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Adoption (AT)

(erstellt: Juni 2013)

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Der Begriff „Adoption“ wird in der Bibelwissenschaft gelegentlich verwendet, um eine bestimmte Beziehung zwischen Menschen sowie metaphorisch zwischen Gott und Mensch zu charakterisieren – etwa wenn JHWH zum König spricht: „Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt.“ (Ps 2,7). Es ist jedoch Vorsicht geboten, mit unserem modernen Konzept von „Adoption“ vorschnell rechtliche Beziehungen beschreiben zu wollen, die allein aus literarischen Texten abgeleitet werden können. Da die in dem Zusammenhang diskutierten Stellen sehr unterschiedliche sozialgeschichtliche Verhältnisse voraussetzen und es im zwischenmenschlichen Bereich meist um Versorgung, Erbfolge und Weiterführung der Familienlinie geht, beschreibt der Begriff die angesprochenen Verhältnisse nur unzulänglich.

1. Zu Terminologie und Gegenstand

1.1. Begriff

Nach geltendem deutschen Recht versteht man unter Adoption die rechtliche Annahme eines minderjährigen Kindes zu dessen Wohl, das durch die Adoption die gleiche Rechtsstellung wie ein leibliches Kind erhält (§§ 1741-1772 BGB). Die Adoption Volljähriger hat schwächere Wirkungen.

Sieht man von den wenigen Belegen des metaphorisch gebrauchten griechischen Begriffs „Annahme an Sohnes statt“ (griechisch: υἱοθεσία hyiothesía) in Röm 8,15.23; Röm 9,4; Gal 4,5; Eph 1,5 ab, der im eigentlichen Sinn einen juristischen terminus technicus darstellt, gibt es weder in der Hebräischen Bibel noch in der → Septuaginta ein Wort, das auf eine Rechtsinstitution der Adoption verweist.

Zudem ist es problematisch, den Referenzbereich von „Adoption“ im Sinn des deutschen Rechts auf sozialgeschichtliche und rechtliche Gegenstände der antiken Kulturen anzuwenden.

Im römischen Recht wird zwischen Adoption und Arrogatio von (rechtshistorisch zunächst nur erwachsenen) Männern, Frauen und Sklaven durch einen freien Bürger differenziert, wobei sich bei Ersterer der Adoptierte noch in der patria potestas des natürlichen Vaters befindet und bei Letzterer ein Bürger sui iuris adoptiert wurde.

Auch dieser eng gefasste Begriff von Adoption wird den in den biblischen Texten beschriebenen Phänomenen nicht gerecht. Der Gegenstandsbereich einer „Adoption“ muss, wie auch der Blick auf die Kulturen des Alten Orients und Ägyptens zeigt, weiter gefasst werden.

1.2. Motive

Während in der Gegenwart in der westlichen Welt die Gründe für eine Adoption in der Regel persönlicher Natur sind und das Wohl des Adoptierten im Blick haben, sind die Motive in den antiken Kulturen rechtlicher und sozialer Natur und „Adoptionen“ weiter verbreitet. Sie ermöglichten als rechtliches Instrument Eheschließung, Übertragung von Besitz und Handel.

Das Verhältnis von Eltern und Kind ist von der Natur gegeben; Legitimität ist hingegen ein rechtliches Konstrukt, das sich von einem anderen künstlichen Konstrukt, der Ehe, ableitet. Nur ein innerhalb einer Ehe geborenes Kind hat als legitimes Kind die damit einhergehenden Rechte und Pflichten. Fehlen der natürliche Status oder der der Legitimität wird mit Hilfe des Konstrukts der Adoption der Status eines legitimen Sohnes oder einer legitimen Tochter geschaffen. Mit einer Adoption konnten in der Antike also Rechte und Pflichten innerhalb und außerhalb einer Familie übertragen werden.

In erster Linie sollte der agnatische Familienverband fortgeführt werden, v.a. wenn männliche Erben fehlten. Die Familie sollte vor dem Aussterben bewahrt, der Unterhalt der Adoptiveltern im Alter, die Durchführung des Totenkultes nach dem Tod des Adoptierenden gewährleistet und das Vermögen durch eine gesicherte Erbfolge erhalten werden.

1.3. Quellenlage

Bei der Rekonstruktion sozialgeschichtlicher Gegebenheiten und rechtlicher Vorgänge ist nicht nur Vorsicht geboten, wenn Termini und Konzepte der Gegenwart auf die Vergangenheit übertragen werden. Auch der fragmentarische Charakter der Zeugnisse stellt ein Problem dar. Dies gilt schon für außerbiblische Texte und umso mehr für die biblische Überlieferung. Abgesehen von den Bestimmungen zu → Leviratsehe (vgl. Dtn 25,5-10) und Erbtöchterrecht (vgl. Num 27,1-11; vgl. → Erbrecht), die nur in einem sehr weiten Sinn als „Adoption“ gefasst werden können, fehlen Hinweise in legislativen Texten ganz. Erzählungen von Vorgängen, die als „Adoption“ bezeichnet werden könnten, wollen keinen Einblick in das Rechtssystem geben, sondern diese stehen in einem funktionalen Verhältnis zur Textaussage. Der Versuch, Rechtshandlungen anhand der metaphorischen Beschreibung eines Vater-Sohn-Verhältnisses zu rekonstruieren, ist als noch problematischer einzustufen.

Zielführender erscheint, die rechtliche Frage nach einer Adoptionspraxis in Israel in den Kontext ägyptischer und altorientalischer Quellen zu stellen, die einige der beschriebenen Vorgänge als Adoption im weiteren Sinn erscheinen lassen. Allerdings gilt auch hier: Die Quellenlage ist unvollständig, und es bestehen große räumliche und zeitliche Unterschiede, so dass jede Verallgemeinerung zu vermeiden ist. Auch keilschriftliche Rechtssammlungen behandeln das Thema der Adoption lückenhaft. Die Funktion der Rechtssammlungen selbst lässt sich nicht eindeutig klären. Adoptivverträge sind häufiger überliefert, zielen aber ebenfalls nicht darauf, das Phänomen der Adoption selbst zu beschreiben und zu definieren. Nähere Umstände und z.B. das Alter der Beteiligten werden oft gar nicht erwähnt. Ein generelles „Adoptionsrecht“ ist also nicht zu rekonstruieren.

1.4. Ägyptischer und altorientalischer Befund

Adoptionen in Ägypten sind durch sehr wenige Texte und erst ab der 19. Dynastie direkt bezeugt.

Ein Ostrakon der 19. Dynastie nennt als Funktion und Ziel der Adoption, dass der Adoptivsohn dem Vater gegenüber bestimmte Pflichten einnimmt. Die Rechtswirksamkeit der testamentarischen Erbeinsetzung eines solchen Adoptivsohnes hängt von der Erfüllung der Totendienstpflichten durch den Erbbegünstigten ab.

Darauf verweist auch der sog. Adoptions-Papyrus aus ramessidischer Zeit: Ein Kinderloser adoptiert seine Ehefrau und überträgt ihr so sein Vermögen. Die als Tochter adoptierte Ehefrau wiederum adoptiert den Ehemann der Tochter ihrer Haussklavin, die vorher freigelassen wurde.

Als Beleg für die Arrogation kann ein Papyrus aus der Spätzeit (26. Dynastie) gelten, da der Verfügende sich selbst einschließlich seiner Kinder und seines Vermögens dem Arrogationsvater übereignet.

In der 25. und 26. Dynastie wurde die Amtsnachfolge der wohl unverheirateten „Gottesgemahlin“, einer Priesterin im thebanischen Gottesstaat, durch Adoption einer Schwester oder Tochter des amtierenden Pharaos gesichert. Da die Gottesgemahlinnen auch über politische Macht verfügten, wurde durch das Adoptionsverfahren der Entstehung einer Paralleldynastie vorgebeugt.

Der Befund in Mesopotamien ist zeitlich und räumlich weiter gestreut. Erste relevante Texte datieren in den Beginn des 2. Jahrtausends vor Christus. Die größte Dichte weist die Überlieferung für die altbabylonische und mittelbabylonische Zeit auf.

Im Hinblick auf die Gattung muss unterschieden werden zwischen Rechtssammlungen, darunter prominent §§ 170-171 und 185-193 des sog. Codex → Hammurabi, und Adoptionsverträgen und Prozessakten zu Sorgerechts- und Erbstreitigkeiten.

Terminologisch wird eine Adoption umschrieben mit „zur Kindschaft annehmen“ (akk. ana mārūti leqû) oder auch „zur Bruderschaft / Schwesterschaft / Vaterschaft annehmen“ (akk. ana aḫḫuti/aḫātūti/abbūti leqû). Eine Frau wird auch „als Schwiegertochter angenommen“ (akk. ana kallūti leqû), bevor sie einem Sohn zur Frau gegeben wird. Durch den Sprechakt „Du bist mein Sohn / meine Tochter!“ wird dem Adoptierten der neue Status zugesprochen. Mit den Worten „Du bist nicht mein Sohn / meine Tochter!“ wird das Adoptionsverhältnis wieder gelöst: Der Adoptierende verliert seine Investition, der Adoptierte das Erbe, wenn dies vertraglich nicht anders geregelt worden ist.

Niedergeschrieben sind Angaben zu dem Adoptionsverhältnis und Bedingungen zu dessen Auflösung, Namen der Zeugen und Datum. Vertragspartner sind in der Regel der Adoptierende und Vater oder Mutter bzw. Vormund des Adoptierten, manchmal aber auch der Adoptierte selbst. Dabei kann der Adoptierte als Erbe oder Lehrling adoptiert werden. Unfreie erhalten so den Status von Freien, illegitime Kinder werden legitimiert. Durch die Etablierung eines Schwesternverhältnisses von Frauen ein und desselben Ehemannes wird familiäre Einheit sicher gestellt; durch die Adoption eines Schwiegersohnes kann ein Vater ohne Söhne den Familienbesitz zusammen halten. Leibliche Eltern geben ihre Kinder zur Adoption frei, um deren Zukunft zu sichern. Unverheiratete Priesterinnen adoptieren eine Nichte, um die Kontinuität der Familie und des Besitzes zu sichern. Auch Brüder und Schwestern werden adoptiert. Landverkauf kann die Form einer Adoption annehmen, um eventuell ein Verbot zu umgehen, Erbland zu verkaufen. Hier mag eine Verbindung zur Vorstellung des → Loskaufs gegeben sein (vgl. Lev 25,23-28).

Ein aramäischer Papyrus der jüdischen Kolonie aus → Elephantine, der in das Jahr 416 v. Chr. datiert wird, berichtet von der Freilassung und Adoption eines Sklaven mit jüdischem Namen durch einen Adoptivvater mit ebenfalls jüdischem Namen.

2. Der biblische Befund

Legt man einen weiten Adoptionsbegriff zu Grunde, ergeben sich vielfältige Bezüge zu narrativen Texten. Allerdings ist hierbei stets die Funktion der geschilderten Vorgänge im Hinblick auf die Gesamtaussage zu berücksichtigen, ohne vorschnell auf zweifelsfrei zu identifizierende Rechtsakte zu schließen. In den Gesetzeskorpora selbst sind lediglich die Verordnungen zu Leviratsehe und Erbtöchterrecht für die Fragestellung auszuwerten. Hinweise auf rituelle Vollzüge sind spärlich. Aus forschungsgeschichtlichen Gründen seien Hinweise auf die metaphorische Verwendung eines Adoptionsverhältnisses zur Umschreibung der Verbindung von Gott und Mensch erwähnt.

2.1. Narrative Verweise

Im Hinblick auf möglicherweise als Adoptionsverhältnis zu bezeichnende Beziehungen kann unterschieden werden zwischen solchen, bei denen bereits verwandtschaftliche Beziehungen bestehen, und solchen, bei denen diese fehlen. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die Freie und Unfreie umfasst, kann im Hinblick auf den Adoptierten hier ebenfalls differenziert werden.

2.1.1. Adoption bei bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen

2.1.1.1. Der Sohn einer Nebenfrau. In den Erzelternerzählungen der Genesis sind zwei der Erzmütter, → Sara und → Rahel, zunächst unfruchtbar (vgl. Gen 16,1; Gen 29,31; Gen 30,1). Beide bleiben nicht tatenlos, sondern fordern → Abram bzw. → Jakob auf, mit einer unfreien Nebenfrau ein Kind zu zeugen (vgl. Gen 30,1: „Gib mir Kinder.“). Indem diese ein Kind bekommt, erhoffen sie sich eine Verbesserung ihrer Situation: „Vielleicht werde ich durch sie erbaut.“ (Gen 16,2, vgl. Gen 30,3; vgl. 2.3.1). Die Kinder der Magd werden allerdings nie als Söhne der ersten Frau bezeichnet, sondern erscheinen als → Bilhas Söhne (Gen 46,25; vgl. auch die Söhne Hagars in Bar 3,23). Jedoch spiegelt sich in den Namen der Söhne Bilhas nicht das Schicksal der leiblichen Mutter, sondern das Rahels. Die Geburt des ersten Sohnes der Bilha wird von Rahel als Wende ihres Status als kinderlose Frau gedeutet: „Gott hat mir Recht verschafft und auch auf meine Stimme gehört und mir einen Sohn gegeben“ (Gen 30,6). Gleiches gilt auch für die Benennung der Söhne der Magd → Leas (Gen 30,10-13).

Im Hintergrund der Texte mag eine Adoptionspraxis im Alten Israel stehen analog zu den Rechtsvorschriften des Codex Hammurabi. So verweist § 170 auf den Fall, dass eine Sklavin (hier des Mannes) ihm Kinder geboren hat. Werden diese vom Vater förmlich als seine Kinder angenommen, dann gelten sie als Kinder der Hauptfrau und sind diesen rechtlich gleichgestellt, so dass sie gleichermaßen erbberechtigt sind.

Im Kontext der Volksgeschichte wird im Kontrast zu den Versuchen Saras und Rahels, durch ihre Mägde Kinder zu bekommen, deutlich, dass es JHWH ist, der Leben schenkt. Während es nicht ein Kind Abrahams mit irgendeiner Frau ist, sondern nur das Kind Abrahams und Saras zum Vater Israels werden kann, entstehen aus den Kindern der Frauen wie der Nebenfrauen die zwölf Stämme Israels.

Eventuell unterscheidet Lev 18,9 nach Geschwistern und Halbgeschwister von Nebenfrauen: „Die Scham deiner Schwester, einer Tochter deines Vaters oder einer Tochter deiner Mutter, darfst du nicht entblößen, sei sie im Haus oder außerhalb geboren.“ Die Tochter der Mutter wäre dann eine Schwester, die im Haus geboren wurde, die Tochter des Vaters eine Tochter mit einer Nebenfrau, also eine Halbschwester, die eventuell adoptiert wurde. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine weitere Ehe nach dem Tod der ersten Ehefrau oder die Tochter einer Witwe, die wieder geheiratet wurde.

2.1.1.2. (Ur-)Enkel. Der Forderung Jakobs an seinen Sohn → Josef, seine Enkel Ephraim und Manasse, die Söhne Josefs, sollen ihm gleichermaßen gehören wie seine eigenen Söhne Ruben und Simeon (vgl. Gen 48,5), so dass Jakobs Söhne die Brüder seiner Enkel sind, wird als Hinweis auf eine Adoption der Enkel durch Jakob gelesen. Explizit benannt wird aber nur die erbrechtliche Gleichstellung (vgl. Gen 48,6) der Kinder einer Mischehe mit der ägyptischen Priestertochter Asenat. Die Erzählung hat darüber hinaus ätiologische Funktion: Sie erklärt, warum Ephraim und Manasse und nicht Josef zu den zwölf Stämmen Israel gezählt werden. Diskutiert wird auch, ob Josef seine Urenkel, die Söhne → Machirs, adoptiert habe (vgl. Gen 50,23; vgl. 2.3.1). Einer der Machir-Söhne ist → Gilead(vgl. Num 26,29; 1Chr 7,14). Ist Gilead ein ursprünglich nicht zu Israel gehörender Stamm, wird er auf diese Weise narrativ über Verwandtschaftsverhältnisse in Israel eingegliedert.

Die unpräzise Bezeichnung Noomis als „Unterstützerin“ (hebr. אֹמֶנֶת ’omænæt in Rut 4,16) und dass die Nachbarinnen das Kind der → Rut als Sohn Noomis bezeichnen (vgl. Rut 4,17), könnten auf die Etablierung einer besonderen Beziehung von Großmutter und Enkel deuten. Vorausgesetzt ist hier wiederum, dass entsprechend dem Konzept der Leviratsehe (vgl. 2.2.1) das Kind Ruts als Sohn des verstorbenen Machlon, Noomis Sohn, gilt. Allerdings verweist der Terminus „Unterstützer“ eher in das weit gefasste Feld von Pflege, Erziehung und Beratung (vgl. Num 11,12; 2Kön 10,1.5; Jes 49,23; 2Sam 4,4), als dass er zwangsläufig ein Adoptionsverhältnis bezeichnen würde, und die Bezeichnung des Enkels Obed als Sohn Noomis macht die Moabiterin Rut da unsichtbar, wo es um die davidische Linie geht.

2.1.1.3. Illegitimer Sohn. Den Anspruch eines illegitimen Sohnes auf das Erbe scheint die Vertreibung → Jeftahs durch die legitimen Söhne Gileads vorauszusetzen (Ri 11,1-2). Jeftah ist der Sohn einer Prostituierten, somit illegitim und nicht erbberechtigt: „Du erbst nicht mit dem Haus unseres Vaters, denn du bist der Sohn einer anderen Frau.“ Dass die legitimen Söhne überhaupt zum Mittel der Vertreibung greifen, kann nur damit erklärt werden, dass Gilead Jeftah zuvor adoptiert oder zumindest legitimiert hat.

2.1.1.4. Neffe und Nichte. Im Kontext der Leviratsehe (vgl. 2.2.1) wird ein posthum gezeugter Sohn der Ehefrau des Verstorbenen und eines Bruders des Verstorbenen, also dessen Neffe, in den Status als Sohn des Verstorbenen erhoben, um dessen Namen und Familie weiterzuführen (vgl. Dtn 25,5-6.9).

Von → Mordechai wird erzählt, dass er Ester, seine Nichte, nach dem Tod ihrer Eltern versorgt (Est 2,7). Wie Noomi wird er als „Unterstützer“ (hebr. אֹמֵן ’omen) bezeichnet, der Ester als Tochter zu sich genommen habe (hebr. לקח לוֹ לְבַת lqḥ lô ləvat). Diese hebräische Formulierung entspricht den aus akkadischen Urkunden bekannten „Adoptionsformeln“. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Schauplatz des Esterbuches → Susa, die Hauptstadt der Perser, ist und das Esterbuch auch entstehungsgeschichtlich in der Diaspora verortet wird. Der Vorgang muss also nicht zwangsläufig israelitisch-jüdisches Recht widerspiegeln. Ester ist die einzige weibliche Person, von der berichtet wird, dass sie als Tochter angenommen wird.

2.1.2. Adoption bei fehlenden verwandtschaftlichen Beziehungen

2.1.2.1. Ehefrau. Aus Angst um das eigene Leben gibt → Abraham in Ägypten und in → Gerar seine Frau → Sara als seine Schwester aus (Gen 12,13; Gen 20,2; vgl. → Isaak in Gen 26,7; → Preisgabeerzählung). In Gerar versucht Abraham, seine Lüge zu entschulden, indem er darauf verweist, Sara sei doch tatsächlich die Tochter seines Vaters, nur nicht seiner Mutter (Gen 20,12). In diesem Zusammenhang wurde in der Forschungsgeschichte als Erklärung auf den ägyptischen Beleg verwiesen, dass ein Mann seine Frau als Tochter adoptierte. Hurritische Quellen aus → Nuzi zeigen, dass Frauen u.a. zur Schwester adoptiert wurden (akk. ana aḫātūtu leqû), bevor sie in die Ehe gegeben wurden. Hinter den Erzählungen von der Preisgabe der Ahnfrau eine ähnliche Praxis in Israel zu vermuten, wird aber weder dem erzählten Sachverhalt, denn Sara erscheint ja als leibliche Halbschwester, nicht adoptierte Schwester, noch der Funktion der Erzählungen im Kontext der Erzelternerzählungen gerecht.

2.1.2.2. Schwiegersohn. Die vertraglichen Regelungen zwischen → Laban und seinem Schwiegersohn Jakob zu Ehefrau, Bereitstellung von Arbeitskraft und Vermögen (Gen 29-31) haben vor dem Hintergrund von zwei Adoptionsverträgen aus Nuzi Anlass zur Spekulation gegeben, auch hier ginge es um die Etablierung eines Verwandtschaftsverhältnisses. Explizit wird dies im biblischen Text jedoch nicht benannt. Allerdings sieht das Dokument aus Nuzi vor, dass dem Adoptivsohn die Hausgötter übereignet werden. Damit würde Rahel die Teraphim rechtmäßig entwenden (vgl. Gen 31,19). Allerdings wertet der biblische Text Rahels Tat als Diebstahl.

Anders verweist im Fall des → Barsillai (Esr 7,61; Neh 7,63) zumindest die Namensidentität, die durch die Eheschließung zwischen dem Vater der Frau und deren Mann gegeben ist, auf ein Verhältnis, das als verwandtschaftliches gesehen wird.

2.1.2.3. Findelkind. Mit einer formelhaften Wendung wird der Wechsel des Verhältnisses zwischen der Tochter Pharaos und → Mose, der in ihren Augen ein Findelkind sein muss, beschrieben. Nachdem Mose auf Befehl der Tochter Pharaos von seiner natürlichen Mutter gestillt worden ist, eine Praxis, die auch für Adoptionen in Mesopotamien belegt ist, wird er wieder an den Königshof gebracht. Er wird der Tochter Pharaos zum Sohn. Die hebräische Formulierung lautet היה־לָהּ לְבֵן hjh lāh ləven „ihr zum Sohn werden“ (Ex 2,10), und Pharaos Tochter benennt Mose, so wie auch die Erzmütter den Kindern der Nebenfrauen einen Namen geben. Man hat hier auf eine ägyptische Rechtspraxis schließen wollen. Allerdings ist hier strikt zu unterscheiden zwischen Ort der Erzählung und dem kulturellen Setting, in dessen Kontext die Erzählung verfasst wurde. Zu verweisen ist vielmehr auf die Geburtslegende Sargons, der als illegitimes Kind einer entum-Priesterin von Akki, dem Wasserschöpfer, an Sohnes statt groß gezogen wird (vgl. TUAT.Erg., 55-57, Zeile 10; → Säugling mit dem Text der Sargonlegende). Wenn überhaupt spiegelt die Geburtslegende des Mose assyrische Praxis wider. Ein förmlicher Rechtsakt wird nicht beschrieben. Im Zusammenhang der Erzählung wird die enge Verbindung des Mose zu seinem Volk deutlich, der trotz ägyptischer Erziehung seinen Stammesbrüdern Recht schaffen will. Innerbiblisch wird der Vorgang als Etablierung eines Mutter-Sohn-Verhältnisses verstanden (vgl. Apg 7,21; Hebr 11,24).

2.1.2.4. Kind einer fremden Frau. Die Formulierung „sie setzten Söhne“ (hebr. שִׂים בָּנִים sîm bānim) im Anschluss an den Bericht von Eheschließungen in Esr 10,44 könnte vor dem Hintergrund akkadischer Parallelen weniger darauf schließen lassen, dass die Kinder in einer Mischehe gezeugt wurden, sondern auf die Adoption der Kinder der Frau durch die israelitischen Männer.

2.1.3. Adoption von Unfreien

Während die Söhne der Sklavinnen → Hagar, → Bilha und → Silpa zumindest leibliche Söhne eines freien Vaters sind, steht Eliëser von Damaskus, der Knecht Abrahams, in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Abraham. Dieser beklagt vor JHWH seine Kinderlosigkeit, so dass ihn der „Sohn des Hauses“, der Sklave → Eliëser, beerben werde (Gen 15,2-3). Gesetzt, nur ein Verwandter könne als Erbe eingesetzt werden (vgl. Num 27,8-11 und 2.2.2), verweist der Text indirekt auf eine vorhergehende oder noch ausstehende Adoption Eliësers in ein Verwandtschaftsverhältnis. Allerdings würde dann, wenn die Adoption bereits erfolgt wäre, das Erbrecht im Fall der Geburt eines leiblichen Sohnes verlöschen (vgl. Gen 15,4).

Scheschan, ein Mann ohne Söhne, gibt seinem ägyptischen Sklaven Jarha eine seiner Töchter zur Frau (1Chr 2,34-35). Wenn eine Ehe nur unter Freien möglich ist, dann wird auch hier indirekt auf Freilassung und Adoption eines Unfreien verwiesen.

2.2. Legislative Verweise auf Adoption

2.2.1. Leviratsehe

Die → Leviratsehe (von lat. levir „Schwager“; vgl. Dtn 25,5-10) sieht vor, dass die Frau eines ohne Sohn verstorbenen Mannes von dessen Bruder oder nächstem Verwandten zur Frau genommen wird. Ein mit diesem Verwandten gezeugter Sohn gilt auch innerhalb des patrilinearen Systems als Sohn des Toten. Ziel ist wie bei Adoptionen lebender Personen, dass der Mann ohne Sohn einen Nachkommen und Erben erhält, der auch seinen Namen und damit seine Familie weiterführt. Gleichzeitig wird so der Unterhalt der Witwe und eventueller Töchter gesichert (vgl. Gen 38; Rut 4; Mk 12,18-27).

2.2.2. Erbtöchterrecht

Wenn die Funktion einer Adoption primär darin gesehen wird, das Erbe zu regeln, ist in diesem Kontext das „Erbtöchterrecht“ zu nennen (Num 27,8-11). Verstirbt ein Mann ohne Sohn, tritt seine Tochter die Erbfolge an. Hat er auch keine Tochter, erben die Brüder bzw. Blutsverwandten. Diese Regelungen ersetzen daher den Akt der Adoption zum Erbbevollmächtigten.

2.3. Hinweise auf rituelle Handlungen

2.3.1. „Auf den Knien gebären“

Hebamme 1

Die Formulierung Rahels, ihre Magd Bilha solle auf ihren Knien gebären (Gen 30,3; hebr. ילד עַל־בִּרְכַּי jld ‘al-birkaj), hat Anlass zu Vermutungen gegeben, es handele sich um einen Adoptionsritus. Auch → Josef holt Ephraim und Manasse von den Knien seines Vaters weg (Gen 48,12), kurz nachdem dieser seinen beiden Enkeln denselben Status wie seinen Söhnen zugesprochen hat. Dass auch die Söhne Machirs auf Josefs Knien geboren werden (Gen 50,23), könnte einen symbolischen Akt belegen, mit dem die Vaterschaft legitimiert wird (vgl. auch Hi 3,12). Eine Legitimierung wird aber nicht explizit ausgesprochen.

Im Hintergrund der Formulierung kann auch die Art und Weise stehen, wie konkret Geburtshilfe geleistet wurde: Eine Frau gebar im Hocken (auf den Knien einer anderen), wie auch archäologische Zeugnisse zeigen (→ Geburt). Dass eine Frau auf den Knien einer (unfruchtbaren) Frau gebiert, kann auch als sympathetischer Ritus zur Erlangung von Fruchtbarkeit verstanden werden.

2.3.2. Ez 16

Einen förmlichen Adoptionsritus mag Ez 16,6 im Vergleich mit altorientalischen Quellen bezeugen. § 185 des Codex Hammurabi regelt, dass ein Neugeborenes, das aus seinem (Geburts-)Wasser zur Kindschaft angenommen und groß gezogen wird, später nicht mehr rechtlich beansprucht werden kann. Ein Adoptionsvertrag aus Elam aus dem 18. Jh. v. Chr. beinhaltet die Formel, das Kind werde „in seinem Wasser und Blut“ (akk. ina mêšu u dāmēšu) adoptiert. Wenn in Ez 16,6 der Sprecher im Rückblick auf den Tag der Geburt des Kindes sagt: „Da sprach ich zu Dir in Deinem Blut: ‚Lebe!‘“, dann kann die Zusprache von Leben vielleicht als rechtlicher Akt mit einer rituellen Formel bewertet werden.

2.4. Adoption als Metapher

Da die biblische Rede vom Menschen als Sohn bzw. Kind Gottes (→ Sohn / Tochter) Ähnlichkeiten zu Rechtstermini im mesopotamischen Raum aufweist, hat man die Umschreibung des Verhältnisses von Gott und Mensch als das einer Adoption verstehen wollen. Jedoch ist Vorsicht geboten: Die Rede von der Kindschaft Gottes stellt weder einen juristischen Begriff dar noch erlaubt die metaphorische Rede vorschnelle Rückschlusse auf eine reale Rechtspraxis.

2.4.1. Die Rede vom Sohn JHWHs im Alten Testament

2.4.1.1. JHWH – Israel. Das Verhältnis von JHWH und Israel wird als das von Vater und Sohn beschrieben. So beauftragt JHWH Mose, Pharao dazu zu bewegen, Israel ziehen zu lassen: „So spricht JHWH: Israel ist mein erstgeborener Sohn.“ (Ex 4,22-23). Pharao soll Israel ziehen lassen, sonst vernichte JHWH den Erstgeborenen Ägyptens. Die Rede von Israel als dem Erstgeborenen ist also das Bekenntnis JHWHs zu seinem Volk und Erben, dem Segen und Land verheißen ist. Die Rede von Israel als Sohn erscheint auch in der Evokation des Exodusereignisses bei Hosea: „Ich rief meinen Sohn aus Ägypten.“ (Hos 11,1). In beiden Fällen ist von Adoption nicht die Rede.

Ein anvisierter Statuswechsel mit Konsequenzen für die Erbfolge erscheint hingegen in der prophetischen Rede bei → Jeremia (Jer 3,19, vgl. Jer 31,9): Dem kollektiven Du wird der göttliche Plan enthüllt, es unter die Söhne aufzunehmen und ihm Land als Erbteil zu überlassen, was wiederum in der Anrufung Gottes als Vater durch das Volk resultieren würde.

2.4.1.2. JHWH – König. Metaphorisch wird auch das Verhältnis von JHWH und dem König als das von Vater und Sohn beschrieben (→ Königtum). In der prophetischen Rede des → Nathan wird dem künftigen Herrscher aus dem Haus → Davids in Aussicht gestellt: „Ich will für ihn Vater sein (hebr. היה־לּוֹ לְאָב hjh lô lə’āv), und er wird für mich Sohn sein (hebr. היה־לִּי לְבֵן hjh lî ləven).“ (2Sam 7,14). Die metaphorische Umschreibung des Verhältnisses zielt darauf, den König vor Gott in die Verantwortung zu rufen (2Sam 7,14) und ihm gleichzeitig ewige Treue zuzusichern (2Sam 7,15). Sie ist in Korrelation zur Bundesformel (→ Bund) zu sehen: „Ich werde für euch Gott sein, und ihr sollt mir zum Volk werden.“ (z.B. Ex 6,7). An der Zuwendung Gottes zum König zeigt sich der Bundesschluss mit seinem Volk. Die → Erwählung des Königs ist im Rahmen des Bundes mit dem Volk zu sehen.

In den Kontext der Königsinthronisation führt auch die sogenannte Adoptionsformel. Der königliche Sprecher erinnert an die an ihn ergangene göttliche Bestätigung: „Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt.“ (Ps 2,7). Sie steht der im Codex Hammurabi bezeugten Anerkenntnisformel „Meine Kinder seid ihr!“ (§ 170f) nahe. Dass forschungsgeschichtlich der Begriff der Adoption gewählt wird, will anzeigen, dass der König nicht als physischer Sohn Gottes gedacht werden soll, sondern Sohnschaft zugesprochen wird. Ob die Metapher des „Sohnes“ in der göttlichen Rede auf Sachebene auf einen Rechtsakt der Adoption anspielt, ist damit nicht gesagt. Ausgedrückt wird im Rahmen einer Selbstvergewisserung der eigenen Unüberwindbarkeit durch Feinde ein Erwählungsgeschehen, das den herrschenden König legitimiert und ihm Herrscheraufgaben zuordnet.

Die Vater-Metaphorik (→ Vater) von 2Sam 7 und Ps 2 im Kontext der Königserwählung bzw. im Zusammenhang der Verheißung an die Daviddynastie findet sich ebenso wie die Rede vom Erstgeborenen auch in Ps 89. An seine Erwählung anknüpfend wird von Gott über David als idealen König gesagt: „Er wird mich anrufen: Mein Vater bist du, mein Gott und der Fels meines Heils.“ (Ps 89,27). Die Reaktion auf das Bekenntnis zu Gott als Vater ist die göttliche Zusage „So will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen“ (Ps 89,28), als Repräsentanten des Erstgeborenen Israel (vgl. Ex 4,22; Jer 31,9). Diese gegenseitige Erklärung beschreibt das Verhältnis zweier Vertragspartner als paritätischen Bund, zu dessen ewiger Dauer sich der göttliche Sprecher bekennt: „Mein Bund soll ihm fest bleiben“. (Ps 89,29). Der Bundesschluss wird als eine einer Adoption ähnliche sekundäre Etablierung eines Vater-Sohn-Verhältnisses beschrieben. Es ist jedoch angemessener, die Metaphorik im Kontext der altorientalischen Königsideologie zu verstehen, als Rückschlüsse auf reale Adoptionspraktiken ziehen zu wollen.

2.4.2. Die Rede von der Gotteskindschaft im Neuen Testament

m Neuen Testament beschreibt die Selbstbezeichnung „Kinder Gottes“ (griech. τέκνα θεοῦ tékna theou, vgl. Joh 1,12; Joh 11,52; Röm 8,16.21; Röm 9,8; Phil 2,15; 1Joh 3,1.10; 1Joh 5,2; Eph 1,5) das Verhältnis von Gläubigen und Gott. Ein Kind Gottes wird, wer an Christus glaubt (vgl. Joh 1,12).

Die Sohnschaft wird → Paulus zufolge durch das Heilshandeln Christi ermöglicht: „Damit er die loskaufte, die unter dem Gesetz waren, damit wir die Sohnschaft empfingen.“ (Gal 4,5) und durch den Geist erkannt: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der da ruft: Abba, Vater!“ (Gal 4,6; vgl. Röm 8,15-16). Der in den Sohnstatus Erhobene ist befreit, daher auch erbberechtigt: „Also bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott.“ (Gal 4,7). Das Erbe besteht in der Leidensnachfolge und der Erhöhung: „Wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden.“ (Röm 8,17). Im Rückgriff auf die Sprache der sogenannten Adoptionsformel wird die Kindschaft als eschatologische Hoffnung benannt: „Wer überwindet, wird dies erben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein.“ (Apk 21,7). Der griechische Begriff „Annahme an Sohnes statt“ (griechisch: υἱοθεσία hyiothesía, vgl. Röm 8,15.23; Röm 9,4; Gal 4,5; Eph 1,5) verweist auf den Kontext der Adoption als bildspendenden Bereich, beschreibt jedoch in den genannten Textpassagen weniger einen Rechtsvorgang als das Verhältnis von Gott und Gläubigem. Gotteskindschaft wird nicht gesehen als rechtlicher Akt, sondern ist dem Geist Gottes verdankt.

3. Auswertung des Befundes

Folgt man einem engen Begriff von Adoption muss man zu dem Urteil kommen, dass Adoption so in Israel nicht existiert hat. Aber auch wenn ein weiter Begriff von Adoption zugrunde gelegt wird, bleiben die Hinweise auf Adoptionen spärlich. Dies mag mit Gattung und Sprechabsicht der biblischen Quellen und der Fragmentarität der Überlieferung zusammenhängen.

Erklärt wurde das Schweigen der biblischen Quellen auch damit, dass ein polygames Gesellschaftssystem bei Kinderlosigkeit nicht auf Adoption angewiesen sei. Dies gilt aber auch für die anderen antiken Kulturen, und auch Polygamie kann Unfruchtbarkeit des Mannes nicht umgehen.

In der Institution des Levirats meinte man eine adoptionsähnliche Praxis zu erkennen, die Adoption im engeren Sinn überflüssig gemacht habe. Allerdings verweisen die biblischen Texte darauf, dass auch das Levirat nicht zwangsläufig praktiziert wurde (vgl. Dtn 25,7). Zudem wurde das Levirat im mesopotamischen Raum neben der Adoption und nicht als deren Ersatz praktikziert.

Auch die Begründung, die israelitische Familie sei per se ein Blutsverband gewesen, überzeugt nicht, da kein Grund anzugeben ist, warum Familie so – anders als in den Nachbarkulturen Israels – konzipiert worden wäre.

Wenn angeführt wird, Nachkommenschaft sei als göttlicher Segen und allein als Gabe Gottes verstanden worden, es daher nicht möglich gewesen sei, Unfruchtbarkeit mit einer Adoption zu umgehen, so befriedigt auch diese Erklärung nicht. Der altorientalische Kontext zeigt, dass Adoption nicht allein der Kompensation von Unfruchtbarkeit diente. Zudem ist der Umkehrschluss, Unfruchtbarkeit sei gottgewollt, vor dem Textbefund, dass sich unfruchtbare Frauen ja gerade an Gott wenden, nicht zulässig.

Dass die Königsadoption die Adoption verdrängt habe, ist unplausibel, schließlich werden hier Rechtsgeschichte und Metaphorik vermischt.

Auffällig bleibt aber auch das Schweigen der rabbinischen Literatur zur Adoption: Das Verhältnis von Eltern und Kind beruht auf einer natürlichen Beziehung und kann nicht künstlich geschaffen werden. Allerdings kennt auch die Halacha Institutionen mit ähnlichen Rechtsfolgen wie bei einer Adoption: Eine Person kann sich der Versorgung eines Kindes annehmen, die auch Erbe und Unterhalt umfasst. Dazu wird diese Person mit Rechtsmitteln als Aufsichtsperson bestimmt und kann das Vermögen des Kindes verwalten.

Es zeigt sich also, dass der Begriff der „Adoption“ nur unzulänglich die vielfältigen Formen von rechtlichen Verhältnissen zwischen (nicht-)verwandten Menschen beschreibt, die im Zusammenhang von Versorgung, Erbfolge und Weiterführung der Familienlinie etabliert werden können.

Literaturverzeichnis

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