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Statthalter (NT)

(erstellt: September 2013)

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1. Das römische Provinzsystem und seine Statthalter in der Kaiserzeit

Nach dem Sieg des → Augustus in den Bürgerkriegen (43 - 30 v. Chr.) und der Konsolidierung seiner Alleinherrschaft in den Formen der Republik, wurde die Verwaltung der römischen Provinzen (Amts- bzw. Herrschaftseinheiten) grundlegend neu geordnet: Der Kaiser behielt sich die Kontrolle über militärisch (z. B. Britannia, Germania oder Syria) oder wirtschaftlich (z.B. Aegyptus) wichtige Provinzen vor, während der Senatskontrolle weitgehend befriedete und zumeist schon lange unter römischer Herrschaft stehende Provinzen unterstellt wurden (z. B. Africa, Macedonia, Achaea oder Asia). Man spricht daher von senatorischen und kaiserlichen Provinzen. Die senatorischen Provinzen wurden in der Regel von einem Promagistrat (Proconsul) verwaltet, die kaiserlichen Provinzen durch einen Stellvertreter des Kaisers (z. B. ein ritterlicher Praefect für Ägypten, ein senatorischer Legat für Syria oder ein Praefect, später ein Procurator für Judaea).

Die Statthalter waren weder Verwaltungsbeamte im modernen Sinn noch „Landpfleger“ in lutherischer Lesart (Vgl. die Lutherübersetzung von 1912 zu Lk 2,1-2). Ihre primären Zuständigkeiten waren Rechtsprechung (vor allem Kapitalgerichtsbarkeit), Schiedsverfahren, die Aufsicht über die korrekte und reibungslose Erhebung der Steuern sowie ordnungspolitische Aufgaben (Bekämpfung von Räubern und Seeräubern, Niederschlagung von Aufständen etc.). Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Kaisers (in der Zeit der Republik des Senates) durfte kein Statthalter militärisch gegen Territorien außerhalb seines Amtsbereichs vorgehen. Lag diese Erlaubnis oder ein entsprechender Befehl allerdings vor, gehörte zu den Aufgaben des Statthalters auch das militärische Kommando über die Truppen im Feld. Dem Statthalter stand für seine verschiedenen Aufgaben ein kleiner Stab aus persönlichen Beratern, Freigelassenen, Sklaven sowie ein Finanzbeamter (Quaestor) und für militärische Belange Legaten bzw. Tribunen (vgl. Apg 21,31-33) zur Verfügung. Eine ausgeprägte Beamtenschaft existierte dagegen nicht. Die eigentlichen Verwaltungsaufgaben (Erhebung von Steuern und Zöllen, Zivil- und alltägliche Strafgerichtsbarkeit, Lokalpolitik, Kultaufsicht etc.) überließ man den lokalen Oberschichten und deren Personal (vgl. Lk 19,1-10; Apg 4,1-21).

Durch die gewandelten Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen der Kaiserzeit mussten römische Politiker ihre Karrieren nicht mehr allein durch die Ausbeutung einer Provinz während ihrer Statthalterschaft finanzieren. Zudem wurden die Statthalter seit Augustus für ihre Tätigkeit bezahlt. Die Korruption der Amtsinhaber ging daraufhin merklich zurück, wenngleich auch die kaiserzeitlichen Statthalter ihre Macht gegenüber den Provinzuntertanen nicht oft in deren Sinn, sondern im Interesse Roms bzw. des Kaisers und im Hinblick auf ihre eigenen Ambitionen ausübten.

2. Die Statthalter Roms im Neuen Testament

Im Neuen Testament, vor allem in den Evangelien und der → Apostelgeschichte, findet sich nahezu die gesamte Bandbreite an Titeln, Aufgaben und Amtsführung römischer Statthalter. Sie werden im Falle kaiserlicher Statthalter zumeist als ἡγεμὼν (Hēgemōn, d.h. unspezifisch als Statthalter) oder einem entsprechenden Partizip bezeichnet. Die Proconsuln Sergius Paulus und Gallio als Statthalter senatorischer Provinzen werden dagegen mit dem Terminus technicus ἀνθύπατος (Anthýpatos) genannt.

Als Prototyp eines Statthalters kann der Praefect von Judaea, → Pontius Pilatus, gelten, der unter → Tiberius von 26 bis 36 n. Chr. die Prafectur Judaea als Teil der syrischen Provinz verwaltete. Ihm kommt eine prominente Rolle im Prozess Jesu zu, wie ihn die Passionsgeschichten der Evangelien schildern (vgl. Mk 15,1-15; Mt 27,11-31; Lk 23,1-25; Joh 18,28 - Joh 19,16). Der Prozess gehörte als Kapitalgerichtsverfahren zum Aufgabenbereich der Rechtspflege (siehe auch die verschiedenen Gerichtsszenen in der Apostelgeschichte, in denen → Paulus vor die Procuratoren Felix und Festus sowie die Proconsulen Sergius Paulus und Gallio tritt; vgl. Apg 18,12-16). Die ordnungspolitische Tätigkeit (vermutlich das gewaltsame Beenden einer Aufstandsbewegung) des Pilatus wird in Lk 13,1 angedeutet. Die Finanzaufsicht als Aufgabe römischer Statthalter kommt beim Census des → Quirinius in Lk 2,1-2 in den Blick, der Stab eines Statthalters in der Szene vor dem Proconsul Sergius Paulus (vgl. Apg 13,6-7). Die Bedeutung der Nähe eines Statthalters zum Kaiser wird in Joh 19,11-16 thematisiert. In der Diskussion um Amtsvorstellungen und Ämtermodelle im Neuen Testament werden die römischen Statthalter nur selten berücksichtigt, obgleich sie narratologisch und enzyklopädisch von herausgehobener Bedeutung sind.

Im Einzelnen kommen im Neuen Testament folgende römische Statthalter vor:

A. Statthalter kaiserlicher Provinzen

B. Statthalter senatorischer Provinzen

  • Sergius Paulus (Proconsul der senatorischen Provinz Cyprus)
  • Gallio (Proconsul der senatorischen Provinz Achaea)

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Eck, W., 2001, Art. Praefectus, DNP 10, 241-246
  • Eck, W., 2001, Art. Procurator, DNP 10, 366-369
  • Eder, W., 2001, Art. Statthalter, DNP 11, 930-931
  • Galsterer, H., 2001, Art. Provincia, DNP 10, 473-475
  • Kehne, P., 1999, Art. Legatus, DNP 7, 5-6
  • Kierdorf, W., 2001, Art. Proconsul, DNP 10, 364-365

2. Weitere Literatur

Eck, W., 2010, Ämter und Verwaltungsstrukturen in Selbstverwaltungseinheiten der frühen römischen Kaiserzeit, in: Schmeller, T. / Ebner, M. / Hoppe, R. (Hg.), Neutestamentliche Ämtermodelle im Kontext, QD 239, Freiburg, 9-33

Metzner, R., 2008, Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar, NTOA 66, Göttingen

Schefzyk, J. / Zwickel, W. (Hg.), 2010, Judäa und Jerusalem. Leben in römischer Zeit, Stuttgart

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