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Bote / Gesandter (AT)

(erstellt: Oktober 2006)

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1. Einleitung

Boten sind erforderlich für die Übermittlung von Informationen über Entfernungen, die eine direkte Kommunikation nicht mehr erlauben, aber auch in Situationen, in denen die Distanz der Kommunikationspartner betont wird (2Kön 5; → Brief). Die Notwendigkeit für den Einsatz von Boten besteht, solange nicht technische Mittel die reale Distanz überbrücken lassen oder symbolische Distanz für erforderlich gehalten wird.

2. Boten im alten Orient

Die Möglichkeit einer Kommunikation über Boten wurde im alten Orient überall genutzt.

Der Bote ist bei der Übermittlung der Botschaft in unterschiedlichen Graden aktiv: die Bandbreite reicht vom bloßen Überbringer einer schriftlichen Botschaft, auf die der Bote keinen Einfluss hat (2Sam 11) bis zu anderen Fällen, in denen der Bote weitaus stärker aktiv ist, etwa dort, wo er als Gesandter nicht nur eine Botschaft übermittelt, sondern einen Auftrag erfüllt (Gen 24, 2Kön 23,1) oder Verhandlungen führt (vgl. etwa 2Kön 18,17ff und den Reisebericht des Wenamun, TGI, 41-49, Texte aus Ägypten). Die Bezeichnungen für den Boten haben einen entsprechend weiten Bedeutungsumfang. Für das mittelägyptische Wort wpwtj gibt R. Hannigs Wörterbuch als Bedeutungen an: „Bote / Beauftragter / Agent / Kurier / Gesandter / Kommissar“. Das akkadische mār šipri hat ein ähnlich weites Bedeutungsspektrum.

Der Aufgabenbereich des Boten überschneidet sich im alten Orient mit der Tätigkeit des Kaufmanns, besonders dort, wo Verhandlungen um Warenlieferungen Aufgabe des Boten sind (so z.B. im Bericht des Wenamun). Ansonsten sind Boten in allen Bereichen des Lebens und in allen sozialen Zusammenhängen bekannt oder wahrscheinlich. Besondere Bedeutung erlangen sie im alten Orient im profanen Bereich in der Kommunikation der Staaten untereinander, in der Diplomatie.

Entsprechend der Bandbreite der möglichen Aufgaben eines Boten bildeten die Boten keine sozial homogene Gruppe: Als Bote konnte jeder fungieren. Im Botenverkehr der antiken Staaten untereinander wurden, je nach Bedeutung des Auftrags, auch hochrangige Amtsträger oder Mitglieder der Herrscherfamilie als Boten eingesetzt. In diesem zwischenstaatlichen Botenverkehr bildeten sich Konventionen heraus. So wurden Boten gewöhnlich am Hof des Empfängers der Botschaft alimentiert und beschenkt, und sie erhielten auf dem Heimweg Geleitschutz, sofern die Beziehungen als politisch intakt gelten konnten. Da Boten keine förmliche Immunität genossen, konnte es jedoch auch passieren, dass sie längere Zeit gefangen gehalten, in anderen Fällen sogar getötet wurden. Da der Austausch von Botschaften im Interesse der Beteiligten lag, wurden für den Botenverkehr entlang der Fernwege – die Boten wie auch Händler nutzten – Wegstationen eingerichtet. Bei ihrer Ankunft am Zielort wurden Boten befragt, sie mussten sich ausweisen und legitimieren können. Dies geschah nötigenfalls durch vereinbarte Zeichen. Die Aufgabe des Boten war erst mit der Rückkehr zum Auftraggeber und dem Bericht über die Erledigung des Auftrags beendet.

3. Boten im Alten Testament

Das Alte Testament spiegelt dort, wo es von Boten berichtet, ganz ähnliche Verhältnisse, wie sie auch sonst aus dem alten Orient bekannt sind.

Die im Alten Testament verwendeten Begriffe für „Bote“ lauten מלאך ml’k (213 Mal belegt), seltener ציר ṣjr (Jes 18,2; Jes 57,9; Jer 49,14; Ob 1; Spr 13,17; Spr 25,13) und מבשׂר / מבשׂרת mbśr / mbśrt (2Sam 4,10; 2Sam 18,26; Jes 52,7; Nah 2,1; Jes 40,9; Ps 68,12; 1Sam 4,17).

Besonders Spr 13,17 zeigt die Bedeutung des Boten auf: „Ein gottloser Bote bringt ins Unglück; aber ein getreuer Bote bringt Hilfe.“

Die Gefährdung der Boten wird deutlich an 2Sam 4,10. Die Boten, die David die Nachricht vom Tod seines potentiellen Rivalen überbringen (und zugleich dessen Mörder sind), werden ebenso getötet wie diejenigen, die die Nachricht vom Tode Sauls gebracht hatten.

Besondere Bedeutung erlangt die Figur des Boten im Alten Testament durch ihre theologische Verwendung. Boten und Vermittler zwischen dem Bereich der Menschen und der Sphäre Gottes kennt das Alten Testament in zwei Ausprägungen: Zum einen ist es der „Engel JHWHs / Gottes“ (מלאך יהוה / אלהים ml’k JHWH / ’lhjm), zum anderen sind es die → Propheten, die als Vermittler zwischen den Bereichen fungieren. Während dieser Sachverhalt bei den Engeln, die ausdrücklich „Boten Gottes“ genannt werden, eindeutig sein dürfte, ist hinsichtlich der Botenfunktion der Propheten zu differenzieren.

Die Bezeichnung „Bote“ (מלאך, ml’k) mit Bezug auf den Propheten findet sich erst in den späten Teilen des corpus propheticum, besonders bei den Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi (Letzterer trägt an Stelle eines Namens die Bezeichnung „mein Bote“ Mal 1,1). Die früheren Propheten werden nicht als Boten bezeichnet. Wenn sie als Boten wahrgenommen werden, so verläuft diese Wahrnehmung eher indirekt über die Verwendung von sprachlichen Formen, die mit der Funktion des Boten in Zusammenhang stehen (→ Botenformel) bzw. über die interzessorische Funktion der Propheten (→ Mittler). Diese Funktion erfährt allerdings schon bei Amos eine deutliche Einschränkung (Jeremias, 1996, 275): Ist Amos in den ersten beiden Visionen (Am 7,1-6) noch Vertreter des Volkes vor Gott, so rückt er im zweiten Visionenpaar deutlich auf die Seite Gottes. Diese Tendenz setzt sich in den späteren Prophetentexten immer stärker durch. Die späte Bezeichnung von Propheten als Boten Gottes fügt sich diesem Bild insofern ein, als die Bezeichnung sie auf die Seite Gottes stellt: sie sind nicht mehr Vertreter des Volkes vor Gott, sondern Boten Gottes gegenüber dem Volk. Eine ähnliche Entwicklung zeigt möglicherweise die Verwendung der Botenformel.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • The Interpreter’s Dictionary of the Bible, New York 1962-1976
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Tyndale Bible Dictionary, Wheaton 2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Cohen, Naomi G., 1985, From Nabi to Mal’ak to „Ancient Figure” (JJS 36), 12-24
  • Conrad, Edgar W., 1997, The End of Prophecy and the Appearance of Angels/Messengers in the Book of the Twelve, JSOT 73, 65-79
  • Gundlach, Rolf, 2003, Die „Boten des Wesirs“ – Ihre Funktion und Rolle im Staatsaufbau der frühen 13. Dynastie, in: Andreas Wagner (Hg.), Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsvermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Frankfurt u.a., 11-29
  • Hannig, Rainer, 1997, Die Sprache der Pharaonen. Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch, Mainz
  • Jeremias, Jörg, 1996, Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch, in: ders., Hosea und Amos (FAT 13), Tübingen, 272-284
  • Oller, Garry H., 2000, Messengers and Ambassadors in Ancient Western Asia, in: Jack M. Sasson (Hg.), Civilizations of the ancient Near East, Peabody, 1465-1473
  • Wagner, Andreas (Hg.), 2003, Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsübermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Nordostafrikanisch-westasiatische Studien 4), Frankfurt a.M. u.a.
  • Zwickel, Wolfgang, 2004, Kommunikationsmöglichkeiten im alten Israel. Ein Beitrag zu den Rahmenbedingungen der Verschriftlichung biblischer Texte, in: Friedhelm Hartenstein / Jutta Krispenz / Aaron Schart (Hgg.), Schriftprophetie (FS Jörg Jeremias), Neukirchen-Vluyn, 459-479

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