebräischen Nomens ברית (bərît) von akkadisch birtu, bertu, mittelassyrisch berittu „Band, Fessel“ (AHw 129f) von Moshe Weinfeld erwogen worden (ThWAT 1, 783f); im Mittelhebräischen ist das Nomen als בֵּירִית „Ring, Band“ belegt. In Ägypten ist das asiatische Lehnwort bí-ra-tá „Vertrag“ bezeugt (Helck, 1971, Nr. 66); dies weist darauf hin, dass der Ausdruck schon vorisraelitisch im kanaanäischen Bereich geläufig war. Das feminine Nomen ברית ist nicht im Plural belegt.

In der → Septuaginta wird ברית (bərît) mit διαθήκη übersetzt, ein Ausdruck, der im Griechischen „Anordnung, Beschaffenheit, Testament, Vertrag, Bündnis“ bedeutet. Aquila und Symmachus (zu beiden → Septuaginta) bevorzugen συνθήκη („Vertrag“), ein Terminus, der in griechischen Verträgen geläufig ist. → Hieronymus gebraucht meist foedus und pactum (→ Vulgata); die altlateinische Übersetzung (→ Vetus Latina) schließt sich mit testamentum an eine Bedeutung von διαθήκη in der Septuaginta an, die sich von der Bedeutung des hebräischen Wortes weiter entfernt.

2. „Bund“ als Vertrag

Das Bündnis zwischen → Salomo und → Hiram von Tyrus wird in 1Kön 5,26 beschrieben; vorab wird festgestellt, dass zwischen den Vertragspartnern Friede (שׁלום) herrscht. Es ist vorgestellt als ein Abkommen zwischen gleichrangigen Partnern. Verträge dieser Art sind auch ein Mittel der Außen- oder Kriegspolitik, so das Angebot des judäischen Königs → Asa an den aramäischen König → Ben-Hadad, das Bündnis mit dem Nordreich Israel aufzukündigen und mit Juda militärisch zu kooperieren (1Kön 15,16-22). Gemeinsam wird auch der Vertrag zwischen → Abraham und → Abimelech in Gen 21,22-34 abgeschlossen, wobei das Verb כרת („schneiden“) gebraucht wird (s.u.). Auffällig sind die sieben Schaflämmer in Gen 21,28-30; die Siebenzahl weckt Assoziationen an die Vertragsflüche von → Sfire I A 21-24, vgl. Lev 26,21.24.28 u.ö.

Um ungleiche Vertragspartner handelt es sich bei der Schilderung der List der → Gibeoniter in Jos 9,1-27. Die Ungleichheit kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Gibeoniter עבדים („Knechte“ bzw. „Sklaven“) der Israeliten werden (Jos 9,11). Wie in 1Kön 5,26 ist das vorgängige Merkmal des Vertrages Friede (שׁלום), Jos 9,15. Der Vertrag kam zwar unter Vortäuschung falscher Tatsachen zustande, aber dennoch ist er einzuhalten, Jos 9,19-20. Der Grund dafür liegt in dem Schwur bei der Gottheit, mit dem der Vertrag beeidet wird und dessen Bruch diese mit Strafen ahndet. Pacta sunt servanda, diese Vorstellung liegt auch in Ez 17,11-21 zugrunde. Der judäische König → Zedekia hat einen Vertrag mit → Babylon geschlossen und versucht trotzdem politisch-militärische Kontakte mit Ägypten zu knüpfen. Ein derartiger Bundesbruch ist kein rein weltlicher Akt, sondern er bewirkt die göttliche Bestrafung, da der seinerzeitige Bund mit Babylon bei Jahwe beschworen wurde. Mag es auch ein Bund zwischen der Großmacht und dem abhängigen Kleinstaat sein, mag es auch sein, dass er für Juda nachteilig war, so darf er dennoch nicht gebrochen werden.

3. Der Bund mit Gott

3.1. Herkunft und Alter der Bundestheologie im Pentateuch

Maßgeblich für die Datierung der alttestamentlichen Bundestheologie wurde die Sicht von Julius → Wellhausen: „Auch in der späterhin so sehr beliebt gewordenen Form des Bundes hat die Theokratie nicht seit Moses existirt. Das Verhältnis Jahves zu Israel war von Haus aus ein natürliches; kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von seinem Volke. … Die alten Hebräer hatten für Gesetz keine andere Vorstellung und keine andere Bezeichnung als die des Vertrages. … Dieser Sprachgebrauch, Berith (d.i. Vertrag) für Gesetz, ließ sich nun sehr bequem der prophetischen Grundidee anpassen und nach derselben deuten, wonach das Verhältnis Jahves zu Israel bedingt war durch die Forderungen seiner Gerechtigkeit, deren Inhalt durch sein Wort und seine Weisung explicirt wurde. … Seit dem feierlichen und folgenschweren Akte, durch den Josia dies Gesetz einführte, scheint die Idee der Bundesschließung zwischen Jahve und Israel in den Mittelpunkt der religiösen Reflexion gerückt zu sein; sie herrscht im Deuteronomium, bei Jeremias, Ezechiel, in Isa 40-66, Lev 17-26, und am meisten im Vierbundesbuche.“ (Wellhausen, 1927, 415-417). Wellhausens Vierbundesbuch ist in heutiger Bezeichnungsweise die → Priesterschrift (s.u.). Die Spätdatierung der Bundestheologie ergibt sich bei Wellhausen aus der Verbindung zwischen Bund und Gesetz; den zeitlichen Vorrang vor beiden hat die Prophetie. Zu einer Differenzierung dieser Sicht nötigten die Funde von Gesetzestexten aus dem Alten Orient, die ein höheres Alter von Teilen des alttestamentlichen Rechts nahe legten; dies gilt auch für die völkerrechtlichen Verträge.

Seit der Entdeckung der Staatsverträge aus dem → Hethiterreich wurde auf Analogien zu alttestamentlichen Bundesvorstellungen hingewiesen. Im Rahmen der formgeschichtlichen Methodik fielen die formalen Parallelen auf. George E. Mendenhall gliedert diese Texte nach dem Schema (The Anchor Bible Dictionary 1, 1180-1182):

a. Identification of the Covenant Giver

b. The Historical Prologue

c. The Stipulations

d. The Provision for Deposit and Periodic Public Reading

e. The List of Witnesses to the Treaty

f. The Blessings and Curses

g. The Ratification Ceremony

h. The Imposition of the Curses

Dies ist ein Idealtyp; in den einzelnen Verträgen (CScr II, 93-106) treten nicht immer alle Elemente auf. Mit diesem Schema geht Mendenhall auch die Sinaiperikope durch und findet in Ex 20,2 die Punkte a. und b., im → Dekalog den Punkt c., verweist für d. auf die → Bundeslade als Behältnis des Dekalogs und auf die Texte Jos 24,26; Ex 23,17; Dtn 27,11-26; für → Fluch und → Segen wäre auf Dtn 28 hinzuweisen; für den Punkt g. auf Ex 19,8; Ex 24,3; Jos 24,24. Mit diesem Vergleich wäre zu erwägen, dass die alttestamentliche Bundestheologie, wie sie uns in der Sinaiperikope entgegentritt, bis in die Spätbronzezeit zurückzuführen ist. Das methodische Problem dieser Sicht liegt darin, dass die Literar- und Redaktionskritik der Sinaiperikope faktisch nicht zum Tragen kommt.

Ein kürzeres und damit plausibleres und leichter zu handhabendes Schema hat Gerhard → von Rad einer seinerzeit viel beachteten Arbeit von Klaus Baltzer entnommen; es hat die Punkte:

1. Präambel

2. Vorgeschichte

3. Grundsatzerklärung

4. Einzelbestimmungen

5. Anrufung der Götter als Zeugen

6. Fluch und Segen.

Danach wäre die Grundsatzerklärung in Dtn 4-11 zu finden, in Dtn 12-26 die Einzelbestimmungen, in Dtn 27-28 Fluch und Segen. Auf die Anrufung der Götter als Zeugen würde das → Deuteronomium verständlicherweise verzichten. Der Sitz im Leben dieser Form, nach der das Deuteronomium disponiert ist, ist nach v. Rad dem Modell einer kultischen Begehung entnommen, etwa einem Bundeserneuerungsfest – eine Annahme, für die der Bundesschluss in Dtn 26,16-19 sprechen könnte. Dies würde aber nur für die Vorgeschichte des Deuteronomiums gelten; in seiner uns jetzt vorliegenden Gestalt ist der Sitz im Kultus verlassen, da sich das Deuteronomium an die Laiengemeinde wendet.

Diesen Versuchen einer Frühdatierung der alttestamentlichen Bundestheologie – in die Spätbronzezeit oder in die Epoche des vorstaatlichen Israels – hat Lothar Perlitt in einer magistralen Studie weitgehend den Boden entzogen. Ein wesentlicher Punkt liegt in dem Umstand, dass die Prophetie des 8. Jh.s den Bund nicht kennt; die Belege für ברית (bərît) in den entsprechenden Prophetenbüchern sind durchweg sekundär. Der Ursprung der Bundestheologie liegt für Perlitt im Deuteronomium, exemplarisch darstellbar anhand von Dtn 7. Das wesentliche Problem ist der Zusammenhang von Bund und Gesetz, der nach den o.g. Schemata traditionell und unhinterfragt vorauszusetzen wäre; die Dekonstruktion des älteren Forschungsparadigmas erstreckt sich nicht nur auf die Frage der zeitlichen Ansetzung, sondern auch auf einen wesentlichen inhaltlichen Gesichtspunkt: Bund und Gesetz gehören nicht ursprünglich zusammen. Nach Perlitt bezieht sich ברית (bərît) in der Grundschicht von Dtn 7 weder auf den → Sinai (im Deuteronomium als Horeb bezeichnet) noch überhaupt auf einen formellen Bundesschluss. Der Bund wurde den Vätern geschworen (שׁבע, Nifal). Die Verknüpfung des Bundes mit allen Geboten ist nicht im Begriff verankert, sondern bedarf eines neuen Einsatzes in Dtn 7,11.12b. Die Verse schließen mittels des Stichworts שׁמר („halten“) aneinander an; Dtn 7,12a ist sekundär. Aber auch in diesem neuen Einsatz stehen das Halten der Gebote und die Geltung des Vätereides nicht in einem konditionalen, sondern in einem wechselseitigen Verhältnis. „Bund“ ist hier nicht Chiffre für das Gesetz, sondern für die → Verheißung (Perlitt, 1969, 61). Zeitlich situiert Perlitt die älteste Stufe von Dtn 7 in den Jahrzehnten nach Hiskia.

Perlitts Studie untersucht im Wesentlichen das Vorkommen von ברית (bərît) im Alten Testament; dabei stellt sich die Frage, ob Elemente einer Bundestheologie auftreten können, ohne dass das Wort ברית (bərît) fällt. Dergleichen wäre für Hos 4,1-3 und die Visionsschilderungen im Amosbuch zu vermuten.

Der Vergleich mit den altorientalischen Parallelen erlebte eine Renaissance mit den Arbeiten von Hans Ulrich Steymans und Eckart Otto. Danach hätten neuassyrische Verträge, vor allem die Vereidigung unter → Asarhaddon, das Modell für eine Version des Deuteronomiums gebildet, die aus Teilen des jetzigen Textes von Dtn 13 und Dtn 28 bestand.

Die wörtliche Rezeption des assyrischen Loyalitätseides hat nach Otto einen subversiven Charakter, denn sie entzieht mit der Übertragung der Loyalitätsforderung auf Jahwe dem assyrischen Großkönig die Legitimation seiner Herrschaft. Die Macht des Hegemonialstaates wird durch Gott begrenzt und die kulturgeschichtliche Relevanz liegt darin, dass sich das Konzept von Grundwerten ankündigt, die nicht außer Kraft gesetzt werden können (Otto, 175ff). Mit dieser Rekonstruktion einer Urfassung des Deuteronomiums war der Zusammenhang zwischen (dem ersten) Gebot und Bund in der Forschung wieder hergestellt. Doch bleiben sowohl dieser Zusammenhang als auch die literarische Rekonstruktion umstritten (→ Deuteronomium).

Ob in Ex 34,10 eine alte Erwähnung eines Sinaibundes vorliegt, bleibt wegen der mannigfachen Probleme der Sinaiperikope fraglich. In ihrer jetzigen Fassung verbindet sie den Bundesschluss und die Mitteilung von Gesetzen, darunter das seinen bezeichnenden Namen tragende → Bundesbuch. Dies ist im Wesentlichen ein deuteronomistisches Erbe. Diese Redaktoren- und Verfasserkreise nehmen die Bundesvorstellung auf, um die Katastrophe von 722 v. Chr. und 587 v. Chr. zu erklären: Israel hat den Bund gebrochen und die Konsequenzen zu tragen (2Kön 17,15.35.38).

Die Priesterschrift vermeidet negative Aussagen dieser Art und löst die Verbindung zwischen Bund und Gesetz (→ Priesterschrift). So verlegt sie den ersten Bund in die Urgeschichte; Gott schließt ihn mit Noah und allen Lebewesen in Gen 9. Dieser Bundesschluss verbindet sich genauso wenig mit der Mitteilung von Gesetzen wie der Bund mit Abraham und seinen Nachfahren in Gen 17. Mit der ברית (bərît) geht Gott eine einseitige Selbstverpflichtung ein, die dann von dem menschlichen Gegenüber nicht gebrochen werden kann. Charakteristisch für die Priesterschrift ist das Bundeszeichen, in Gen 9,17 der Regenbogen, ein Sinnbild für den entspannten Kriegsbogen, und in Gen 17,11 die Beschneidung, die im Judentum zum Synonym für ברית (bərît) wird. Wellhausen hatte die Priesterschrift als „Vierbundesbuch“ benannt und für sie das Siglum „Q“ (für lateinisch quattuor) eingeführt (s.o.), eine Sprachregelung, die sich nicht behaupten konnte, weil der von ihm angenommene Schöpfungs- und Sinaibund in dieser Schrift nicht nachweisbar ist. Gleichwohl kennt die Priesterschrift vier Bundesverheißungen: Gen 9,9-11; Gen 17,6-8; Ex 6,4-7; Ex 29,44-46, wobei bei den beiden letzten Belegen die Bundesformel bezeugt ist.

Die Bundeszeremonie in Gen 15 ist in ihrer Quellenzugehörigkeit umstritten; sie ist bemerkenswert, da sie das eigentümliche Vokabular des Bundesschließens (כרת ברית) mit einem Ritus veranschaulicht, nach dem Tiere hälftig durchschnitten werden. Derartiges findet sich in Jer 34,18 und in hethitischen Ritualen.

3.2. Der Bund in den Prophetenbüchern

Ein aufschlussreicher Versuch der Herleitung der alttestamentlichen Bundestheologie aus der Prophetie ist Christoph Levin zu verdanken. Ausgangspunkt ist das Wort vom neuen Bund in Jer 31. Die rekonstruierte Vorlage lautet nach Levin:

Siehe, Tage kommen, Spruch Jahwes, da wird man nicht mehr sagen: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, und die Zähne der Söhne werden stumpf!“, sondern ein jeder wird für die eigene Schuld sterben. Siehe, Tage kommen, Spruch Jahwes, da wird man nicht mehr lehren, ein jeder seinen Nächsten und jeder seinen Bruder, und sagen: „Erkennt Jahwe!“, sondern man wird mich allzumal erkennen.

Neben diese beiden Heilsworte aus Jer 31,27-34 tritt noch Jer 16,14-15aα. Die drei Texte stammen aus den ersten Jahren nach der Katastrophe von 587 v. Chr.; ein Gegenstück zu dem Spruch mit den stumpfen Zähnen bietet Klgl 5,7. Die o.g. Heilsworte kennen die Schemata von Ungehorsam und → Gericht, die in der spät- und nachexilischen Theologie geläufig werden, noch nicht. Verglichen mit dem jetzigen Text von Jer 31 fehlt diesen Vorstufen auch der Hinweis auf die Bundestheologie.

Deren Eindringen in den Text von Jer 31 beruht nach Levin auf einer Vernetzung von Fortschreibungen, die zunächst auf Jer 11,3b-6.9a.10b-11 und Jer 1,10.12 weist. Die Botschaft vom neuen Bund aktualisiert die o.g. frühexiIischen Verheißungen; sie greift zugleich auf andere, bereits vorliegende Texte aus dem Jeremiabuch zurück, die indes in den Bereich der → Unheilsprophetie gehören. Diese verliert ihre Ausweglosigkeit und wird ins Positive gewendet.

Seinerseits geht der von Levin rekonstruierte Kernbereich von Jer 11 auf Jer 7,21-23 zurück. Nach dem Prophetenwort in Jer 7,21 verzichtet Jahwe, so sagt der Prophet seinen Zuhörern mit schneidendem Sarkasmus, auf den ihm gewidmeten Anteil, die Brandopfer, damit ihr euch doppelt voll essen könnt. Das Prophetenwort erhält in Jer 7,22-23 in Prosa eine Begründung, die die Anklage nicht fortführt, sondern in eine heilsgeschichtlich begründete Paränese einmündet und mit einer bedingten Verheißung schließt. Das Sprachgewand ist deuteronomisch, nicht jedoch die Sache. Mit dem Bund, der mit dem Auszug aus Ägypten verbunden ist, steht der Abschnitt im Gegensatz zum Horeb- und Moabbund des Deuteronomiums; die Polemik gegen die Opfer will nicht zu einem Kerngedanken des Deuteronomiums, der Kultuszentralisation (→ Josia), passen. Nach Levin wird eine neue Art des Gehorsams geboten; an die Stelle einer Anzahl von Geboten tritt eine umfassende Grundhaltung vor Gott.

Mit dem Prophetenwort von Jer 7,21 war die ursprüngliche Verbindung zwischen Jahwe und Israel, auf die schon Wellhausen in dem o.g. Zitat hinwies, für gekündigt erklärt worden – diese ursprüngliche Verbindung in natürlicher Selbstverständlichkeit war auch nicht mehr zu restituieren. An ihre Stelle tritt eine bewusst reflektierte Haltung vor Gott. Im Anschluss an die spätvorexilische Unheilsprophetie des 6. Jh. entsteht die alttestamentliche Bundestheologie, die in Jer 7 noch ohne den Begriff „Bund“ auskommt und nur die Bundesformel („ich will euer Gott sein“) nennt.

In Jer 7,21 wird das Verhältnis zu Israel von Seiten Jahwes aufgekündigt; in Jer 11 ist dies umgekehrt; mit dem Bundesbruch Israels wird die Katastrophe von 587 v. Chr. gedeutet. Die Entlastung Jahwes hat die Belastung der durch den Schicksalsschlag schwer Getroffenen zur Folge; aus der Ausweglosigkeit führen die Botschaft → Deuterojesajas, die Neukonzeption der Bundestheologie in der Priesterschrift (s.o.) und die Verheißung des neuen Bundes.

Es wäre ein neuzeitliches Missverständnis, wollte man „neu“ im Sinne eines prinzipiellen, qualitativen Gegensatzes zum Vorhergehenden verstehen. „Neu“ heißt „vor kurzem gefertigt, unverbraucht“. Die Bundestheologie richtet sich – nimmt man ihr Florieren ab der Exilszeit in den Blick – auf die Wiederherstellung des Verhältnisses zwischen Jahwe und Israel; der Bund ist insofern immer schon ein neuer Bund, als dass mit dieser Chiffre eine naturwüchsige Beziehung abgelöst wird durch eine bewusste und reflektierte. In dem neuen Bund in Jer 31 ist das Ziel der Bundestheologie bewahrt, die restitutio ad integrum.

Die Verinnerlichung der → Tora in dem Satz „Ich gebe meine Tora in ihr Inneres, und auf ihr Herz will ich sie schreiben“ (Jer 31,33) gehört nach Levin in die hellenistische Zeit. Mit ihr wird die Kluft zwischen Gottes Gebot und dem Wollen des menschlichen Herzens, das im Deuteronomium stets in Gefahr steht, auf Abwege zu geraten, von Gott selbst geschlossen.

Wo der Ursprung der Bundestheologie liegt, im exilischen Nachgang der Prophetie oder in der politischen und geistigen Krise, welche die assyrische Westexpansion hervorgerufen hat, bleibt eine Frage, die auf dem Felde der Deuteronomiumforschung zu klären ist. Möglicherweise hat sie sich in zunächst voneinander unabhängigen Schüben entwickelt.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.

2. Weitere Literatur

  • Baltzer, K., 4. Aufl. 1964, Das Bundesformular (WMANT 4), Neukirchen-Vluyn
  • Helck, W., 2. Aufl. 1971, Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. (Ägyptologische Abhandlungen 5), Wiesbaden
  • Levin, C., 1985, Die Verheißung des neuen Bundes (FRLANT 137), Göttingen
  • Lohfink, N., 1991, Art. Bund, in: NBL 1, 344-348
  • Mendenhall, G.E. / Herion, G.A., 1992, Art. Covenant, in: The Anchor Bible Dictionary 1, 1179-1202
  • Otto, E., 1999, Das Deuteronomium (BZAW 284), Berlin / New York
  • Perlitt, L., 1969, Bundestheologie im Alten Testament (WMANT 36), Neukirchen-Vlyun
  • Rad, G. von, 2. Aufl. 1968, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium (ATD 8) Göttingen
  • Rüterswörden, U., 1998, Bundestheologie ohne ברית, ZAR 4, 85-99
  • Steymans, H.U., 1995, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons (OBO 145), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Stolz, F. / Gertz J.C., 1998, Art. Bund, in: Religion in Geschichte und Gegenwart (4. Auflage), 1, 1862-1865
  • Weinfeld, M., 1973, Art. ברית in: ThWAT 1, 781-808
  • Wellhausen, J., 1927, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin und Leipzig
  • Zimmerli, W., 1969, Sinaibund und Abrahamsbund, in: ders., Gottes Offenbarung (Theologische Bücherei 19), München, 205-216

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