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(erstellt: November 2008)

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1. Amphiktyonie in der antiken griechischen Welt (Usener)

1.1. Definition

Der Begriff Amphiktyonie ist ein Lehnwort vom griechischen Substantiv amphiktyonía, dem das Verb ktízō „gründen / bauen“, intr. „wohnen“ und das Präfix amphi- „um… herum“ zugrunde liegen. Die Grundbedeutung ist somit „das Wohnen um etwas herum“. Das y in Amphiktyonie ist unerklärt (vgl. aber dazu die Deutung in 1.2.).

Die spezielle Bedeutung „Bündnis von benachbarten Stadtstaaten“ erhält das Wort durch seine Verwendung in Inschriften und literarischen Texten: Mit Amphiktyonien werden von den antiken Griechen Bündnisse bezeichnet, die aus mehreren meist benachbarten Stadtstaaten bestehen und (zunächst) die Funktion haben, ein im Zentrum der jeweiligen Amphiktyonie liegendes Heiligtum zu schützen und dessen Kult zu pflegen. Dass es bei der Tätigkeit einer Amphiktyonie nicht nur um religiöse Handlungen, sondern auch um politische und militärische Machtsicherung geht, zeigt die geschichtliche Entwicklung (s.u. 1.3.). Doch der religiöse Aspekt steht bei einer Amphiktyonie anders als bei einem militärisch-politischen Bündnis (Symmachie) im Vordergrund. Amphiktyonien sind insbesondere aus der griechischen Ägäis und aus Kleinasien bezeugt. Die bekanntesten Amphiktyonien sind die von Delphi und Delos, in deren Mittelpunkt die Verehrung des Apollon stand.

1.2. Begriffsgeschichte

Einige griechische Schriftsteller haben den Begriff der Amphiktyonie aus dem Mythos abzuleiten versucht, indem sie für die Amphiktyonie von Anthela einen Heroen namens Amphiktyon als Gründer des ersten Bündnisses dieser Art benannten. Amphiktyon, der Sohn von Deukalion und Pyrra, herrschte (je nach Darstellung in der antiken Literatur) in Thermopylä, Lokroi oder Athen. In Anthela nahe Thermopylä wurde Demeter in einem Heiligtum kultisch verehrt. Dort soll die erste Amphiktyonie gegründet worden sein.

1.3. Historischer Abriss

Neben den bekanntesten Amphiktyonien in Delphi und Delos sind weitere Amphiktyonien nachgewiesen auf dem Gebirge Mykale (Panionion; heute Samsun Daǧ in der Türkei) und auf der Insel Kalaureia (heute Poros, im Saronischen Golf; Mitglieder waren Hermione, Epidauros, Ägina, Athen, Prasiä, Nauplia und Orchomenos). Diese beiden Amphiktyonien waren jeweils zuständig für den Poseidon-Kult.

Die Amphiktyonie von Delphi hatte ihren Sitz anfänglich in Anthela bei den Thermopylen, später in Delphi. Mitglieder der Delphischen Amphiktyonie waren zunächst Achäer (in der Phthiotis), Änianen bzw. Oitäer, Doloper, Magneten, Malier, Perrhäber und Thessalier. Bald stieg die Zahl der Mitgliedsstaaten auf zwölf an, als der Amphiktyonie noch Böoter, Dorer, Ionier (aus Attika und von Euböa), Lokrer und Phoker beitraten. Die Amphiktyonie zählte später bis zu 30 Mitglieder, doch wurden dann die Stimmrechte der einzelnen Städte so gebündelt, dass sich mehrere Städte eine Stimme teilten und so die Zahl von zwölf Stimmen nicht überschritten wurde. Jedes Mitglied der Amphiktyonie entsandte zwei Abgeordnete (pylagórai) zu den mindestens einmal im Jahr stattfinden Versammlungen (pylaía benannt nach dem ursprünglichen Versammlungsort Pylai) sowie einen Hieromnemon (hieromnēmōn Schreiber oder z.T. auch Oberpriester). Die Abgeordneten hatten politisch-eirenische Aufgaben. Der Hieromnemon musste die Versammlung und den Opferkult vorbereiten und gestalten.

Die Delphische Amphiktyonie tagte üblicherweise im Frühling (in Delphi) und im Herbst (in Anthela). Sie bestand bis zur makedonischen Eroberung im 4. Jh. v. Chr. Ziel und Aufgabe der Amphiktyonie von Anthela bzw. Delphi war es, das Heiligtum der Demeter in Anthela sowie das des Apollon zu Delphi zu schützen, ferner im Rahmen einer Kultgemeinschaft religiöse Feste zusammen mit den zugehörigen Amphiktyonie-Staaten zu begehen, aber auch etwa dafür zu sorgen, dass keines der Mitglieder militärisch vernichtet, von der Wasserversorgung getrennt, von gemeinschaftlichen Opferhandlungen oder vom Betreten des zentralen Heiligtums ausgeschlossen wurde. Doch konnte die Versammlung der Amphiktyonie auch bei gegebenem Anlass den Ausschluss einzelner Städte aus dem Bund erwirken. Ferner wurden im Rahmen der Amphiktyonie-Versammlung private und staatliche Streitigkeiten beigelegt und bei Verbrechen (insbesondere im Fall des Tempelfrevels) Strafen verhängt. Hierin zeigt sich der enge Zusammenhang von kultischer, sozialer und politischer Lebenswelt. Wenn eine Amphiktyonie-Stadt die gegen sie verhängte Geldbuße nicht bezahlte, konnte die Amphiktyonie im Rahmen des sog. Heiligen Krieges militärisch tätig werden.

Amphiktyonien konnten bestehen, solange das Territorium der teilnehmenden Staaten nicht von einer fremden Macht (etwa Philipp v. Makedonien) erobert wurde. Sie verloren allerdings an Bedeutung und Einfluss, sobald sich die politischen oder religiösen Verhältnisse änderten. Dies wird deutlich etwa durch die inhaltliche Aushöhlung der Kulte in der Kaiserzeit, die nahezu parallel mit der Ausbreitung des Christentums einhergeht, oder auch mit dem Verbot der heidnischen Kulte durch Theodosius I. im Jahr 391/2 n. Chr.

2. Amphiktyonie im Alten Israel (Kreuzer)

2.1. Übernahme des Modells Amphiktyonie in der alttestamentlichen Forschung

Das Modell einer Amphiktyonie wurde in der alttestamentlichen Wissenschaft ab ca. 1900 für das Verständnis der vorstaatlichen Frühzeit Israels (Zeit der Richter) herangezogen. So findet sich etwa bei Max Weber, Das antike Judentum (1917-1919 = 1921, 98), ganz selbstverständlich wenn auch beiläufig das Stichwort amphiktyonisch, wobei er unter dem Stichwort der israelitischen Eidgenossenschaft „periodische amphiktyonische Ritualakte“ in → Sichem oder in → Silo mit Verkündigung des Bundesrechtes, Segen und Fluchzeremonien erwähnt und in weiterer Folge erörtert, dass die israelitische Eidgenossenschaft nach außen hin vor allem im Bundeskrieg in Erscheinung trat, der ein heiliger → Krieg war oder doch jederzeit werden konnte (99).

Schon 1901 hatte der Gräzist Emil Szántó, der sich mit den verschiedenen Amphiktyonien Griechenlands und Italiens beschäftigt hatte (und auf den auch die Annahme zurückgeht, dass die Mitglieder einer Amphiktyonie jeweils ein bzw. zwei Monate das Zentralheiligtum zu versorgen hatten), vorgeschlagen, auch die Zwölfzahl der → Stämme Israels so zu verstehen. Dieser Vorschlag wurde u.a. bei → Hermann Gunkel (1917, 332) zustimmend aufgenommen: „Gewiß sehr plausibel. Also doch ein Zentralheiligtum in Israels Urzeit!“

Albrecht Alt schrieb 1927 von einer Amphiktyonie der um das Heiligtum auf dem Berg → Tabor wohnenden Stämme und 1928 von der „Form sakraler Verbände um gemeinsame Heiligtümer, sogenannte ‚Amphiktyonien’“ als „älteste Verbindung der Stämme zu einer höheren Einheit, aus der das historische Volk Israel erwachsen konnte“ (S. 438).

Seine große Bedeutung aber erhielt das Thema durch → Martin Noth, der in seinem Werk „Das System der zwölf Stämme Israels“ (1930) das Modell der Amphiktyonie zu einer Gesamterklärung der vorstaatlichen Gegebenheiten in Israel verwendete.

Die Forschungsgeschichte ist somit wohl dahingehend zu klären, dass zwar der Begriff der Amphiktyonie schon von verschiedenen Autoren gebraucht worden war, dass aber das Modell einer Amphiktyonie vor Albrecht Alt und insbesondere Martin Noth nur ansatzweise oder beiläufig, aber noch nicht so betont und konsequent als Gesamtstruktur auf das 12-Stämme-Volk angewendet worden war. (Damit erklärt sich auch, warum Max Weber den Begriff amphiktyonisch keineswegs als neu, sondern wie selbstverständlich – aber offensichtlich noch eher regional begrenzt – gebrauchte, während er seinerseits das [stärker politisch akzentuierte] Erklärungsmodell „Eidgenossenschaft“ für die Gesamtstruktur des vorstaatlichen Israel verwendete.)

2.2. Amphiktyonie als Modell für das vorstaatliche Israel

Wesentlicher Ausgangspunkt für die Verwendung der Amphiktyonie als Modell für die Beschreibung Israels in der vorstaatlichen Zeit war die Zwölfzahl der Stämme, die sich in den Stämmelisten (Gen 49; Dtn 33; Gen 29,31-30,24; Gen 35,16-18) durchhält, auch wenn die Namen der Stämme teilweise wechseln. Von da ausgehend identifizierte M. Noth auch andere Elemente der Richterzeit (→ Eisenzeit I) im Licht einer Amphiktyonie: Zu einer Amphiktyonie gehört insbesondere ein zentrales Heiligtum und ein entsprechendes Kultobjekt. Als solches zentrales Kultobjekt konnte man die Bundeslade (→ Lade) betrachten. Allerdings gab es da das Problem, dass der Standort der Bundeslade im Lauf der Richterzeit offensichtlich wechselte. Erst am Schluss war die Lade in Silo (1Sam 4). Zuvor war sie nach den alttestamentlichen Erzählungen in → Gilgal (Jos 6) und vielleicht auch in → Bethel (Gen 35). Man erklärte sich diese Gegebenheit mit der Vorstellung einer „Wanderung“ der Lade und damit des Wechsels des amphiktyonischen Zentralortes, so wie ja die Lade nach dem zeitweiligen Verlust an die → Philister schließlich nach Jerusalem kam (2Sam 6) und da – in Verbindung mit dem heiligen Zelt bzw. dann dem Salomonischen Tempel (1Kön 8) – den religiösen Mittelpunkt und das zentrale Heiligtum Israels darstellte.

Das Modell der Amphiktyonie erklärte auch, warum die israelitischen Stämme, obwohl sie keine politische Zentralgewalt (d.h. keinen König) hatten, sich als zusammengehörig verstanden und gemeinsam handelten. Insbesondere aber erklärte die Amphiktyonie, warum die israelitischen Stämme bei aller Verschiedenheit gemeinsam den Gott → Jhwh verehrten, warum sie sich zusammen als das Gottesvolk → Israel verstanden und warum sie offensichtlich auch gewisse gemeinsame ethische Normen besaßen (vgl. die Rede von einer „Schandtat in Israel“, Gen 34,7; Ri 20,6; Dtn 22,21 bzw. den Satz „so tut man nicht in Israel“, 2Sam 13,12). Der Gedanke war, dass die israelitischen Stämme bzw. die Stammesvertreter bei den großen Wallfahrtsfesten (→ Wallfahrt) am zentralen Heiligtum zusammenkamen und dort nicht nur die jeweiligen Feste feierten, sondern dabei auch die geschichtlichen Traditionen wie auch die ethischen Normen thematisiert und vergegenwärtig wurden. Eine wichtige Rolle hätten dabei die sog. → Kleinen Richter (Ri 10,1-5; Ri 12,8-15) gespielt, die bei diesen amphiktyonischen Versammlungen nicht nur in richtender bzw. schlichtender Funktion bei Problemen zwischen den Stämmen auftraten, sondern auch als Gesetzessprecher, die das amphiktyonische Gottesrecht verkündeten, aber auch die geschichtlichen Traditionen Israels (→ Exodus, → Wüstenwanderung, → Landnahme sowie die Erzvätertraditionen [→ Erzeltern]) in Erzählungen aber auch in knappen Geschichtssummarien („kleines geschichtliches Credo“, Dtn 26,5-10, aber auch Jos 24,1-5; Dtn 6,20-25) wach hielten. Nicht zuletzt hätte die Amphiktyonie darüber hinaus auf der Basis dieser Gemeinsamkeiten gemeinsames Handeln bei äußerer Bedrohung ermöglicht (Abwehrkämpfe der Richterzeit). Die Amphiktyonie hätte aber bei einem schweren Vergehen gegen die gemeinsamen Normen ggf. auch Krieg gegen einen Mitgliedsstamm geführt (vgl. Ri 19-21).

Die Vorstellung einer Amphiktyonie der israelitischen Stämme wurde damit zu einem wichtigen Bindeglied zwischen der Vorgeschichte Israels (Erzvätergruppen, Exodus- und Sinaigruppe sowie Gruppen und Stämmen, die sich Israel anschlossen; vgl. Jos 24,15: „erwählt euch heute, wem ihr dienen wollt“) und andererseits dem Königtum.

Die Genealogien (Gen 29f.) lassen darüber hinaus eine gewisse Zweiteilung erkennen, nämlich die sechs (leiblichen) Söhne der → Lea einerseits und die Söhne der → Rahel andererseits. Da es im griechischen Bereich sowohl 6er- als 12er-Amphiktyonien gibt, konnte man die Genealogie der Jakobsöhne bzw. der israelitischen Stämme zweistufig erklären: Zuerst habe es eine (ältere) 6er-Amphiktyonie der Leastämme gegeben, die dann durch Hinzukommen der Rahelstämme – vielleicht in → Sichem – zu einer 12er-Amphiktyonie erweitert worden wäre (vgl. dazu wieder Jos 24,15). Die ältere 6er-Amphiktyonie hätte dabei schon den Namen „Israel“ getragen (wie er etwa in der Merenptah-Stele [→ Merenptah] um etwa 1210 v. Chr. für eine in Mittelpalästina lebende Menschengruppe belegt ist), während die Rahelstämme dann vom → Exodus und vom → Sinai her die Verehrung des Gottes Jhwh mitgebracht hätten, der somit in der Amphiktyonie zum Gott Israels geworden wäre.

Ein weiterer Aspekt war die Vorstellung, dass mit der Amphiktyonie, insbesondere mit ihrer letzten Phase in Silo, schon während der Richterzeit eine so feste und zentrale Struktur erreicht war, dass der Übergang zum Königtum und vor allem zu einem zentralen Tempel in Jerusalem nur mehr als kleiner Schritt erschien. Der von Salomo errichtete königliche Tempel wäre damit der geradezu selbstverständliche Nachfolger des amphiktyonischen Zentralheiligtums geworden.

Dieses Modell einer frühisraelitischen Amphiktyonie erhielt in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg – insbesondere auch durch Martin Noth’s „Geschichte Israels“ (1950) – große Verbreitung und genoss trotz einzelner kritischer Einwände breite Akzeptanz. Allerdings wurde das Modell zunehmend ausgedehnt (z.B. Kriegsführung der Amphiktyonie als „Heiliger Krieg“) und geradezu zu einem universalen Schlüssel für verschiedene Fragen der Frühgeschichte Israels. Damit wurde das Modell der Amphiktyonie überlastet, was dann im Lauf der 1960er-Jahre zu zunehmender Kritik führte.

2.3. Kritik an der Verwendung des Modells einer Amphiktyonie

Kritikpunkte waren etwa, dass nicht überall von einer Zwölfzahl der Stämme die Rede ist, sondern dass in dem (meist als sehr alt betrachteten) → Deboralied (Ri 5) keine Zwölf- sondern eine Zehnzahl von Stämmen vorausgesetzt ist. Auch die Zweistufigkeit von 6er- und 12er-Amphiktyonie ist schwierig: Zwar werden 6 leibliche Söhne der Lea genannt (Gen 29,31-35; Gen 30,17-20), aber bei den Rahelstämmen muss man nicht nur die Söhne von Rahels Magd dazunehmen (Gen 30,4-8), sondern auch jene der Leibmagd Leas. (Gen 30,9-13), um die Zwölfzahl zu erreichen.

Ebenfalls kritisiert wurde, dass man für die ca. 200 Jahre der Richterzeit einen Wechsel des Zentralortes der Amphiktyonie annehmen muss, was allerdings nicht unmöglich ist (vgl. oben 1.3., der Wechsel des Sitzes der Amphiktyonie von Anthela nach Delphi). Schließlich erscheint auch die Übertragung der Rolle des zentralen Heiligtums auf den Salomonischen → Tempel problematisch. Der von Salomo erbaute Tempel war zwar ein bedeutendes Heiligtum, neben dem aber zunächst und für längere Zeit andere wichtige Heiligtümer existierten. Eine so zentrale und exklusive Rolle, wie in der oben erwähnten Vorstellung vorausgesetzt ist, erhielt der Salomonische Tempel noch nicht im 10., sondern erst im 7. Jh. nach dem Untergang des Nordreiches und den Reformen unter König → Josia. Diskutiert wurde auch das Verhältnis zu den 12 Verwaltungsbezirken → Salomos. Ahmt das Eine das Andere nach? Oder liegt die Gemeinsamkeit nur in der 12-Zahl als symbolische Zahl der Vollständigkeit. Ein gewisses Problem liegt auch darin, dass die israelitische Amphiktyonie einige Jahrhunderte älter wäre, als die griechischen. Allerdings war das Verhältnis von Alt und Noth nicht als Abhängigkeit, sondern als Analogie verstanden worden.

Ein ab etwa 1970 zunehmend wichtiger Punkt in der Kritik an der Amphiktyoniehypothese wurde eine erheblich andere Einschätzung des Alters der Texte. Verschiedene der im Rahmen der Amphiktyoniethese wichtigen Texte (z.B. die diversen → Genealogien oder auch die Geschichtssummarien) sind wohl doch nicht so alt, dass sie die Amphiktyoniethese tragen können.

2.4. Bewertung

Mit der Annahme einer Amphiktyonie in der Frühzeit Israels wurde eine äußerst fruchtbare Hypothese in die Erforschung der vorstaatlichen Zeit Israels eingeführt. Sie ermöglichte sowohl in soziologischer wie in religionsgeschichtlicher Hinsicht nicht nur die Erklärung einzelner Phänomene, sondern bot ein geschlossenes Gesamtbild, das nicht zuletzt dadurch besonders überzeugend war, dass es verschiedenen, sonst oft schwer einzuordnenden Elementen (z.B. die Rolle der → Kleinen Richter) eine klare Rolle in einem eindrücklichen Gesamtbild zuwies.

Das Modell der Amphiktyonie hat forschungsgeschichtlich auch darin seine Bedeutung, dass es neben dem mesopotamischen und dem ägyptischen Kulturkreis auch die Verbundenheit Israels mit dem Kulturkreis des östlichen Mittelmeeres berücksichtigte.

Dass das Modell der Amphiktyonie seit ca. 1980 in der alttestamentlichen Forschung kaum mehr berücksichtigt wird, liegt nicht nur an den oben erwähnten Schwächen und der veränderten Einschätzung des historischen Quellenwertes der alttestamentlichen Texte, sondern auch an anderen Zugängen zur Frühgeschichte Israels.

Allerdings bleibt die Frage, in welcher Weise die soziologischen und religionsgeschichtlichen Gegebenheiten des vorstaatlichen bzw. früheisenzeitlichen Israel zu beschreiben und zu erklären sind, und auch, in welcher Weise die gemeinsame Jhwh-Verehrung in den israelitischen Stämmen bzw. in den beiden nebeneinander existierenden und rivalisierenden Staaten Israel und Juda zu erklären ist. Hier wird man nicht mehr auf das Gesamtmodell Amphiktyonie mit einem zentralen Heiligtum zurückgreifen können, andererseits wird man die Bedeutung der verschiedenen Heiligtümer für die jeweils umliegenden Stämme nicht unterschätzen und die Frage nach ihrer Verbundenheit nicht vernachlässigen dürfen.

Literaturverzeichnis

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