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(erstellt: April 2021)

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Hölle

Die Bücher des Alten und Neuen Testaments sprechen nicht von einer ‚Hölle‘ als Ort der Strafe und der Qual schwerer ‚Sünder‘, der von ‚Teufel‘, ‚Hexen‘ und ‚Dämonen‘ bewohnt und beherrscht wird. Sie kennen aber Unterwelten [→ Unterwelten] wie die Scheol (hebr. שְׁאוֹל), die als Reich der Toten vor allem durch den gänzlichen Verlust leiblicher Genussfähigkeit und durch Gottesferne gekennzeichnet sind. Die Scheol ist aber kein Ort sadistischer Qualen, die dort von einer teuflischen Figur verstorbenen Missetätern zugefügt werden. Trefflich bemerkt Christoph Auffahrt: „Zur H[ölle] gehören der Herr der H[ölle] und seine Helfer (→ Teufel), die sich immer neue Qualen erdenken“ (Art. Hölle, RGG 3, 4. Aufl., Sp.1845). Ein solcher „Herr“ findet sich in der Scheol gerade nicht.

In der LXX wird Scheol mit Hades (gr. ᾄδης) [→ Hades] übersetzt. Durch diese intertextuelle Disposition werden Schriften der LXX und dann auch einige neutestamentliche Schriften (Mt 11,23; 16,18, Lk 10,15; 16,23, Apg 2,27.31, Apk 1,18; 6,8; 20,13f) interkulturell vernetzt und angereichert. Aber auch der Hades ist wie die Scheol kein Ort eines teuflischen Unterweltreiches, was insbesondere durch Lk 16,19-31 deutlich wird, dem einzigen Textabschnitt im NT, der den Hades als einen Ort von Qualen und zwar für bis zum Ende ihres Lebens unbarmherzige, reiche „Geldfreunde“ (philárgyroi, Lk 16,14) zeichnet, aber auch hier keinen teuflischen Protagonisten einführt. Der in der Unterwelt wohnende gleichnamige Gott Hades, von dem das Totenreich als „Haus des Hades“ seine Bezeichnung erhalten hat, ist keine Teufelsfigur. „Hades“ in der LXX oder in neutestamentlichen Schriften mit ‚Hölle‘ zu übersetzen, ist deshalb ein auf anachronistischer Eisegese, d.h. einem unsachgemäßen Hineintragen späterer Vorstellungen in den Text, beruhender philologischer Fehler: „H[ades] ist zwar ein mitleidloser und unerbittlicher Gott, da niemand, der ihm anheimfällt, aus seinem Reich wieder zurückkehren kann, aber er ist nicht böse und trägt ebenso wenig satanische Züge, wie die griechisch-römische Unterwelt mit der Hölle zu vergleichen ist“ (Thomas Paulsen, Art. Hades, wibilex; vgl. auch Homer, Odyssee, 11. Gesang). Selbst Platons Konzept des Hades, das anknüpfend an Homer den Hades als Ort des von Zeus eingesetzten Totengerichts ausmalt, in dem auch Strafen zur Reinigung und auch zur Abschreckung verhängt werden, ist keine von Teufelsgestalten regierte ‚Hölle‘, sondern Vollzugsort göttlichen Rechts (vgl. Platon, Gorgias 525b-527b).

In der griechischen Unterweltsvorstellung findet sich gelegentlich noch der Tartaros, tief unterhalb des Hades, der als kaltes, dunkles, feuchtes, modriges, enges Gefängnis für göttliche Wesen gilt, die sich eines besonders schweren Vergehens schuldig gemacht haben, aber nicht getötet werden können, weil sie unsterblich sind. Der Tartaros ist also zunächst kein Ort für verstorbene Übeltäter, sondern Unsterblichen vorbehalten. Einige von ihnen werden dort auch bestraft (vgl. Hesiod, Theogonie, 713-745; Homer, Ilias 8,13-16; 14,278f). Das Wort Tartaros (gr. Τάρταρος) wird in 2Petr 2,4, der einzigen neutestamentlichen Stelle, in der es verwendet wird, analog in diesem Sinn gebraucht. Henning Paulsen übersetzt in seinem Kommentar zum 2Petr daher Tartaros sinngemäß treffend mit „finstere Höhlen der Unterwelt“, in die solche Engel, die sich verfehlt haben – aber eben keine Menschen – bis zum Gericht verbannt werden. Platons Phaidon (113d-115a) jedoch wirft auch menschliche Übeltäter in den Tartaros; manche von ihnen können durch Reinigung wieder herauskommen. Platon stellt aber klar, dass es sich dabei um einen Mythos in pädagogischer Absicht handelt. Auch in der Aeneis (6,577-627) des römischen Dichters Vergil (Publius Vergilius Maro, 70 v.-19 v. Chr.) werden im Tartaros menschliche Übeltäter für besonders schwere Freveltaten hart bestraft. Zu berücksichtigen ist aber auch hier der poetische Charakter der Darstellung.

Ein anderes Wort, das in deutschen Bibelausgaben - insbesondere in der Lutherbibel - oft und fälschlicherweise mit „Hölle“ übersetzt wird, ist die Gehenna (gr. γέεννα, hebr. גֵּי־הִנֹּם), Tal des Hinnom, Jos 15,8b; 18,16b; Neh 11,30; → Hinnomtal). Es findet sich in synoptischen Evangelien 11mal (Mk 9,43.45.47, Mt 5,22.29f; 10,28; 18,9, 23,15.33, Lk 12,5) in der Apostelgeschichte und im Corpus Johanneum gar nicht und in der gesamten Briefliteratur nur an einer Stelle (Jak 3,6). Gehenna bezeichnet aber keinen imaginären Ort der Unterwelt, sondern das Hinnomtal in der Nähe Jerusalems, also das südlich gelegene Wadi-er-rababi, das in dem Ruf stand, dort seien Menschen als Opferhandlung verbrannt worden (vgl. 2Kön 23,10, Jer 7,31). Die so als Ort des Grauens markierte Gehenna wurde auch zum Bestandteil eschatologischer Gerichtsvorstellungen, die den vermeintlichen Feuertod kultischer Opfer in die Zukunft projizierten (vgl. Jes 31,9; 66,24). Die Gehenna ist aber auch in diesen Texten kein Ort der Unterwelt, sondern bleibt südlich von Jerusalem lokalisierbar. Sie gilt zwar als eschatologischer Strafort, dieser wird aber nicht wie die ‚Hölle‘ von ‚Teufel‘ und ‚Dämonen‘ beherrscht, sondern diese werden dort am Tag des Gerichts Gottes vernichtet (vgl. Mt 25,41; Apk 20,10.14).

Nicht identisch mit der Gehenna ist der „Ofen des Feuers“ in Mt 13,42.49. Er ist wie die Gehenna Bestandteil einer Szenographie des eschatologischen Gerichts zu dem auch weitere Orte gehören, wie die in Mt 8,12; 22,13 und 25,30 genannte „äußere Finsternis“, ohne dass diese ins Verhältnis zueinander gesetzt würden. Wo der Ofen des Feuers stehen wird, bleibt jedoch ebenso unartikuliert wie die Verortung der Finsternis. Auffällig aber ist, dass es dort offensichtlich nicht zu einer gänzlichen Vernichtung der dort Hineingeworfenen kommt, sondern vielmehr mit „Heulen“ und „Knirschen der Zähne“ ihr Schmerz zum Ausdruck gebracht wird. Die ganze Szenerie verrät daher die pragmatisch eingesetzte Fiktionalität des Feuerofens. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man intertextuell die Wundererzählung von den drei jungen Männern im Feuerofen in Dan 3 ins Spiel bringt. Um Orte der ‚Hölle‘ handelt es sich auch hier nicht, da von ‚Teufel‘ und ‚Dämonen‘ auch in diesen Zusammenhängen nicht die Rede ist.

Als Ort der Unterwelt, der dem Tartaros vergleichbar auch als Gefängnis für „den Drachen, die Schlange, die alte, die ist der Zerwerfer und der Satan“ (Apk 20,2, Übers. Alkier, Paulsen, FNT 1) dient, begegnet vor allem in der Johannesapokalypse der „Abgrund“ (gr. ἄβυσσος, Apk 9,1; 11,7; 17,8; 20,1ff, vgl. Röm 10,7; Lk 8,21) Aber selbst die Lutherbibel übersetzt diesen Terminus sachgemäß nicht mit Hölle. Die diabolischen Wesen werden Apk 20,10 zufolge in den nicht weiter lokalisierten „See des Feuers“ geworfen, wie dann auch noch in Apk 20,14f, die griechischen Götter Thanatos und Hades. Ebenso wenig wie der Abgrund als ‚Hölle‘ auszumalen ist, ist der Feuersee ein Beleg für das ‚Fegefeuer‘, das erst in mittelalterlicher Theologie erdacht wird als Möglichkeit des Übergangs von der ‚Hölle‘ in den ‚Himmel‘. Solche Überlegungen waren notwendig geworden, weil sich Augustins von den biblischen Grundlagen losgelöste Höllenlehre realistisch in die Gedankenwelt der katholischen Kirche eingebrannt hatte. Mit seiner ebenfalls gänzlich unbiblischen Erbsündenlehre im Zusammenspiel mit seiner Höllentheologie prägte Augustin nicht nur maßgeblich mittelalterliche Theologie, sondern fand auch noch Eingang in die Lutherbibel, in reformatorische Theologie (vgl. CA 17) und in evangelisches Liedgut. Das unbiblische Zusammenspiel von Erbsündenlehre und Höllentheologie entlud sich grausam und mörderisch in Inquisition und Hexenprozessen.

Religionsgeschichtlich sind die meisten Züge der späteren Höllenvorstellungen schon in ägyptischen Unterwelt-Büchern ab dem 16. Jh. v. Chr. zu finden, teilweise aber auch in Platons Dialogen Gorgias und Phaidon, Vergils Aeneis, in jüdischen Texten wie dem Henochbuch (vgl. 1Hen 26,4; 27,1ff; 54,1-6; 56,3f; 90,26f) und in den christlichen Apokalypsen des Petrus (2. Jh. n. Chr.) und des Paulus (3. Jh. n. Chr.) und der weit verbreiteten Visio Pauli, einer lateinischen Übersetzung der griechischen Paulusapokalypse. „Es ist recht wahrscheinlich, daß die äg. Jenseitsvorstellungen über koptische Vermittlung auf das christliche Höllenbild einwirkten (z.B. Petrus-Apokalypse).“ (Alexandra von Lieven, Art. Unterwelt II. Ägypten, Der Neue Pauly). Das Setting eines sadistischen Straforts beherrscht von teuflischen und dämonischen Akteuren ist aber bezeichnenderweise weder in griechischen Unterweltsvorstellungen verbreitet noch in biblischen Büchern des Alten und Neuen Testaments zu finden. Sprechend ist daher auch der lexikographische Befund, dass es sachgemäß in maßgeblichen Lexika zur Antike, also weder im Kleinen Pauly noch im Neuen Pauly und auch nicht im ausführlichen Pauly-Wissowa neben den Spezialartikeln zu Hades oder Tartaros einen Überblicksartikel unter dem Stichwort „Hölle“, sondern nur unter dem allgemeineren Begriff „Unterwelt“ gibt.

Die biblischen Schriften haben kein Interesse an einer ausgefeilten Topographie der Qualen. Die Bibel redet nicht von der Hölle als Reich des ‚Teufels‘. Die Gehenna wird vielmehr als Ort der letztendlichen Vernichtung von Satan, Diabolos, Beelzebul und ihrem Gefolge bemüht. Die Rede vom Strafort der Gehenna und anderen eschatologischen Straforten dient in neutestamentlichen Schriften paränetisch zur Warnung angesichts des drohenden eschatologischen Gerichts Gottes, sich nicht auf diabolische Abwege zu begeben, sondern den barmherzigen und liebevollen Weg der Nachfolge Jesu Christi zu gehen, und als solche der Verkündigung der Frohbotschaft zu folgen, die allen offensteht (vgl. Mt 25,31-46).

Biblische Texte kennen die Vorstellung eines eschatologischen Gerichts und Strafhandelns Gottes, sie reden aber nicht von einer von ‚Teufeln‘, ‚Hexen‘ und ‚Dämonen‘ besiedelten ‚Hölle‘, in der verstorbene Übeltäter gequält werden. Bibelausgaben und Wörterbücher zum NT, die das Wort „Hölle“ bemühen, um Gehenna oder Hades zu übersetzen, müssen revidiert werden. ‚Hölle‘ ist kein Gegenstand biblischer Rede von Gott. Trefflich formulierte daher Karl Barth, die Hölle verdiene den „radikalsten Unglauben“ (KD III/3, 611).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Christoph Auffahrt, Cornelis Houtman, Hubert Frankemölle, Bernhard Lang, Walter Sparn, Gerold Necker, Ulrich Kuder, Art. Hölle, RGG 3, 4. Aufl., Sp.1844-1855
  • Klaus Bieberstein, Art. Hinnomtal, wibilex.de
  • Carsten Colpe, Alasdair I. C. Heron, Art. Hölle, EKL 2 (G-K), 3. Aufl. Göttingen 1989, Sp. 552-555
  • S. Lundström, Alexandra von Lieven u.a., Art. Unterwelt, Der Neue Pauly
  • Thomas Paulsen, Art. Hades, wibilex.de
  • Dietrich Wachsmuth, Art. Unterwelt, Der Kleine Pauly 5 (Schaf-Zythos). Lexikon der Antike in 5 Bänden, Sp.1053-1056

2. Monographien und Aufsätze:

  • Stefan Alkier, Spiel mit dem Feuer – oder: Warum es (nicht nur) im Matthäusevangelium keine Hölle gibt, JBTh 2021 (im Druck)
  • Stefan Alkier, Thomas Paulsen, Die Apokalypse des Johannes. Neu übersetzt und mit Einleitung, Epilog und Glossar, Frankfurter Neues Testament 1, Paderborn 2020
  • Stefan Alkier, Thomas Paulsen, Die Evangelien nach Markus und Matthäus. Neu übersetzt und mit Überlegungen zur Sprache des neuen Testaments, zur Gattung der Evangelien und zur intertextuellen Schreibweise sowie mit einem Glossar, Frankfurter Neues Testament 2, Paderborn 2021
  • Aurelius Augustinus, Enchiridion de fide spe et caritate. Handbüchlein über Glaube, Hoffnung und Liebe. Text und Übersetzung mit Einleitung und Kommentar hg. v. J. Barbel, Düsseldorf 1960
  • Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat Bd. II. Buch 11-12, übers. v. W. Thimme. Eingel. u. erl. v. C. Andresen, 2. vollständig überarb. Aufl.Zürich und München 1978, insbes. Buch 21: Die Ewigkeit der Höllenstrafen
  • Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III/3, Die Lehre von der Schöpfung, Zürich 1950
  • Alan E. Bernstein, The Formation of Hell. Death and Retribution in the Ancient and Early Christian Worlds, London 1993
  • Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, illustriert von G. Doré, Übers. G. Neumann, m. e. kunsthistorischen Einleitung v. A. Grebe
  • Erik Hornung, Die Unterweltbücher der Ägypter, eingel. übers. u. erl., Düsseldorf und Zürich 1992
  • Jacques Le Goff. Die Geburt des Fegefeuers. Vom Wandel des Weltbildes im Mittelalter, Stuttgart 1990
  • Henning Paulsen, Der Zweite Petrusbrief und der Judasbrief, KEK, Göttingen 1992
  • Herbert Vorgrimler, Geschichte der Hölle, München 1993

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