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2020-01-01

(erstellt: Juli 2020)

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Die Nieren sind ein im Bauchraum liegendes Organ, das der Bildung und Ausscheidung von Harn dient. Sie sind bei Säugetieren paarig angeordnet und liegen unterhalb des Zwerchfells, auf beiden Seiten der Wirbelsäule an der hinteren Bauchwand.

In der Hebräischen Bibel erscheinen die Nieren mit 31 Erwähnungen nach dem Herzen als wichtiges Organ. 17-mal werden die Nieren von Opfertieren erwähnt. Im Kontext des Feueropfers gehören sie zu den Teilen, die gemeinsam mit dem Fett, das sie umgibt, verbrannt werden. 13-mal (+3-mal im griechischen Teil der Bibel) werden die menschlichen Nieren als Organ oder als Sitz von Gefühlen und dem Vermögen, Urteile zu fällen, genannt. Die Nieren gelten daher auch als Sitz des Gewissens.

In Dtn 32,14 ist vom Nierenfett des Weizens die Rede, um den besonderen Wert des Getreides hervorzuheben.

1. Wortbedeutung

Das Wort כִּלְיָה kiljāh „Niere“ ist nur im Plural (כְּלָיֹות kəlājôt) belegt. Seine Herleitung kann nicht endgültig geklärt werden. Möglicherweise ist es auf eine Wurzel כל kl mit der Bedeutung „halten“ zurückzuführen. Dabei wird angenommen, dass die Nieren, die vom Fett Gehaltenen / Umhüllten / Eingeschlossenen sind. Eine andere Herleitung geht davon aus, dass die Form der Niere namengebend war. Die Wurzel כלל kll „rollen“ weist dabei auf das Ergebnis des Rollens hin, also etwas Rundes.

Die Nieren werden oft gemeinsam mit anderen Körperbegriffen genannt. Im Opferkontext sind dies Fett, Leber, Eingeweide sowie der Fettschwanz; in anderen Kontexten sticht die Kombination Herz und Nieren besonders hervor (6-mal im Alten Testament, 1-mal im Neuen Testament). „Herz“ kann synonym zu „Nieren“ verwendet werden, „Mund“ (פֶּה pæh) dagegen als Antonym (vgl. Jer 12,2; DCH IV, 425).

Die Nieren wurden im Alten Orient im Zusammenhang mit Zeugungskraft und möglicherweise mit der Samenproduktion gesehen. Im antiken und auch mittelalterlichen Judentum galten die Nieren als Sitz der Gedanken und des Gewissens. Im Talmud findet man auch die Vorstellung, dass die beiden Nieren den Menschen beraten, die eine zum Guten und die andere zum Schlechten (Babylonischer Talmud, Traktat Bereschit 61b).

In der Hebräischen Bibel findet sich das Wort כִּלְיָה kiljāh für Niere 31-mal, weitere 2-mal kommt νεφρός nephos in den deuterokanonischen Schriften vor (1Makk 2,24; Weish 1,6) und eine Erwähnung gibt es im Neuen Testament (Apk 2,23), wobei es sich um ein freies Zitat von Jer 11,10 oder Jer 17,10 handelt.

2. Körperteil von Tieren

Im Kontext von Opfervorschriften werden die beiden Nieren und deren Fett als Teil des Opfers genannt (Ex 29,13.22; Lev 3,4.10.15; Lev 4,9; Lev 7,4; Lev 8,16.25; Lev 9,10.19).

Durch das Opfer wurden die Nieren der Gottheit aus verschiedenen Gründen übergeben: Einerseits sind sie sehr blutreich und galten als Innerstes eines Lebewesens, andererseits wurden sie vielleicht auch im antiken Israel mit Fruchtbarkeit und Samenproduktion in Verbindung gebracht.

Nieren von Opfertieren wurden gemeinsam mit dem umgebenden Fett verbrannt. Die Fettstücke galten als besonderer Leckerbissen und waren auch aus diesem Grund der Gottheit vorbehalten. Das Fett war außerdem hilfreich für den Verbrennungsprozess und außerdem entstand ein dichter Rauch mit süßem, fleischlichem Duft. Dieser Wohlgeruch sollte zu Gott aufsteigen.

Für die Eingeweideschau dürften die Nieren wenig Bedeutung gehabt haben. S. Maul (63) weist darauf hin, dass in den Opferschauprotokollen Mesopotamiens die Organe Magen, Milz, Nieren und Blase nur selten erwähnt werden.

3. Körperteil des Menschen

Das → Herz ist das wichtigste Organ im Oberbauch, die Nieren repräsentieren den unteren Bauchraum. Sowie das Herz für die Vernunft, das Planen und Wollen des Menschen steht (Intellekt), so stehen die Nieren für die innersten Gefühle und Motive (Emotionen). Die Verbindung „Herz und Nieren“ ist ein Merismus und meint den ganzen inneren Menschen, mit Verstand und Gefühl. Der Bauchraum ist Ort von „seelischen und ethischen Regungen“ (Wolff, 112), aus diesem Grund werden die Nieren auch mit dem Gewissen assoziiert, für das es im biblischen Hebräisch jedoch kein Wort gibt. Nieren sind außerdem Ort von Emotionen wie Freude (Spr 23,16), Verbitterung (Ps 73,21) und Zorn (2Makk 2,24). Ferner können die Nieren auch Ort von (krankhaften) Schmerzen sein. In Hi 16,13 und Klgl 3,13 ist jeweils davon die Rede, dass Gott die Nieren wie ein Bogenschütze angreift. Auch Hi 19,27 kann als Krankheitssymptom gelesen werden. Möglicherweise wird auf „quälendes Dahinsiechen“ angespielt, was auch zu Hi 19,20 passen würde. Ob Hi 27,19 vom Schrumpfen der Nieren (→ Krankheit) oder von deren Sehnsucht spricht, ist laut Wolff unklar. Das Verb כלה klh ist in diesem Zusammenhang schwer zu deuten (Wolff, 111).

In Psalm 139,13 bezeichnen die Nieren pars pro toto den ganzen inneren Menschen. Dabei wird Gottes umfassende Schöpferkraft betont. Gott bildet die Nieren, also das Innerste des Menschen. Sie gelten, gemeinsam mit dem Herzen, als Organ, das die Persönlichkeit prägt.

3.1. Die Nieren als Sitz des Gewissens

Herz und Nieren sind Ort der göttlichen Prüfung (Ps 7,10; Ps 16,7; Ps 26,2; Jer 11,20; Jer 17,10; Jer 20,12; Weish 1,6; Apk 2,24). Dabei ist der ganze Mensch im Blick. Das Motiv der → Prüfung ist im Alten Testament vielschichtig und reicht von der intellektuellen Prüfung über die Glaubensprobe, die Versuchung Gottes bis hin zum → Läuterungsprozess von Metallen (im metaphorischen Sinn). Das Bild der Läuterung sieht Keel (164) auch in Ps 26,2 angesprochen. Hier wünscht das Lyrische-Ich durch gleich drei aneinander gereihte Verben für „prüfen / kontrollieren“ eine „umfassende Totalinspektion“. Der / die Beter/in ist sich der Unschuld bzw. des reinen Gewissens sicher und hofft durch die umfassende Prüfung das Eingreifen Gottes zu erwirken. Auch in Jer 17,10 wird durch gleich zwei Verben des Prüfens ausgedrückt, dass Gottes Erkenntnis vom Innersten des Menschen nicht oberflächlich, sondern mehrfach getestet ist. Grund der göttlichen Prüfung ist, wie auch an anderen Stellen die gerechte Vergeltung. Fromme Reden reichen nicht, Gott sieht auf die Motive und die Gesinnung. So kann Gott zwar im Mund der Mensch sein, aber fern von ihren Nieren (vgl. Jer 12,2). Hier stimmen öffentliche Rede und innere Einstellung nicht überein. In Ps 7,10 werden Gewissensbisse durch schmerzende Nieren sichtbar. Auch im Buch → Henoch (Hen 68,3) werden die Nieren mit dem Gewissen in Verbindung gebracht, wenn es heißt, dass die Nieren durch das Wort vom Gericht in Unruhe versetzt werden.

Der Ort des Gewissens steht auch für das „Lernen“ im ethischen Sinn. Menschen, die empfänglich sind für die Weisungen Gottes, achten auf die nächtlichen Signale der Nieren (Ps 16,7). Abart (49) weist darauf hin, dass es auch wichtig ist, die „Stimme der Nieren“ in das Leben zu übersetzen. Dabei verweist sie auf Jer 12,1-2.

3.2. Die Nieren als Sitz von Emotionen

Der Bauchraum galt damals, und gilt auch heute als Seismograph von Gefühlen. Begriffe, die den Bauch allgemein beschreiben, werden mit Emotionen in Verbindung gebracht, aber es werden auch die einzelnen Organe mit konkreten Emotionen assoziiert. Die Nieren werden biblisch dreimal als Ort von jeweils sehr unterschiedlichen Gefühlen geschildert. Enttäuschungen und das, was verbittert bzw. „sauer“ macht, geht an die Nieren. Das Lyrische-Ich drückt in Ps 73,21 aus, wie es an der Auseinandersetzung mit Gott, bzw. an der Frage „Wo ist Gott?“ leidet. Die Nieren können aber auch Sitz der Freude sein. In Spr 23,15f ist die Freude über ein weises Herz in Herz und Nieren spürbar. Aber auch Zorn kann in den Nieren sein, so spricht 1Makk 2,24 vom Beben der Nieren, um das Aufsteigen des Zornes zu beschreiben.

Im Testament Naftali (Test Naft 2,8) werden die Nieren mit der List (πανοῦργία) in Verbindung gebracht.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
  • The New Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville 2006-2009
  • Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York / Boston 2009ff

2. Weitere Literatur

  • Abart, C., Lebensfreude und Gottesjubel. Studien zu physisch erlebter Freude in den Psalmen (WMANT), Neukirchen-Vluyn, 2015
  • Fischer, G., Jeremia 1-25 (HThK.AT), Freiburg im Breisgau, 2005
  • Gillmayr-Bucher, S., Body Images in the Psalms, JSOT 28 (2016), 301-326
  • Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., Psalmen 51-100 (HThK.AT), Freiburg im Breisgau, 2007
  • Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., Psalmen 101-150. (HThK.AT), Freiburg im Breisgau 2008
  • Keel, O., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 1996
  • Kornfeld, W., Levitikus (NEB.AT), Würzburg 1986
  • Maul, S.M., Die Wahrsagekunst im Alten Orient. Zeichen des Himmels und der Erde (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung), München 2013
  • Oeming, M., Das Buch der Psalmen. Psalm 1-41 (NSK AT 13/1), Stuttgart 2000
  • Schroer, S. / Staubli, T., Die Körpersymbolik der Bibel, Gütersloh 2005
  • Schroer, S. / Staubli, T., Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014
  • Schwartz, B., Leviticus. Introduction and Annotations, in: A. Berlîn / M.Z. Brettler (Hgg.), The Jewish study Bible. Tanakh translation, Oxford 2014, 193-266
  • Strauß, H., Hiob. 2. Teilband 19,1-42,17 (BKAT 16,2), Neukirchen-Vluyn 2000
  • Wolff, H.W., Anthropologie des Alten Testaments, neu hg. von B. Janowski, Gütersloh 2010

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