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Andere Schreibweise: Tabitha / Dorcas (engl.)

(erstellt: September 2017)

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1. Name

Der Name Tabita (Ταβιθά) kommt aus dem Aramäischen (טַבׅיְתָא / ṭabîtā – status emphaticus des fem. טַבְיָה / ṭabjā; mask.: טָבׅי / ṭābî bzw. im status emphaticus טַבְיָא / ṭabjā) und bedeutet „Gazelle“. In der griechischen Bibel begegnet er nur in Apg 9,36.40 als Name einer Christin aus → Joppe, die → Petrus vom Tod auferweckt (Apg 9,36-43). In Apg 9,36 wird die Namensbedeutung zusätzlich mit der griechischen Bezeichnung für → Gazelle, δορκάς / dorkás, erklärt (Luther übersetzte mit „Reh“) und in Apg 9,39 Dorkás anstelle von Tabithá als Eigenname gebraucht (vgl. auch Josephus Flavius, Bell 4,145). Die Namensform Tabea geht auf Luther (bzw. einen lateinischen Textzeugen) zurück.

Der hebräische Begriff für „Gazelle“ (צְבִי / ṣəbî; צְבִיָּה / ṣəbîjā – kann auch „Zierde, Herrlichkeit“ bedeuten) begegnet auch im Alten Testament als Personenname: in 2Kön 12,2 bzw. 2Chr 24,1 für Zibja, die Mutter des Joasch (צׅבְיָה / ṣibjā; LXX: Αβια / Abia bzw. Σαβια / Sabia); in 1Chr 8,9 für einen Mann gleichen Namens, Zibja, den Sohn des Schaharajim aus dem Stamm Benjamin (צִבְיָא / ṣibjā; LXX: Σεβια / Sebia).

2. Tabita in Apg 9,36-43

Tabita begegnet in der Apostelgeschichte im Kontext einer Erzählsequenz, die in insgesamt drei Perikopen das missionarische Wirken des Petrus in der Küstenregion Palästinas zum Inhalt hat (Apg 9,32-11,18). Auf die knapp geschilderte Heilung eines bettlägerigen Mannes namens Äneas in → Lydda (Apg 9,32-35) folgt in Apg 9,36-43 als literarisches Gegenstück dazu für Joppe eine → Wundererzählung, in der mit Tabita eine Frau im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Daran schließt dann als dritte Perikope die umfangreiche Kornelius-Episode an (Apg 10,1-11,18; → Kornelius).

Tabita wird in Apg 9,36 nicht nur namentlich eingeführt, sondern ausdrücklich und für das Neue Testament singulär auch als „Jüngerin“ (μαθήτρια mathḗtria) bezeichnet und so als Mitglied der judenchristlichen Gemeinde von Joppe vorgestellt. Zu ihrer insgesamt auffallend detaillierten Charakterisierung zählt zudem, dass sie „voll guter Werke und Almosen“ war, d.h. „dem Idealbild jüdischer – und auch judenchristlicher – Frömmigkeit“ (Roloff, 161) durch ihre wohltätigen Aktivitäten entsprach, was in Apg 9,39 mit Verweis auf jene Unter- und Obergewänder, die sie (wohl für Bedürftige oder konkret für die im Text genannten Witwen) hergestellt hat, veranschaulicht wird, sich aber keineswegs darauf beschränkt und vielleicht auch Verkündigungstätigkeit einschließt (Richter Reimer, 1992, 61 u.ö., spricht beispielsweise von „sozialmissionarischen Tätigkeiten“). Die Wertschätzung und die Bedeutung Tabitas kommen dadurch ebenso zum Ausdruck wie durch die Tatsache, dass die Christen vor Ort – im Text als → Jünger (Apg 9,38) und als → Heilige (Apg 9,41) bezeichnet –, nachdem Tabita erkrankt und gestorben war, Boten in das nahegelegene Lydda schicken und Petrus umgehend herbeiholen. Dass „alle“ → Witwen um sie weinen (Apg 9,39), unterstreicht den Verlust und macht zugleich deutlich, dass beim Eintreffen des Petrus die → Totenklage um die im Obergemach Aufgebahrte bereits voll im Gange ist.

Es folgt eine typische → Totenerweckung nach dem Muster und in zum Teil enger Analogie zu der Auferweckung des Sohnes der Witwe von Sarepta durch den Propheten → Elija (1Kön 17,17-24), der Auferweckung des Sohnes der Schunemiterin durch den Propheten → Elischa (2Kön 4,32-37) und der Auferweckung der Tochter des → Jaïrus durch Jesus (Mk 5,21-24.35-43 parr.; vgl. auch Lk 7,11-17; Apg 20,7-12). In mehreren Schritten vollzieht sich das eigentliche Wundergeschehen. Ausschluss der Öffentlichkeit, Niederknien und Gebet des Petrus stehen am Beginn, noch bevor dieser das Wort an die Tote richtet. Die anschließende Aufforderung „Tabita, steh auf!“ in Apg 9,40 lässt das „Talita kum! … Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ des Erweckungsrufes Jesu in Mk 5,41 nachklingen. Eine Berührung erfolgt erst, nachdem Tabita ihre Augen aufgeschlagen und sich aufgesetzt hat. Petrus reicht ihr die Hand und präsentiert sie der herbeigerufenen Trauerversammlung als Lebende. Der Hinweis, dass daraufhin viele in Joppe zum Glauben an den Herrn kamen (Apg 9,42), hebt wie bereits bei der Heilung des Äneas (Apg 9,35) die Bedeutung des wunderbaren Geschehens für die Ausbreitung des Evangeliums hervor und fügt sich darin ein in das Darstellungskonzept der Apostelgeschichte.

3. Tabita als Person

Trotz „novellistischer Ausgestaltung“ (Weiser, 237) lässt die Erzählung in Apg 9,36-43 zur Person der Tabita vieles offen und unbestimmt, was Raum für mehr oder weniger spekulative Schlussfolgerungen gibt, zugleich aber Skepsis gegenüber weitreichenden Rekonstruktionen gebietet. Person, Name und Lokalisierung können durchaus historischer Reminiszenz entspringen, unabhängig von der Frage, ob es sich im Kern der Erzählung um eine Art Gründungslegende der christlichen Gemeinde in Joppe handelt (so z.B. Roloff; dagegen: Pesch, Pervo).

Ob die namentliche Bezeichnung mit „Gazelle“ als Spitzname zu verstehen ist, lässt sich ebenso wenig entscheiden wie daran anknüpfende Erwägungen, dass damit etwa die äußere Erscheinung, das Auftreten oder bestimmte Charaktereigenschaften benannt seien oder aber wegen des sonst häufigeren Gebrauchs des griechischen Namens Dorkas für → Sklaven ein Hinweis auf ihren sozialen Status gegeben sei, es sich bei ihr also um eine (ehemalige) Sklavin handle (Witherington). Auch eine Kennzeichnung als Prostituierte wird aufgrund des Namens in Erwägung gezogen (Erichsen-Wendt).

Tabita scheint eine alleinstehende, vielleicht sogar wohlhabende(re) und unabhängige Frau zu sein. Bis hin zur vermögenden Betreiberin einer Kleidermanufaktur und hochgeschätzten Patronin der Gemeinde in Joppe reicht das Bild, das von ihr vor dem Hintergrund sozialgeschichtlicher Analogien gezeichnet wird (Calpino; Standhartinger). Völlig offen bleibt trotz der im Text erwähnten Witwen, für die oder zusammen mit denen sie die Kleider fertigte, ob Tabita selbst ebenfalls Witwe war oder ob sie gar eine (Amts-)Funktion karitativer Art innehatte, analog zur Siebenergruppe in Apg 6,1-7 in der Gemeinde (Witherington, 1992, 225: „one who functions as a prototype of a deaconness“).

Unter Verweis auf die mit der Ortsangabe verknüpfte kulturelle Semantik und metaphorische Konnotationen des Namens werden Gestalt und Erzählung auch als Inszenierung alltäglicher Grenzerfahrungen christlicher Existenz bis hin zu Leben und Tod verstanden (Erichsen-Wendt). Ein Ineinandergreifen von sozialgeschichtlichen und literarischen Aspekten bedeutet es, vom metaphorischen Gehalt des Namens und einer entsprechenden Verwendung des spezifisch konnotierten Motivs der Gazelle in jüdischer und christlicher Kunst und Literatur sowie von der Lokalisierung in Joppe, dessen Geschichte und gemischter Bevölkerung den Schluss zu ziehen, Tabita sei eine Proselytin (und aus eben diesem Grund so benannt) und die Erzählung ihrer Auferweckung sei eine symbolträchtige Veranschaulichung der einem Transformationsprozess vom Tod zum Leben gleich kommenden Aufnahme von → Proselyten in die christliche Gemeinschaft (Strelan; vgl. Luther).

Ungeachtet aller derartiger Konkretisierungsversuche, behält die im Text vorgenommene Charakterisierung als „Jüngerin“, die ihren Glauben und ihre Frömmigkeit tatkräftig durch sozial-integratives Engagement verwirklicht (vgl. Lk 8,2-3; Apg 4,32-35), volle Gültigkeit. Tabita ist darin geradezu „als ideale Jüngerin gezeichnet“ (Stimpfle, 299), sie erweist sich als „eine hervorragende Christin“ (Mußner, 61), ein „Symbol für das Potential der Gemeinde“ (Erichsen-Wendt, 85) und ein „Vorbild christl. Handelns“ (Zmijewski, 405), die – so häufig Kommentare zur Stelle (dagegen: Erichsen-Wendt) – des Wunders „würdig“ ist. Unter dieser Rücksicht unterstreicht die Erzählung von der Auferweckung der Tabita in Apg 9,36-43 nicht zuletzt die Macht alltäglicher Solidarität und gelebter Spiritualität, die sich als stärker als der Tod erweist (vgl. Richter Reimer).

Literaturverzeichnis

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  • Witherington, B., 1988, Women in the Earliest Churches (MSSNTS 59), Cambridge
  • Zmijewski, J., 1994, Die Apostelgeschichte (RNT), Regensburg

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