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alttestamentarisch / alttestamentlich

(erstellt: November 2011)

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„Alttestamentlich“ ist das Adjektiv zu „Altes Testament“ wie „neutestamentlich“ zu „Neues Testament.“ Neben „alttestamentlich“ begegnet im deutschen Sprachgebrauch – z.B. in der Presse, jedoch nicht in theologischer Fachliteratur – das Adjektiv „alttestamentarisch“. Dem trägt der aktuelle Duden Rechnung, indem er „alttestamentarisch“ im Sinne von „nach Art des Alten Testaments“ anbietet, „alttestamentlich“ aber nach „Alttestamentler“ offensichtlich dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch zuordnet. Trotz dieses landläufigen Sprachgebrauchs ist die Verwendung von „alttestamentarisch“ jedoch grundsätzlich zu meiden und „alttestamentlich“ vorzuziehen, zum einen weil der Begriff „alttestamentarisch“ geschichtlich mit einer negativen Wertung belastet ist und zum anderen weil der theologische Sprachgebrauch nicht dem juristischen entspricht.

1. Zur Geschichte des Begriffs „alttestamentarisch“

Mit dem Adjektiv „alttestamentarisch“, dessen Pendant „neutestamentarisch“ es nach dem aktuellen Duden nicht gibt, ist eine unsachgemäße Abwertung des Alten Testaments und eng damit zusammenhängend des Judentums verbunden; es weckt Assoziationen und (in der Regel unreflektierte) Klischees wie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (zum Verständnis dieser Wendung s. jedoch → Recht 4.), „Rache“, → „Strafe“ oder → „Vergeltung“ (s. die Wortfeldanalyse und den Vergleich zu „alttestamentlich“ bei Mertin). Das liegt weniger an der Bildung des Adjektivs, da die Bildung mit der Endung „-arisch“ durchaus der anderer aus dem Lateinischen abgeleiteter Adjektive entspricht (vgl. „dokumentarisch“; fragmentarisch; Henzen 201f.), sondern an seiner von einer negativen Wertung bestimmten Geschichte, nicht zuletzt in der NS-Zeit.

„Die Völker wollen nicht mehr auf den Schlachtfeldern sterben, damit diese wurzellose internationale Rasse an den Geschäften des Krieges verdient und ihre alttestamentarische Rachsucht befriedigt.“ (so Hitler in einer Rede im Reichstag am 30.01.1939, zit. nach Domarus 1658). „Die Auslandshetze gegen Heydrich nimmt von Stunde zu Stunde zu. Die Juden toben sich in einer Form aus, die man nur als alttestamentarisch bezeichnen kann. Man hat hier leicht Gelegenheit, festzustellen, was uns blühen würde, wenn wir einmal ein Schwächezeichen gäben.“ (Goebbels Tagebucheintrag vom 6.6.1942, zit. nach Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945, s. dort auch die Einträge vom 25.4.1940 und 27.11.1942). Auch wenn sich der Gebrauch des Adjektivs durch die Deutschen Christen nicht entsprechend belegen lässt, so begegnet in deren Schriften der Sache nach dieselbe ideologisch motivierte Abwertung des Alten Testaments (vgl. z.B. „das Alte Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral“ in der Entschließung der Deutschen Christen vom 13.11.1933; Hermle / Thierfelder 138f.).

Eine Wortschöpfung der Nationalsozialisten ist das Adjektiv „alttestamentarisch“ jedoch nicht. Es findet frühere Belege z.B. in Thomas Manns Buddenbrooks (1901): „Was Direktor Wulicke persönlich betraf, so war er von der rätselhaften zweideutigen, eigensinnigen und eifersüchtigen Schrecklichkeit des alttestamentarischen Gottes.“ (S. 430). Sein Gebrauch (Belege bei Mertin und Hommel 205f.) lässt sich bis ins frühe 19. Jh. zurückverfolgen. Den frühesten Beleg bietet vermutlich der Titel von Wilhelm Blumenhagens 1816 erschienenem Stück „Simson: dramatisches Heldengedicht in fünf Abtheilungen, nach einer alttestamentarischen Sage.“ Ungefähr gleichzeitig schrieb Brentano bereits an den jedoch erst 1846 posthum erschienenen Rheinmärchen. Dort heißt es im Märchen vom Schneider: „So war das unglückliche Ende dieser neunmal neunundneunzig Braven; sie, die nicht der grausame Sündenbock der alttestamentarischen Glaubensgenossen hatte besiegen können, unterlagen den Sünden des jugendlichen Übermuts, die schon manchem Helden den Helmbusch geknickt haben; sie, die den langen Tag der Juden bezwungen hatten, wurden von einem kurzen Freudentage erdrückt und erblickten das Licht nicht wieder, welches ihnen mit der Lichtputze ausgelöscht worden.“ (Frühwald / Kemp 272). Beide Belege sprechen für Mertins Vermutung, es handele sich um eine Wortschöpfung der frühen Romantik. Auch wenn bereits bei Brentano eine abwertende Verwendung begegnet, spricht die Mehrzahl der Belege für einen schlicht unbedachten Sprachgebrauch. Unabhängig davon, ob sich dieses Bild in eine Richtung (abwertend oder neutral, aber unbedacht) präzisieren lässt, bleibt das Adjektiv „alttestamentarisch“ durch seine Verwendung im Nationalsozialismus eindeutig negativ besetzt und belastet.

2. Juristischer versus theologischer Sprachgebrauch

Die Bildung „alttestamentarisch“ entspricht zwar dem lateinischen Adjektiv testamentarius, ist sachlich aber nicht angemessen, da zwischen juristischem („Testament“, „testamentarisch“) und theologischem („Testament“, „testamentlich“) Sprachgebrauch zu unterscheiden ist.

Im juristischen Sprachgebrauch ist testamentarisch gängig und über testamentarius von der profanen Verwendung des lateinischen testamentum i.S. von „letzter Wille / Testament“ hergeleitet.

Für den theologischen Sprachgebrauch ist zunächst zu berücksichtigen, dass testamentum (in der Vulgata) ebenso wie das griechische διαθήκη (im Neuen Testament und in der Septuaginta) zu einem theologischen Begriff geworden ist, der sich nicht mit dem profanen bzw. juristischen Begriff deckt. Testamentum und διαθήκη werden in der Regel mit → „Bund“ (entsprechend hebräisch ברית bәrît) übersetzt und bezeichnen das von Gott gesetzte Verhältnis zu seinen Menschen. Im Rahmen der neutestamentlichen Rede vom alten und neuen Bund / Testament (z.B. Mk 14,24 parr.) würde die juristische Terminologie „Testament“ bzw. „testamentarisch“ hier gänzlich falsche Assoziationen wecken: Nach ihr würde der alte Bund nämlich durch den neuen ungültig, nach theologischer Terminologie ist genau dies aber nicht der Fall! Deswegen sollte zumindest auf der Ebene des Adjektivs terminologisch unterschieden werden. Allerdings wurde in nachneutestamentlicher Zeit (Barnabasbrief; Justin, Dialogus cum Tryphone Judaeo) das sog. Substitutionsmodell entwickelt, nach dem das Neue Testament das Alte ersetzt (→ Jüdisch-christlicher Dialog), doch wird dieses Modell schon seit einiger Zeit aus israel-theologischer Perspektive zu Recht problematisiert und sollte nicht durch die Adjektivbildung „alttestamentarisch“ fortgeschrieben werden.

Zudem wird das Wort Testament im theologischen Sprachgebrauch dann noch einmal zu einem gänzlich neuen Begriff, der eine für das Christentum verbindliche Sammlung von Schriften bezeichnet: In der Alten Kirche entwickelt sich aus der Unterscheidung von altem und neuem Bund / Testament bei Paulus (2Kor 3) und im Hebräerbrief (Hebr 7,22; Hebr 8,7f; Hebr 9,1.15 etc.) die Bezeichnung der beiden Teile des christlichen Kanon „Altes“ und „Neues Testament“. Entscheidend ist dabei 2Kor 3,14: Paulus spielt mit der „Verlesung des Alten Bundes“ auf die synagogale Lesung an. Aus dem Alten Bund wird dadurch die Bezeichnung der Schriften des ersten Teils des christlichen Kanon als „Altes Testament“ (zuerst belegt bei Melito von Sardes, zitiert von Euseb; → Kanon 5.1).

Da somit zwischen juristischem und theologischem Gebrauch des Substantivs „Testament“ zu unterscheiden ist, ist es naheliegend und sinnvoll, diese Unterscheidung auf der Ebene des Adjektivs durch verschiedene Bildungen zum Ausdruck zu bringen: „Eine durch ein Testament festgelegte Bestimmung ist eine ‚testamentarische’ Verfügung. Dem steht die Bildung ‚alttestamentlich’ usw. gegenüber …“ (Kutsch, 166 Anm. 1; so auch Hommel, 205).

Literaturverzeichnis

  • Domarus, M., 1995, Hitler: Reden und Proklamationen, 1932-1945, Bd. IV, München
  • Dudenredaktion (Hg.), 2006, Duden. Die deutsche Rechtschreibung. Auf Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln, 24. Aufl., Mannheim u.a.
  • Frühwald, W. / Kemp, F. (Hgg.), 2002, Clemens Brentano, Bd. 3, 3. Aufl., München
  • Hegermann, H.,1992, 2. Aufl., Art. διαθήκη, EWNT I, 718-725
  • Henzen, W., 1957, Deutsche Wortbildung, 2. Aufl., Tübingen
  • Hermle, S. / Thierfelder, J., 2008, Herausgefordert. Dokumente zur Geschichte der Evangelischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart
  • Hommel, H., Bemerkungen zur deutschen Sprachverwilderung, in: F.J. Oroz Arizcuren (Hg.), Navicula Tubingensis (FS A.Tovar; Tübinger Beiträge zur Linguistik 230), Tübingen 1984, 199-209
  • Kutsch, E., 1978, Neues Testament – Neuer Bund? Eine Fehlübersetzung wird korrigiert, Neukirchen-Vluyn 1978
  • Mann, T., 1911, Die Buddenbrooks, 52. Aufl., Berlin
  • Mertin, A., '-arisch' oder: Sprache als Indiz. Zur Renaissance eines Adjektivs, in: Tà katoptrizómena, das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik 33 (2005) (im Internet)
  • Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945 / National Socialism, Holocaust, Resistance and Exile 1933-1945, Berlin / New York 2006 (Datenbank)

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