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Brief / Briefformular (AT)

(erstellt: Juli 2006)

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1. Hebräische Briefe

1.1. Briefe im Alten Testament

1.1.1. Korpus

Das Alte Testament enthält nur wenige Briefzitate in hebräischer Sprache. Zu nennen sind:

1.1.2. Formular

Charakteristisch für alle genannten Belege ist, dass sie in den jeweiligen Erzählkontext integriert sind – sie also anders als z. B. die neutestamentlichen Briefe nicht als selbständige Literaturgattung erscheinen – und deswegen keine formalen Elemente wie Adresse, Grußformel oder Datumsangaben enthalten. Zitiert wird lediglich das Briefkorpus mit dem inhaltlichen Kern der Botschaft. Eine Ausnahme ist die Verwendung des Transitionsmarkers ועתה „und nun“ als typische Überleitung vom Präskript zum Briefkorpus in 2Kön 5,6 und 2Kön 10,2. An die Stelle des Adressformulars tritt in der Regel eine frei formulierte Erzählüberleitung, so z.B. in 2Kön 10,1-2: „Da schrieb Jehu Briefe und sandte sie nach Samaria … wie folgt: Und nun …“. Die Funktion der Briefzitate im Rahmen der Erzählung unterscheidet sich kaum von ähnlich eingeleiteten Zitaten mündlicher Rede. Bei beiden handelt es sich um Stilmittel, die den Fortgang der Handlung entwickeln. Die Schriftform des Briefes ermöglicht die Kommunikation zwischen Absender und Empfänger trotz des größeren räumlichen Abstandes.

1.2. Epigraphische Briefe

1.2.1. Korpus

Die meisten epigraphisch-hebräischen Briefe stammen aus Arad und Tell ed-Duwēr [Tell ed-Duwer] / Lachisch (6. Jh. v. Chr.). Es handelt sich weitgehend um Hortfunde, von denen sich nur etwa 25 Texte in einem für die Auswertung des Briefformulars brauchbaren Erhaltungszustand befinden. Der Inhalt bezieht sich auf militärische und administrative Angelegenheiten (Lachisch) sowie Proviantlieferungen (Arad). Einzelne Briefzeugnisse finden sich auch im 7. und 8. Jh. v. Chr. Aus dem 9. Jh. v. Chr. stammen Briefformelinschriften aus Kuntillet ‘Aǧrūd (→ Kuntillet ‘Aǧrūd [Kuntillet Agrud]). Zu vergleichen sind ferner ein edomitisches Ostrakon aus Chorvat ‘Uzzā [Chorvat Uzza] (7. Jh.), ein ammonitisches Ostrakon aus Tell el-Mazār [Tell el-Mazar] (6. Jh.) sowie ein in Ägypten gefundener phönizischer Privatpapyrus (6. Jh.). Die kanaanäischen Briefformeln des 1. Jahrtausends v. Chr. weisen erhebliche Gemeinsamkeiten auf, so dass sie unter dem Oberbegriff „hebräisch-kanaanäische Brieftradition“ zusammenfassend betrachtet werden können. Bei den meisten Texten handelt es sich um Ostraka (Tonscherben), da sich Papyri nur in den regenarmen Regionen am Toten Meer und in Ägypten erhalten konnten.

1.2.2. Formular

Typische Briefe beginnen mit einem stark formalisierten Präskript, das aus einer Adresse und anschließenden Gruß- und Segensformeln besteht. Der Übergang zum frei formulierten Briefkorpus erfolgt oft durch den Transitionsmarker ועתה „und nun“. Am Ende des Briefes können weitere formale Elemente wie Grußformeln oder Datumsangaben erscheinen. Ostraka als alltägliche Kurzbriefe enthalten selten alle genannten Elemente, sondern eine dem Anlass entsprechende Auswahl aus dem bestehenden Repertoire.

Das hebräische Briefformular des 1. Jahrtausends ist nicht isoliert entstanden, sondern speist sich vor allem aus zwei Quellen. So bestehen zum einen Verbindungen zu anderen altorientalischen Brieftraditionen, die sich über ugaritische und akkadische Textfunde bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen lassen (Salonen 1967; Schwiderski 2000, 269-292; Tropper 2003). Gleichzeitig wird man aber auch von einer stetigen Prägung durch mündliche Grußformen ausgehen müssen, von denen einige im Alten Testament bezeugt sind (Lande 1949; Schwiderski 2000, 293-304). Die Bezeugung hebräisch-kanaanäischer Briefe bricht mit dem Ende des judäischen Staates im 6. Jh. v. Chr. ab und setzt erst in der Zeit des Bar-Kochba-Aufstandes (132-135 n. Chr.) wieder ein (Schwiderski 2000, 305ff).

Als Adressformeln begegnen drei Grundtypen:

Typ 1 stilisiert in verschiedenen Varianten den Vorgang einer Botschaftsüberbringung:

[Empfänger]-אמר ל [Absender] אמר

„Es sprach [Absender]: Sprich zum [Empfänger]“

oder

[Empfänger]-ל [Absender] אמר

„Hiermit spricht [Absender] zum [Empfänger]“.

Typ 2 kombiniert Adress- und Grußformel:

[Empfänger] שלח לשלם [Absender]

„[Absender] sendet <diesen Brief> zum Heil des [Empfängers]“.

Typ 3 nennt lediglich den Empfänger:

[Empfänger] אל

„An [Empfänger]“.

Auf das Adressformular folgen – je nach Situation – Gruß- und Segensformeln in unterschiedlicher Ausführlichkeit. Belegt sind:

● Segensformeln mit dem Verbum ברך

(z.B. [Gottesname]- ברכתך ל „Ich segne dich durch [Gottesname]“),

● Erkundigungen nach dem Wohl des Empfängers

(השלם את „Geht es dir gut?“) sowie

● diverse Segenswünsche

(z.B. עת כים [gute Nachricht] את אדני [Gottesname] ישמע „[Gottesname] möge meinem Herrn hören lassen [gute Nachricht] gerade jetzt!“ oder ישאל לשלמך [Gottesname] „[Gottesname] möge sich um dein Heil kümmern!“).

Für eine ausführliche Darstellung s. Pardee 1982; Schwiderski 2000, 21-89.

2. Aramäische Briefe

2.1. Briefe im Alten Testament

2.1.1. Korpus

Im Alten Testament finden sich auch aramäischsprachige Briefe:

  • Dan 3,31-33: König Nebukadnezar an die Völker der Erde;
  • Dan 6,26-28: König Darius an die Völker der Erde;
  • Esr 4,11-16: Rehum, Schimschai usw. an König Artaxerxes;
  • Esr 4,17-22: Reskript des Artaxerxes an Rehum, Schimschai usw.;
  • Esr 5,7-17: Tattenai, Gouverneur von Transeuphratene, usw. an König Darius;
  • Esr 6,6-12: Reskript des Darius an Tattenai usw.;
  • Esr 7,12-26: Begleitschreiben des Königs Artaxerxes an Esra.

2.1.2. Formular

Im Unterschied zu ihren hebräischen Entsprechungen bieten die aramäischen Briefe des Alten Testaments neben dem Briefkorpus, das zumeist mit וכענת oder כען „(und) nun“ eingeleitet wird, auch Adress- und Grußformeln.

Das Danielbuch verwendet als Adressformel den Typ „[Absender] (schrieb; כתב) an (ל) [Empfänger]“, der sich auch in Esr 7,12 und verkürzt in Esr 5,7 findet ([Empfänger]-ל „an [Empfänger]“). Esr 4,11 und Esr 4,17 verwenden abweichend den Typ [Absender] - [Empfänger] על „an [Empfänger] - [Absender]“ bzw. verkürzt [Empfänger] על „an [Empfänger]“.

Bemerkenswert sind die für das aramäische Briefformular untypischen Grußformeln ישגא שלמכון „euer Heil möge groß werden“ in Dan 3,31 und Dan 6,26 sowie die wohl auf den griechischen Einwortgruß (pollá / pleísta) chaírein „(viel / sehr viel) Gruß“ zurückgehenden isolierten Grußformeln שלם „Heil“ (Esr 4,17) bzw. כלא שלמא „alles Heil“ (Esr 5,7). Nicht der Konvention entsprechend ist auch das Fehlen einer Grußformel in einem Schreiben an den König als dem Ranghöheren (Esr 4,11), wogegen die Antwort des Königs einen Gruß aufweist (Esr 4,17). Nicht nur der Briefstil des Danielbuches, sondern auch das Formular der im Esrabuch enthaltenen ‚Urkunden’ entspricht in wesentlichen Punkten nicht dem reichsaramäischen Briefformular der Perserzeit. Es handelt sich um literarische Stilisierungen.

2.2. Epigraphische Briefe

2.2.1. Korpus

Neben den alttestamentlichen Briefen sind ca. 100 aramäische Briefe auf Papyrus, Leder oder Ostraka erhalten, die sich für eine Untersuchung des Briefformulars eignen. Der Bezeugungszeitraum reicht vom 7.-3. Jh. v. Chr. Die meisten erhaltenen Texte stammen aus Ägypten und sind im Zeitraum von 500-400 v. Chr. verfasst worden. Wichtige Korpora sind die Papyri von Hermopolis (Hortfund gut erhaltener Familienbriefe), die Texte des Jedanjah-Archivs in → Elephantine, die offizielle Korrespondenz des persischen Satrapen Aršama an seine ägyptischen Besitzungen sowie eine größere Zahl Ostraka aus Elephantine, die durch einen anonymen Schreiber verfasst wurden. Die aramäische Brieftradition bricht nach dem Ende des Perserreiches ab und wird im 3. Jh. v. Chr. durch die Verwendung des Griechischen als Korrespondenzsprache verdrängt. Erst im 1. und 2. Jh. n. Chr. sind wieder aramäischsprachige Briefe als Ausdruck nationaler und kultureller Selbstbesinnung bezeugt, ohne dass an die alten perserzeitlichen Formen angeknüpft wird. Stattdessen wird das griechische Grußformular chaírein „Gruß“ und der Schlussgruß érrōso / érrōsthe „lebe / lebet wohl!“ durch einfaches שלם und הוה שלם (mit הוא und הוי als Varianten) eins zu eins übertragen (vgl. hierzu Schwiderski 2000, 305-322; Text der hebräischen und aramäischen Bar Kosiba-Briefe bei Yardeni 2000, A. 64-69; B. 155-183).

2.2.2. Formular

Typisch für Schreiben auf Papyrus oder Leder an gleichrangige oder ranghöhere Empfänger sind ausführliche Grußformeln, von denen hier nur einige Beispiele genannt werden können:

שגיא) בכל עדן) [Gottesname] ישאל [Empfänger] שלם

„Um das Heil des [Empfängers] möge sich [Gottesname] (sehr) kümmern zu allen Zeiten!“;

זי יחזני אפיך בשלם [Gottesname]-ברכתך ל

„Ich segne dich durch [Gottesname], der mir dein Angesicht wohlbehalten zeigen möge!“;

שלם ושררת שגיא הושרת לך

„Heil und Stärke sende ich dir in besonderem Maße!“;

[Personenname] לרחמן ישימנך קדם מלכא

ובני ביתא יתיר מן זי כען חד אלף

„In Gunst möge er (sc. Gottname) dich setzen vor dem König [Personenname]

und den ‚Söhnen des Hauses’ 1000 Mal mehr als es jetzt der Fall ist!“.

Stark verkürzte Formen finden sich dagegen nur in kurzen Alltagsbotschaften auf Ostrakon [Grußempfänger] שלם „Heil [dem Grußempfänger]!“.

Zahlreiche Grußformeln und Erkundigungen nach dem Wohlergehen des Empfängers finden sich in privaten Schreiben, in denen auch am Briefende noch Schlussgrüße verwendet werden:

לשלמך שלחת ספרה זנה

„Zu deinem Heil sende ich diesen Brief!“.

Nur in offiziellen Schreiben finden sich die folgenden Angaben:

Datum

מלכא [Personenname] Y שנת [Monatsname]-ל X-ב

„am <Tag> X des [Monatsname] des Jahres Y des Königs [Personenname]“,

Funktionsbezeichnungen

ידע טעמא זנה [Personenname]

„[Personenname] ‚kennt’ diese Anordnung“

oder auch Inhaltsangaben (על זי „Betrifft das, was“).

Für einen detaillierten Überblick zum aramäischen Formular s. Schwiderski 2000, 91-101, 220-227. Auch das aramäische Briefformular des 1. Jahrtausends weist Verbindungen zu anderen altorientalischen Brieftraditionen auf (a.a.O. 269-292).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992 (Art. Hebrew Letters, Aramaic Letters; Bar Kokhba Letters)
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Art. Brief)

2. Quellen

  • Lindenberger, J. M., 2003, Ancient Aramaic and Hebrew Letters (Writings from the Ancient World 14), Atlanta, Georgia, 2. Aufl.
  • Porten, B. u.a. (Hgg.), 1996, The Elephantine Papyri in English. Three Millennia of Cross-Cultural Continuity and Change (Idocumenta et Monumenta Orientis Antiqui 22), Leiden u.a.
  • Porten, B. / Yardeni, A., 1986-1999, Textbook of Aramaic Documents from Ancient Egypt. Newly Copied, Edited and Translated into Hebrew and English. Vol.1: Letters. Appendix: Aramaic Letters from the Bible, Vol. 4: Ostraca & Assorted Inscriptions, Jerusalem
  • Renz, J. / W. Röllig (Hgg.), 1995-2003, Handbuch der althebräischen Epigraphik, Darmstadt
  • Yardeni, A. (Hg.), 2000, Textbook of Aramaic, Hebrew and Nabataean Documentary Texts from the Judaean Desert and Related Material. Vol.A: The Documents; Vol.B: Translation, Palaeography, Concordance, Jerusalem

3. Weitere Literatur

  • Fitzmyer, J. A., 1982, Aramaic Epistolography, Semeia 22, 25-57
  • Lande, I, 1949, Formelhafte Wendungen der Umgangssprache im Alten Testament, Leiden
  • Pardee, D., 1982, Handbook of Ancient Hebrew Letters. A Study Edition (Sources for Biblical Study 15), Chico/California
  • Porten, B., 1980, Aramaic Letters: A Study in Papyrological Reconstruction, Journal of the American Research Center in Egypt 17, 39-75, 44 fig.
  • Salonen, E., 1967, Die Gruß- und Höflichkeitsformeln in babylonisch-assyrischen Briefen (Studia Orientalia 38), Helsinki
  • Schaack, Th., 1998, Die Ungeduld des Papiers. Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums katab im Kontext administrativer Vorgänge (BZAW 262), Berlin / New York
  • Schwiderski, D., 2000, Handbuch des nordwestsemitischen Briefformulars. Ein Beitrag zur Echtheitsfrage der aramäischen Briefe des Esrabuches (BZAW 295), Berlin / New York
  • Tropper, J., 2003, Das ugaritische Briefformular, in: A. Wagner (Hg.), Bote und Brief, Frankfurt a.M. u.a., 63-74
  • Wagner, A. (Hg.), 2003, Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsübermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Nordostafrikanisch-westasiatische Studien 4), Frankfurt a.M. u.a.

Abbildungsverzeichnis

  • Brief eines Truppenführers an seinen Kommandanten in Lachisch (Lachisch-Ostrakon 4; 6. Jh.): „Es möge Jahwe meinen Herrn jetzt heute eine Nachricht des Guten hören lassen. …“ © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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