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Botensendung / Botenformel / Botenspruch

(erstellt: Oktober 2006)

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1. Botensendung

Ohne Zweifel war die Sendung von → Boten im Alten Orient von grundlegender Bedeutung für die Kommunikation über größere Distanzen. Literarische Texte, die den Vorgang der Botensendung spiegeln, greifen insbesondere auf die formale Prägung des Botenverkehrs in der Diplomatie zurück. Die Botensendung hat einige sprachliche Formen hervorgebracht. Dazu gehören die Botenformel und der Botenspruch mit je unterschiedlichem Formalisierungsgrad. Im Zusammenhang mit der Aussendung eines Boten wird gewöhnlich das Verb שׁלח šlch „schicken / senden“ verwendet.

Doch ist dies nicht überall der Fall: so wird bei der Aussendung des Knechts, der mit der Brautwerbung für Isaak betraut wird (Gen 24,1ff), berichtet, Abraham habe den Knecht durch einen Schwur zu dieser Aufgabe verpflichtet, ohne dass das Verb שׁלח verwendet wird.

Prophetie. In der Erzählung von der Berufung Jesajas (Jes 6) wird das Verb שׁלח verwendet, sowohl bei der einleitenden Frage: „Wen soll ich senden?“, als auch bei der Antwort des Propheten: „Hier bin ich, sende mich!“. Der Auftrag besteht in Jes 6 – wie an vielen anderen Stellen – darin, „hinzugehen“ und etwas zu „sagen“ (אמר), also eine verbale Mitteilung an einen entfernten Kommunikationspartner zu überbringen.

2. Botenformel

Die Botenformel wird auch Zitatformel (Bjørndalen) genannt. Sie lautet in ihrer grundlegenden Form כה אמר … „so sagte / sprach NN“. Mit dieser Formel markiert der Bote die Botschaft, die er übermittelt, indem er darauf verweist, dass der folgende Text vom Sender der Botschaft so in Auftrag gegeben wurde. Inwiefern folgende Botenrede dann tatsächlich wörtliches Zitat war, ist von untergeordneter Bedeutung. In literarischen Texten markiert die Formel die Stelle, an der das Zitat der Worte des Auftraggebers einsetzt. Der Abschluss des Zitats wird gelegentlich durch die Formel אמר … „NN sagte / sprach“ markiert.

Die damit beschriebene Grundform kann durch eine vorangestellte Konjunktion (כי „denn“, לכן „darum“) oder eine angefügte Präpositionalgruppe (besonders אל „zu“) erweitert werden. Wagner hält diese Varianten für eigene Formeln.

Prophetie. Von den ca. 500 alttestamentlichen Belegen der Botenformel entfallen 365 auf die Prophetenbücher, wobei jeweils JHWH als Absender der Botschaft genannt wird. Inmitten eines Zitates, aber auch an dessen Ende kann in prophetischen Texten die Formel נאם יהוה „JHWH-Wort“ stehen.

Die Botenformel כה אמר … „so sagte / sprach NN“ besteht aus einen Verbalsatz mit einem Prädikat im Perfekt (qatal, Afformativkonjugation), dem Namen des Absenders als Subjekt und einem Adverb in der Anfangsposition (Satzadverb am Redebeginn vgl. v. Polenz, 1988, 224). Die gewöhnliche Bedeutung des hebräischen Perfekt ist die temporale Relation der Vorzeitigkeit („so sagte / sprach NN“). Das entspricht der in der Formel vorausgesetzten oder imaginierten Situation der Übermittlung einer Nachricht durch einen Boten.

In deutschen Übersetzungen der Botenformel wird die hebräische Perfektform (qatal, Afformativkonjugation) sowohl in der Vergangenheit (Präteritum „so sagte / sprach NN; Perfekt „so hat NN gesagt / gesprochen“) als auch mit dem Präsens („so sagt / spricht NN“) wiedergegeben. Die präsentische Übersetzung der hebräischen Perfektform muss jedoch drei Voraussetzungen machen:

1. Das Perfekt drückt einen Koinzidenzfall aus (= direkte performative Äußerung, d.h. mit der verbalen Äußerung wird die in der Äußerung bezeichnete Handlung ausgeführt, z.B.: „Hiermit begrüße ich Sie!“). Jedoch drückt das Perfekt sonst nur sehr selten einen Koinzidenzfall aus.

2. Die in der Botenformel verwendete dritte Person steht eigentlich für eine erste Person. Der Koinzidenzfall verlangt nämlich die erste Person. Eine Redeweise, die die erste Person durch eine dritte Person ersetzt, findet sich im Alten Testament zwar häufiger, besonders bei Reden von untergeordneten Personen an höhergestellte (z.B. spricht Arauna gegenüber König David von sich selbst in der dritten Person; 2Sam 24,21-23), fraglich ist jedoch, inwiefern sie bei Koinzidenzfällen belegt ist. GesK §106i nennen für diesen Fall nur Äußerungen in der ersten Person, Waltke / O’Connor 1990, 488, nennen als Beispiel nur 2Sam 24,22-23. Bei der Botenformel müsste dieser Ausnahmefall als Regelfall angenommen werden.

3. Die Botenformel ist zuweilen um die präpositionale Fügung אלי „zu mir“ erweitert und schließt damit die 2. Voraussetzung aus. Für diese Fälle muss man annehmen, dass es sich um eine ganz andere Formel handelt, die in genau diesen Fällen präterital zu verstehen ist. Dies wird von den Befürwortern dieser These damit begründet, dass die Formel mit der Erweiterung אלי „zu mir“ nur in Berichten von symbolischen Handlungen vorkomme, vom Kontext der Botensendung deshalb zu trennen und als völlig eigenständige Formel aufzufassen sei (Wagner, 260ff). Jedoch wird umgekehrt die Botenformel ohne die präpositionale Erweiterung auch im Zusammenhang von Zeichenhandlungen verwendet (z.B. Jer 16,5). Das spricht nicht dafür, dass zwischen den beiden Varianten große Differenzen empfunden wurden.

Da die These von der präsentischen Übersetzung der Botenformel nicht überzeugen kann, ist die der hebräischen Grammatik am besten entsprechende deutsche Übersetzung das Präteritum.

In den Prophetenbüchern gibt die Botenformel dem Selbstbewusstsein der Propheten Ausdruck, von Gott eine bestimmte Botschaft erhalten zu haben, um diese an Dritte – Einzelpersonen, Gruppen oder das gesamte Volk Israel – weiterzugeben. Besonders häufig und mit größter Dichte ist die Formel כה אמר יהוה „so sagte / sprach JHWH“ in den Büchern Jeremia (156) und Ezechiel (125) belegt. Während unter den frühen Propheten im Zwölfprophetenbuch Hosea und Zefanja die Formel nicht aufweisen, tritt sie bei Micha zweimal auf (Mi 2,3; Mi 3,5), von den 15 Vorkommen in der Amosschrift entfallen allein acht auf die Völkersprüche in Am 1-2. In den Visionsberichten, dem wahrscheinlich ältesten Teil der Schrift, fehlt sie dagegen. Der Befund spricht dafür, dass die explizite Stilisierung der Propheten als „Boten Gottes / JHWHs“, wie sie die Verwendung der Botenformel voraussetzt, in der alttestamentlichen Literatur erst im Laufe der Geschichte in den Vordergrund trat. Dazu würde auch die Beobachtung passen, dass erst die späten Prophetenschriften die Propheten mit Boten Gottes in Zusammenhang bringen, bzw. die Propheten als Boten bezeichnen. Andererseits findet sich im Alten Orient bereits in den → Mari-Briefen (1. Hälfte des 18. Jh.s v. Chr.) eine vergleichbare Neigung, die Prophetensprüche durch Formeln als Rede der Gottheit zu markieren.

3. Botenspruch

Als Botenspruch bezeichnet man den Teil der Rede eines Boten, in dem der Absender wörtlich zitiert wird. Der Bote spricht als sei er der Auftraggeber.

Prophetie. Handelt es sich bei dem Boten um einen Propheten, kommt nach dem Anspruch der Texte nicht der Prophet, sondern Gott selber zu Wort (Ich-Stil), z.B. in Am 5,4 „Denn so sprach JHWH zum Hause Israel: Suchet mich, so werdet ihr leben!“ In prophetischer Rede wird folglich zwischen dem unterschieden, was der Prophet in eigener Vollmacht sagt (Prophetenwort), und dem, was der Prophet unmittelbar von Gott vernommen zu haben glaubt und deshalb im Botenspruch als Gotteswort mit dem „Ich“ Gottes vorbringt.

Der Botenspruch hat über die genannten Merkmale hinaus keine einheitliche Form, in ihm können vielmehr unterschiedliche Redeformen zum Einsatz gelangen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Bjørndalen, Anders Jørgen, 1974, Zu den Zeitstufen der Zitatformel … כה אמר im Botenverkehr, ZAW 86, 393-403
  • Krispenz, Jutta, 1998, Grammatik und Theologie in der Botenformel, ZAH 11, 133-140
  • Polenz, Peter v., 1988, Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen – den – Zeilen – Lesens, Berlin / New York
  • Rendtorff, Rolf, 1962, Botenformel und Botenspruch, ZAW 74, 165-177
  • Wagner, Andreas, 2004, Prophetie als Theologie. Die so spricht Jahwe-Formeln und das Grundverständnis alttestamentlicher Prophetie (FRLANT 207) Göttingen
  • Waltke, Bruce K. / O’Connor, M., 1990, An Introduction to Biblical Hebrew Syntax, Winona Lake

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