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Aton / Aton-Hymnen

Andere Schreibweise: Aten (engl.); Jati

(erstellt: November 2006)

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Aton ist die ägyptische Bezeichnung für die Sonnenscheibe, die ab ca. 1400 v. Chr. in Ägypten als Sonnengottheit verehrt und während der Regierungszeit des Königs Amunhotep IV./ Achenaton (= → Amenophis IV. Echnaton) an die Spitze des Pantheons gestellt wurde. Durch Leugnung der übrigen Gottheiten wurde eine monotheistische Religion zu schaffen versucht, doch gelangte der Prozess zu keinem Abschluss. Nach dem Tod Amunhoteps IV. (um 1336 v. Chr.) spielt Aton in der ägyptischen Religion keine nennenswerte Rolle mehr.

1. Der Name Aton

Aton 1
Bei dem Namen Aton handelt es sich um eine im Deutschen konventionalisierte Wiedergabe des ägyptischen jtn. In Keilschrifttexten des 14. Jh. v. Chr. erscheint der Name als jāti, was Rückschlüsse auf seine Aussprache im zeitgenössischen Ägyptisch zulässt. Diese vokalisierte Form findet insbesondere in neueren englischen Publikationen Verwendung, gelegentlich auch im deutschsprachigen Kontext.

Jtn war im Ägyptischen aller Sprachstufen eine Bezeichnung der Sonne als rein materielle, kosmische Größe, als Himmelskörper, und kann angemessen mit „Sonnenscheibe“ übersetzt werden. Als solche konnte sie den Ägyptern als Sitz des Sonnengottes oder eines seiner Attribute gelten; daher leitet sich auch die metonymische Bezeichnung des Sonnengottes selbst als jtn ab.

Wohl als Folge dieser Metonymie erfuhr die Sonnenscheibe in der späten 18. Dynastie Ägyptens (14. Jh. v. Chr.) eine zunehmende Theologisierung. Es bildete sich der Kult des gleichnamigen Gottes Jtn (= Aton) heraus, mit dem eine der bedeutendsten Phasen der ägyptischen Geistes- und Kulturgeschichte überhaupt verknüpft ist. Zur Absetzung des Gottesnamens vom Lexem wurde Ersterem häufig ein determinierender Artikel vorangestellt, so dass der Gott Pa-Aton heißen konnte.

Die strikte Trennung des Lexems jtn „Sonnenscheibe“ von der Sonnengottheit Aton, wie sie in der Forschung teilweise propagiert wird, ist kaum aufrechtzuerhalten. Der ausführliche, in Kartuschen geschriebene Name Atons (s.u.) kann als theologische Explikation und Formel verstanden werden; doch stand dahinter nichtsdestoweniger der Name Aton selbst, wie er ja auch in zahlreichen theophoren Orts- und Personennamen erscheint (Achenaton, Tutanchaton, Anchesenpaaton, Achetaton). Auch die Ikonographie Atons stellt einen deutlichen und bewussten Zusammenhang zur Sonnenscheibe jtn her.

2. Ereignis- und religionshistorischer Rahmen

Die Gottheit Aton ist auf das Engste mit bestimmten ereignis- und kulturhistorischen Vorgängen sowie mit der Person des Königs Amunhotep IV. / Achenaton (1353-1336 v. Chr.) verknüpft. Nur während dessen 18 Jahre währender Regierungszeit besaß Aton eine gesamtägyptische theologische und religiöse Relevanz.

Bereits während des ägyptischen Mittleren Reiches (ab ca. 2000 v. Chr.) bestand parallel zur polytheistisch orientierten Religion ein monistischer theologischer Diskurs. Darin wurde die Wirkung des Sonnengottes auf die irdische Schöpfung thematisiert. Bis zum 15. Jh. verdichtete sich diese Weltanschauung zu einer ‚neuen Sonnentheologie’, die auch auf die übrigen Götter Einfluss nahm. Re-Harachti, Amun-Re und Ptah etwa nahmen die Rolle des Schöpfer- und Sonnengottes ein, der die Ordnung der Schöpfung hatte entstehen lassen und diese Schöpfung und die in ihr lebenden Geschöpfe durch sein Sonnenwirken erhielt. Infolge dieser theologischen Universalisierung verloren viele der übrigen Gottheiten an Bedeutung oder gingen im Sonnengott auf.

Der Übergang zur sog. Amarnazeit, der Regierungszeit Amunhoteps IV. / Achenatons, und das Verhältnis der ‚neuen Sonnentheologie’ zur Theologie des Aton werden noch immer kontrovers diskutiert und bewertet. Wichtig festzuhalten ist, dass sich an den Grundelementen des Gottesbildes gar nichts änderte. Diese und keine andere Schlussfolgerung lässt der Vergleich der verschiedenen Hymnen zu. Allerdings führte Amunhotep IV. gleich zu Beginn seiner Regierungszeit und dann in deren weiteren Verlauf zahlreiche Veränderungen macht- und religionspolitischer Art ein, die jener Zeit ihre Charakteristik gaben und sie auch aus heutiger Sicht noch einzigartig erscheinen lassen. Am Wesen des Sonnengottes änderte sich grundsätzlich nichts mehr; die extremistisch veränderten Darstellungskonventionen in Rund- und Flachbild einschließlich der Verbannung jedweder Abbildung von Gottheiten neben der Sonnenscheibe lassen sich durchaus als konsequente Umsetzung der theologischen Vorgaben der vorangegangenen Generationen interpretieren. Doch ist es eben diese Konsequenz, gepaart mit der allein zulässigen Nennung des Sonnen- und Lebensgottes Aton sowie dessen in Königskartuschen geschriebene offizielle Form, die einen bewussten Bruch mit dem Vorhergehenden erkennen lässt.

Möglicherweise waren es schwerwiegende – allerdings wohl kaum auf theologischen Differenzen basierende – Auseinandersetzungen mit den Eliten und Priesterschaften in Theben und Memphis, die zur Gründung einer neuen Residenz und der Radikalisierung der bestehenden Formen führten. Die starke Betonung der Personen des Königs und der Königin innerhalb des Kultbetriebs sind wahrscheinlich ebenfalls auf diese Zerwürfnisse zurückzuführen; die Theologisierung dieser neuen Konstellation Aton – König – Königin geschah eher nachträglich, um die Veränderungen zu legalisieren. Die Basis für diese Theologisierung lieferte dem König Amunhotep IV. in willkommener Weise die einflussreich gewordene Sonnentheologie, die seinen Interessen sehr entgegenkam und die er für diese Interessen auszunutzen verstand.

3. Elemente der Aton-Theologie

3.1. Gestiftete Religion

Wenngleich sich die Aton-Theologie ererbter Formen und Inhalte bediente, steht hinter ihr kein jahrhundertelanger Entwicklungsprozess, wie es bei anderen altorientalischen theologischen Systemen der Fall ist. Die historischen Ereignisse sowie Um- und Durchsetzung des theologischen Programms sprechen dafür, dass es sich um eine gestiftete Religion handelt – vermutlich die erste in der Geschichte der Menschheit.

3.2. Kein reiner Monotheismus

Trotz der Primatstellung Atons ist es nicht korrekt, von einer monotheistischen Religion zu sprechen. Zu viele konstellative und mythologische Elemente aus den traditionellen ägyptischen Göttervorstellungen wurden auch unter Amunhotep IV. / Achenaton beibehalten und lediglich uminterpretiert. So sind nicht alle Gottheiten des Pantheons verschwunden, sondern wurden als Wesensbestandteile Atons betrachtet. Auch die göttliche Trias, bestehend aus Aton, dem König und seiner Gemahlin Nefertiti (Nofretete), ist natürlich dem polytheistischen System entnommen, in dem verschiedene Gottheiten zu dreiköpfigen Familien, eben Triaden, zusammengefasst waren (z.B. Amun – Mut – Chonsu; Ptah – Sachmet – Nefertem).

3.3. Theologie einer creatio continua

Die Aussagen der hymnischen Texte beschränken sich auf das, was eine ‚religiöse Phänomenologie’ als Eigenschaften und Wirkungsweisen der Sonne zu erschließen vermochte. An erster Stelle stand das Licht, das in den Sonnenstrahlen (stwt) verkörpert aufgefasst wurde. Zudem erschienen die Strahlen der Sonne auch als Medium der Kommunikation zwischen Gott und der Schöpfung. Mit ihnen „umfasste“ Aton die ganze Erde – wie mit Armen und Händen –, drang ins Innere des Ozeans, erfüllte seine Tempel, „säugte“ alle Wiesen und „berührte“ jedes Gesicht – so die poetisch gefassten Aussagen der Hymnen. Man pries die Strahlen, in denen der „ferne“ Gott auf Erden gegenwärtig war. Im gleichen Kontext sprechen die Texte von der „Schönheit“ (nfrw) Atons, mit der er „die Erde erfüllt“ und von deren „Anblick die Herzen aufleben“. Auch hiermit war das Licht gemeint als faszinierende, Liebe erweckende Ausstrahlung. Daher konnte auch „Liebe“ (mrwt) selbst als überhöhendes Synonym für das Sonnenlicht und seine Schönheit gebraucht werden. So sind nicht nur die Augen, sondern auch die Herzen von dieser Strahlung betroffen. Der Weltbezogenheit des Licht- und Lebensgottes entsprach die Lichtbezogenheit der Schöpfung, die einzig vom Licht leben konnte.

Der Schöpfungsbegriff der Aton-Religion ist durativ und performativ; nicht dass Aton die Welt am Anfang der Zeit geschaffen hat, sondern dass er sie durch seine Strahlen immer neu erschafft und am Leben erhält, ist den Texten wichtig. Ebenso bedeutsam wie Atons Schöpfertum ist die Geschöpflichkeit der Welt. Das vielgerühmte „Naturgefühl“ der Amarnahymnen ist nichts anderes als der Aufweis dieser Geschöpflichkeit. Wie die lebenserweckenden Sonnenstrahlen ans Ende der Welt und ins Innere des Meeres dringen und auch im Mutterleib Leben erschaffen, so ist alles, was auf Erden durch diese Strahlen entsteht, seinem Schöpfer in Abhängigkeit verbunden. Was ist, lobt schon durch seine bloße Existenz den Schöpfer. Die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf wird bis an die Grenze der Identität geführt, wenn die geschaffenen Wesen und Dinge als „Verkörperungen“ (chprw) des Aton bezeichnet werden. Die Kraft, die von Aton ausstrahlend in millionenfachen Gestaltungen auf Erden erscheint, hat man als „Leben“ gedeutet.

3.4. Negation von Urzeit und Jenseits

Im entmythologisierten Denken der Aton-Religion gab es keine Urzeit. Die Welt wurde nicht nur aus einem Ursprung abgeleitet, sondern auch gegenwärtig als homogen, undifferenziert und in fortwährendem Schöpfungsprozess von einem einzigen Prinzip hervorgebracht und mit Leben durchwaltet dargestellt: dem Licht. Das untrügliche Symptom dieses radikalen Monismus war die Wertung der Nacht als Tod durch Gottesferne. Wenn die Sonne untergeht, setzt alles Leben aus, und die Welt liegt in Schweigen.

In traditionellen Sonnenhymnen wurde die Nacht als Abstieg des Sonnengottes in die jenseitige Welt dargestellt. Im homogenen Weltbild von Amarna gab es ein Jenseits ebenso wenig wie eine Urzeit. Alle Beschreibungen eines Lebens nach dem Tod schildern es im Diesseits: Als „lebender Ba“, in den sich der Verstorbene verwandelt, steigt er nicht zum Himmel auf, sondern ergeht sich in seinem Grab.

Trotz der engen Beziehung von Gott und Welt war Aton – anders als etwa Amun-Re – als kosmische Macht nicht der Gott des Einzelnen und jeder individuellen Religiosität enthoben; er war kein Gott, für oder gegen den eine Entscheidung möglich gewesen wäre. In diesen Freiraum trat die in Amarna stark überhöhte Figur des Königs. Im Königsdienst waren die persönlichen Formen religiöser Bindung gleichsam monopolisiert; der König war der persönliche Gott des Einzelnen.

3.5. Aton-Hymnen

Der sehr weit gehende Verzicht auf bildliche Repräsentationen des Gottes Aton und seines Kultes, wie sie von den übrigen Gottheiten Ägyptens bekannt sind, führte zu einer alternativen Manifestation der theologischen Aussagen auf textueller Ebene. Insbesondere in den privaten Felsgräbern, die in der Umgebung der Residenz Achetaton angelegt wurden, verließ man das für nichtkönigliche Bestattungen übliche Darstellungsrepertoire. Es war beschränkt auf Abbildungen des Königs und seiner Familie, zeigte allenfalls noch den Grabinhaber in Kontakt mit dem König, und schloss ansonsten einen oder mehrere Texte ein, die in hymnischer Form zentrale Aussagen der mit Aton verbundenen Sonnentheologie enthielten.

Aus den Grabanlagen ist etwa ein halbes Dutzend verschiedener Aton-Hymnen bzw. deren Varianten erhalten, von denen der sog. ‚Große Sonnenhymnus’ aus dem Grab des Eje der bekannteste und längste ist.

Aton 2

Für eine Autorschaft des Königs Achenaton spricht nichts, allerdings auch nichts dagegen. Konkrete innertextliche Hinweise auf eine Rezitation der Hymnen im kultischen Ritual fehlen; dennoch sollte man mit einer Zuschreibung als „literarische“ Texte vorsichtig sein. Allein ihre Anbringung im Kontext der Bestattungen macht ihre kultische Bedeutung wahrscheinlich. Auch die mehrfache Erwähnung des Königs und der Königin haben ihr formales Vorbild in der „Fürbitte für den König“, die aus kultischen Hymnen bekannt ist.

Mit Ausnahme weniger Aussagen lassen sich die Aton-Hymnen durchaus in die Entwicklungsgeschichte der ägyptischen Hymnik einbinden, sowohl in formaler als auch inhaltlicher Hinsicht. In ihnen findet die etwa 200 Jahre zuvor auftretende theologische Ausdeutung der kosmischen Phänomene, insbesondere des Sonnenlaufs, ihre Fortsetzung. Lediglich in einigen Formulierungen wird die extremistische Haltung der Theologen von Amarna sichtbar. Und etliche der Aussagen, die in der Wissenschaft als so spezifisch für die Aton-Hymnen gelten, begegnen noch in viele Jahrhunderte jüngeren Texten aus Ägypten.

Insbesondere der sog. ‚Große Sonnenhymnus’ spielt in der religions- und bibelwissenschaftlichen Forschung seit einem Jahrhundert eine bedeutende Rolle als angebliche Vorlage für Ps 104. Art und Umfang der formalen und inhaltlichen Parallelen in beiden Texten sind dutzendfach diskutiert und widerlegt worden. Eindeutige Hinweise auf eine aktive Rezeption einer ägyptischen Vorlage durch kanaanäische, israelitische oder judäische Dichter oder Theologen existieren nicht. Die Phraseologie der Hymnen des 14. Jh.s v. Chr. wurde jedoch noch ein Jahrtausend später in Ägypten produktiv verwendet, so dass von einer breiten und kontinuierlichen innerägyptischen Hymnentradition gesprochen werden kann. Sollte Ps 104 wirklich das Ergebnis eines literarischen Austauschs gewesen sein, wird es sich bei der ägyptischen Vorlage um eine zeitgenössische Quelle gehandelt haben.

4. Ikonographie und Kultbilder

Anders als bei allen übrigen Gottheiten Ägyptens ist die Ikonographie Atons auf eine einzige Form der Darstellung beschränkt. Auf Tempel- und Grabwänden sowie Stelen und sonstigen Bildträgern schwebt der Gott als Sonnenscheibe mit von ihr ausgehenden, abwärts gerichteten Sonnenstrahlen über der jeweiligen Bildszene. Die Strahlen enden zumeist in menschlichen Händen; diese wiederum können den in den Bildszenen dargestellten Mitgliedern der Königsfamilie Anch-Zeichen, die das Leben symbolisieren, an die Nase halten. Frontal aus der Sonnenscheibe heraus schauen Kopf und Hals einer Kobra; um deren Hals hängt wiederum ein Anch-Zeichen. Dieses Element stellt eine Umformung von traditionellen Darstellungen der Sonnenscheibe dar, um deren Rand sich eine im Profil wiedergegebene Kobra schlängelt.

Ganz selten, zu Beginn der Regierungszeit Amunhoteps IV. / Achenatons, konnte Aton auch menschengestaltig mit Falkenkopf, also in der Form des Sonnengottes Re-Harachti, dargestellt sein.

Möglicherweise kann man zur Ikonographie Atons noch eine Besonderheit hinzurechnen, die ihn von allen übrigen Gottheiten Ägyptens unterscheidet: Ziemlich zu Beginn der Regierungszeit Amunhoteps IV. wurde Aton ein programmatischer Name zugelegt, der fortan in zwei Kartuschen gefasst wurde. Er war fester Bestandteil der Bildszenen, und die beiden Kartuschen übertrafen zumeist diejenigen des Königs und der Königin an Größe.

Kultbilder Atons – in welcher Form und aus welchem Material auch immer – hat es nicht gegeben. Die Kulthandlungen wurden in offenen Höfen unter freiem Himmel vor großen, frei stehenden Altären vollzogen – im Angesicht des Himmelskörpers Sonne selbst. Zur Realisierung dieser Kultform wurden sowohl in Karnak als auch in Achetaton / Tell el-‘Amārna riesige Tempelkomplexe neu errichtet, deren Architekturform mit ungedeckten Höfen den Anforderungen gerecht wurden.

Tiere, die als Erscheinungsformen Atons hätten verehrt werden können, gab es ebenso wenig wie Kultbilder; der Sonnengott Aton war in keiner anderen Form als der Sonnenscheibe selbst fassbar.

5. Kultorte

Da für die Sonnenscheibe jtn während des Alten und Mittleren Reichs kein gesonderter Kult unterhalten wurde, sind aus diesen Perioden keine Heiligtümer erhalten. Die zunehmende Bedeutung der Sonnentheologie(n) macht für → Heliopolis als Zentrum des Re-Kultes ein beginnendes Kultgeschehen ab der Mitte der 18. Dynastie (ca. 1400 v. Chr.) zumindest nicht unwahrscheinlich. Ein aktiver Aufbau von Aton-Heiligtümern ist nur für die Regierungszeit Amunhoteps IV. nachweisbar. In den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit muss eine Anlage von gigantischen Ausmaßen in unmittelbarer Nähe des Tempelkomplexes von Karnak entstanden sein. Genaue Position und Grundriss dieser Anlage haben sich bislang nicht nachweisen lassen, doch wurden Tausende Trümmer der Bauten in Tempelgebäuden der Nachfolger Amunhoteps IV. wieder verwendet gefunden.

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Die neu gegründete Hauptstadt Achetaton / Tell el-‘Amārna beherbergte mehrere Aton-Heiligtümer in zwei Temenoi, die archäologisch gut erschlossen sind. Ihr Äußeres lässt sich auch anhand von Reliefdarstellungen in den Beamtengräbern rekonstruieren. Daneben bestanden private Opferanlagen größeren Ausmaßes sowie kleinformatige Altäre. Hier zelebrierten offenbar auch nichtpriesterliche Beamte und ganze Familien rituelle Handlungen zugunsten des Kultes für die Triade Aton – König – Königin.

Inschriftlich sind weitere durch Amunhotep IV. für Aton errichtete Kultstätten in Memphis, Heliopolis und Sesebi (Nubien) bezeugt, von denen sich jedoch keine archäologischen Reste erhalten haben. Spolien, die sich in Hermopolis, Assiut und Meidûm (alle Mittelägypten) gefunden haben, stammen aus Achetaton und sind zu einem späteren Zeitpunkt an ihre Fundorte verbracht wurden.

Für die landesweite Schließung aller nicht Aton geweihten Tempelanlagen gibt es keine direkten Zeugnisse. Das Aushacken von Darstellungen vor allem des Gottes Amun während der Regierungszeit Amunhoteps IV. deutet auf einen gestörten Kultbetrieb in den betreffenden Heiligtümern hin. Doch ob sich diese Maßnahmen auf das gesamte Niltal erstreckten, wie auf propagandistischen Denkmälern der Nachfolger Amunhoteps behauptet wird, oder auf den thebanischen Raum beschränkt waren, ist nicht entscheidbar.

6. Außerägyptische Rezeption

Aus nahe liegenden Gründen wurde die monistische Aton-Religion bis fast in die Gegenwart hinein als Vorläufer der hebräischen JHWH-Religion angesehen, von Mose im Verlauf des Exodus nach Kanaan überführt. Die ab Mitte des 19. Jh.s lesbaren Schriftquellen nährten diese Forschermeinung, wie am Beispiel der Diskussion um Ps 104 erkennbar ist.

Genau genommen basiert diese wissenschaftliche Tradition auf einer bis in Antike und Frühjudentum zurückreichenden Rezeption der Amarnaepoche, in der offenbar verschiedene historische Stränge und Kerne zusammenflossen und die mehrere außerbiblische Exodus-Berichte hervorbrachte. In den Geschichtsdarstellungen der Autoren Hekataios von Abdera, → Manetho, Flavius Josephus, Pompeius Trogus, Tacitus und Apion finden sich vermischte Elemente der Hyksos-Herrschaft in Ägypten im 17. Jh. v. Chr., deren gewaltsamer Beendigung durch die thebanischen Könige in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s v. Chr., der religiösen Umbruchphase unter Amunhotep IV. / Achenaton und der Person des Mose in Verbindung mit dem Exodus. Demnach gehe die Kolonisierung Kanaans auf die Vertreibung der semitischstämmigen Hyksos aus Ägypten zurück. Diese Vertreibung sei die Folge einer religiösen Konfrontation bzw. einer Aussatzepidemie gewesen. Die Vertriebenen hätten sich unter der Führung eines gewissen Osarsiph zusammengeschlossen, der sich dann auch den Namen Mose gegeben habe und in dessen Darstellung sich Züge des Königs Amunhotep IV. / Achenaton wieder erkennen lassen.

Diese außerbiblische Rezeption historischer Vorgänge, die mit der Aton-Religion in unmittelbarem Zusammenhang standen, muss auch nach der Antike zumindest im Judentum lebendig geblieben sein, wie vereinzelte Aufgriffe während des Mittelalters und der Renaissance und dann besonders in der früheren Neuzeit belegen. Die Legende von den aussätzigen Hyksos, die aus Ägypten vertrieben wurden, galt bisweilen sogar als Quelle für den seit dem Mittelalter latenten Antisemitismus in Europa.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Schlögl, H. A., 4. Aufl. 1993, Echnaton – Tutanchamun. Daten, Fakten, Literatur, Wiesbaden

Abbildungsverzeichnis

  • Die königliche Familie beim Opfer vor Aton (Alabaster bemalt; Block Museum Kairo TN 30/10/26/12). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der Text des ‚Großen Sonnenhymnus’. Am unteren Bildrand ist der Grabinhaber Eje in Anbetungshaltung erkennbar (Relief im Grab Nr. 25, Eje, von Tell el-‘Amārna). Aus: N. de G. Davies, The Rock Tombs of El Amarna VI, London 1908, Tf. 41
  • Pharao Amunhotep IV. / Achenaton mit Familie unter der Sonnenscheibe vermittelt den Menschen den Segen. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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