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Amulett (AT)

(erstellt: August 2006)

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1. Definition

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„Das Amulett ist ein kleines Objekt, das den Träger durch seine magische Kraft schützen und Böses von ihm ablenken, ihn mit Gesundheit und anderen Gütern ausstatten und ihn überdies seiner magischen Kraft teilhaftig werden lassen soll.“ (Herrmann 1994, 2).

2. Amulettkategorien

Folgende Arten von Amuletten lassen sich unterscheiden:

1. Amulette, die mit einer Siegelfläche versehen sind (Siegelamulette: Skarabäen, Skaraboide, Kauroide [= Skarabäusart, deren Form Kaurischnecken gleicht], Rollsiegel etc.)

2. Amulette, die nicht als Siegel verwendet wurden (Bildamulette: anthropomorphe und theriomorphe Gestalten, Objektamulette)

3. Varia (Knochenstäbe, groteske Köpfe, Kapseln mit magischen Texten etc.)

3. Herkunft

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Bei den meisten in Israel / Palästina gefundenen Siegelamuletten (Skarabäen, Skaraboide, Kauroide etc.) handelt es sich um einheimische Ware (Keel 1995, 29ff). Die restlichen ägyptischen Amulette (anthropomorphe und theriomorphe Gestalten, Objektamulette) wurden aus Ägypten importiert (Herrmann 1994, 35f; ders. 2006, 4f).

Außer den Siegelamuletten (ca. 10.000 Exemplare aus offiziellen Grabungen) und den aus Ägypten nach Israel / Palästina importierten Bildamuletten (ca. 2.000 Exemplare) wurden auch typisch einheimische, nichtägyptische Amulette aus Knochen (Abb. 1), groteske Männerköpfe aus Glas phönizischen Ursprungs (Abb. 2) sowie Kapseln mit magischen Texten archäologisch geborgen.

4. Bezeichnung

Amulett 03

Das Alte Testament kennt, anders als bei den Siegelamuletten, für Bildamulette keinen entsprechenden eindeutigen Begriff. Doch es gibt Bezeichnungen, die sich auf solche Amulette beziehen:

1. die śahǎronîm „Möndchen“ in Ri 8,21 und Jes 3,18; Mond in beiderlei Gestalt als Amulett aus Tell el-Fār‘a (Süd) [Tell el-Fara] und → Megiddo (Abb. 3);

2. die ləchāšîm „Amulette“ in Jes 3,19-21, bei denen es um Amulette geht, wie sie durch Grabungen in Jerusalem archäologisch belegt sind (Abb. 4);

3. die gillûlej miṣrajim in Ez 20,7f, mit denen vermutlich im Besonderen ägyptische Amulette gemeint sind (Herrmann 1994, 86f).

5. Der Brauch, Amulette zu tragen, im antiken Israel

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Die Metapher aus Hhld 8,6, wo der Geliebte gleich einem Siegelamulett am Herzen oder am Arm der Geliebten werden soll, zeigt, dass im antiken Israel der Brauch, Amulette zu tragen, nicht unbekannt war. So auch der Vergleich des Geliebten mit einem Myrrhenbeutelchen, das zwischen den Brüsten der Geliebten ruht in Hhld 1,13. Die Hortfunde von → Megiddo, → Jerusalem (Ketef Hinnom) und → Aschkelon (Herrmann 1994, 88) belegen archäologisch, dass es sich in Gen 35,4 bei den „fremden Göttern, die in ihren Händen waren“ und die Jakob unter der Eiche bei Sichem vergrub, ebenfalls um Amulette handelte. Die Erwähnung des so genannten „Edelsteins“ im Weisheitsbuch (Spr 17,8) zeigt, dass in der mittleren und späten Königszeit der religiös-magische Charakter persönlicher Gegenstände bekannt war. Die in 2Makk 12,40 „unter dem Hemd getragenen hierōmata“ belegen, dass es noch in der Makkabäerzeit üblich war, auf der Brust getragene Gegenstände nicht nur als Schmuck, sondern als Gegenstände mit religiöser Bedeutung zu tragen.

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An Amulette erinnern auch die Glöckchen und Granatapfeltroddeln am hohenpriesterlichen Gewand in Ex 28,33-34; Ex 39,24-26 ebenso der „Beutel der Lebendigen“ in 1Sam 25,29. Die Stirnbänder zwischen den Augen (Ex 13,16; Dtn 6,8; Dtn 11,18) und die Quasten an den Kleidern (Num 15,38-39) dienten als ständige Vergegenwärtigung des Gesetzes sowie als Abschreckungsmittel gegen Aberglauben und Götzendienst. Eine ähnliche Funktion hatte auch die Kapsel mit einem Bibelspruch (→ Mesusa) an den Türpfosten israelitischer Häuser (Dtn 6,9).

6. Durch Amulette geprägte Vorstellungen im Alten Testament

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Im Zusammenhang mit dem zuchtlosen Freveln Jerusalems erwähnt Ezechiel neben dem Buhlen mit den Assyrern und den Chaldäern auch das Buhlen mit den Ägyptern, den „Nachbarn mit dem großen Glied“ (Ez 16,26). Diese Bezeichnung erinnert an die aus Megiddo, Geser und vermutlich aus einer der Städte an der Mittelmeerküste Israels stammenden Amulette ägyptischen Ursprungs, die ein kleines Männlein mit übergroßem Phallus darstellen (Abb. 5). Diese Amulette stehen auch hinter dem in Ez 23,20 erwähnten Vergleich: „deren Glied gleich dem Glied der Esel ist und deren Erguss gleich dem Erguss der Hengste.“

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Wortgetreu illustriert ein aus Tell Ǧemme [Tell Gemme] stammendes Amulettfragment (Abb. 6) die Metapher aus Psalm 110,1: „bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache“. Aufgrund der in Ps 91 verwendeten Bildersprache wird dieser Psalm als „Amulettpsalm“ bezeichnet. Ganz besonders erinnert Ps 91,13 an die Patäkenamulette aus → Megiddo, → Ekron und → Achsib, wo die kleine Gottheit auf Krokodile tritt und auf Schlangen beißt (Abb. 7).

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Ps 91,4 liegt wahrscheinlich der von den Flügeln der Hathor-Isis geschützte Patäke (ein Kleinwüchsiger) zugrunde, in Israel durch Amulette aus → Megiddo, → Bet-Schemesch, → Lachisch, → Ekron, Tell el-‘Aǧǧūl (→ Tell el-‘Aǧǧūl [Tell el-Aggul]), → Aschkelonund → Achsib belegt (Abb. 8). Die in Tell el-‘Aǧǧūl, Megiddo und Geser gefundenen Fliegenamulette (Abb. 9) weisen auf Jes 7,18, wo der Prophet die ägyptische Streitmacht als „Fliegen, die am Ende der Ströme Ägyptens sind“, bezeichnet.

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Das in Achsib gefundene eisenzeitliche Herzamulett aus Karneol erinnert an Ez 11,19:

„Und ich werde ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in ihr Innerstes legen: ich werde das steinerne Herz aus ihrem Leib herausnehmen ….“.

7. Verbreitung

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Die im antiken Israel meistverbreiteten Amuletttypen sind Udjat-Auge (536 Exemplare), Patäke (250 Exemplare), Bes (171 Exemplare) und felidenköpfige Gestalten (82 Exemplare; Feliden = Katzentiere; Herrmann 2006, 24). Auffallend ist, dass felidenköpfige Amulette vor allem im Süden des Landes anzutreffen sind. Dies hängt wahrscheinlich mit dem Stammvater Judäas zusammen, der den Löwen zum Symbol hatte (Gen 49,9; Ez 19,1ff). In der → Eisenzeit II waren ägyptische Amulette vor allem im Inneren des Landes beliebt. Beginnend mit der Eisenzeit III (→ Perserzeit) verlagert sich das Schwergewicht in die Städte der Mittelmeerküste, während im Inneren des Landes kaum noch Amulette auftauchen.

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In der Eisenzeit IIA verschwinden die theriomorphen Amulette fast ganz und die Objektamulette sind im Vergleich zu den anthropomorphen Amuletten sehr schwach vertreten. Dafür gehen in der Eisenzeit IIC die anthropomorphen Amulette im Verhältnis zu den Objektamuletten stark zurück, was die Beobachtung von Keel / Uehlinger (1992, 319), bestätigt dass die symbolhaften „Schutz- und Heilsmächte“ die persönliche Frömmigkeit in Palästina / Israel von der Eisenzeit IIC an prägten (Herrmann 2006, 38).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Dictionnaire Encyclopedique de la Bible, Valence-sur-Rhone, 2. Aufl. 1956
  • Dictionary of the Bible, New York, 1962
  • Bibel-Lexikon, Einsiedeln / Zürich, 2. Aufl. 1968
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Biblisches Reallexikon, Tübingen, 2. Aufl. 1977
  • Das große Bibellexikon, Wuppertal 1987
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Herrmann, C., 1994, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg (Schweiz) / Göttingen.
  • Herrmann, C., 2002, Ägyptische Amulette aus Palästina/Israel II (OBO 184), Freiburg (Schweiz) / Göttingen.
  • Herrmann, C., 2006, Ägyptische Amulette aus Palästina/Israel III (OBO.SA), Freiburg (Schweiz) / Göttingen.
  • Keel, O., 1995, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel von den Anfängen bis zur Perserzeit, Einleitung, Freiburg (Schweiz) / Göttingen.
  • McGovern, P. E., 1985, Late Bronze Palestinian Pendants. Innovation in a Cosmopolitan Age (JSOT/ASOR Monograph Series 1), Sheffield.

Abbildungsverzeichnis

  • Knochenstabamulette aus Israel (Eisenzeit IIA-B). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 1331-1348; © Christian Herrmann
  • Groteske Köpfe aus Bet-Schean, En-Gedi, Beerscheba, Dor, Tell Abū-Ḥawām, Jerusalem und Tell eṣ-Ṣāfī (Perserzeit). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 1352-1433; © Christian Herrmann
  • Mondamulett aus Megiddo (Eisenzeit IA). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 1303-1307; © Christian Herrmann
  • Amulette aus Jerusalem: Felidenköpfige Gestalt (Ofel / Eisenzeit IIB) und Udjat-Augen (Ketef Hinnom / Eisenzeit IIC). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 66, 1208, ders. 2006, KatNr. 113, 317, 325, 318; © Christian Herrmann
  • Männlein mit übergroßem Phallus aus Megiddo (Eisenzeit IIB) und aus einer Stadt an der Mittelmeerküste Israels / Palästinas (perserzeitlich-hellenistisch). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 282-283; © Christian Herrmann
  • Amulettfragment aus Tell Ǧemme mit den Resten einer Gestalt, die auf Köpfe gefesselter Feinde tritt (Eisenzeit IIB). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 284; © Christian Herrmann
  • Patäke auf Krokodile tretend und Schlangen beißend aus Ekron (Eisenzeit IIC) und Megiddo (Eisenzeit IIA). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 631-634; © Christian Herrmann
  • Patäken geschützt durch die Flügel der Hathor-Isis aus Lachisch, Tell el-‘Aǧǧūl, Aschkelon, Achsib und Megiddo (Eisenzeit IIB). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 642-644; © Christian Herrmann
  • Fliegenamulette aus Megiddo (Spätbronzezeit IIB-Eisenzeit IA und Eisenzeit IIB-C). Aus: C. Herrmann, Ägyptische Amulette aus Palästina / Israel (OBO 138), Freiburg(Schweiz) / Göttingen 1994, KatNr. 867-869; © Christian Herrmann
  • Patäke aus Tell el Fār’a (Süd) und Megiddo (Eisenzeit IIA).
  • Bes-Amulette aus Lachisch (Eisenzeit IIB) und Dor (Eisenzeit III). © Christian Herrmann

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